VI Staatliche Repression gegenüber der Opposition

VI Staatliche Repression gegenüber der Opposition

VI-1 1988: die Revolte und die Antwort der Armee

Die Geschichte der politischen Morde läßt sich, über die Unabhängigkeit von 1962 hinaus, weit zurückdatieren. Wir beginnen hier mit den Ereignissen von Oktober 1988, weil sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der daraufhin eingeleiteten Entwicklung stehen, die die Achtung der Grundfreiheiten und den Pluralismus zu versprechen schien, jedoch in einem Alptraum endete.

Am Vorabend des 5. Oktobers (ein Generalstreik war angekündigt, ohne daß jemand wußte, von wem dieser Appell ausging!) kam es zu den ersten Verhaftungen. Die Betroffenen wurden weit über die gesetzlich festgeschriebenen 48 Stunden hinaus in Inkommunikado-Haft gehalten. Vom 5. Oktober an ereignete sich eine massive Revolte, die die prekäre Stabilität des Landes ins Wanken bringen sollte. Ein paar Tage lang wüteten die Menschen in den Großstädten und zerstörten vor allem Gebäude und Symbole des Staates, der Einheitspartei und des Konsums. Die Sicherheitskräfte und Armeeangehörigen schossen wahllos in die Menge, auch während der friedlichen Demonstrationen, und töteten in sechs Tagen zwischen 500 und 1000 Personen. Hunderte wurden festgenommen und von Gerichten, die in besonderen Sitzungen tagten, verurteilt – ohne Verteidigung, ohne Öffentlichkeit und manchmal in nächtlichen Sitzungen. Viele Verhaftete erhielten ohne Beweisgrundlage Gefängnisstrafen von 2 bis 5 Jahren.1 Natürlich erfolgten die Hausdurchsuchungen und Festnahmen ohne Haftdurchsuchungsbefehle, und die Gefangenen wurden oft in Stadien, Kasernen oder Arenen eingesperrt. Sehr oft sind die Gefangenen gefoltert worden, von Angehörigen der Direction Générale de la Prévention et de la Sécurité (DGPS) oder den berüchtigten Fallschirmjägern. Verwaltungsbeamte, z.B. Präfekten, waren manchmal bei Folterungen anwesend. Ein Opfer der Folter berichtete:

Die jungen Männer wurden vor unseren Augen gefoltert. Das war grauenvoll. Sie wurden mit Stöcken anal penetriert. Manche wurden ganz einfach von den Fallschirmjägern vergewaltigt […] Um mich zu terrorisieren, zwang man mich die Szenen der analen Penetrationen an diesen jungen Männern, die zwischen 16 und 20 Jahren alt waren, mitanzusehen […] Man drohte einigen: entweder du unterschreibst oder wir penetrieren dich anal.2

Die Menschenrechtsorganisation Ligue Algérienne des Droits de l’Homme (LADH) veröffentlichte Mitte November 1988 einen Bericht, in dem 51 Zeugenaussagen von Folteropfern dokumentiert waren. Darin wurden folgende Foltermethoden aufgeführt: Schläge und Verletzungen mit verschiedenen Utensilien, z.B. Messern; die Praktik der baignoire (Badewanne, Eintauchen des Kopfes im Wasser); Gégène (Anbringen von Elektroden auf allen Körperteilen); sexuelle Gewalt; anale Penetration mit Instrumenten wie Flaschenhals oder dem Stiel einer Schaufel; Verbrennungen mit Zigaretten; gewaltsames Einflößen von chemischen Produkten, Urin oder schmutzigem Wasser. Der Bericht erwähnt den Foltertod einer Person und das Verschwindenlassen mehrerer Menschen. Als diese willkürlichen Festnahmen und unmenschlichen Behandlungen (Folterpraktiken) bekannt wurden, empörte sich ein Teil der algerischen Öffentlichkeit und forderte in Petitionen, Pressekonferenzen und Demonstrationen die Aufklärung und die Bestrafung dieser Taten. Es muß hinzugefügt werden, daß manche der Opfer Universitätsprofessoren, Gewerkschaftler, bekannte Kommunisten und Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens waren. Es wurde ein « Komitee gegen die Folter » gegründet, das die Interessen der Opfer vertrat und für Schadensersatz kämpfte. Trotz diverser Absichtserklärungen seitens der Regierung wurde weder den ungeklärten Fällen nachgegangen, noch wurden die Täter bestraft, geschweige denn Kompensationszahlungen an die Opfer geleistet.

