Algerisches Folteropfer im »Flughafenverfahren« (§ 18aAsylVfG):

Folteropfer im »Flughafenverfahren« (§ 18aAsylVfG):

Fortsetzung der Traumatisierung mit rechtsstaatlichen Mitteln

von Rechtsanwalt Rainer M. Hofmann, Aachen, erschienen in InfAuslR 7/8/98

Mit seiner Entscheidung vom 17.7.1996 (2 BvR 1291/96, S.363) hat das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgrenzschutz die Zurückschiebung eines Algeriers untersagt, der angegeben hatte, Folteropfer zu sein und der sich neun Monate (!) im Flughafenverfahren befunden hatte. Mit seiner Hauptsacheentscheidung vom 10. 7.1997 im selben Verfahren(S.361) hat dann das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß dem Algerier rechtliches Gehör versagt worden ist. Es hat die vorausgegangenen Entscheidungen des VG Frankfurt aufgehoben und die Sache nach dort zurückverwiesen.

Die Behandlung des Algeriers, Herr C., im »Flughafenverfahren« ist paradigmatisch dafür, wie der »kurze Prozeß« systematisch darauf angelegt ist, daß Folteropfer auf der Strecke bleiben. Die Behandlung, die Herrn C. durch das VG Frankfurt in den vier negativ ausgegangenen Eilverfahren angetan wurde, ist ein Lehrbeispiel dafür, wie Verwaltungsgerichtsbarkeit in ihrer Kontrollfunktion versagen kann. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.7.1997 gibt -erste – wichtige Hinweise darauf, wie Behörden und Gerichte mit Folteropfern umzugehen haben. Allerdings kann die erste Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts mit dieser Entscheidung nur sehr begrenzt den Schaden wiedergutmachen, den der Senat mit seiner Entscheidung zum »Flughafenverfahren« vom 14.5.1996 (BVerfGE 94,166 ff.) angerichtet hatte.

Der Beitrag befaßt sich mit den (wenigen) Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts betreffend den Umgang mit Folteropfern bzw. mit Menschen unter physischem oder psychischem Streß im »Flughafenverfahren«. Diese Anforderungen werden abgeglichen mit der für sie exemplarisch gehaltenen schlechten – Behandlung von Herrn C. in »seinem Flughafenverfahren« anhand einer rechtstatsächlichen Beschreibung. Abschließend werden medizinische und psychologische Erkenntnisse über den Umgang von Folteropfern herangezogen, um Defizite aufzuzeigen, die dringend der Abhilfe bedürfen.

Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts:

Im Rahmen der umfangreichen mündlichen Verhandlungen über die Asylgesetz beim Bundesverfassungsgericht im Jahre 1995 haben wir Rechtsanwälte dem Bundesverfassungsgericht intensiv unterbreitet, daß das Flughafenverfahren« in besonderem Maße dazu angetan ist, den dringlich notwendigen, behutsamen Umgang mit Personen, die behaupten Folteropfer gewesen zu sein, möglich zu machen. Zu diesem Zwecke wurde als Sachverständiger auch Herr Dr. Graessner mit einem mündlichen Beitrag und einer schriftlichen Stellungnahme gehört. Auch wurde dem Bundesverfassungsgericht eine Studie vorgelegt, in der Psychologen belegt hatten, daß eine adäquate Bearbeitung der Probleme von Folteropfern unter dem Zeitdruck des »Flughafenverfahrens« unmöglich sind. Gestützt auf diese Belege wurden massive verfassungsrechtliche Bedenken gegen das »Flughafenverfahren« erhoben.

In der Eingangserklärung am 21.11.1995 vor dem Bundesverfassungsgericht habe ich diese Situation wörtlich so beschrieben:

« Und dann ist da das >Flughafenverfahren<, welches eine ganze Reihe verfassungsrechtlicher und humanitärer Probleme aufwirft: Ich wünsche keinem der hier im Saal Versammelten, das durchmachen zu müssen, was einem Flüchtling in diesem Verfahren widerfährt: Übermüdet und ängstlich kommt er oder sie hier an. Konfrontation mit Uniformen und Bewaffneten ist die erste Erfahrung. Dann kommen Festnahme, so erfährt es der Flüchtling, Unterbringung in einer Zelle, nackt ausgezogen, Befragung, wieder Uniformen, manchmal Hunde, vielleicht wieder Befragung, er sieht Panzerwagen, Gitter, fühlt sich eingesperrt, erlebt wieder Befragung und dann wird entschieden. Es muß ja schnell gehen. Das schlimme an der Sache ist, daß der klassische Flüchtling, die gefolterte, gequälte Kreatur, bei diesem Verfahren auf der Strecke bleiben kann, wenn nicht gar auf der Strecke bleiben muß.

