Algeriens verhinderter Neuanfang
Neue Zürcher Zeitung AUSLAND Samstag, 17.04.1999 Nr. 88 3
Alle Hoffnungen auf einen Neuanfang in Algerien haben sich als verfrüht herausgestellt. Vor allem die Erwartung, die Generäle seien nun, nach dem Scheitern von Präsident Zeroual, bereit, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu besinnen und die Politik den vom Volk bestimmten Repräsentanten zu überlassen. Diese Hoffnung nährte sich von Berichten, die Armeeführung stehe keineswegs geschlossen hinter dem früheren Aussenminister Bouteflika, dem zuerst von pensionierten Offizieren und dann vom militärischen Geheimdienst protegierten Kandidaten; es gebe durchaus Kräfte, die den Volkswillen zu respektieren bereit seien. Eben dies bewog den hartnäckigsten und wohl glaubwürdigsten Kritiker des Regimes, den früheren Widerstandskämpfer Aït Ahmed, dazu, aus seinem Schweizer Exil heimzukehren und sich als Kandidat in den Wahlkampf zu stürzen. Gerade Aït Ahmeds Teilnahme schien ein Beweis dafür zu sein, dass diesmal wirklich eine demokratische Öffnung im Gang war.
Von all diesen Hoffnungen ist nur diejenige auf offene, tabufreie Auseinandersetzungen im Wahlkampf in Erfüllung gegangen. Alle wichtigen politischen Strömungen waren durch Kandidaten vertreten. Selbst der verbotene Front islamique du salut hatte in Taleb Ibrahimi einen indirekten Fürsprecher. Aber bei dieser Konzession der Militärs blieb es. Je näher das Wahldatum rückte, desto deutlicher wurde, dass die massgeblichen Armeekreise eine betrugsfreie Stimmabgabe als zu hohes Risiko für Bouteflika betrachteten. Sie begannen, ihren Favoriten massiv zu «fördern». Dieses trübe Spiel mochten die übrigen Kandidaten nicht mitspielen. Mit ihrem kollektiven Rücktritt degradierten sie Bouteflikas Wahl zur leeren Routine, zu einem jener Bestätigungsrituale, wie es sie zur Zeit des algerischen Einparteistaats gegeben hatte. Dass trotzdem, wie die Behörden behaupten, 60 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gingen, ist unwahrscheinlich.
Bouteflika hat sich mit seiner Bereitschaft, sich zum Sieger in einem toten Rennen ausrufen zu lassen, wahrlich keinen Dienst erwiesen. Diejenigen, die ihn portiert hatten, werden ihren Lohn einfordern. Gegen sie wird er nicht ins Feld führen können, er habe ein eindeutiges Mandat der Wähler, das mehr gelte als die historische Legitimität der Armee. Sehr schnell dürfte sich deshalb zeigen, dass es mit der von Bouteflika im Wahlkampf beschworenen Unabhängigkeit nicht weit her ist.
Auch Präsident Zerouals Wahl war 1995 von mehreren Parteien boykottiert worden; auch sie verlief nicht ganz betrugsfrei. Aber sehr schnell stellten sich die algerischen Parteien auf Zeroual ein, und seine Legitimität wurde kaum in Frage gestellt. Anders als Zeroual steht Bouteflika eine geeinte Front der Opposition gegenüber. Wenn die algerische Wahlfarce überhaupt einen positiven Aspekt aufweist, so diesen: Demokratisch gesinnte Kräfte haben den Grundstein für eine effektive Zusammenarbeit gelegt. Es wäre fatal, wenn sie diese neugefundene Einheit dem Opportunismus opferten und, nach dem Muster des Islamisten Nahnah, ihre Standhaftigkeit in einem Postenschacher preisgäben.