Es fällt jedoch auf, daß viele der damals zurecht empörten und protestierenden Personen heute, angesichts der Übergriffe und der Repression des Staates, schweigen. Es wurde zwar ein « Komitee zur Unterstützung der Opfer des Terrorismus » gegründet, das z.B. dafür sorgt, daß die Witwen der ermordeten Polizisten entschädigt werden oder eine Rente erhalten, doch Familienangehörige von ermordeten mutmaßlichen « Fundamentalisten » oder « Terroristen » finden von dieser Seite weder materielle noch moralische Unterstützung. Sie werden erst gar nicht als Betroffene wahrgenommen. Die Politisierung des Konflikts geht weit über die Menschenleben hinaus. Es wird nicht nur zwischen den Toten unterschieden, sondern bereits unter den Lebenden, wie das Beispiel der Frauen, Mütter, Schwestern und Kinder von Islamisten zeigt.3

VI-2 Die « demokratische » Phase: 1989-1991

Die Revolten vom Oktober 1988 haben eine nicht umkehrbare Entwicklung eingeleitet. Die Epoche der Einheitspartei ging dem Ende entgegen, eine neue Verfassung wurde verabschiedet, die den Pluralismus und die Meinungsfreiheit festschrieb. Die Armee gab vor, sich nunmehr aus dem politischen Leben heraushalten zu wollen und nur noch ihre Verteidigungsrolle wahrzunehmen. Die späteren Entwicklungen werden zeigen, wie sehr die Armee in den staatlichen Institutionen verstrickt ist. Je mehr die politische Bewegungsfreiheit zu gedeihen schien, desto beklemmender wurde der ökonomische Würgegriff. Die Rückzahlung der Auslandsschulden fraß die Devisen auf und der IWF stand mit einem Strukturanpassungsprogramm vor der Tür. Die soziale und politische Situation blieb explosiv. Vor allem die vielen jungen Leute schienen in dem Aufstieg der Islamischen Rettungsfront (FIS) eine Hoffnung auf eine gerechtere Verteilung der Arbeit und der Güter, sowie die Achtung ihrer Menschenwürde zu sehen. Die FIS, die im September 1989 zugelassen wurde, erhielt dann auch bei der 1990 stattfindenden Wahl die Mehrheit und zog in Hunderte von Kommunal- und Distriktverwaltungen ein. Die FIS war eine Front, die verschiedene Gruppen versammelte, darunter auch Gruppierungen, die den legalen Weg der Parteienbildung sowie Wahlen und parlamentarische Demokratie ablehnten. Die große Mehrheit der FIS-Kader jedoch ließ sich auf den eingeschlagenen legalen Pfad ein, auch wenn sie dabei oft von radikaleren Fraktionen unter Druck gesetzt wurde.

Dennoch blieben auch in dieser Periode der relativen Freiheit die Aktivitäten der Geheimdienste sehr rege. Nicht nur, daß diese die Bildung zahlreicher Parteien veranlaßten, sie infiltrierten die meisten, u.a. die FIS. Im übrigen ein Umstand, der stark zur Verschärfung der Gegensätze innerhalb der FIS-Partei beigetragen haben soll.4

Der Beginn der massenhaften Verfolgungen und brutalen Repression nach diesen fast drei Jahren der relativ freien politischen Betätigung wird mit dem Generalstreik im Mai-Juni 1991 eingeleitet:5 die FIS rief zum Streik auf, um gegen die Modalitäten des Wahlgesetzes bzw. die Aufteilung der Wahlkreise zu protestieren und forderte vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Die Parlamentswahlen waren für Ende Juni 1991 vorgesehen, wurden aber aufgrund der Ereignisse verschoben.

