Die Flamme des Schweißbrenners

Die Flamme des Schweißbrenners

Folter während des Algerien-Krieges

Bekenntnisse eines französischen « Spezialisten »

Freitag, 5. Januar 2001

Im Dezember widmete die Pariser Zeitung le nouvel Observateur eine Ausgabe nahezu vollständig dem Thema: Misshandlungen algerischer Gefangener durch Spezialeinheiten der französischen Armee zwischen 1954 und 1962. So wurde ein bisher unveröffentlichter Brief abgedruckt, den ein ehemaliger Agent des Détachement Operationnels de Protection (DOP) 1977 dem Journalisten Jean-Pierre Vittori übergeben hatte, um über Methoden dieses militärischen Dienstes aufzuklären. Der DOP war seit 1956 beauftragt, das geheime Netz der algerischen Befreiungsfront FLN aufzudecken. Wir dokumentieren Teile dieses Briefes sowie den einführenden Text von le nouvel Observateur. Das Blatt hat mit seinen Veröffentlichungen eine Debatte angefacht, die in Frankreich seit längerem über Kriegsverbrechen in Algerien geführt wird. Verbrechen, die bisher weder in ihrem Ausmaß, noch in ihrer Obszönität bekannt waren.

Der DOP wurde als Abteilung der militärischen Aufklärung schon ein Jahr nach seiner Gründung 1956 in den operativen Dienst der Armee übernommen. Seine Mission bestand darin, mit allen nur denkbaren Methoden die FLN zu lähmen. Der uns vorliegende Brief eines DOP-Agenten ist dabei in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Zunächst einmal handelt es sich nach unserer Kenntnis um das erste derart detaillierte Zeugnis eines Beteiligten. Vor allem aber ist es ein weiterer Beweis dafür, dass nicht etwa nur in Ausnahmefällen gefoltert wurde, wie Lionel Jospin behauptet, sondern in einer institutionalisierten Form – gewissermaßen in « industrieller » Art und Weise.

Außerdem steht nun endgültig außer Zweifel: Es wurde in erster Linie nicht gefoltert, um Anschläge terroristischer Bombenleger zu verhindern, sondern um das « Organigramm » des Feindes zu zerstören. Ein Vorgang, der mit routinierter Akribie betrieben wurde und keinesfalls nur dann stattfand, wenn – wie heute dargestellt – bei Verhören « in extremer Eile » Aussagen erzwungen werden sollten. Nicht zuletzt offenbart das vorliegende Dokument, wie sich das alltägliche Leben in jenen geheimnisvollen « Villen » des DOP abspielte, deren Hausherren einen privilegierten Status genossen.

Erster Empfänger des nachfolgend wiedergegebenen Briefes jenes DOP-Agenten war 1977 der Journalist Jean-Pierre Vittori, der drei Jahre später auf der Basis dieses Schriftstücks und diverser Interviews mit dem Verfasser das Buch Es wurde in Algerien gefoltert schrieb. Das Autor hat le nouvel Observateur die zehn mit Maschine geschriebenen Seiten, die ihm vor 23 Jahren zugingen, nun mit dem Kommentar anvertraut: « Die Zeit ist reif »:

Leben in einem geschlossenen Gefäß*

« Eine DOP-Einheit rekrutierte sich in der Regel aus einem Offizier – zumeist ein Capitaine -, dazu kamen zwei oder drei weitere Offiziere, vier oder fünf Unteroffiziere sowie 15 bis 20 Einberufene. Jede Einheit besaß einen oder mehrere Übersetzer, die grundsätzlich aus der gleichen Region wie die Einberufenen kamen oder eben Harkis (**) waren. Dieses Personal genoss eine ausgesprochene Vorzugsbehandlung – es herrschte Freizügigkeit. Es gab das Recht, sich in Zivilkleidung bewegen zu können, es gab Zuwendungen und Geschenke (besonders zu Weihnachten), eine bedeutend bessere Versorgung als beim Gros der Truppe. Keine Wach- und Exerzierdienste.

Das Quartier einer DOP-Einheit entsprach dem Auftrag: Ein Landhaus oder eine Villa, geräumig, weit davon entfernt, ein Militärquartier zu sein. Das Personal gewöhnte sich schnell an den Umstand, in einem ›geschlossenen Gefäß‹ zu leben und auf Kontakte mit Kameraden anderer Waffengattungen verzichten zu müssen. Zahlreiche DOPs beherrschte vielmehr die Abhängigkeit von Schafen, Geflügel, Kaninchen oder anderen Eroberungen, die dazu dienten, die Tagesrationen aufzustocken.

