Was nach Staat aussieht, wird geplündert, angezündet, zerstört

Was nach Staat aussieht, wird geplündert, angezündet, zerstört

Berberunruhen in Algerien drohen sich zu einem Volksaufstand auszuweiten / Auch Studenten und Journalisten protestieren

Von Axel Veiel (Madrid), Frankfurter Rundschau, 31. Mai 2001

« Jeden Tag wird jemand zu Grabe getragen, und jede Beerdigung ist Anlass zu neuen Protesten voller Zorn und Schmerz. » So schildert die algerische Journalistin Salima Ghezali, was im April nach dem Tod eines jungen Berbers auf einer Polizeistation der Kabylei als Revolte einer ethnischen Minderheit gegen die Zentralgewalt begann. Nach einer Zeit gespannter Ruhe drohen sich die Berberunruhen zu einem allgemeinen Volksaufstand auszuweiten. Längst geht Algeriens Gendarmerie nicht mehr nur mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstranten vor, sondern auch mit scharfer Munition. Nach offiziellen Angaben sind 51, nach Darstellung der unabhängigen Presse mehr als 80 Tote zu beklagen.

In Algier, wo sich der Zorn der Massen inzwischen fast täglich auf der Straße entlädt, geht es inzwischen um mehr als um die Selbstbehauptung der Berber. Da mischen sich Schreie nach Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit, nach Arbeit und Wohnraum in die Rufe nach einem Abzug der Gendarmerie aus der überwiegend von Berbern bewohnten Kabylei.

Am Montag waren es die Journalisten, die in Algier gegen ein jüngst verabschiedetes « Maulkorbgesetz » aufbegehrten. Es sieht hohe Geldstrafen und bis zu einem Jahr Haft für die Beleidigung des Staatschefs vor. Wohl erstmals seit Entstehen einer unabhängigen Presse vor zehn Jahren schlossen Journalisten unterschiedlichster Couleur gegen das Regime die Reihen: französisch wie arabisch Schreibende, Erneuerer und Konservative, Anhänger wie Gegner eines Dialogs mit der verbotenen islamischen Heilsfront FIS. Keine Zeitung erschien am « Tag der toten Presse ».

24 Stunden später bekundeten tausende Studenten in Algier ihre Solidarität mit den « unterdrückten Berbern der Kabylei ». « Nieder mit der Diktatur », skandierten sie, « Nein zur Hogra ». Hogra ist ein Sammelbegriff für alles, was sich die Demonstranten von den Machthabern nicht mehr bieten lassen wollen: Geringschätzung, Willkür, Selbstherrlichkeit.

Während staatliche Einheiten die Situation in Algier noch unter Kontrolle haben, erinnern Städte und Dörfer der östlich gelegenen Kabylei an Schlachtfelder. In der Provinzhauptstadt Tizi-Ouzou sind die Straßen mit Steinen, Baumstämmen und schwelenden Reifen übersät. Vom Büro der Fluglinie Air Algerie bis hin zum Cabaret, das als Treffpunkt hoher Beamter gilt: was nach Staat aussieht, wird geplündert, angezündet, zerstört.

« Das ist der Aufstand erniedrigter Menschen, hier gibt es weder Arbeit noch Wohnraum, hier gibt es überhaupt nichts », erzählt ein Jugendlicher. Gut zwei Drittel der Algerier sind unter 30 Jahre alt, mehr als die Hälfte davon ist ohne Job. Wohl aus Sorge, dass sich das Aufbegehren in der Kabylei zu einem Flächenbrand ausweiten könnte, hatte Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika am Sonntag sein wochenlanges Schweigen gebrochen und in einer Fernsehansprache « schwere Strafen gegen Anstifter und Akteure der tragischen Vorfälle » angekündigt.

Zugleich stellte der Präsident den Berbern in Aussicht, dass ihre Sprache bei einer Verfassungsreform neben dem Arabischen als offizielles Idiom anerkannt werden könnte. Mit einer Kabinettsumbildung möchte der Staatschef ein Übriges zur Beruhigung der Lage beitragen. Auch der Oberbefehlshaber der ob ihrer Brutalität in Verruf geratenen Gendarmerie der Kabylei versprach personelle Umbesetzungen. Mehr als 100 Befehlshaber und 500 Polizisten sollen abgelöst werden. Die Demonstranten fordern freilich mehr als eine Gesetzesänderung und den Austausch von Amtsträgern und Uniformierten.