Algier strapaziert Europas Nerven
Außenminister Fischer reagiert mit seiner Reise auf die undurchsichtige Haltung der algerischen Regierung in der Geiselfrage
Nürnberger Zeitung, 13. Mai 2003
ALGIER/PARIS (dpa). – Seit Monaten herrscht die Ungewissheit. Was ist mit den 32 verschleppten Sahara-Touristen, die angeblich von 5000 Militärs in dem riesigen Wüsten-Dreieck Ouargla-Djanet-Tamanrasset gesucht werden? Sind die Entführer Terroristen, oder geht es um Geld? Warum lehnt die Regierung in Algier deutsche Hilfe in der Affäre ab und ist womöglich auch gegen direkte Verhandlungen der Entführer mit den Ländern ihrer Geiseln? Je ausgetrockneter die Informationslage zu den Sahara-Touristen (darunter 15 Deutsche) ist, desto heißer geht es in der Gerüchteküche zu. Auch Algiers Blätterwald setzt täglich neue, nicht selten abenteuerliche Spekulationen in die Welt – mangels Masse notfalls auch jene aus Europas Medien.
In Widersprüche verstrickt
Der deutsche Außen-Staatssekretär Jürgen Chrobog war schon in Algier, um mehr Klarheit zu gewinnen, ebenso der Schweizer Diplomat Blaise Godet. Und gestern war es an Bundesaußenminister Joschka Fischer, in Algeriens Hauptstadt mit Präsident Abdelaziz Bouteflika über eine Lösung der mysteriösen Angelegenheit zu sprechen. „Zeichen der Ungeduld“, so nennt die algerische Presse die zunehmenden Besuche aus Europa – unter den Verschleppten sind neben den Deutschen zehn Österreicher, vier Schweizer, ein Niederländer sowie ein Schwede.
„Die Europäer werden nervös“, wertete die Pariser Zeitung „Libération“ gestern den Flug Fischers nach Algier. In der Woche davor hatten sich zwei Minister in Algier heillos in Widersprüche verstrickt – und seitdem haben sie den Mund gehalten. Verhandlungen mit den Entführern wurden dementiert, der ohnehin verhaltene Optimismus gedämpft. In der Auseinandersetzung mit den Entführern wird offensichtlich auf Zeit gesetzt. Ob es nun Waffenschmuggler sind oder eine islamistische Terrorgruppe wie die oftmals genannte GSPC: In Algerien gibt es auf diesem Feld eine Grauzone, in der man gern Hand in Hand arbeitet.
Wenn Algerien dabei keine „Einmischung“ betroffener europäischer Länder will, dann könnte es sich auch um die x-te Auseinandersetzung in dem Machtapparat des nordafrikanischen Ölstaates handeln. Wollen die Sicherheitskräfte zeigen, wie gefährlich der Süden ist und wie wichtig also der Kampf gegen Terroristen, Schmuggler und Rebellen?
„Algerien will als einziger Staat in der Region dastehen, der – im Zeitalter des Kampfes gegen den internationalen Terror – mit einer starken Armee Ordnung herstellen kann“, zitiert „Libération“ einen Experten. „Hinter den Kulissen laufen brutale Machtkämpfe“, sagte der Kasseler Professor für Internationales, Werner Ruf, der Schweizer „SonntagsZeitung“. Und: Bouteflika will 2004 wiedergewählt werden.
„Geiseln im doppelten Sinn“
„Wer auch immer die Entführer sind, die Touristen sind in einem doppelten Sinne Geiseln – die ihrer Kerkermeister und gleichzeitig des inneralgerischen Konfliktes“, analysierte das in Algerien viel gehörte „Radio Médil“ in Tanger. Aber worum geht es genau? Will das Militär, die Macht im Hintergrund, so den weiteren Zugriff auf Waffen des internationalen Marktes rechtfertigen?
Wie weit dieses Szenario zutrifft und den seit Monaten verschleppten Touristen schadet, kann niemand sagen. Ihr Los bleibt vorerst im Dunkeln. In drei Gruppen sollen sie aufgeteilt worden sein. Von Lösegeld ist immer wieder die Rede. Alle Spekulationen tauchten im Laufe der Monate aber gleich mehrfach runderneuert wieder auf. Allein, Gewissheit gibt es nicht und wird es wohl auch so bald nicht geben.
Hanns-Jochen Kaffsack