Ich erinnere mich, flüchtig ein Dossier gelesen zu haben, das aus Direktiven bestand, die sich direkt auf den DOP bezogen, während der in Gründung stand. Eines davon, lakonisch vom Inhalt her und unterzeichnet durch einen General, dessen Namen ich vergessen habe, insistierte: ›Verhöre müssen so geführt werden, dass dabei die Menschenwürde respektiert wird‹. Es erübrigt sich anzumerken, dass diese Order toter Buchstabe blieb.

Industrielle Folter

Selbstverständlich muss man einräumen, dass in Algerien bereits vor dem DOP gefoltert wurde. Andererseits hörte man beim Wort « Algerien » in dieser Hinsicht nie einen besonderen Unterton heraus. Offiziell gab es weder körperliche Marter, noch Henker oder Folterer, geschweige denn Gefolterte oder Gequälte. Es existierten nur ›Verhöre‹, ›Vernehmer‹ und ›Vernommene‹. Doch die Skala dessen, was unter einem ›Verhör‹ zu verstehen war, erwies sich als äußerst subtil. Es gab das einfache oder Routineverhör, das durch den Vernehmer ›verschärft‹, ›gründlich‹ oder ›mit großem Druck‹ geführt werden konnte.

Zu Beginn seiner Tätigkeit kopierte der DOP noch Methoden der Truppe, wie das ›Vertobaken‹ (Folter mit brennender Zigarette), ›Wasserbäder‹ oder Stromschocks. Allmählich jedoch suchte man die Innovation, experimentierte mit effizienteren Methoden und machte Fortschritte. Man stellte fest, dass die Methode « Generator » (Stromstöße an den Fußsohlen) bestens geeignet schien. Dabei pflegte man untereinander stets den Erfahrungsaustausch über bevorzugte Praktiken. Einige DOPs ›befragten‹ ihre Gefangenen in horizontaler Position – nackt und gefesselt an ein Bett oder ein Brett. Andere schworen auf die Vertikalposition – der Gefangene stand dann aufrecht und war an Ringe gefesselt, die in der Wand einzementiert waren – das Ganze nannte sich ›Verhör in Sonnenposition‹. Ich kannte einen Offizier, der empfahl die Einführung von Stangen in den Anus des Gefolterten. Er bediente sich auch eines Schweißbrenners, dessen Flamme auf die Beine gerichtet wurde, die mit Alkohol besprüht waren, woraufhin die Flammen die Genitalien erreichten, oder er folterte mit brennenden Zigaretten. Ein ganzes Buch würde nicht ausreichen, all das zu beschreiben.

Man konnte während des Verhörs die Methoden wechseln, konnte improvisieren, variieren. Die ›klassische‹ Spielart war folgende: der Gefangene wurde nackt auf eine flach liegende Tür gefesselt: Ein Telefon- oder Stromkabel wurde um sein Ohr gelegt, das andere an die Spitze seines Penis. Dann wurde die ganze Apparatur aktiviert … Bei ›verschärften Verhören‹ war das Einflößen von Wasser üblich – 15 bis 20 Liter, die durch einen Trichter geschluckt werden mussten. Zugleich wurde ein Handtuch auf Mund und Nase gelegt, was dazu führte, das der Gefolterte halb erstickte. Diese Art der Marter endete zumeist tödlich, weil der Magen platzte oder der Betreffende durch den Eintritt von Wasser in die Lunge starb. Es gab Folterer, die mischten das Wasser zusätzlich mit Reinigungsmitteln der Marke Le Teepol – in solchen Fällen konnte der Tod früher eintreten.

Die Verhörräume befanden sich grundsätzlich in den Kellern der DOP-Gebäude oder in Zimmern, die vollkommen schalldicht waren, so dass die Schreie der Gefolterten nicht nach außen drangen. Verschärfte Vernehmungen fanden stets nachts statt. Der Gefangene wurde brüsk aus dem Schlaf gerissen, um verhört zu werden. Wer die grauenhafte Atmosphäre in den Verhörtrakten des DOP erlebt hat, kann sie wohl nie vergessen. Die Luft war schwer von Zigarettenqualm, es roch nach dem Schweiß der Gefolterten, der sich mit dem Geruch von Exkrementen vermischte – von Urin, Kot und Erbrochenem. Dazu kamen die Schreie und das Gebrüll der Gefolterten, und der Lärm der Schläge. Die Vernehmer legten zuweilen eine Pause ein, um die Nerven zu stärken, um Wein oder Bier in großen Mengen zu trinken (man nannte das ›Doping‹) oder viel zu rauchen und dann fortzufahren. Die Verhöre begannen in der Regel gegen 21.00 Uhr und endeten zwischen vier und fünf Uhr morgens … »

Übersetzung Lutz Herden

(*) Zwischentitel aus Le nouvel Observateur

(**) Algerische Söldner im Dienst der Franzosen