In der Nacht vom 3. zum 4. Juni 19916 schreitet die Gendarmerie ein und verfolgt die Demonstranten, die die wichtigsten Plätze Algiers besetzt halten. Die ersten tödlichen Kugeln werden abgeschossen. Auch in anderen Städten finden Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften statt. In der darauffolgenden Nacht greift die Armee ein. Der Ausnahmezustand wird für vier Monate ausgerufen, eine Ausgangssperre in manchen Regionen verhängt, die Parlamentswahlen verschoben und schließlich tritt die Regierung zurück. Die Polizei wird dem Befehl der Armee unterstellt, und die Verantwortlichen der Militärsektionen übernehmen die Verwaltungsaufgaben. Versammlungen sind verboten, die administrative Haft wird eingeführt, und die Armee ist befugt, zu jeder Tageszeit Durchsuchungen durchzuführen, Publikationen zu verbieten, Assoziationen und Parteien aufzulösen.7 Die Arbeiter, die dem Streikaufruf gefolgt waren, werden entlassen. Fallschirmjäger und Polizisten umstellen an den Freitagen die Moscheen und ab dem 15. Juni beginnt die Aushebung der Parteistruktur der FIS: in drei Tagen werden etwa 500 der aktivsten FIS-Kader festgenommen, während andere in den Untergrund gehen. Die Partei ist quasi ohne Führung, und die Spannungen zwischen den Sicherheitskräften und den Männern, die dem Ausgangsverbot trotzen, wachsen. In diesen Tagen kommt es immer öfter zum Einsatz von Schußwaffen, was an die 30 Tote und viele Verletzte verursacht. Am 30. Juni werden die beiden Führer der FIS Ali Benhadj und Abbassi Madani festgenommen.8 Hunderte von Verhaftungen finden statt, und sechs Internierungslager werden in der Wüste eingerichtet.9 Der Menschenrechtsminister Ali Haroun rechtfertigt ihre Einrichtung, während der Justizminister Ali Benflis aus Protest zurücktritt.10 Das Parteibüro der FIS wird von Spezialeinheiten belagert – den vermummten Ninjas, wie sie im Volksmund heißen – die zum ersten Mal in der Öffentlichkeit gesehen werden. Am ersten August wird offiziell von 2 976 Festnahmen, 301 Internierungen, 55 Toten und 326 Verletzten berichtet. Ali-Yahia Abdennour, der Präsident der unabhängigen Menschenrechtsliga Ligue Algérienne de Défense des Droits de l’Homme (LADDH) spricht von 300 Toten, und 8000 Inhaftierungen. Er erwähnt auch 3 600 Arbeiter, die ihre Arbeit nach dem Streik nicht wieder aufnehmen durften. Am 18. August sind schon 342 Gefängnisstrafen von zivilen Gerichten verhängt und 442 Personen den Militärgerichten vorgeführt worden. Ali Yahia Abdennour protestiert gegen diese Handlungsweise und verurteilt vor allem die Tatsache, daß eine Prozeßordnung angewandt wird, die noch nicht offiziell bekannt ist. Die SIT, die FIS-nahe Gewerkschaft, spricht von 12 000 Arbeitern, die aufgrund des Generalstreiks entlassen worden sind. Mitte des Monats schließlich werden die zwei Sprachrohre der FIS, El-Mounkidh und El-Forkane verboten.

Ende des Monats August 1991 beginnt eine Beschwichtigungskampagne: die Gefangenen der Internierungslager erwarten ihre Freilassung, der Belagerungszustand soll aufgehoben werden, die Wahlgesetze werden überarbeitet und die Parlamentswahlen sollen noch vor Ende des Jahres stattfinden. Während dieser Ereignisse sind – wie drei Jahre zuvor – immer wieder zivile Personen und nicht identifizierbare Autos gesehen worden, die sich direkt in die Auseinandersetzungen eingemischt und auf Demonstranten geschossen haben.11 Zu der Behauptung, daß es sich bei diesen Personen um Geheimdienstagenten handele, hat die Regierung nie Stellung bezogen.

