Guben: Kein kurzer Prozess

Kein kurzer Prozess

Einundzwanzig Monate nach der tödlichen Hetzjagd auf den Algerier Omar Ben Noui in Guben sind in Cottbus die Urteile gesprochen worden – die Täter zeigten keine Reue

Susanne Rost , Berliner Zeitung, 13. November 2000

COTTBUS, 13. November. Als Malik Guendoul nach der Urteilsverkündung seine Hände vom Gesicht nimmt, sieht man, dass er weint. Gerade hat er gehört, dass nur drei der insgesamt acht Männer ins Gefängnis müssen, die seinen Bruder Farid im brandenburgischen Guben in den Tod hetzten. Mitte Februar vergangenen Jahres hat in der Kleinstadt an der Neiße eine Gruppe zum Teil rechtsextremistischer Jugendlicher Jagd auf drei Ausländer gemacht. Einer der Gejagten war Farid Guendoul, der in Deutschland unter dem Namen Omar Ben Noui Zuflucht gesucht hatte. Er floh in Todesangst, trat die Glasscheibe einer Haustür ein und kroch durch das Loch in den Flur. Dabei verletzte er sich in der Kniekehle. Farid Guendoul, 28 Jahre alt, starb wenig später in diesem Hausflut. Er verblutete.

21 Monate nach dem Tod des Algeriers Farid Guendoul verkündet die Dritte Große Strafkammer des Landgerichts Cottbus am Montag ihr Urteil im so genannten Hetzjagd-Prozess: Acht der elf Angeklagten werden der fahrlässigen Tötung des Asylbewerbers schuldig gesprochen. Drei der jungen Männer werden zu Haftstrafen zwischen zwei und drei Jahren verurteilt – zwei von ihnen jedoch auch wegen Taten, die mit den Geschehnissen in jenem Februar nichts zu tun haben. Sechs Angeklagte werden zu Bewährungsstrafen zwischen einem und zwei Jahren verurteilt, zwei kommen mit einer Verwarnung davon. Sie müssen gemeinnützige Arbeit leisten.

Verteidiger wollen Revision

Der Anführer der Horde Jugendlicher, die in jener Nacht mit Autos insgesamt drei Afrikaner jagten, muss für zwei Jahre ins Gefängnis. Der 21-Jährige, der auch heute noch rechtsradikalen Kreisen zugerechnet wird, nimmt das Urteil ohne sichtbare Regung auf. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Helmut Dittberner, der für ihn Freispruch beantragt hatte, kündigt nach der Verhandlung an, Revision beantragen zu wollen – ebenso wie die Verteidiger der beiden anderen zu Haftstrafen Verurteilten. Aber auch die Gegenseite, die Rechtsanwältin der Nebenklage, will sich mit dem Urteil nicht abfinden: « Unglaublich milde » sei es, sagt Christina Clemm. Die Rechtsanwältin vertritt einen Überlebenden der Hetzjagd. Ihr Mandant war in jener Nacht von seinen Verfolgern getreten und geschlagen worden, bis er bewusstlos liegen blieb. Die Staatsanwaltschaft ist dagegen mit dem Urteil « vollauf zufrieden », sagt Günter Oehme. « Die Kammer hat unsere Auffassung weitgehend geteilt. »

Knapp eineinhalb Jahre hat dieser Prozess gedauert, 81 Verhandlungstage. Er sorgte bundesweit für Aufsehen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sprach mit Blick auf den Prozess davon, dass « der Rechtsstaat nicht mit rechtsextremistischen Taten fertig wird ». Joachim Dönitz, der Vorsitzende Richter, spricht an diesem Montag in seiner Urteilsbegründung von Versuchen « unzulässiger Einflussnahme in die Arbeit des Gerichts ». Er gibt den insgesamt zwei Dutzend Verteidigern die Schuld für die lange Dauer des Prozesses. Die Anwälte hätten mit zahlreichen Befangenheitsanträgen « einen sinnlosen Kampf gegen das Gericht » geführt. Die jugendlichen Täter seien so « aus dem Mittelpunkt gerückt » worden. Man habe sie zu « amüsierten Zuschauern des Versuchs einer Demontage des Gerichts » gemacht.

Die Angeklagten haben das Verfahren in der Tat zum Schluss locker genommen: Sie plauderten im Gerichtssaal miteinander, scherzten. Den Ernst ihrer Lage erkannten sie möglicherweise erst beim Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Die Jugendlichen hätten in jener Nacht ihren « dumpfen Ausländerhass abreagieren » und « Selbstjustiz üben » wollen, sagte der Staatsanwalt.

Die Verteidiger wiesen dagegen immer wieder auf den Anfang der tragischen Ereignisse hin: In jener Nacht gab es mehrere Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Ausländern in der Gubener Diskothek « Dance Club ». Das Gerücht ging um, ein Kubaner habe einen Deutschen mit einer Machete « aufgeschlitzt ». Aufgeputscht von dieser falschen Darstellung – tatsächlich wurde das Opfer nur leicht verletzt – machten sich die Freunde des angegriffenen Deutschen auf die Suche nach dem Kubaner. Sie fuhren mit ihren Autos los und riefen fremdenfeindliche Parolen. Als sie dann Farid Guendoul mit seinen zwei Freunden auf der Straße sahen, glaubten sie, so sagen es ihre Anwälte, den Kubaner entdeckt zu haben. Sie jagten Guendoul hinterher. Ein « Räuber- und Gendarm-Spiel » nannte einer der Verteidiger die Hatz, die für Farid Guendoul tödlich endete.

« Rechte Schläger » seien ihre Mandaten nicht, sagten fast alle Anwälte vor Gericht. Man dürfe sich von ihrem Äußeren nicht täuschen lassen. Einige der jungen Männer haben ihre Schädel kahl rasiert und tragen Springerstiefel – auch im Gericht. An diesem Montag, dem Tag der Urteilsverkündung, sind noch mehr junge Männer mit Springerstiefeln im Schwurgerichtssaal zu sehen. Bekannte und Freunde der Angeklagten sind gekommen. Entsprechend oft piepst der Metalldetektor, den alle Prozessbesucher passieren müssen. « Stahlkappen? » fragt der Justizbeamte. Die Skinheads nicken.

Malik Guendoul, der mit seinem Bruder Kamel aus Algerien angereist ist, ist zum Beginn dieses letzten Verhandlungstages vom Vorsitzenden Richter durch die Menge geleitet worden. Er wartet auf ein Zeichen der Reue. Am Ende vergeblich.