Algerien hat wieder einen blutigen Ramadan hinter sich

Fasten und morden

Algerien hat wieder einen blutigen Ramadan hinter sich
und vorerst keinen Frieden vor sich

Rudolph Chimelli, Süddeutsche Zeitung, 8. Januar 2000

Für die Versöhnungspolitik des algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika schlägt die Stunde der Wahrheit: Die Gnadenfrist, die er islamischen Rebellen mit seinem Gesetz über bürgerliche Eintracht eingeräumt hatte, läuft am 13. Januar ab, aber eine unbekannte Zahl von Radikalen im Untergrund setzt den Kampf fort. Nur 1 750 Reuige haben laut offizieller Mitteilung seit vergangenem Sommer von der Amnestie Gebrauch gemacht und sich ergeben, darunter 250 im Fastenmonat Ramadan, dessen Ende am Freitag gefeiert wurde.

Beginnt das Morden danach von neuem? Es hat nie geendet. Der Fastenmonat verlief mit mehr als 150 Opfern verschiedener Anschläge so blutig wie in den beiden vorausgegangenen Jahren. Falls der Bürgerkrieg, in dem während acht Jahren mehr als 100 000 Algerier getötet wurden, wieder beginnt, hat sich dennoch eine wichtige Voraussetzung geändert. Ein Teil der Islamischen Rettungsarmee AIS, des militärischen Armes der verbotenen Islamischen Rettungsfront FIS, soll der Armee bei der Ausrottung der radikaleren Islamischen Kampfgruppen GIA zur Seite stehen. Die AIS-Kämpfer kennen die Rebellen, ihre Taktik, ihre Schlupfwinkel.

Diese Allianz schien freilich zu Beginn dieser Woche wieder in Frage gestellt. Aus seinem Bonner Exil drohte der FIS-Sprecher Rabah Kebir damit, die in ihrem Inhalt weitgehend geheime Übereinkunft auf Eis zu legen, falls die Regierung nicht ihren Teil verwirkliche. Vorgesehen ist, dass 600 ältere oder kranke AIS-Mitglieder aus dem Untergrund mit vollen Bürgerrechten und Eingliederungshilfen zu ihren Familien zurückkehren können. Auch Entschädigungen für die Familien sowie die Möglichkeit zur Rückkehr in frühere Staatsstellungen soll es geben. Mitte Dezember hatten die ersten 220 AIS-Leute die Berge verlassen. Ihre Erwartungen wurden jedoch enttäuscht.

Eine Delegation der Armee unter Führung von General Fodil Cherif eilte daraufhin in die Region von Jijel, einer AIS-Hochburg, um mit dem « Emir » der Rettungsarmee, Madani Mezrag, zu verhandeln. Was das Regime der Fraktion der Widerstrebenden unter den Islamisten zusicherte, damit diese der « Selbstauflösung » der AIS zustimmten, ist nicht bekannt. Der staatliche Rundfunk kündigte an, schon in den Tagen nach dem Fest Id-el-Fitr, mit dem Ramadan endet, würden tausend AIS-Mitglieder ihre Waffen niederlegen. Ein weiterer Kernpunkt der neuen Regelung dürfte die Ausrüstung betreffen, welche die Regierung dem aus AIS-Leuten bestehenden Hilfskorps zum Kampf gegen die GIA zur Verfügung stellt.

Denn bisher sind die GIA-Kämpfer offenbar besser bewaffnet als die der AIS. Der GIA unter ihrem schon oft als tot gemeldeten Führer Antar Zouabri werden die meisten Massaker an Zivilisten angelastet. Eine ideologisch verwandte Gruppe, die Dawa wa al-Dschihad (Aufruf und Glaubenskrieg) von Hassan Hattab, hat hingegen in letzter Zeit ihre Anschläge auf Militär und Polizei verstärkt.

Auf der politischen Seite bemühen sich die legalen gemäßigt islamistischen Parteien darum, die vom Amnestiegesetz gestellten Fristen zu verlängern. Sie argumentieren, man dürfe sich nicht selber « zu Geiseln eines Termins » machen. Ein Gesetzentwurf zur « Rettung der bürgerlichen Eintracht » wurde im Parlament eingereicht. Bouteflika hatte nach seiner Wahl im April letzten Jahres angekündigt, er werde sofort mit neuen Männern daran gehen, den algerischen Augiasstall von Korruption und Unfähigkeit zu reinigen. Gleichwohl musste er bis Ende Dezember mit der Regierung weitermachen, die er von seinem Vorgänger Liamine Zeroual geerbt hatte.

Erst jetzt verfügt er mit dem liberalen Wirtschaftsfachmann Ahmed Benbitour über einen Regierungschef seiner Wahl. Für die Justiz ist der äußerst unbeliebte einstige Premier Ouyhia zuständig, Innenminister wurde der frühere Geheimdienstchef Zerhouni. Ein Verteidigungsminister, der sowohl Bouteflika als auch den Generälen genehm ist, ließ sich nicht finden. Das Amt bleibt deshalb in Händen des Präsidenten, dem es an Arbeit nicht mangelt, umso mehr aber an Zeit.