Wie in Algerien nicht nur Touristen sondern auch Regimegegner verschwinden

Spurlos verschwunden und vergessen?

Wie in Algerien nicht nur Touristen sondern auch Regimegegner verschwinden

Ulli Wendelmann, Kulturreport, ARD, 11. Mai 2003

31 Touristen, unter ihnen 15 Deutsche, werden seit Wochen in der Wüste Algeriens vermisst. Über radikale Islamisten, El Qaida – Terroristen und räuberische Tuareg als Entführer wird öffentlich jeden Tag in den Medien spekuliert. Doch nicht nur Touristen verschwinden in Algerien, auch Regimegegner. Über diese Vermissten wird jedoch nicht berichtet. Der algerische Bürgerkrieg und seine Folgen ist kein Thema in den internationalen Medien. Insgesamt verschwanden über 7000 Algerier in den letzten 10 Jahren spurlos. Vergeblich fordern Angehörigenkomitees Aufklärung. Der Tischler Amine Dutour verschwand 1999 nach einer Polizeirazzia. Seit 4 Jahren sucht seine Mutter Nassera verzweifelt nach jedem Hinweis und jeder Spur. Die Wechselbäder von Verzweiflung und Hoffnung sind für sie kaum noch auszuhalten. Um auf ihre bohrenden Fragen eine Antwort zu erhalten, hat sie sich mit dem Thema « Verschwundene » beschäftigt. Nassera Dutour hat das Warten, die Ohnmacht nicht ertragen und das Schicksal von Hunderten verschwundener Algerier recherchiert. Diese Recherchen dienen ihr jetzt als Vorbereitungen zu einem Film. Die 42jährige will den Menschen, die entführt und verschleppt wurden, ein Gesicht und eine Stimme geben.

„Ich will der ganzen Welt zeigen, in was für einer Situation wir algerischen Frauen leben. Für uns ist das ganze Land wie ein riesiger Knast. Jetzt sind 30 europäische Touristen verschwunden. Politik und Medien veranstalten plötzlich überall einen Riesenwirbel. Aber dass in Algerien seit Jahren Menschen verschwinden, interessiert in Frankreich oder Deutschland bisher niemanden.“
(Nassera Dutour/ Filmemacherin)

Algerien gilt seit jeher als Krisenherd. 1991 gewann die islamische Heilsfront « FIS » die Wahlen in Algerien. Daraufhin riefen die Machthaber, eine Junta aus 15 Generälen, den Ausnahmezustand aus. Seitdem tobt ein Bürgerkrieg, der bisher hunderttausend Tote kostete. Spurlos lassen Armee und Polizei Menschen verschwinden. So wollen die Militärs jeden Widerstandsgeist im Keim ersticken. Der algerische Geheimdienstoffizier, Habib Souaidia, war an dieser organisierten Menschenjagd beteiligt 1999 hat er das Land verlassen. Seitdem versucht er in Artikeln und Büchern den schmutzigen Krieg in seinem Heimatland anzuprangern.

„Algerien wird von einer Mafia aus Militärs beherrscht. Um an der Macht zu bleiben, schrecken sie auch vor Massakern nicht zurück, die sie Islamisten in die Schuhe schieben. Den Kampf gegen die FIS nutzen sie als Vorwand, um das ganze Land mit Terror zu überziehen. Das willkürliche Entführen von Menschen ist dabei sehr effektiv. Subtil werden Furcht und Schrecken verbreitet. So können die Militärs ungestört die Profite aus den Öl- und Gasgeschäften mit Deutschland und anderen abziehen.“
(Habib Souaidia/ Buchautor)

Jüngst ließ die algerische Regierung den Angehörigen von Verschwundenen ein Angebot unterbreiten. Hunderttausend Dinar, rund 1000 Euro, sollten die Familien erhalten, die im Gegenzug eine Sterbeurkunde für den Vermissten unterschrieben. Für die Angehörigen und Menschenrechtsinitiativen ist das nur zynisch. Fast jeden Mittwoch findet eine Demonstration vor dem Gebäude des Menschenrechts-Beirats in Algier statt. Die Familienangehörigen fordern Aufklärung über das Schicksal der Verschwundenen. Radikale Islamisten versuchen das Leid propagandistisch auszuschlachten. Doch viele wollen einfach nur die Wahrheit erfahren, über den Verbleib ihrer Angehörigen.

„Natürlich hoffen die Angehörigen auf ein Lebenszeichen oder die Rückkehr der Vermissten. Vielleicht taucht auch der ein oder andere irgendwann wieder auf. Aber ich war bei Entführungen dabei. Ich habe mit eigenen Augen und Ohren die Verhöre, die Folterungen erlebt. Und wie die Menschen anschließend an den geheimen Orten und Kasernen der Geheimdienste und Militärs liquidiert wurden. Sie wurden alle exikutiert.“
(Habib Souaidia/ Buchautor)

Der algerische Anwalt Mohamed Thari versucht im Auftrag von 2500 Familien Schicksale Verschwundener aufzuklären. Ohne die Hilfe der internationalen Gemeinschaft geht es dabei seiner Meinung nach nicht.

„Ich könnte an die Decke gehen. Seit Jahren beknie ich Politiker in Paris oder Berlin uns zu helfen. Alle europäischen Regierungen sind bestens informiert. Aber bis heute ignorieren sie das Problem der Verschwundenen hartnäckig. Es interessiert sie anscheinend nicht.“
(Mohamed Thari/ Rechtsanwalt)

Für die gesuchten Urlauber werden auf der europäischer Bühne alle Hebel in Bewegung gesetzt. Ist diese Vermisstenaffäre vorbei, ziehen sich die internationale Politik und die Medien wieder aus dem nordafrikanischen Staat zurück. Die Menschen in Algerien bleiben mit ihrer Tragödie dann wieder allein.

Weitere Links
Bericht zur Menschenrechtslage in Algerien 2002
Collectif des familles de disparus en Algérie (CFDA)

Buchtipp:
Habib Souaidia
Schmutziger Krieg in Algerien.
Chronos Verlag, 2001.
ISBN: 3034005377