Die Psychologie und die Psychologen sagen uns, daß dieses Verfahren nicht geeignet sein kann, Menschen dazu zu verhelfen, sich uns mitzuteilen; das Gegenteil ist der Fall. Und da erklärt der Vertreter der Bundesregierung ihnen in seinen Schriftsätzen, dieses Verfahren sei effizient und fair. Wir wissen es besser.

Derselbe Vertreter der Bundesregierung hat übrigens in der Anhörung im Innenausschuß wörtlich gesagt: >Der Blick auf den Einzelfall – ist da noch jemand, der zwischen den Maschen hängen bleibt? – wird uns letztlich nicht weiterführen..

Wir meinen, daß das Prinzip Wo gehobelt wird, da fallen Späne< kein Verfassungsprinzip des deutschen Grundgesetzes sein darf. »

Wie bekannt ist, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß keines der vorgetragenen Bedenken durchschlägt. Es fällt allerdings auf, daß in der Entscheidung, vom 14.5.1996 traumatisierte Personen (= Folteropfer) nur ein Mal beiläufig und sonst nicht erwähnt werden.

Nachstehend finden sich stichwortartig diejenigen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, die wenn auch manchmal nur entfernt – mit traumatisierten Personen in Zusammenhang gebracht werden können. Diese Anforderungen werden numeriert, damit später hierauf Bezug genommen werden kann:

(1) Sowohl bei der Wahl des Zeitpunkts der Anhörung als auch bei der erforderlichen Vorbereitung des Antragstellers auf die Anhörung und deren

Durchführung ist auf seine physische und psychische Verfassung Rücksicht zu nehmen. Ferner ist – soweit möglich – alles zu vermeiden, was zu Irritationen und damit zu nicht hinreichend zuverlässigem Vorbringen in der Anhörung beim Bundesamt führen kann (BVerfGE 94,166,202).

(2) Es sind Schulungsveranstaltungen für Anhörer notwendig, die diese in die Lage versetzen, es zu ermöglichen, daß der Asylbewerber über erlittene Folter oder sexuelle Gewalt überhaupt sprechen kann (BVerfGE 94,166, 203).

(3) Auf den körperlichen und seelischen Zustand eines Asylbewerbers, der eine lange Anreise hinter sich hat oder aus anderen Gründen Zeichen von Ermüdung und Erschöpfung erkennen läßt, ist Rücksicht zu nehmen (BVerfGE 94,166,203 f.).

(4) Die Anhörung im Flughafenverfahren beim Bundesamt muß aufgeschlossen und mit der nötigen Zeit und Ruhe geführt werden und wenn nötig, sind klärende und verdeutlichende Rückfragen zu stellen (BVerfGE 94,166,204).

(5) Der der deutschen Sprache nicht hinreichend kundige Asylantragsteller muß sich in der Anhörung eines Sprachmittlers bedienen können, um sich verständlich zu machen und sein Anliegen zu Gehör zu bringen (BVerfGE 94,166,202).

(6) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist, daß der Gesetzgeber besonderes Gewicht darauf legt, daß der Asylantragsteller zunächst »spontan und unbeeinflußt durch Dritte« seine Fluchtgründe im Zusammenhang darstellt. Es ist insbesondere sachgerecht, daß der Gesetzgeber solchen Aussagen »besonderes Gewicht für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit und der Glaubhaftigkeit« beimißt (BVerfGE 94,166, 204 ff.).

(7) Weil die Grenzbehörden (am Flughafen) einen Asylbewerber ohne Rücksicht auf seine physische und psychische Verfassung anhören müssen, und weil sie für die Ermittlung eines asylrechtlich erheblichen Sachverhalts nicht speziell geschult sind, haben Angaben zu den Fluchtgründen bei der Grenzbehörde wesentlich geringeres Gewicht für die Beweiswürdigung. Das gilt insbesondere, wenn die Angaben bei den Grenzbehörden andere sind, als beim Bundesamt (BVerfG 94,166,205).

Obwohl wir Anwälte den Behauptungen des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge heftig widersprochen und durch Nennung von Details belegt hatten, daß selbst die wenigen vorgenannten Bedingungen im Flughafenverfahren nicht erfüllt sind, findet sich in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierüber kein Wort. Es wird vielmehr ausschließlich unter Bezugnahme auf Angaben von Vertretern des Bundesamtes im Urteil mitgeteilt, das Flughafenverfahren erfülle alle genannten Voraussetzungen (vgl. z. B. BVerfGE 94, 166, 204 bei Ziff. (5) a. E.). Schon diese Tatsache ist äußerst verwunderlich. Sie hat uns Anwälte dazu veranlaßt, uns zu fragen, ob wir beim nächsten Mal beim Bundesverfassungsgericht – wie beim Amtsrichter – Beweisanträge stellen müssen, um auf diese Weise zu verhindern, daß die Tatsachenfeststellung aus etwas anderem erschöpft wird als aus dem « Inbegriff der Hauptverhandlung »

Es gilt nun allerdings zu überprüfen, wie die Behörden und Gerichte die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im »Flughafenverfahren« des Herrn C. angewendet haben:

Rechtstatsächliches zum Fall des Herrn C.:

In der nachstehenden Auflistung des Leidensweges des Herrn C. in der Bundesrepublik wird der geneigte Leser an geeigneter Stelle (durch Klammerzusatz) darauf hingewiesen, welche der genannten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren nicht eingehalten worden sind.