VI-3 Der erste Wahlgang und das Ende der Scheindemokratie

Der erste Wahlgang der Parlamentswahlen ist am 26. Dezember 1991 vorgesehen. Die FIS entscheidet kurz davor, daran teilzunehmen, obwohl manche Aktivisten in der islamistischen Bewegung wegen der massiven Verfolgungen und der Verhaftung der FIS-Führer sich dagegen aussprechen. Am 30. Dezember 1991 werden die offiziellen Ergebnisse bekanntgegeben, und die FIS erhält die meisten Parlamentssitze. Die Debatten um Fälschungen, Modalitäten und Ungereimtheiten sind müßig, denn schon erheben sich Stimmen, die die Annullierung des zweiten Wahlgangs fordern. Ein Comité National de Sauvegarde de l’Algérie (CNSA, Komitee für die Rettung Algeriens) wird gegründet, in dem Ettahadi und RCD, die Koordination der Frauenassoziationen, die Gewerkschaft (UGTA), die Organisation der Unternehmer (UNEP), die halboffizielle Ligue Algérienne des Droits de l’Homme (LADH) und andere sich zusammenschließen. Es wird jedoch gemunkelt, daß diese « Rettungsaktion » vom Militär initiiert wurde. Die größten Parteien (FIS, FLN, FFS) befürworten die Abhaltung des zweiten Wahlgangs. Dieser ist für den 16. Januar 1992 vorgesehen, doch am 11. Januar gibt der Präsident Chadli Bendjedid seinen Rücktritt und die Auflösung des Parlaments bekannt. Am nächsten Tag verkündet der Haut Comité de Sécurité (HCS, Hoher Sicherheitsrat) die Annullierung des zweiten Wahlgangs. In diesem sechsköpfigen Gremium sitzen drei Militärs. Die Verfassung sieht einen solchen Fall nicht vor: ein Präsident kann nicht das Parlament auflösen und zurücktreten. Die ersten Stimmen sprechen von einem Staatsstreich des Militärs. Am 14. Januar 1992 wird die Schaffung eines Haut Comité d’État (HCE, Hoher Staatsrat) bekanntgegeben, ein fünfköpfiges, von keinem Verfassungsgesetz vorgesehenes Gremium, dessen Präsident der seit fast dreißig Jahren im Exil lebende Mohammed Boudiaf wird. Dieses Gremium soll laut den erlassenen Texten die Führung des Staates für die Dauer des Mandats Chadlis übernehmen, d.h. bis Ende des Jahres 1993. In dieser Übergangszeit soll ein « Nationaler Konsultativrat » (CCN) als Parlamentsersatz eingerichtet werden, dessen Funktion jedoch nur beratend ist und dessen Mitglieder « aus der Zivilgesellschaft » ernannt werden. Die wichtigsten Parteien FIS, FFS und FLN lehnen diese verfassungswidrigen Institutionen kategorisch ab.

Mit der Etablierung des HCE beginnt die Offensive gegen die FIS: die Kader der Partei werden inhaftiert, die Moscheen kontrolliert und die Kommunikationsstrukturen der FIS zerstört. Der Krieg gegen die Moscheen dauert einige Wochen. Er beginnt mit dem Verbot, sich außerhalb der Moscheen zu versammeln.12 Bald wird ein Gesetz erlassen, das den Menschen verbietet, woanders zu beten als in den Moscheen ihres Viertels.13 Kontrollen und Verhaftungen an Moschee-Ausgängen beginnen. Der neue Sprecher der FIS, Abdelkader Hachani, wird festgenommen, nachdem in der Zeitung El-Khabar ein Aufruf an die Soldaten veröffentlicht wurde, nicht den Befehlen ihrer Vorgesetzten zu folgen, wenn diese sich gegen das Volk richten. Auch der Direktor der Zeitung wird kurzzeitig inhaftiert.14 Rabah Kebir, einer der letzten noch nicht eingesperrten oder in den Untergrund geflüchteten Kader der Partei, beschuldigt diejenigen, die dem CCN beitreten « der Komplizenschaft im Verbrechen und Komplott gegen das algerische Volk ». Daraufhin werden die Zeitungen der FIS suspendiert und die Direktoren festgenommen. Seitdem (Ende Januar 1992) erscheint nur noch eine Untergrundzeitung der FIS, der Minbar El-Djoumoua. Rabah Kebir wird ebenfalls inhaftiert wegen « Anstachelung zur Rebellion », später aber in seiner Heimatstadt unter Hausarrest gestellt. Ihm gelingt die Flucht nach Deutschland, wo er um politisches Asyl ersucht.

