Ali Bensaad, Journalist: Aufruf an die öffentliche Meinung

Ali Bensaad

Universitätsangehöriger, Journalist

Hamburg, den 1. Juli 1998

Aufruf an die Öffentliche Meinung

Post scriptum: eine Woche, nachdem dieser Aufruf bekanntgegeben wurde, Dienstag, den 7. Juli, verurteilte mich der Strafgerichtshof von Constantine, Algerien, zum Tode. Mittwoch, den 8.Juli, veröffentlichten die wichtigsten unabhängigen algerischen Tageszeitungen aus Solidarität diesen Brief « El Watan », die wichtigste französischsprachige unabhängige Zeitung und « El-Khabar », die wichtigste arabischsprachige unabhängige Zeitung veröffentlichten den Brief in seiner ganzen Länge. « Le Matin » zitierte Auszüge daraus und kommentierte diese.

Ein offizielles Kommuniqué des Justizministers, das in der staatlichen Zeitung « En-Nasr » am 17. Juni 1989 auf Seite 4 erschienen ist, fahrt mich auf einer Liste von gesuchten islamistischen Terroristen auf. (Urteil der Anklagekammer des Strafgerichtshofes von Constantine mit Datum vom 16. März 1998). Die Hauptbeschuldigungen lauten: Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Gruppe, vorsätzlicher Meuchelmord, Gewalt etc…

Die betreffenden rechtlichen Quellen bestätigten, daß es sich tatsächlich um meine Person handle und es keine Verwechslung bzgl. der Art der Angelegenheit und der Beschuldigungen gebe. Es ist bekannt, daß ich islamistischer Gewalt ausgesetzt war (ich war unter anderem Zielscheibe eines mißlungenen Attentats, worüber mich die Polizei im Oktober 1993 offiziell informierte, um nur einen von den Behörden offiziell anerkannten Fall zu nennen), es ist ebenfalls bekannt, daß ich öffentlich und offen gegen die islamistische Gewalt kämpfte, merkwürdigerweise werde ich heute angeklagt, ein Drahtzieher zu sein und sehe mich daher dem repressiven Arsenal ausgesetzt anstelle davor geschützt zu werden.

Mein Fall ist ein schlagendes und unbestrittenes Beispiel dafür, daß Regierungs- und Geheimdienstkreise den Terrorismus gegen die eigentlichen Opfer, gegen demokratische Kräfte, manipulieren und benutzen.

Mit diesen Beschuldigungen droht mir mit Sicherheit die Todesstrafe.

In der Tat handelt es sich nur um eine neue Episode eine Bedrohung, der ich nun seit drei Jahren ausgesetzt bin, weil ich es « gewagt » habe, gegen eine « unantastbare » Person der Regierung aufzutreten. Über mich ergossen sich Repressionen, weil ich im Rahmen einer Versammlung zu den Präsidentschaftswahlen die Person von Herrn Betchine kritisiert habe, Sicherheitsberater des Präsidenten der Republik Zeroual (seine reale Macht, die im wesentlichen geheim ist, übersteigt seine offizielle Funktion). Das war am 25. September in Constantine, in einer Versammlung, die Reda Malek, Präsident der Alliance Nationale Republicaine, leitete (ich bin kein Mitglied dieser Bewegung, sondern engagiere mich als unabhängiger Demokrat). Am nächsten Tag wurde mein Haus um Mitternacht von Militärs umstellt und durchsucht. Durch einen Zufall entkam ich der vorgesehenen Verhaftung, weil ich mich am Morgen desselben Tagen zu einem Kolloquium nach Tunis begeben hatte. Am selben Tag sollte ich von der Universität Constantine suspendiert werden, wo ich am Institut für Geowissenschaften unterrichtete. Drei Wochen lang folgten völlig illegale Nachforschungen und Bedrohungen meiner Familie, ohne daß die Verantwortlichen oder die Ausführenden identifiziert werden konnten, abgesehen davon, daß bekannt war, daß es sich um Militärs handelte.