6. 10. 1995: Wie Herr C. später angibt, ist er an diesem Tag, ein Freitag, mit einem Direktflug von Algier über Berlin-Schönefeld nach Frankfurt gekommen.

9. 10. 1995, ein Montag: Herr C. wird durch den Bundesgrenzschutz unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers aus Marokko befragt.

Angaben zum Fluchtschicksal: Er sei Maler von Beruf, zum Teil habe er angestellt gearbeitet, zuletzt war er arbeitslos. Er sei zweimal im Gefängnis gewesen, weil er Aktivitäten moslemischer Rebellen nicht angezeigt habe, einmal wurde er verurteilt. Nach der zweiten Festnahme sei er zusammen mit anderen Gefangenen von Soldaten am nächsten Tag als lebendes Schutzschild gegen Rebellen mißbraucht worden. Bei einem Rebellenangriff seien bis auf ihn alle anderen Soldaten und Gefangene – durch eine Granate getötet worden, er habe fliehen können. Herr C. berichtet auch kurz über erlittene Folter.

Außerdem wird Herr C. einer sog. »Paß-Ticket-Befragung« unterzogen. Eine strafprozessuale Rechtsmittelbelehrung findet nicht statt, obwohl er z. B. gefragt wird, ob er seinen falschen Paß deutschen Behörden vorgezeigt habe (nach h. M. strafbar gem. § 267 Abs. 1 StGB).

11.10.1995: Herr C. wird durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge befragt (Name der Anhörungsperson unbekannt). Es wird ein anderer Dolmetscher hinzugezogen, er stammt aus Palästina. Aus dem Anhörungsprotokoll im »Flughafenmodell« (so steht es da wirklich!) ergibt sich:

Zunächst erfolgen sechs Fragen dazu, ob Herr C. beim BGS wahrheitsgemäß und vollständig alles gesagt hat, was zu den Fluchtgründen zu sagen ist und ob er etwas ändern wolle (vgl. Anforderung 7). Danach folgen acht Fragen zum Reisepaß und zum Flugticket (vgl. Anforderung 1). Herr C. nennt den Namen im falschen Paß, der Bruder habe den Paß beschafft, er habe die Unterlagen nach Ankunft vernichtet, weil man ihm gesagt habe, sonst werde er zurückgeschickt.

Anschließend beschreibt Herr C. seine Festnahme durch Soldaten, die Elektrofolter am Ohr (übersetzt wird »Schwachstrom«, vgl. Anforderung 5). Er gibt den Namen des Anwalts, der ihn vor Gericht verteidigt hatte, sagt laut Protokoll, der Prozeß war am 16. 12. 1994. Befragt, ob in Algerien Freitags Prozesse stattfinden sagt er, der Prozeß war an einem Samstag. Befragt, warum er sich erst am Montag, 9. 10. 1995 bei den Grenzbehörden gemeldet habe, erklärt Herr C: Er sei am Freitag, 6. 10. 1995 gegen 13:30 Uhr in Frankfurt angekommen, dann desorientiert am Flughafen herumgeirrt, ca. gegen 22:00 Uhr bis 23:00 Uhr habe er sich bei der Polizei gemeldet, diese hätten gesagt, er solle warten. Nach drei Stunden Warten sei er eingeschlafen und am folgenden Morgen, 7. 10. 1995 und nicht erst am 9. 10. 1995 habe er sich wieder bei der Polizei gemeldet. Weitere Rückfragen hierzu werden nicht gestellt (vgl. Anforderung 4).

Herr C. erklärt auch, daß die Soldaten nach ihm gesucht haben, weil er nicht da gewesen sei, habe man seinen herzkranken Bruder eine Woche lang festgehalten.

Herr C. wird gefragt, ob es Probleme mit dem Dolmetscher gab: Er erklärt laut Protokoll, daß manche Fragen zwei bis drei Mal gestellt werden mußten, er denke aber, das alles verstanden worden sei. Herr C. weigert sich jedoch, das Formblatt »Niederschrift zu einem Asylantrag (Teil II)« zu unterschreiben. Auch unter dem Protokoll der Anhörung befindet sich seine Unterschrift nicht (vgl. Anforderung 5).

