Historische Entscheidung: Keine Immunität für den ehemaligen algerischen Verteidigungsminister angeklagt für Kriegsverbrechen

Historische Entscheidung: Keine Immunität für den ehemaligen algerischen Verteidigungsminister angeklagt für Kriegsverbrechen

TRIAL, 31. Juli 2012

Das Bundesstrafgericht (BStGer) hat heute im Fall Khaled Nezzar, dem ehemaligen Verteidigungsminister Algeriens, ein historisches Urteil gefällt. TRIAL hatte zuvor wegen Kriegsverbrechen Anzeige gegen ihn erstattet. Das BStGer erklärte die Immunität, die Nezzar während seiner Amtszeit genoss, für ungültig und ebnete damit den Weg für ein Strafverfahren in der Schweiz. Diese Entscheidung eröffnet wichtige Perspektiven im Kampf gegen die Straflosigkeit aufgrund der universellen Kompetenz.

General Khaled Nezzar war Verteidigungsminister und Mitglied der algerischen Militärjunta, die zu Beginn der 1990er-Jahre an die Macht kam. Am 20. Oktober 2011 wurde er in Genf auf eine Anzeige von TRIAL (Schweizerische Gesellschaft gegen Straffreiheit) hin festgenommen. Dies geschah, nachdem auch zwei Opfer Anzeige gegen ihn erhoben hatten und ihm vorwarfen, während der ersten Jahre des algerischen Bürgerkriegs (1992-2000) Kriegsverbrechen begangen zu haben. Nach zwei Tagen Verhör durch die Bundesanwaltschaft wurde er mit der Auflage, beim darauffolgenden Verfahren zu erscheinen, wieder entlassen.

Die Voruntersuchung, bei der die Anwälte Nezzars anwesend waren, wurde indes wegen einer Beschwerde Nezzars auf letzten Januar vertagt. Im Rahmen dieser Beschwerde stützte sich Nezzar auf die Annahme, dass seine Funktion als Verteidigungsminister und Mitglied der Militärjunta ihn vor einer möglichen Strafverfolgung in der Schweiz schütze.

Diese Argumente überzeugten die Bundesrichter nicht. Das BStGer entschied, dass sich Nezzar wegen der Schwere der ihm zur last gelegten Verbrechen nicht auf seine Immunität berufen könne da solche Verbrechen, im vorliegenden Fall Kriegsverbrechen, zu den völkerrechtlichen Verbrechen gezählt werden.

Das BStGer hielt fest, dass es nicht nur widersprüchlich sondern auch unnütz sei, wenn man einerseits solch schwere Verletzungen fundamentaler Werte der Menschlichkeit bekämpfen will, und andererseits eine weite Interpretation der Regeln über die Immunität anerkennen würde.

„Dieses Urteil, welches auch in anderen Ländern Auswirkungen haben wird, ist ein Präzedenzfall von erheblicher Wichtigkeit und hat einen deutlichen Signalcharakter. Wenn es um solche Verbrechen geht, können sich die Täter, wenn sie sich in der Schweiz aufhalten, in Zukunft nicht mehr auf ihre Funktion berufen um einer Strafverfolgung zu entgehen“, so der TRIAL-Direktor Philip Grant.

Das Ermittlungsverfahren wird nun fortgeführt und die beteiligten Parteien können zudem weitere Zeugen vorladen. Letzlich, könnte es in der Schweiz einen Prozess für Kriegsverbrechen gegen Nezzar geben.

Zusammenhang

Khaled Nezzar hat verschiedene Ämter bekleidet. 1986 war er Chef der Bodentruppen, wurde dann zum Generalstabschef und, 1990, schließlich zum Verteidigungsminister befördert. In diesem Rahmen war er für alle wichtigen Entscheidungen verantwortlich. Von 1992 bis 1994, zu Beginn des Schmutzigen Krieges, war er eines der fünf Mitglieder des Hohen Staatsrates, einer Militärjunta, die den gewählten Präsidenten ersetzte. In diesem Zusammenhang wird ihm von Seiten verschiedener Menschenrechtsorganisationen zur Last gelegt, zu Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen, Verschwindenlassen und anderen schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts aufgerufen und diese angeordnet zu haben.

Unter Schweizer Recht ist es möglich, Strafverfahren wegen gewissen Verletzungen des Völkerrechts, insbesondere bei Verstößen gegen die Genfer Abkommen und ihrer Zusatzprotokolle, einzuleiten, wenn sich der Verdächtige auf Schweizer Boden befindet. Auf diese Weise wurde bereits ein ruandischer Staatsangehöriger wegen seiner Beteiligung am 1994 in diesem Land begangenen Völkermord zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt.