Regierungspartei geht als Favorit ins Rennen. Bevölkerung zeigt wenig Interesse an der Abstimmung

Parlamentswahlen in Algerien

Regierungspartei geht als Favorit ins Rennen. Bevölkerung zeigt wenig Interesse an der Abstimmung

Von Sofian Philip Naceur, junge Welt, 10. Mai 2012

Es war ein schleppender Wahlkampf, nach dem heute in Algerien 21 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen sind ein neues Parlament zu wählen. Niemand rechnet mit einer Entmachtung der Nationalen Befreiungsfront FLN, die seit der Unabhängigkeit 1962 ununterbrochen das Land regiert. Das Desinteresse der Bevölkerung an der Wahl ist unübersehbar. Der FLN brach kürzlich gar eine Veranstaltung in Relizane aus Mangel an Publikum ab. Dennoch wird der Ausgang der Abstimmung mit Spannung erwartet.

Seit 1997 regiert der FLN von Staatspräsident Abdelasis Bouteflika zusammen mit seiner linken Abspaltung Nationale Demokratische Sammlung (RND) und den gemäßigten Islamisten der Bewegung der Gesellschaft für den Frieden (MSP). Diese ließ im Januar die Koalition aus Solidarität mit der arabischen Protestbewegung und aus wahlkampftaktischem Kalkül platzen. Angesichts des Machtzuwachses moderat islamistischer Parteien in Tunesien und Marokko hofft MSP-Chef Bouguerra Soltani auf ein gutes Ergebnis. Doch die Konkurrenz ist groß. Über 20 Parteien wurden seit Februar 2011 neu zugelassen. Das Spektrum wuchs auf 44 insgesamt, die sich um die 462 Sitze in der algerischen Nationalversammlung bewerben.

Allein im islamistischen Lager tummeln sich sechs Parteien, mit zweien schloß sich die MSP zur Grünen Allianz zusammen. Nach einer ersten Umfrage erreicht die Allianz aber nur zwei Prozent der Stimmen, 2007 kam die MSP noch auf fast zehn Prozent. Der FLN geht als haushoher Favorit ins Rennen. Offizielle Zahlen aus Algerien sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Die freie Parlamentswahl 1991 führte das Land nach dem Sieg der Islamisten und dem Militärputsch 1992 in einen blutigen Bürgerkrieg. Seither gelten die Wahlen als manipuliert, die Machtverteilung wird hinter verschlossenen Türen ausgehandelt.

Präsident Bouteflika und Premier Ahmed Ouyahia (RND) setzen dennoch alles daran, zur Stimmabgabe zu mobilisieren. Die Wahlbeteiligung lag 2007 bei nur 36 Prozent. Die Koalition ist diskreditiert und hat jedwede Legitimität verloren. Erstmals überwachen daher rund 500 Beobachter die Abstimmung, darunter auch 120 Vertreter der EU. Unregelmäßigkeiten wurden jedoch schon vor der Wahl vermerkt.

FLN und RND versuchten mit einer zweifelhaften Kampagne die Menschen zur Teilnahme zu bewegen. Wahlenthaltung oder ein Votum für die Islamisten könne eine Intervention von außen provozieren, betonte Ouyahia bei einer Wahlkampfrede in Tipasa. Die Koalition hingegen habe Frieden und Stabilität bewahrt und den Bürgerkrieg beendet. Er behauptete sogar, der arabische Frühling sei »das Werk des Zionismus und der NATO«. Algier hielt den stürzenden Regimes in Tunesien und Libyen bis zuletzt die Treue und war bemüht, die Volksaufstände als alleiniges Produkt ausländischer Verschwörungen zu dämonisieren.

Algerien blieb trotz der revolutionären Stimmung in der Region weitgehend stabil. Doch das Regime wurde angesichts lokaler Unruhen vor den Wahlen nervös. Nach der Selbstverbrennung eines jungen Straßenhändlers in Jiel, 350 Kilometer östlich von Algier, vor zwei Wochen kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Das Regionalbüro des FLN ging in Flammen auf, die Stadtverwaltung wurde gestürmt. Szenen wie diese gab es in den vergangenen Wochen mehrmals. Die Regierung zog daher für den Wahltag zusätzlich 120000 Sicherheitskräfte zusammen.