13.10.1995: Ablehnungsbescheid des Bundesamtes: Asylbegehren offensichtlich unbegründet. Abschiebungshindernisse nach Algerien liegen nicht vor. Zur Begründung heißt es u. a.:

– Das Vorbringen von Herrn C. als wahr unterstellt, ist die erlittene Verfolgung nicht politisch;

– eine Verurteilung zu Unrecht in Algerien wäre auch in einem « anderen Rechtsstaat » (so heißt es dort wirklich!) möglich;

– es sei unglaubhaft, daß Regimegegner, die am Vortag eine Schießerei mit Soldaten hatten, am nächsten Tag zu demselben Ort zurückkehren würden, an dem Herr C. als lebendiges Schutzschild benutzt worden sein will;

– von dem Vorfall habe überdies nichts in der Zeitung gestanden;

– es sei unglaubhaft, daß sein soeben freigelassener Bruder sich um den Paß von Herrn C. gekümmert habe;

– am Ohrläppchen finden sich keine Verbrennungsspuren, so daß die Behauptung der Elektrofolter unglaubwürdig sei;

– den falschen Reisepaß zu zerreißen ergäbe keinen Sinn, weil Herr C. hiermit ohnehin nicht hätte zurückgeschoben werden können;

– ein wirklich Verfolgter hätte sich sofort nach der Ankunft an die Behörden gewandt, die Behauptung, er habe sich bereits am Freitag Abend 6. 10. 1995, an die Polizei gewandt, sei untauglich, diesen Vorwurf zu entkräften;

– eine konkrete Foltergefahr bestünde für Herrn C. in Algerien nicht. (Vgl. zum Vorstehenden die Anforderungen 1, 2, 3, 4). 16.10.1995 und danach: Der erste Rechtsanwalt begründet Klage und Eilantrag:

– Die Verständigung mit dem Dolmetscher war schlecht, mit dem ersten Dolmetscher ca. 80%, mit dem zweiten Dolmetscher ca. 50%, deshalb sei auch das Anhörungsprotokoll nicht unterschrieben worden (vgl. Anforderung 5);

– die Folter wird genauer beschreiben: Elektroschocks; ein Soldat habe zum anderen gesagt »Geh raus mit ihm und bring ihn um«;

– Herr C. habe sicherlich nicht gesagt, der Prozeß gegen ihn sei am 16. Dezember 1994 gewesen, vielmehr habe er gesagt, er sei am 16. Oktober 1994 festgenommen worden und der Prozeß sei irgendwann im Dezember gewesen (vgl. Anforderung 5);

– es wird der Name eines – neben dem Bruder -weiteren Fluchthelfers genannt und erklärt, wie die Umgehung der Paßkontrolle möglich war;

– ein Jahr später seien Folterspuren am Ohr nicht notwendigerweise mehr zu sehen;

– in der Stadt Blida, in der Herr C. zuletzt lebte, gab es immer wieder heftigste Kämpfe zwischen Soldaten und Aufständischen;

– es wird ausdrücklich Foltergefahr bei Rückkehr und damit ein Abschiebungshindernis geltend gemacht.

30.10.1995: Erster negativer Beschluß VG Frankfurt/Main (Einzelrichterin Dembicki, Az.: 14 G 50519/95.A [2]). Begründung u. a.:

– Der Vortrag von Herrn C. sei widersprüchlich und offenbar unwahr;

– wer zunächst sagt, er sei am 16. 12. 1994 verurteilt worden und dies erst auf Vorhalt korrigiert, berichte nichts selbst Erlebtes;

– die Verurteilung, als wahr unterstellt, begründe keine politische Verfolgung;

– der angebliche Mißbrauch als menschliches Schutzschild sei unglaubwürdig, weil Herr C. beim BGS gesagt habe, die Festnahme durch die Polizei war am 2. oder 3. 6. 1995 und er beim Bundesamt sicher den 2. 6. 1995 als Tag der Festnahme genannt hat: Den Tag seiner Festnahme wisse man aber jederzeit genau;

– der Zeitablauf bei der Asylantragsteilung nach Ankunft am Flughafen Frankfurt lasse Zweifel aufkommen, ob Herr C. politisch verfolgt ist, denn ein wirklich politisch Verfolgter würde bei der ersten Gelegenheit sein Asylbegehren vortragen;

– das in Kauf genommene Risiko der Ausreise über den Flugplatz spreche gegen politische Verfolgung;

– Herr C. habe nur das Formblatt zum Asylantrag nicht unterschrieben; den Rest, das Protokoll der Anhörung, habe er genehmigt, deshalb könne er sich nicht auf Sprachschwierigkeiten berufen, außerdem gebe es bei Zahlen und Tagen keine Übersetzungsschwierigkeiten;

– Herr C. sei im »Flughafenmodell« (so heißt es dort wirklich!) nicht in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen, denn der Flug war am 6. 10. 1995 beendet worden und die erste Anhörung beim BGS war am 9. 10. 1995;

– Herrn C. drohe bei Rückkehr keine menschenrechtswidrige Gefahr nach §53 Abs. 4 bzw. § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG.