Druck und Schritte seitens der demokratischen Strömungen und Persönlichkeiten, die höchste Ebene inbegriffen (Reda Malek sprach mit dem Präsidenten Zeroual daraber, daraufhin wandte er sich mit einem veröffentlichten Brief an ihn) konnten die Situation nicht klären, außer daß Monate später ein Prozeß wegen « Störung der öffentlichen Ordnung, Vergehen gegen das Staatsorgan, Verleumdung » gegen mich angestrengt wurde. Dieser Prozeß hatte für mich den Vorteil, daß er offiziell bestätigte, daß die Verfolgungen von Betchine ausgingen. Die Anklageschrift beinhaltete übrigens keinen weiteren konkreten Punkt, von meiner Intervention einmal abgesehen, die zudem eine politische Meinung ist, normalerweise gehört die Äußerung einer solchen Meinung zum erforderlichen Minimum, um Wahlen Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Die Bedrohungen gegen mich setzten sich fort, auch in Form von Todesdrohungen und geheimen Maßnahmen. Ich nenne nur ein Beispiel, es gehört zu den glaubwürdigsten und am besten nachprüfbaren, weil eine ausländische Persönlichkeit mitbetroffen ist: Als ich noch in Tunis war, in der Hoffnung auf eindeutige Garantien für meine körperliche Sicherheit im Fall einer Rückkehr nach Algerien und auf eine gerechte Verhandlung, wandte sich der Exekutivdirektor des arabischen Instituts für Menschenrechte an mich. Er war von einem « Freund von Betchine » beauftragt, einem Universitätsangehörigen, der Algerien als Menschenrechtsexperte (sic!) bei der UNO vertritt. Dieser schlug mir in dessen Namen einen Handel vor: Ich solle nach Algerien zurückkehren, Betchine treffen und ihm eine schriftliche Entschuldigung vorlegen; im Gegenzug würde dieser mir verzeihen und mir meine Sicherheit garantieren. Was explizit zu der Vermutung Anlaß gab, daß meine Sicherheit im entgegengesetzten Fall bedroht sei. Das ist eines von zahlreichen Beispielen, die mich dazu veranlassen, nicht nach Algerien zurückzukehren, wo ich in Abwesenheit verurteilt würde und ohne daß es mir gestattet wäre, einen Anwalt zu bestimmen.

Nun bin ich seit fast drei Jahren im Ausland (ich habe Algerien am 22. September 1995 verlassen und bin seit dem 8. Mai in Deutschland), da ich den Drohungen, die mich erreichten, keine Bedeutung mehr beimaß, weil ich sie dem Konto der Vergiftung oder Übertreibung meiner Umgebung zuschrieb, wurde ich von einer ebenso schwerwiegenden wie gemeinen und fast nicht zu glaubenden Anschuldigung eingeholt. Die Anschuldigung, einer terroristischen Organisation anzugehören, besitzt in Bezug auf mich nicht die geringste Glaubwürdigkeit.

Ich bin seit 25 Jahren in meiner Heimatstadt, im Bereich der Universität und in der Presse für mein demokratisches Engagement bekannt.

Ich war eine der Personen in meiner Heimatstadt, die am meisten an islamistischer Gewalt erfahren haben:

– Als Gründungsmitglied und Initiator der « Bewegung der Universitätsangehörigen für die Demokratie » war ich 1989 und l990 einer Reihe von Angriffen in der Öffentlichkeit (5 mal) seitens islamistischer Gruppen ausgesetzt, weil ich Debatten mit den Hauptführern und Persönlichkeiten der demokratischen Bewegung organisiert hatte, die sich dank dieser Rednerbühne zum ersten Mal in Algerien oder in Constantine äußern konnten. Als direkte Zeugen dieser Angriffe kann ich Hocine Ait Ahmed, Verantwortlicher des FFS, Said Saadi, Verantwortlicher des RCD, Louiza Hanoun, Verantwortliche für die Arbeiterpartei Zehouane, Vize-Präsident der algerischen Menschenrechtsliga, anführen. Außerdem kann ich Bachir Boumaza nennen, den gegenwärtigen Präsidenten des Senats, sowie Belaid Abdeslam, den ehemaligen Premierminister.