Am 9. Februar wird der Ausnahmezustand wieder ausgerufen, dieses Mal für 12 Monate. Hunderte von Islamisten werden festgenommen und in Schnellverfahren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.15 Anfang Februar 1992 wird die Zentrale der FIS gestürmt. Die FIS wird immer mehr unter Druck gesetzt und ist faktisch verboten. Sie gibt eine Erklärung heraus, in der sie Bedingungen nennt, die das Land aus der Krise bringen sollen: Nichtanerkennung des HCE, Freilassung der politischen Gefangenen, Weiterführung des Wahlprozesses, Aufhebung der Belagerung der Moscheen und Freilassung der inhaftierten Imame und schließlich Appell an die ausländischen Partner Algeriens, nicht mit den neuen Machthabern zu verhandeln. Die FIS ruft zu einer friedlichen Demonstration für den 7. Februar 1992 auf. Die Staatsmacht reagiert, indem sie die Stadt von Sicherheitskräften belagern, die Zufahrtsstraßen absperren und die Stadtviertel streng durchkämmen läßt. Schließlich werden in den darauffolgenden Tagen die letzten FIS-Führer inhaftiert und die neue Parteizentrale geschlossen.16

Innerhalb kürzester Zeit werden die inhaftierten Imame vom Ministerium für religiöse Angelegenheiten durch staatstreue Prediger ersetzt. Das Innenministerium gibt Ende Januar 1992 ein Kommuniqué heraus, in dem der spätere Zugriff auf die Moscheen angekündigt wird:

Es ist nicht mehr möglich, daß die Moscheen, insbesondere am Freitag Synonym für Sorge und Angst sind. So wird der Staat mit Entschlossenheit seine Befugnisse als Wächter der öffentlichen Ordnung ausüben, ungeachtet des Tages oder des Ortes, wo sie bedroht ist.17

Immer mehr Überfälle der Sicherheitskräfte auf Besucher der Moscheen prägen die Freitage, und zahlreiche Menschen finden den Tod. (Vgl. III) Offiziell wird Anfang Februar ’92 von 50 Toten und 200 Verletzten gesprochen. Die Regierung läßt alle Fußballspiele suspendieren – ein Zeichen für die bevorstehenden gravierenden Beschlüsse. Der Ausnahmezustand wird am 9. Februar 1992 für ein Jahr ausgerufen und die Errichtung von Sicherheitszentren angekündigt. Das erlassene Dekret sieht auch die Möglichkeit vor, Personen im Fall eines illegalen Streiks zu inhaftieren, sowie Tag und Nacht Durchsuchungen vorzunehmen. Die Regierung kann die Stadtverwaltungen suspendieren oder auflösen und sie ersetzen. Die Militärgerichte dürfen in zivilen Angelegenheiten entscheiden, wenn diese als Bedrohung für den Staat erachtet werden. Nach und nach flauen die Freitagsproteste ab, da viele in den Untergrund getrieben oder inhaftiert werden: das Untergrundorgan der FIS gibt an, daß 200 FIS-Bürgermeister und 109 zukünftige Abgeordnete in Haft sind. Die ersten Prozesse gegen Demonstranten finden statt: sehr hohe Strafen werden ausgesprochen, teilweise Gefängnisstrafen bis zu 20 Jahren. Nun beginnt der Protest an den Universitäten unter der Führung der « Bewegung für die Wahl des Volkes ». Manche Zweige sind völlig gelähmt und die Universität von Blida wird am 20. Februar 1992 für eine Woche geschlossen. Auch andere Universitäten in Sétif, Constantine, Annaba und Algier werden von Sicherheitskräften gestürmt.

Am 4. März 1992 wird die FIS offiziell aufgelöst, und die Stadtverwaltungen der FIS werden durch vom HCE ernannte Staatsbeamte ersetzt. In Algier beginnen die ersten bewaffneten Übergriffe aus dem Untergrund, während in Constantine an den Universitäten und auf den Straßen Konfrontationen mit der Polizei stattfinden. Im März wird offiziell bekanntgegeben, daß die Unruhen von Januar-Februar des selben Jahres 103 Tote, darunter 31 Sicherheitskräfte und 414 Verletzte gefordert haben. In den kommenden Wochen flammen immer wieder Straßenproteste auf, die zu Toten, Verletzten und Massenfestnahmen führen. Tausende werden in Konzentrationslagern in der Sahara festgehalten, die FIS spricht von 30 000, offiziell wird die Zahl von 8 000 Inhaftierten angegeben.