Danach: Eigentlich wäre Herr C. jetzt bald nach Algerien überstellt worden, aber dank der algerischen Regierung, die ihm keinen Paß ausstellte, ging das Verfahren weiter:

6. 1. 1996: Herr C. wird in die Psychiatrie eingewiesen, bis dahin war er drei Monate im Flughafen »untergebracht«.

22. 1. 1996: Herr C. kommt in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie.

15. 3. 1996: RA Helmut Bäcker aus Frankfurt, einer der Anwälte, die beim Bundesverfassungsgericht die Klagen gegen die Asylgesetze vertreten haben, stellt den ersten Abänderungsantrag beim VG Frankfurt und macht u. a. geltend:

– Die psychische Situation von Herrn C. begründe ein Abschiebungshindernis;

– Freiheitsentziehung über einen so langen Zeitraum (schon sechs Monate) sei unerlaubt;

– die Einweisung in die Psychiatrie ist »Einreise im Sinne des AsylVfG«.

28. 3. 1996: Zweiter Beschluß des VG Frankfurt/Main (Einzelrichterin Wolski, Az.: 14 G 50213/96.A [2]): Der Antrag wird abgelehnt, Begründung u. a.:

– Es ist keine Einreise im Sinne des Gesetzes erfolgt; – eine Zurückschiebung nach Algerien sei nun doch möglich, da jetzt Paßpapiere vorliegen und die Zurückschiebung nur an der Einweisung in die Psychiatrie gescheitert ist;

– eine sonstige Änderung der Sachlage sei nicht erkennbar.

23. 4. 1996: RA Bäcker stellt weiteren Abänderungsantrag und legt ein kurzes Attest des Leitenden Oberarztes und des Assistenzarztes der Psychiatrischen Uniklinik Frankfurt/Main vor. Inhalt: Aufgrund der Exploration besteht kein Zweifel, daß Herr C. gefoltert wurde, er leidet unter posttraumatischer Streßstörung aufgrund der stattgefundenen Folter. RA Bäcker weist auch darauf hin, daß der Anhörungsbeamte nicht geschult Wal; mit Folteropfern umzugehen (vgl. Anforderung 2).

3. 5. 1996: Dritter Beschluß VG Frankfurt/Main (Einzelrichterin Dembicki, Az.: 14 G 50250/96.A [2]): Der Antrag wird zurückgewiesen, Begründung u. a.:

– Das Attest sei nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu bewirken;

– es falle auf, daß es nicht vom Leitenden Oberarzt handschriftlich mitunterzeichnet sei;

– posttraumatische Streßstörungen können eine Vielzahl von Ursachen haben;

– die Asylrelevanz der behaupteten Traumatisierung sei nicht erkennbar.

5. 6. 1996: RA Bäcker stellt den dritten Abänderungsantrag an das VG Frankfurt/Main. Begründung u. a.: – Vorgelegt wird ein siebenseitiges enggetipptes Wortprotokoll einer Befragung von Herrn C. durch eine Diplompsychologin und einen vereidigten Dolmetscher; in dem das Protokoll der Anhörung beim BAFI minutiös durchgegangen und kommentiert wird;

– die erlittene Folter wird intensiv beschrieben. Herr C. berichtet: Er sei die ganze Zeit mit verbundenen Augen im Gefängnis gewesen; als die Elektroden angelegt wurden »war mir, als ob meine Seele rausfliegen würde«;

– die Folter erfolgte nicht mit »Schwachstrom«, sondern mit 110 Volt, das weiß Herr C., weil die anderen Gefolterten eine starke physische Konstitution hatten und ein Soldat den anderen vor der Folter von Herrn C. gefragt habe »Was soll ich nehmen« und der andere geantwortet hätte »Nimm 110 Volt«;

– Herr C. beschreibt intensiv seine Angst aufgrund erlittener Unterdrückung durch die fundamentalistischen Rebellen als Grund, warum er deren Aktivitäten nicht den Behörden gemeldet hatte;

– der Bruder von Herr C. sei herzkrank und nur verhaftet worden, weil man nach Herrn C. suchte und Druck auf diesen ausüben wollte;

– Herr C. beschreibt das Angebot einer außergewöhnlich gut bezahlten Arbeit als technischer Zeichner für die staatliche Ölfirma (in Dollar bezahlt, viel Urlaub), welches er nicht annehmen konnte, weil der Einstellungstest schon früher unter seinem richtigen Namen gemacht worden war. Herr C. will hiermit belegen, daß es ihm ohne die Angst vor weiterer Folter in Algerien gut gegangen wäre.