– Im Februar 1991, als der FIS noch ein legales Gesicht trug, erging die « Ermächtigung, mein Blut zu vergießen » (religiöse Formulierung, gleichbedeutend mit einem Todesurteil). Dieses Todesurteil wurde im Hörsaal der Universität Constantine vor 700 Personen im Beisein der Universitätsverwaltung verkündet. Während einer Versammlung zum Golfkrieg hatte ich mich gegen die religiöse Erklärung des Konfliktes ausgesprochen und auf Laizität hingewiesen. Die Presse berichtete darüber (« die Zeit des Constantiners » vom 10. bis 16. Februar 1991). Wir alle waren damals weit davon entfernt, anzunehmen, dies könnte in die Tat umgesetzt werden.

– Im Oktober 1992, als der Terrorismus seine ersten Opfer forderte, veröffentlichte die Zeitung « El Watan » einen Artikel von mir (Donnerstag, 22. Oktober, S. 9), in dem ich auf der Grundlage von Fakten die Aktivität der terroristischen Netze (besonders an der Universität) einordnete und aufdeckte, außerdem die Manipulation und Unterstützung, die sie bei bestimmten Regierungskreisen genießen (ich habe dies anhand des Falles der universitären Institution erläutert). Dieser Artikel brachte mir ein weiteres « Todesurteil » ein, das von den Islamisten an den Mauern der Universität angeschlagen wurde, außerdem eine gerichtliche Verfolgung seitens des Bildungsministeriums und dem Rektorat von Constantine.

– Im Oktober 1993, informierte mich die Polizei Offiziell, daß gegen mich und sechs Mitglieder des Regionaltheaters Constantine ein Attentatsversuch vorbereitet worden war.

Ich habe lediglich einige nachprüfbare Beispiele angeführt, um die fehlende Glaubwürdigkeit einer solchen Beschuldigung zu verdeutlichen.

Tatsächlich handelt es sich um eine neue Etappe in der Hetzkampagne, der ich seit drei Jahren ausgesetzt bin. Ich bin « schuldig », eine Person mit großem geheimen Einfluß kritisiert zu haben, und zwar in seiner « Hochburg » Constantine, und darüber hinaus noch auf sehr präzise Weise. Der Einfluß von Betchine in Constantine, seiner Heimatstadt, ist dergestalt, daß er regelrechten Schrecken einflößt, besonders nachdem er an die Spitze der « Geheimdienste » versetzt worden ist. Die Bedingungen, unter denen er seine Kontrolle über die einträglichen ökonomischen Aktivitäten der Stadt, der Medien, sogar der Fußballmannschaft ausübt, sind von einem « Gesetz des Schweigens » umgeben. Ich zahle dafür, daß ich vor drei Jahren zu denen gehörte, die in dieser Stadt ein von Schrecken aufrechterhaltenes Tabu gebrochen haben. Die Anschuldigung des Terrorismus zielt darauf ab, mich dafür den vollen Preis zahlen zu lassen, weil sie in einen Bereich des « Rechtlosigkeit » führt.

Aber das wirkliche Problem geht über meine Person und die erlebte Willkür hinaus. Es geht um die Frage der Manipulation des Terrorismus. Mein Fall ist ein unwiderlegbares und schematisches Beispiel (im pädagogischen Sinn) dafür, wie die Waffe des Terrorismus von einigen Regierungskreisen genutzt wird. In meinem Fall handelt es sich um eine Manipulation, um mir den Status eines Terroristen anzulasten. Aber sollte man hier nicht die Frage nach dem Wesen einer gewissen Anzahl von « Terrorakten » aufwerfen? Erstreckt sich Manipulation, denn es gibt Manipulation, wie mein Beispiel beweist, nicht auch auf einige dieser Akte?

Das ist die Frage, auf die ich über meinen Fall hinaus die Aufmerksamkeit lenken möchte.