Algeria-Watch: Text
Menschenrechtler gehen mit dem vom Militär abhängigen Regime in Algerien hart ins Gericht.
Ralph Schulze, Madrid / Algier, Die Presse, 24. Juli 1998
Auch wenn die prominent besetzte UN-Delegation, die in den kommenden zwei Wochen durch Algerien tourt, offiziell keine Untersuchungskommission ist, so hofft man doch, daß sie Licht in die wirre Bürgerkriegslage des Landes bringt – am Donnerstag berichteten algerische Zeitung erneut von 73 Toten.
Den sechs Delegationsmitgliedern, angeführt von Portugals Ex-Präsidenten Mario Soares, wird es wohl kaum möglich sein, unabhängige Informationen zu sammeln. Die Delegierten dürfen ihrem Auftrag nur « im Rahmen des algerischen Gesetzes » nachgehen. Kontakte mit der illegalen Opposition, mißliebigen Regimekritikern sowie anderen nicht regierungskonformen Augen- und Ohrenzeugen sind durch dieses « Gesetz » nicht gedeckt. Die algerische Regierung behindert auf diese Weise erneut die Untersuchung von Vorwürfen, daß die staatlichen Sicherheitskräfte die Menschenrechte mit Füßen treten und auch in Massaker verwickelt sind.
« Amnesty international » bilanziert in ihrem Jahresbericht 1998: « Die Situation in Algerien ist von gravierendem Menschenrechtsmißbrauch gekennzeichnet … Militär und Sicherheitskräfte sind verantwortlich für extralegale Hinrichtungen, Folter und Verschwindenlassen von Menschen. »
Bei Massakern unter der Zivilbevölkerung, die das algerische Regime standardmäßig « islamistischen Terroristen » in die Schuhe schiebt, erweise es sich oft als « schwierig zu ermitteln, wer für einzelne Übergriffe die Verantwortung trug », schreibt Amnesty. Sowohl Sicherheitskräfte als auch die bewaffneten islamistischen Gruppen unterschieden sich kaum in ihrer Vorgehensweise. Vor allem die vom Staat ausgerüsteten Selbstverteidigungsgruppen gingen äußerst brutal vor – sie « operieren im rechtsfreien Raum ».
Es gibt Dutzende von Zeugenberichten, aus denen geschlossen werden kann, daß die algerischen Sicherheitskräfte bei ihren Operationen praktisch keine Gefangenen machen, sondern ihre Gegner gleich erschießen. Auch unbewaffnete Personen, die laut Amnesty « bloß der Zusammenarbeit mit bewaffneten Gruppen » verdächtigt werden, würden nicht selten liquidiert. Ganze Dörfer, so heißt es, seien kollektiv bestraft worden. Die Zahl der Opfer gehe in die Tausende.
Erniedrigende Folter
Folter in Gefängnissen und Polizeistationen stünden in Algerien auf der Tagesordnung, berichtet Amnesty. Die englische « Medical Foundation », die Algerienflüchtlinge betreut, beschreibt in einem Gutachten an das britische Parlament das Folter-Instrumentarium der algerischen Sicherheitskräfte: Elektroschocks, Verbrennungen durch Schweißbrenner, zwangsweises Einflößen von Chemikalien, Scheinhinrichtungen. Besonders erschreckend sei das Ausmaß von Vergewaltigungen und anderen Formen der sexuellen Erniedrigungen, etwa das « Sitzen auf einer Flasche ».
Der Generalsekretär der Oppositionspartei Front der Sozialistischen Kräfte, Ahmed Djeddai, machte jüngst die Sicherheitskräfte für « Tausende Fälle von Entführungen » verantwortlich. Die « oft seit Jahren verschwundenen Opfer » seien zumeist bei Razzien verschleppt worden. Zigtausende Oppositionelle sollen in rund einem Dutzend geheimen Haftlagern kaserniert sein.