– Herr C. erklärt, er habe gerade deshalb das Protokoll nicht unterschrieben, weil es Unklarheiten und Verständigungsschwierigkeiten gab;

– der Rechtsanwalt weist erneut intensiv auf das Folterproblem hin, bittet das Gericht erneut, Herrn C. doch bitte, bitte, bitte persönlich anzuhören.

10. 6. 1996: RA Bäcker beantragt, ein ausführliches ärztliches Gutachten von der Universitätsklinik Frankfurt/Main über Herrn C. einzuholen.

17. 6. 1996: Vierter Beschluß VG Frankfurt/Main (Einzelrichterin Dembicki, Az.: 14 G 50340/96.A [2]): Der Antrag wird ohne Anhörung von Herrn C. abgelehnt, Begründung u. a.:

– Es gibt keine Änderung der Sachlage;

– Herr C. hat nichts vorgetragen, was politische Verfolgung belegen könne;

– Abschiebungshindernisse nach Art. 3 EMRK liegen nicht vor.

25. 6. 1996: RA Bäcker erhebt Verfassungsbeschwerde und beruft sich auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 103 Abs. 1 GG sowie auf Art. 3 und Art. 5 EMRK, Begründung u. a.:

– Unzulässige Bezweiflung ärztlicher Stellungnahmen ohne anderweitige Erkenntnisse; – das Flughafenverfahren ist für Folteropfer unangemessen.

3. 7. 1996: RA Bäcker erfährt durch die behandelnden Ärzte (nicht durch den BGS!), daß Herr C. am selben Tag um 13:00 Uhr nach Algier geflogen werden soll. Auf Anruf von RA Bäcker bestätigt der BGS dies.

Glücklicherweise ist die einzige der Öffentlichkeit bekannte Telefaxleitung des Bundesverfassungsgerichts frei und RA Bäcker stellt einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, zur Begründung bleibt keine Zeit.

Herr C. wird nicht, wie geplant, abgeschoben. Dies allerdings nur deshalb, weil die Ärzte erklären, daß Herr C. nicht reisefähig ist. Das Bundesverfassungsgericht kann sich nicht dazu verstehen, den Bundesgrenzschutz um Nichtabschiebung zu bitten oder ihn diesbezüglich anzuweisen.

Ohne die Ärzte wäre Herr C. in den Folterstaat Algerien zurückgeschickt worden, denn das Bundesverfassungsgericht agiert erst am 17. 7. 1996: Die erste Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts in der Besetzung der Richter Sommer, Jentsch und Hassemer erläßt eine einstweilige Anordnung. Begründung u. a.:

– Trotz der Entscheidung vom 14. 5.1996 (BVerfGE 94, 166 ff.) muß im vorliegenden Fall der Vollzug der Einreiseverweigerung untersagt werden, denn das Bundesverfassungsgericht habe zwar nicht eine eigene Beurteilung daraufhin vorzunehmen, ob ein Verlust des Asylanspruchs droht, es habe aber zu überprüfen, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, daß ernstliche Zweifel an der Beurteilung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht bestehen, verfassungsrechtlich zu beanstanden ist;

– die Nichtverwertung des von Herrn C. vorgelegten Gesprächsprotokolls und des Vorbringens zur erlittenen Folter sowie die Behauptung, die Angaben von Herrn C. belegten keine politische Verfolgung werde wohl nicht tragfähig sein;

– bei insgesamt schlüssigem Vortrag über Folter und dessen Wahrunterstellung, muß überprüft werden, welche Auswirkungen dies auf eine Gefahrenprognose i. S. v.§ 53 AuslG hat.

Danach: Herr C. darf nun auch »offiziell« einreisen.

10. 7.1997: Die erste Kammer des Bundesverfassungsgerichts in derselben Besetzung gibt der Verfassungsbeschwerde einstimmig statt und erwägt u. a.:

– Die letzte Entscheidung des VG Frankfurt vom 17. 6.1996 verletzt Herrn C. in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör;

– Subsidiaritätsprobleme stellen sich nicht, weil Herr C. erfolglos insgesamt drei Abänderungsanträge gestellt hatte;

– der Foltervortrag war im gesamten Verfahren von entscheidender Bedeutung und ist nicht hinreichend gewürdigt worden;

– zu dem VOI1 Herrn C. eingereichten Gesprächsprotokoll über die Besprechung mit der Psychologin und einem vereidigten Dolmetscher verhält sich die Entscheidung des VG Frankfurt/Main überhaupt nicht, andererseits wird die Frage der Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Folteropfern überhaupt nicht erörtert;

– es ist nicht fernliegend, daß ein gefolterter algerischer Staatsbürger, der auch namentlich identifizierbar ist, bei Rückkehr erneut mit Folter zu rechnen hat.

4. 6. 1998: Das VG Frankfurt brütet noch immer über das zurückgewiesene Eilverfahren. Es hat (im Eilverfahren!) eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt.

