Algerien im Griff des Militärs

Algerien im Griff des Militärs

netzeitung.de, 26.06.01

Demokratie als Fassade: Die wahren Herren Algeriens sind die Militärs, die das Land mit Terror und Gewalt im Griff halten. Neue Dokumente lassen sogar einen Putsch befürchten.

ALGIER. Ein algerischer Armeegeneral als Känguru führt einen geschrumpften Staatspräsidenten Bouteflika in seinem Beutel spazieren. Diese jüngst in der algerischen Zeitung « Le Matin » publizierte Karikatur illustriert die wahren Machtverhältnisse in Algerien. Nicht nur in der aktuellen Krise, sondern spätestens seit dem Putsch von 1992.

Innerer Zirkel der Macht
Präsidenten und Parlamentarier wechseln, die Militärs bleiben. Ein innerer Zirkel von einem halben Dutzend Generälen zieht seit einem Jahrzehnt die Fäden im Land. Unter ihnen der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Mohammed Lamari, Geheimdienstchef Mohammed Mediene, Smain Lamari, Direktor für die Gegenspionage (womit die geheimdienstliche Unterwanderung der Islamisten gemeint ist) und Fodhil Cherif, der Chef der Spezialeinheiten.
Diese Clique sitzt seit Jahren im Zentrum der Macht. Sie besitzt einen bemerkenswerten Einfluss auf politische Parteien, Medien und Unternehmen. Vor allem die staatliche Erdölholding Sonatrach steht unter ihrer Kontrolle.

Die « Ausrotter »-Fraktion
Die genannten Generäle tragen aber auch die Verantwortung für das militärische Vorgehen gegen den islamistischen Terror seit 1992. Der Oberbefehlshaber Mohammed Lamari gilt als Kopf der « Ausrotter »-Fraktion (« Éradicateurs »), die jeglichen Kompromiss mit den Islamisten ablehnt. In einem jüngst in Frankreich erschienenen Buch wird Lamari als Hauptverantwortlicher dieses sogenannten « Zweiten Algerienkriegs » mit seinen bislang 150.000 Tote angeklagt.
Autor des vieldiskutierten Werks mit dem Titel « Der schmutzige Krieg » (« La sale guerre ») ist der mittlerweile in Paris lebende ehemalige Fallschirmjäger Habib Souaïdia. Er behauptet, dass Lamari die Forderung « Ich will keine Gefangenen, ich will Tote » aufgestellt habe. Als Beweis ihrer « Pflichterfüllung » brachten die Soldaten Köpfe oder Ohren ihrer Opfer mit. Jeder, der nur als Sympathisant der Islamisten verdächtigt wurde, geriet im wahrsten Sinne des Wortes in die Schusslinie. Auch über grausame Folterungen an Islamisten, oft mit tödlichem Ausgang, weiß der Autor zu berichten.

Töten und töten lassen
Einen besonders perfiden Aspekt dieses schmutzigen Krieges enthüllt der Augenzeugenbericht des emigrierten Kleinunternehmers Nesroulah Yous « Wer tötete in Bentalha? » (« Qui a tué a Bentalha? »). In diesem Vorort von Algier töteten im September 1997 islamistische Terrorgruppen 400 Zivilisten – unter den Augen der unbeteiligt zuschauenden Armee, die die Mörder zudem unbehelligt abziehen ließ.
Mit dieser Taktik verfolgten die Militärs einen doppelten Zweck: Zum einen sollte der Westen durch die Demonstration islamistischer Gefahr zu finanzieller Unterstützung der Regierung bewegt werden. Zum anderen befinden sich in dem als « Dreieck des Todes » bezeichneten Gebiet zwischen Algier und Blida drei Millionen Hektar fruchtbares Land, das zur Privatisierung ansteht. Die dort ansässigen Landarbeiter hätten ein Vorkaufsrecht. Durch Massaker wie jenes in Bentalha aber werden sie zur Massenflucht bewegt, so dass die Lobbyisten die Gebiete übernehmen können.

