In Algerien triumphieren die Hardliner

In Algerien triumphieren die Hardliner

US-Bomben auf Afghanistan vertiefen Spaltung im Maghrebstaat / Befürworter eines Dialogs mit Islamisten in der Defensive

Von Axel Veiel (Madrid), Frankfurter Rundschau, 15. Oktober 2001

Die Risse in der algerischen Gesellschaft sind tiefer geworden. Die
unversöhnlichen Kräfte, die dem seit zehn Jahren im Lande wütenden
Terrorismus nur mit Militärgewalt beikommen wollen, sehen sich durch die US-Bombardements in Afghanistan bestätigt. Diejenigen, die das Morden im Maghrebstaat auch als Ausdruck politischer Missstände begreifen und den Dialog mit den Islamisten vorantreiben wollen, ziehen den Kopf ein.

Nach den Anschlägen in den USA verspürten viele Algerier bei allem Mitgefühl für Amerika und die Opfer der Attentate auch eine gewisse Genugtuung. Ihnen schien nur recht und billig, dass die Israel verbundene Supermacht, die für das Leid der Palästinenser mitverantwortlich ist, ihrerseits Opfer der Gewalt geworden war. Dass nun in Afghanistan « ein weiteres moslemisches Brudervolk militärisch in die Knie gezwungen wird », wie ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung glaubt, löst Empörung, ja Verbitterung aus.

« In Algerien bringen Terroristen die Menschen um wie Fliegen, 150 000 Tote sind es bereits seit 1992, und niemand im Ausland schert sich sonderlich darum »: So macht ein Händler in der Hauptstadt Algier seinem Unmut Luft.

Jetzt seien Amerikaner die Opfer, und schon breche ein anti-arabischer, anti-moslemischer Feldzug los, werde ein islamisches Land exemplarisch bestraft. Offensichtlich in dem Bemühen, auseinander Strebendes und Widersprüchliches in seinem Land zusammenzuführen, gibt Präsident Abdelaziz Bouteflika, der mit einer Teilamnestie für reumütige Terroristen den Frieden gesucht hatte,
nun selbst Widersprüchliches von sich. « Es ist klar, wir sind absolut
solidarisch mit dem amerikanischen Volk », versichert der Staatschef und fährt dann fort: « Wir sind eine arabische und eine moslemische Nation.

Deshalb können wir nicht als Stützpunkt herhalten, wenn es gegen eine andere arabische oder muslimische Nation geht. Wir wollen keine Kinder sterben sehen, keine irakischen, keine afghanischen, keine amerikanischen und keine anderen. »

Die so genannten Éradicateurs (Ausradierer), die Algerien allein mit
Militärgewalt befrieden und den Terrorismus am besten mitsamt seinem islamistischen Umfeld zerschlagen wollen, treten derweil so selbstbewusst auf wie schon lange nicht mehr. In der Vergangenheit waren sie oft in die Defensive geraten. Immer wieder waren Hinweise aufgetaucht, wonach die Sicherheitskräfte selbst zu terroristischen Methoden gegriffen haben sollen.

Aber in der internationalen Empörung über die Anschläge in den USA werden die Fronten jetzt begradigt. « Nun weiß alle Welt, wer in Algerien wen tötet », versichert Ali Tounsi, Generaldirektor der Nationalen Sicherheitspolizei.

Mit Genugtuung nehmen Militär- und Polizeichefs zur Kenntnis, dass sich Europa endlich auf ihre Seite geschlagen hat und entschlossen gegen mutmaßliche islamistische Gewalttäter vorgeht. Ausführlich berichtet die denÉradicateurs nahe stehende französischsprachige Presse über die Verbindungen der Salafistengruppe für Predigt und Gefecht (GSPC) zu dem saudischen Multimillionär Osama Bin Laden, der hinter den Terroranschlägen von New York und Washington stecken soll. Jetzt, da Algerien und der Westen denselben
Feind bekämpfen, so lautet die Schlussfolgerung, werde das Ausland endlich auch Algerien gebührend militärisch unterstützen. Dass die Hardliner lautstark die internationale Koalition gegen den Terror begrüßen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Dieselben Kräfte hatten sich jedwede Einmischung des Auslands verbeten, als es um die terroristischen Gräueltaten im eigenen Land ging.

Die Islamisten versuchen derweil zu retten, was zu retten ist. Mahfoudh Nahnah, Vorsitzender der Gesellschaftlichen Bewegung für den Frieden (MSP), weist Vorwürfe zurück, er selbst habe in den 80er Jahren junge Algerier in den « Heiligen Krieg » nach Afghanistan geschickt. Die verbotene Islamische Heilsfront FIS warnt den politischen Gegner davor, aus den Terroranschlägen in den USA Profit schlagen und Algeriens islamistische Bewegung vernichten
zu wollen. Und der Zusammenschluss algerischer Korangelehrter hat eine Art Fatwa erlassen. Demnach darf sich ein moslemischer Staat nicht an einer Allianz gegen Afghanistan beteiligen.