Politisch sieht sich der HCE zunehmend isoliert. Erst nach vier Monaten wird die Zusammensetzung des Scheinparlaments (Konsultativrat) CCN bekanntgegeben und Boudiaf ruft alle Algerier und Algerierinnen auf, sich seiner nationalen Versammlung RPN anzuschließen. Die meisten Parteien mißbilligen diese Idee, kommt sie doch einer Neuauflage der Einheitspartei gleich. Die wichtigsten unter ihnen haben konkrete Forderungen. Selbst die FIS versucht aus dem Untergrund versöhnliche Töne anzustimmen und schlägt einen Dialog vor, der zu Neuwahlen führen soll. Doch die Stunde der Repression hat längst geschlagen. Das Militär – selbst wenn von Meinungsverschiedenheiten in seinen Rängen berichtet wird – führt den Krieg gegen die islamistische Bewegung, einen Krieg, der sich, wie wir sehen werden, immer mehr ausweiten wird.

VI-4 Die staatliche Repression sucht ihre Legitimation

Abed Charef schreibt: « Als das Wort ‘Terrorismus’ im Vokabular der algerischen Presse erscheint, ist die FIS noch nicht völlig umgekippt.18 Erst mit der massiven Verfolgung der FIS-Mitglieder, der Verhängung des Notstandes usw. sind immer mehr Personen in den Untergrund gegangen und haben mit Anschlägen auf Sicherheitskräfte begonnen. Die FIS-Führung selbst verharrte lange in der Rolle der Beobachterin. Charef meint, daß sich nur ein kleiner Teil der FIS-Sympathisanten nach der Zerschlagung der FIS, für den bewaffneten Weg entschieden habe. Die folgenden Entwicklungen treiben jedoch immer mehr Menschen in den Untergrund.

Zur gleichen Zeit erschien der Terrorismus. Bewaffnete Gruppen hatten sich seit 1991 gebildet und waren ab Februar 1992 in Aktion getreten. In der Tat hatten diese Gruppen oder Djamaates, die seit 1980 sporadisch in Erscheinung traten, nie aufgehört zu existieren. Ihre Existenz ist unabhängig von der FIS, wie der Angriff auf die Kaserne in Guemmar während der Wahlkampagne oder auch der Überfall auf eine Brigade der Gendarmerie in Fouka, am Vorabend der Wahlen zeigen. Kaum ein Monat nach der Absetzung von Chadli schlagen die Djamaates in der Kasbah zu und töten 6 Polizisten. Dieser Umstand hat zweifellos die Anti-Aufstandsbekämpfung radikalisiert und dadurch zur Zuspitzung der terroristischen Gewalt geführt.19

Das Innenministerium löst die FIS auf und rechtfertigt diese Maßnahme damit, daß sie « mit subversiven Mitteln Ziele anstrebe, die die öffentliche Ordnung und die staatlichen Institutionen in Gefahr bringen ».20 Die Anwälte protestieren gegen das Verfahren und prangern die Politisierung der Angelegenheit an, doch das Gericht bestätigt das Verbot. Bis Mitte April 1992 werden 485 Stadtverwaltungen aufgelöst, davon 450, die von der FIS kontrolliert werden. Bis dahin versuchte die FIS immer noch einen legalen Weg einzuschlagen, doch nun erscheint ein Kommuniqué, in dem sie zum bewaffneten Kampf aufruft. Der einzige freie FIS-Verantwortliche, Rabah Kebir, lehnt diese Option ab und ruft zur Demonstration für den 5. Mai 1992 auf. Doch die Sicherheitskräfte verhindern jegliche Versammlung und die Demonstranten legen Feuer in verschiedenen Gebäuden. Ab diesem Zeitpunkt beginnt der offene Krieg, auch wenn der Regierungschef Abdessalam ihn erst im September 1992 in aller Klarheit und Deutlichkeit ausrufen wird.