Vom Geheimdienst infiltriert
Menschenrechtler vermuten, dass die islamistische Terrorgruppe GIA (« Groupes Islamiques Armés » = « Islamische Bewaffnete Gruppen ») vom algerischen Geheimdienst infiltriert ist. Als Drahtzieher gelten Geheimdienstchef Mohammed Mediene und seine rechte Hand Smaid Lamari. Beide gewannen während des Kampfes der Armee gegen die militanten Islamisten erheblich an Einfluss.
In dieses Schema passt auch das im Juli 1999 von Präsident Bouteflika initiierte Amnestiegesetz « Loi de la Concorde Civil » (« Gesetz zur Zivilen Eintracht »). Es diente vor allem dazu, eingeschleuste Agenten zu rehabilitieren.
« Echte » Islamisten hingegen, die sich den Behörden stellten, verschwanden spurlos oder wurden ermordet, ebenso wie einige gewaltlose politische Oppositionelle. Der Mord an dem islamistischen Führungsmitglied Abdelkader Hachani im November 1999 verdeutlichte einmal mehr, dass die Hardliner im Militär nicht auf eine politische Lösung setzen. Auch Staatspräsident Bouteflika durfte dies getrost als Warnung verstehen, es mit der « Versöhnung » nicht zu übertreiben.

Im Beutel des Kängurus
Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika, im April 1999 als Kandidat des Militärs in einer Pseudowahl bestätigt, darf sich eben nicht zu weit aus dem Beutel wagen. Ein Opfer der Generäle ist Bouteflika freilich nicht, gilt er doch seit vielen Jahren als Mann des Systems. Unter anderem war er zwischen 1963 und 1978 Außenminister Algeriens. Gerade diese außenpolitische Erfahrung macht ihn den Militärs nützlich. Er sollte Algeriens Prestige in Europa aufpolieren, um Wirtschaftshilfe und Investoren ins Land zu locken.
Doch dieser Plan war nur kurze Zeit erfolgreich. Die innenpolitischen Spannungen haben Algeriens Ansehen im Ausland längst wieder demoliert. Und die innere Lage des Landes wird immer bedrohlicher. Neben dem weiterhin ungelösten Problem des islamistischen Terrorismus ist mit den sozialen Unruhen der Berber, die sich zu einer landesweiten « Intifada » auszudehnen drohen, jetzt ein neuer Brandherd entstanden.

Brisantes Geheimdokument
Wie sich die Armee eine Lösung der permanenten algerischen Krise vorstellt, sickerte Anfang Juni durch. Ein vertrauliches Papier aus dem Umfeld des Chefideologen Mohammed Touati fordert unter anderem die Auflösung aller Parteien und die « Entideologisierung » der Verfassung. Das Militär will einen « radikalen Bruch » mit der als gescheitert angesehenen Demokratie durchsetzen – notfalls auch alleine.
Die Umsetzung dieses seit Januar intern diskutierten Plans könnte bereits im Gange sein. Die Strategie des Staates seit Ausbruch der Berberunruhen lässt zumindest Spekulationen zu. Die Pressefreiheit wurde im Mai per Erlass empfindlich beschnitten. Und die bei den jüngsten Unruhen in Algier am 14. Juni beobachteten Plünderungen, so meldete Radio France International, waren vermutlich vom Militär organisiert. Fakt ist, dass wenige Tage später wegen dieser Plünderungen ein Demonstrationsverbot verhängt wurde.

« Wir sind doch schon tot. »
Eine Strategie der Konfrontation mit der Opposition scheint indes riskanter denn je zu sein. So glaubt beispielsweise der ehemalige algerische Verteidigungsminister und Querdenker, General Rachid Benyellès, dass es für Algerien keine Alternative mehr zu einer Demokratisierung geben kann. Denn der von der Jugend getragene Zorn gegen das Regime – 70 Prozent der Algerier sind unter 30 Jahre alt – könne nicht mehr gebremst werden. Ihre Parole « Wir sind doch schon tot » illustriert ihre miserablen Lebensverhältnisse – aber auch ihre radikale Entschlossenheit, etwas daran zu ändern.

 

algeria-watch