„Unsere Politiker haben versagt“
Der Witwer der toten Sahara-Geisel
„Unsere Politiker haben versagt“
Bild, 6. August 2003
Vor zwei Tagen stand ein Kripo-Beamter bei Karl-Heinz Spitzer in Augsburg vor der Tür, in seiner Aktenmappe hatte er Faxkopien, übermittelt durch die Deutsche Botschaft in Mali. „Wir, die Gruppe von 14 Geiseln, bescheinigen, dass Michaela Spitzer am 28. 6. 2003 um 19.30 Uhr in Folge eines Hitzschlags verstorben ist“, heißt es im ersten Schreiben. Und weiter: „Sie ist eines natürlichen Todes gestorben, ohne zu leiden, wobei die ganze Gruppe anwesend war und sie beerdigt hat.“
Es folgen die Unterschriften aller Geiseln – darunter neun Deutsche –, die sich seit fünf Monaten in der Gewalt islamischer Extremisten befinden. Karl-Heinz Spitzer, der Witwer, hat diese improvisierte Sterbeurkunde auch Judith (10) und Ruth (14) vorgelesen, den gemeinsamen Töchtern aus der Ehe mit Michaela (46). Er hat die Mädchen umarmt, mit ihnen geweint und sie getröstet: „Die Mama ist jetzt im Himmel, sie schaut auf uns hinab.“
Ein vermeidbarer Tod, glaubt Karl-Heinz Spitzer. „So weit musste es nicht kommen“, sagt er verbittert. „Die Michaela und alle anderen Geiseln hätten längst gerettet werden können, doch die Politiker im Außenministerium haben in den letzten Monaten zu viele Chancen verpasst!“ Er sei auch kein Mensch von Fackel und Schwert, und das Leben der Geisel habe absolute Priorität, so Spitzer. Aber, so sein Eindruck: „Die deutschen Verhandlungsführer haben offenbar viel zu oft klein beigegeben, statt massiven Druck auf die algerische Regierung auszuüben.“ Ein unterwürfiges Verhalten wirft Karl-Heinz Spitzer Politikern und Beamten vor, „offenbar, um die guten Beziehungen zu Algerien nicht aufs Spiel zu setzen“.
Das zweite Schreiben des Kripo-Beamten ist ein Brief von Michaela Spitzer an ihre Töchter. „Ihr fehlt mir sehr, ihr seid das Allerwichtigste in meinem Leben!“, schreibt die Mutter an Judith und Ruth. „Es ist eine schwere Prüfung, die wir durchmachen müssen“, heißt es weiter. „Ich hoffe, ihr macht weiter fleißig Judo, bis ich zurückkomme.“
Michaela Spitzer kommt nicht mehr zurück. Ein kleiner Trost bleibt ihrer Familie: „Das Grab in der Wüste ist mit Steinen markiert“, sagt Karl-Heinz Spitzer, „eines Tages werden wir Michaela heimholen und auf unserem Friedhof beisetzen.“
Im Nervenkrieg um die 14 Sahara-Geiseln zeichnete sich auch gestern keine Lösung ab. Angeblich fordern die Entführer knapp 65 Millionen Euro Lösegeld, nach anderen Informationen soll die Geldforderung deutlich geringer sein. (sch./tm.)