Bewertung:

Wissenschaftliche Untersuchungen über das Verhalten von traumatisierten Personen und über die hieraus folgenden Notwendigkeiten im Umgang mit ihnen gibt es einige. Die Psychologie und Psychiatrie beschäftigen sich hiermit – wenn auch zunächst nicht in Deutschland – spätestens seitdem die Notwendigkeit bestand, den Überlegenden des Holocaust beizustehen. Auch die Aussage-Psychologie – etwa hinsichtlich von Personen, die behaupten, Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein – kann einiges zur Problembewältigung beitragen. Berufene Münder sagen uns jedenfalls, daß der Umgang mit Traumatisierten behutsam und einfühlsam sein muß, und daß man auch wissen muß:

– Daß bei Traumatisierten eine in sich stimmige, lückenlose und widerspruchsfreie Schilderung des Verfolgungsschicksals oftmals nicht möglich ist;

– daß eine scheinbare »Teilnahmslosigkeit« des Folteropfers nicht gegen, sondern für eine Traumatisierung sprechen kann;

– daß eine nur bruchstückhafte Erinnerung und Schilderung von Erlebtem bei Traumatisierten eher die Norm und nicht die Annahme ist;

– daß Traumatisierte Zeit brauchen, um sich anvertrauen zu können;

– da Anvertrauen jedenfalls nicht unter Streß möglich ist;

– daß einem Folteropfer nicht zu glauben bei diesem eine Re-Traumatisierung bewirkt.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse haben im Fall des Herrn C. das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und zwei Richterinnen des VG Frankfurt/Main versagt. Man ist Herrn C. nicht verständnisvoll, sondern feindselig gegenübergetreten; man hat Herrn C. nicht genügend Zeit gegeben; man hat Herrn C. die Worte im Munde herumgedreht und als Herr C. endlich Vertrauen gefaßt hatte und klarere Worte sprechen konnte, hat man sie nicht hören wollen. Selbst fachpsychiatrische Bewertungen wollte man nicht zur Kenntnis nehmen.

Ich frage mich, wieso der Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen oder mit solchen, die sich hierauf berufen, nicht ähnlich verständnisvoll sein kann, wie der

Umgang mit »Aussiedlern«. Als diese noch»Vertriebene« hießen, stand in den »Richtlinien zur Anwendung des § 6 BVFG« des BMI (vom 20. Februar 19S0) u. a. folgendes:

-Bei den Ermittlungen sind alle erreichbaren Beweismittel heranzuziehen und für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen. Die Ausstellungsbehörde hat darüber hinaus verständnisvoll der Tatsache Rechnung zu tragen, daß es sich bei den Aussiedlern regelmäßig um Personen handelt, die erst kurze Zeit im Bundesgebiet leben, mit den hiesigen Lebensumständen nur wenig vertraut sind, Zum Teil die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, und notwendigen Verwaltungsvorgängen häufig hilflos gegenüberstehen.

Sollte der Grund für den unterschiedlichen Umgang sein, daß es sich bei Aussiedlern ja um »Deutsche« handelt? Ich hoffe nein! Ich fürchte aber ja!

Mit dem »Flughafenverfahren« hat der Gesetzgeber eine Maschinerie geschaffen, bei der (geplant?) der Mensch, zu dessen Schutz das Asylverfahren existiert, notwendigerweise auf der Strecke bleiben muß.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1996 beschlossen, hierauf nicht zu reagieren. Es hat sich in seiner Entscheidung, BVerfGE 94, 166 ff., im Ergebnis mit den Problemen von Folteropfern im »Flughafenverfahren« überhaupt nicht auseinandergesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Augen vor den Problemen verschlossen. Hoffentlich werden diese Augen jetzt (wieder) geöffnet.

Aber auch die Politik ist gefordert. Das »Flughafenverfahren« ist, jedenfalls wenn es auf Traumatisierte angewendet wird, willkürlich und menschenverachtend. Es gibt Bereiche, die einem Formelkompromiß oder freundlicherer/relativierenderer Sprache nicht zugänglich sind. Das hat uns die Geschichte gelehrt. Das »Flughafenverfahren« ist ein solcher Bereich.

Es ist unerträglich, sich vorzustellen, daß die körperliche Unversehrtheit von Herrn C. zunächst nur deshalb geschützt werden konnte, weil sich der Folterstaat Algerien (möglicherweise sogar völkerrechtswidrig) vorübergehend geweigert hatte, seinem Staatsangehörigen C. ein Reisedokument auszustellen.

Noch unerträglicher ist, daß das Bundesverfassungsgericht am 3. 7. 1996, dem Tag, als Herr C. abgeschoben werden sollte, nicht den Behörden in die Arme gefallen ist, sondern daß es Ärzte waren, die dafür gesorgt haben, daß Herr C. nunmehr – nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – endlich rechtliches Gehör gewährt wird.

Was bleibt nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts?

