Hetzjagd in der Schmuddelecke

Hetzjagd in der Schmuddelecke

« Wir sind sehr zufrieden », sagte einer der Anwälte nach dem Urteil im Verfahren um den Tod des Algeriers Farid Guendoul. Kein Wunder: das Urteil im so genannten Hetzjagd-Prozess fiel wirklich nicht sehr streng aus.

Von Wolfgang Kunath, Cottbus , Stuttgarter Zeitung 14.11.00

Im frisch renovierten Saal 208 des Landgerichts in Cottbus war in den vergangenen anderthalb Jahren nicht allein der Tod des Asylbewerbers Farid Guendoul Gegenstand des Verfahrens gegen die elf Angeklagten. Es ging auch um Vorfälle früheren Datums, für die sich einige der Angeklagten verantworten mussten. Diese haben sachlich nichts mit der Jagd auf den 28-jährigen Algerier zu tun, die am 13.Februar 1999 mit dem Tod des Gehetzten endete, weshalb sie auch nie im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit standen.

Aber diese anderen, weder rechtsradikal noch ausländerfeindlich motivierten Taten geben vielleicht einen tieferen Einblick in das alkoholdurchtränkte Milieu von Grausamkeit und Zynismus, das sich in manchen Schmuddelecken der Gesellschaft gebildet hat. Sicher gibt es so etwas nicht erst seit gestern und sicher nicht allein in Ostdeutschland, sondern überall, wo Stärke gleichgesetzt wird mit Angriffen auf Schwache: dass Jugendliche einen Fürsorgezögling mit Klebeband fesseln und seine Erschießung fingieren. Dass einem Festgehaltenen der Kopf mit Teppichschaum eingesprüht und angezündet wird. Dass einem Underdog befohlen wird, die Brust eines zuschauenden Mädchens zu berühren und dass er deswegen von denen geprügelt wird, die den Befehl unter der Drohung von Prügeln aussprachen.

Deutschland ganz unten. Das ist das Umfeld, in dem es damals in Guben zu der Jagd auf den Algerier und zwei andere Ausländer kam. Die Atmosphäre der Gewalttätigkeit korrespondiert natürlich mit den sozialen Verhältnissen in einer eher tristen ostdeutschen Kleinstadt im zehnten Jahr nach der Wende. Der Vorsitzende Richter Joachim Dönitz erwähnt in seiner Urteilsbegründung summarisch die sozialen Trostlosigkeiten, denen die Angeklagten unterworfen waren.

Gleichwohl wird dem Urteil der Vorwurf übergroßer Milde entgegenschlagen. In allen elf Fällen bleibt es teils deutlich unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß. Zwei der Angeklagten erhielten Verwarnungen, für sechs wurden die Jugendstrafen zwischen einem und zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt, und allein in drei Fällen erkannte die Strafkammer auf Jugendstrafen zwischen zwei und drei Jahren « ohne ». « Wir sind sehr zufrieden », kommentierte einer der Anwälte. Die elf saßen am Montag wie bereits an früheren Verhandlungstagen hinter ihren Verteidigern: meist stumm, selten Regungen zeigend, nie offensichtlich betroffen – einer im Sweatshirt mit der Aufschrift « Valhalla », zwei mit weißen Schnürsenkeln in den Springerstiefeln, einige mit kahl geschorenen Köpfen – äußere Bekenntnisse zur inneren Einstellung.

Guben an der Neiße, Hugo-Jentsch-Straße 14: dieser Hauseingang gehört zu einem lang gestreckten, grauen Wohnblock im Neubauviertel. Nichts deutet mehr darauf hin, dass hier ein Mensch verblutet ist. In den benachbarten Eingängen klebt NPD-Propaganda an den Türscheiben.

In der Nacht zum 13. Februar 1999 war es zunächst zu einem Streit zwischen Deutschen und Ausländern gekommen, bei der ein Kubaner einen der Deutschen mit einem Metallteil schlug. « Für mich stand fest, dass die sich irgendwo einen Ausländer greifen, um ihre Wut abzureagieren », schilderte im Prozess ein Polizist die Stimmungslage jener Nacht, in der die Gubener Polizei offenbar völlig überfordert war. Per Handy wurde die Parole in Umlauf gesetzt, ein « Neger » habe einen « Kameraden » mit einer Machete « aufgeschlitzt ». « Nein, das machen wir selbst », antworteten die Jugendlichen, als Beamte wissen wollten, ob sie Strafanzeige gegen den Kubaner stellen wollten. Es gab, so die Urteilsbegründung, ein « gemeinsames Einverständnis zu Gewalttätigkeiten ».

Farid Guendoul, der wegen politischer Verfolgung in Algerien den Aliasnamen Omar Ben Noui trug, lief ihnen zusammen mit einem zweiten Algerier und einem Sierrale-oner zufällig über den Weg. Die Ausländer ergriffen sofort die Flucht.

Die Autos nahmen die Verfolgung auf, bremsten abrupt, einige Angeklagte sprangen heraus und brüllten ausländerfeindliche Parolen. Die drei änderten die Fluchtrichtung, wurden erneut gestellt, flohen wieder. Sie trennten sich; der zweite Algerier wurde erwischt und misshandelt, dann ließ man von ihm ab, als klar war, dass er nicht der Kubaner sein konnte. Guendoul merkte in seiner Panik offenbar nicht, dass er bereits entkommen war. Er trat die Haustürscheibe in der Hugo-Jentsch-Straße 14 ein und schnitt sich dabei über acht Zentimeter lang die Schlagader im Kniekehlenbereich auf. Er konnte noch in den ersten Stock kriechen. Eine Viertelstunde später war er verblutet.

Drei Angeklagte waren in den Autos sitzen geblieben, acht sind jetzt wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden. Die Verteidigung bestritt die Kausalität zwischen dem Auftreten der Angeklagten und dem tödlichen Ende der Flucht. Dass die acht jedoch « durch eine eigene pflichtwidrige Handlung » den Tod des Algeriers ursächlich herbeigeführt haben, sah das Gericht als erwiesen an. Das Urteil erging auch wegen gefährlicher Körperverletzung, Nötigung, Volksverhetzung und räuberischer Erpressung.

Kaum ein anderer Prozess um rechtsradikale Untaten in Ostdeutschland hat so viel Aufsehen erregt wie das Verfahren in Cottbus. « Der Prozess hat unter der Öffentlichkeit gelitten », sagte Dönitz und kritisierte vor allem, dass allen elf Angeklagten « der Stempel der tödlichen Hetzjagd aufgedrückt » worden sei – was nach dem Urteil nur für acht der elf zu rechtfertigen sei. Scharf griff Dönitz auch einzelne Verteidiger an, die das Gericht mit « erkennbar unbegründeten Befangenheitsanträgen » überzogen, damit das Verfahren verlängert und die angeklagten Jugendlichen zu « amüsierten Zuschauern der Demontage des Gerichts » gemacht hätten. Die Dauer der Verfahrens, das Dönitz’ Worten zufolge in zehn bis zwanzig Verhandlungstagen hätte beendet werden können – rund 80 waren es -, hatte öffentliche Kritik hervorgerufen. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hatte das Gericht dafür gescholten.