Der Arbeitsalltag: Folter, Tod und Terror
Der Arbeitsalltag: Folter, Tod und Terror
Verteidiger auf verlorenem Posten
Algerien wird vom Militär mit Waffen regiert und von den Islamisten mit Waffen bedroht, dazwischen kämpft der Anwalt Mohamed Tahri um die Menschenrechte
Von Gerold Büchner, Süddeutsche Zeitung, 22.7.98
Blickt Mohamed Tahri aus dem Fenster, so sieht er durch eiserne Gitter auf die Straßen von Algier. Am Eingang wird jeder Besucher durch ein Guckloch gemustert, bevor er eintreten darf. Mehrmals schon habe er, so berichtet Tahri, seine Kanzlei verwüstet vorgefunden, trotz all der Vorsichtsmaßnahmen: die Schränke aufgebrochen, Geräte zerstört, Akten gestohlen. « Es gibt keinen Schutz », sagt der Rechtsanwalt.
Von solchen Erlebnissen spricht Tahri zögernd, als habe dies alles nicht wirklich mit ihm zu tun. Sicherlich, die Arbeit sei schwierig und gefährlich. Opfer unter den Kollegen? Nun, 21 Anwälte seien seit 1992 in Algerien verletzt oder ermordet worden, einige unmittelbar nach einem mißliebigen Plädoyer. Zu Terminen in anderen Städten fahre man immer mindestens zu zweit, manchmal in einer Gruppe von Juristen; viele Mandanten könne er nicht im Gefängnis besuchen, weil der Weg zu gefährlich sei. Und dann sagt der 47 Jahre alte Tahri doch Sätze wie « die Angst sitzt täglich im Bauch », und er spricht von der Sorge um seine Frau und die drei Kinder, von denen die Älteste eben zur Schule geht.
Solche Anflüge persönlicher Betroffenheit erlaubt sich Tahri allerdings nur selten. Ihm geht es um die Menschen, die er vertritt oder die er nicht vertreten kann, weil sie tot sind oder vermißt. Der gelernte Strafverteidiger kümmert sich inzwischen überwiegend um Menschenrechtsverletzungen: Folter und Hinrichtungen ohne Urteil, willkürliche Verhaftungen, « Verschwindenlassen » unbequemer Personen, Einsperren ohne Kontakt zur Familie, Gewalttaten aller Seiten in dem schmutzigen Bürgerkrieg, der Algerien seit sechseinhalb Jahren innerlich verfaulen läßt.
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Die Differenzen unter den Kollegen darüber, ob ein Anwalt Islamisten verteidigen dürfe, seien vorbei. Heute prangert die kleine Gruppe derjenigen, die in Algerien für Rechtsstaat und Demokratie kämpfen, jegliche Verletzung von Meinungsfreiheit oder Menschenrechten an, gleich wer die Täter sind. « Es gibt keine Grenzen mehr zwischen der Tätigkeit als Rechtsanwalt und Menschenrechtler », sagt Tahri. Er erzählt von Khaled und Kamel Malki, die unter dem Verdacht islamistischer Umtriebe am 10. August 1994 verhaftet wurden. Zusammen mit sechs anderen sperrten die Sicherheitskräfte die beiden Brüder ohne Prozeß und Urteil in ein unterirdisches Loch von 1,5 mal 1,7 Metern. Nur zwei der acht Gefangenen überlebten, einer berichtete Tahri vom Erstickungstod der Mithäftlinge.
Die meiste Kraft widmet der Anwalt den spurlos Verschwundenen, deren Zahl von algerischen Juristen auf einige tausend geschätzt wird. Seit drei Jahren habe sich die Lage verschlimmert. 1995 wurden zwar Spezialgerichte für islamistische Terroristen aufgelöst, zugleich aber bezogen Sondergesetze das ganze Justizwesen in die alltägliche Unterdrückung ein. Die neuen Regelungen ermöglichen willkürliche Festnahmen auch Minderjähriger, Durchsuchungen ohne Erlaubnis, allgemein gehaltene Anklagen; als « Unterstützung von Terrorismus » etwa könne schon Hilfe für die Familie eines verhafteten Nachbarn gewertet werden, sagt Tahri. Algerien sei heute ein Polizeistaat: « Die ganze Politik stützt sich auf Repression, die Waffe ist das Mittel zum Regieren. »
Die Justiz, in der es eigentlich viele gute Richter und Staatsanwälte gebe, sei zu einer « Verurteilungsmaschine » degradiert. Der Richter, der seine Entscheidung im Namen des Volkes fällt, müsse das Urteil nicht einmal unterschreiben. Beschwerden von Anwälten gegen die alltägliche Folter scheiterten an der Weigerung der Gerichte, die Inhaftierten ärztlich untersuchen zu lassen. « Dahinter steckt die Logik, zu verhindern, daß die Wahrheit ans Licht kommt und die Schuldigen bestraft werden », meint Tahri.
Als Beleg nennt er den Fall zweier Gerichtsschreiberinnen, die voriges Jahr im Zentrum der Hauptstadt verschleppt wurden. Eine der Schwestern arbeitete für einen Richter, der bei einem Verhafteten Folterspuren ärztlich feststellen ließ und sein Geständnis deshalb nicht verwertet hatte . « Der Richter hat einen Fehler gemacht », sagt Tahri, « er hat seine Arbeit getan. » Der Jurist wurde versetzt, die Gerichtsschreiberinnen sind verschwunden.
Daß das Wissen um solche Vorgänge auch ihm gefährlich werden könnte, gesteht sich Tahri ungern ein. Wegen der weitverbeiteten Angst sei es zwar schwer, Informationen zu bekommen. Kontakte zu ausländischen Organisationen wie Amnesty International würden behindert, Telephonleitungen abgehört und gekappt, Kanzleien « besucht ». Auch Tahri wurde zweimal von der Polizei verhört, zuletzt nach Demonstrationen von Angehörigen Verschwundener im Herbst. Den Glauben an die Justiz aber hat der Anwalt noch nicht völlig verloren: « Der einzige Weg zum Frieden ist, daß man zum Rechtsstaat zurückkehrt », meint er. Und Frieden sei der Todfeind jeder Form von Extremismus.