Von dem Dreierausschuß konnte wohl nicht erwartet werden, daß er 1997 das nachholt, was der 2. Senat 1996 versäumt hatte. Allerdings hätte von dem Dreierausschuß erwartet werden können, daß er, wenn abzusehen ist, daß ein Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich sein wird, selbst dafür sorgt, daß der Flüchtling nicht außer Landes geschafft wird und sich nicht hinter den Ärzten zurückzieht.

Inhaltlich hervorzuheben ist aber, daß sich aus den Entscheidungen ergibt, daß es von Verfassungs wegen zu beanstanden ist, wenn den Behauptungen erlittener Folter nicht nachgegangen wird, oder wenn trotz des Wissens um Foltervorwürfe gegenüber einem bestimmten Staat – in einer gerichtlichen Entscheidung nicht begründet wird, wieso eine Wiederholung erlittener Folter nicht drohe.

Nicht verurteilen wollte (oder konnte) der Dreierausschuß beim Bundesverfassungsgericht den sich eindeutig aus den Akten ergebenden miesen Umgang mit dem Flüchtling C., dem ein Verfahren »bereitet« wurde, welches darauf angelegt war, ihm keine Chance einzuräumen.

Personen, die sich von Berufs wegen und/oder aus Idealismus mit Flüchtlingen befassen, müssen sich, was den Umgang mit traumatisierten Personen betrifft, nunmehr öffentlich artikulieren. Sie müssen sich aber auch fachlich fortbilden. Juristen müssen Argumentationsmuster entwickeln, um die Bedrängnis und die Hilfsbedüftigkeit von Traumatisierten nicht zuletzt den Gerichten nahezubringen. Daß hier noch viel zu tun ist, belegen beispielsweise zwei Beschlüsse des 25. Senats des OVG NW (B. v. 11. 2. 1997, 25 A 4144/96.A und B. v. 7. 1. 1998,25 A 593/96.A). Hierin setzt sich das OVG NW mit der Frage auseinander, wann eine beantragte psychologische/psychiatrische Begutachtung von der Prozeßordnung als notwendig anzusehen sei. Im einen Fall ging es um eine moslemische Frau, die sich weigerte, bei einem männlichen Richter Angaben über sexuelle Gewalt zu machen, im anderen Fall um einen türkischen Mann, der erklärte, aufgrund eines psychischen Leidens mit Krankheitswert nicht zu einer zusammenhängenden Aussage in der Lage zu sein. In beiden Fällen hat das OVG NW kurz zusammengefaßt- erklärt, daß die Einholung psychologischer Gutachten der Ausnahmefall zu sein habe, weil im Regelfall der Richter/die Richterin (sogar bei Geltendmachung gravierender psychischer Nachwirkungen von Traumata) selbst in der Lage sei, dies zu beurteilen. Wolle man geltend machen, daß eine Begutachtung zu Unrecht nicht erfolgt sei, so müsse man schon beim Richter selbst darlegen, welche tatsächlichen oder vermeintlichen Mängel im bisherigen Sachvortrag durch das Gutachten behoben werden sollten. Als ob das überhaupt möglich wäre!

Jean Amery, Folteropfer durch deutsche Hand, schreibt über die Tortur:

»Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Die Schmach der Vernichtung läßt sich nicht austilgen. Das zum Teil schon mit dem ersten Schlag, in vollem Umfang aber schließlich in der Tortur eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wiedergewonnen. Daß der Mitmensch als Gegenmensch erfahren wurde, bleibt als gestauter Schrecken im Gefolterten liegen: Darüber blickt keiner hinaus in eine Welt, in der das Prinzip Hoffnung herrscht. Der gemartert wurde, ist waffenlos der Angst ausgeliefert. Sie ist es, die fürderhin über ihm das Zepter schwingt. Sie – und dann auch das, was man die Ressentiments nennt. Die bleiben und haben kaum die Chance, sich in schäumend reinigendem Rachedurst zu verdichten Jenseits von Schuld und Sühne, dtv. 1. Auflage Juli 1988, Seite 58).«

Wenn ein Traumatisierter schon nicht mehr heimisch werden kann in unserer Welt so haben wir, die wir solches nicht erleben mußten zumindest die Pflicht dafür zu sorgen daß der Umgang mit Traumatisierten so menschlich wie möglich erfolgt.

Das Psychosoziale Zentrum in Düsseldorf hatte für den 16. 5.1998 eine Fortbildung für Rechtsanwälte mit dem Titel »Umgang mit extrem traumatisierten Asylsuchenden durch Flucht Verfolgung Folter und sexueller Gewalt« angesetzt. Dieses Seminar mußte mangels Interesse abgesagt werden. Angesichts des realen alltäglichen Umgangs mit Traumatisierten und Folteropfern in unserer Republik ein unverständliches Ergebnis.

 

Asylpolitik