Bouteflikas Schlussstrich

ALGERIEN

Bouteflikas Schlussstrich

Oliver Meiler, Berliner Zeitung, 29. September 2005

ROM, 28. September. Einen Blanko-Scheck will er. Dafür tourte der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika in den letzten Wochen durch Algerien, als stellte er sich zur Wiederwahl. Aber darum ging es nicht. Der rhetorisch beschlagene Populist und ehemalige Chefdiplomat, seit 1999 im Amt, hämmerte seinen Landsleuten unentwegt und über alle Kanäle seine Botschaft in die Köpfe: « Das ist eine Wahl zwischen Krieg und Frieden. » Und: « Ich bitte alle Witwen, alle Waisenkinder und all jene Mütter, die ihre Kinder verloren haben, um die Erlaubnis, Ja zu stimmen. » Ja zu seiner Charta für Frieden und nationale Versöhnung, Ja im Referendum, zu dem heute alle Algerier geladen sind.

Es ist ein umstrittener Plan. Bouteflika will einen Schlussstrich ziehen unter dreizehn Jahre Krieg. Dazu bietet er Islamisten, die ihre Waffen abgeben und sich stellen, Straffreiheit an. Selbst solchen, die in Abwesenheit schon verurteilt worden sind. Etwas Ähnliches hat der Präsident schon einmal versucht, 1999, mit der Politik der nationalen Eintracht. 98,6 Prozent der Algerier stimmten damals für eine Amnestie. Man hatte genug und war müde nach über 100 000 Opfern. Bouteflika nährte die Hoffnung auf Frieden. 6000 Kämpfer der AIS, des bewaffneten Arms der verbotenen Islamistenpartei FIS, streckten darauf die Waffen. Es sah nach Erfolg aus, doch es reichte nicht aus. Das Morden ging weiter.

« Wir brauchen noch eine Impfung », sagt Bouteflika nun. Sein Premier, Ahmed Ouyahia, bezifferte die Anzahl jener, die im Untergrund geblieben sind und die nun vor der Abstimmung wieder vermehrt aktiv wurden, auf etwa tausend. Sie gehören der einzigen in Algerien noch übrig gebliebenen schlagkräftigen Gruppe an: der Salafistischen Prediger- und Kampfgruppe (GSPC), die sich einer politischen Lösung der Krise verwehrt. Die GSPC, der man Verbindungen zu Osama bin Ladens El Kaida nachsagt, war aus einer Spaltung der mittlerweile verschwundenen, von den Geheimdiensten unterwanderten Groupes islamiques armes (GIA) hervorgegangen. Premier Ouyahia erwartet nun, dass sich « 200, 300, vielleicht noch mehr » der Untergetauchten stellen werden.

Viele Algerier zweifeln selbst daran. Die private, unabhängige Presse Algeriens machte mobil gegen die Charta, die Menschenrechtsgruppen und die Opposition sowieso. Dem Präsidenten wird vorgeworfen, er wolle jegliche Debatte über Verantwortlichkeiten in diesem Krieg – eingeschlossen jene der Armee – verhindern. Man traut ihm auch nicht, wenn er sagt, von der Amnestie seien all jene ausgenommen, die, wie es im Text heißt, verwickelt waren in « Massaker, Vergewaltigungen und Bombenattentate auf öffentlichen Plätzen ». Und was wird aus den Leuten des FIS? Bleiben sie tatsächlich verbannt von der politischen Bühne, wie es Bouteflika verkündet, oder kehren sie unter anderem Namen zurück?

Bouteflika selbst wird vorgeworfen, er wolle Macht auf Lebenszeit. Er ist der erste Nichtmilitär an der Spitze Algeriens. Wie viel er für die Premiere politisch bezahlt, ist nicht bekannt. Es ist anzunehmen, dass dieser Schlussstrich dazugehört. Es ist ein Schlussstrich ohne Gewähr.