Die Sicherheitskräfte (Polizei, Gendarmerie) werden ab dem 31. März 1992 mit der Bildung einer « anti-terroristischen » Struktur ihre Aktivitäten koordinieren. Auch die Armee ist eingeschaltet, und in vielen Operationen greifen nunmehr Mitglieder der Spezial-Interventionstruppe ein. Die Anti-Terrorismus-Kampagne des Staates wird von einem Teil der algerischen Presse unterstützt, die nicht selten polizeiliche Aufgaben übernimmt, aber vor allem Rechtfertigungen für die willkürlichen und brutalen Einsätze der Sicherheitskräfte liefert.21 Der Druck des Staates auf die Presse steigt immer mehr. Nicht nur die angeblich mit den Islamisten sympathisierenden Zeitungen werden verboten und manche ihrer Journalisten in Lager gesteckt, sondern auch die sogenannte « demokratische » Presse wird gezwungen, sich politisch gleichzuschalten.

Vergangene Woche wurden die Algerier in ihren Tageszeitungen mit einer Welle von Fotos überschwemmt, die ihnen zeigen sollen, was die Islamisten den Leuten antun. Wessen Kopf, wessen Gliedmaßen einmal abgeschlagen sind, wessen Kehle durchgeschnitten, kann sich nicht mehr wehren, dem erschauernden Publikum als Exempel dienen zu müssen, was einem alles passieren würde, hätte man nicht Regierung und Armee zum Schutz. Die Opfer werden in Algier derartig instrumentalisiert, daß sich die Regierung Verdächtigungen gefallen lassen muß, ob ihr der Terror nicht Recht kommt.22

Der Druck wird über die ökonomische Ebene ausgeübt, indem die staatlichen Stellen der Presse beispielsweise das Drucken in der staatlichen Druckerei erst wieder erlauben, wenn die noch ausstehenden Schulden beglichen sind;23 aber auch auf der juristischen Ebene, indem immer mehr Verfahren wegen « Diffamierung » eingeleitet werden, weil Journalisten sich z.B. zu intensiv mit Korruptionsaffären befassen. Nicht selten erhalten diese Gefängnisstrafen. Schließlich wird die Zensur wieder eingeführt: für das staatliche Fernsehen schon im Juni 1991, für die Schriftpresse folgt sie dann, erst auf indirekte Weise (Prozesse wegen Diffamierung), später per Anordnungen und Kontrollinstanzen. Die Zeitungen schaffen es nicht, sich abzugrenzen und ihren Berufsstand, unabhängig von politischen Positionen, zu verteidigen. Sie lassen sich immer mehr von den politischen Ereignissen vereinnahmen, bis sie selbst zur aktiven, meist einseitigen Parteigängern in der Krise verkümmern.

Bevor wir auf die verschiedenen Menschenrechtsverletzungen eingehen, die seit spätestens Januar 1992 von Seiten der Sicherheitskräfte verübt werden, müssen noch u.E. zwei wichtige Ereignisse im Jahre 1992 erwähnt werden, die das Abdriften des Regimes in den repressiven Totalitarismus verstärkten: die Ermordung des Präsidenten Boudiafs am 29. Juni 1992 und das Attentat am Flughafen von Algier am 26. August 1992.

VI-5 Das frühe Ende eines alten Wiederkehrers

Mohammed Boudiaf war also nach Algerien zurückgeholt worden, nach drei Jahrzehnten Exil und Nicht-Beachtung seitens der algerischen Politiker und Geschichtsschreiber. Er gehörte zu denjenigen, die den Beginn des Befreiungskampfes 1954 miteingeläutet hatten. Das Militär in Algerien suchte trotz oder gerade wegen des Putsches, sich eine legalistische und zivile Maske zuzulegen und glaubte mit einem Mann wie Boudiaf, der nicht durch schmutzige Staatsgeschäfte kompromittiert war, eine gewisse Popularität zu gewinnen. Boudiaf war aber nicht nur in der jungen Bevölkerung völlig unbekannt, sondern auch mit der algerischen Realität wenig vertraut. Sehr schnell sah er sich politisch isoliert. Er versuchte jedoch die Korruption zu bekämpfen und ließ manche Akte öffnen. Er war allerdings ein entschiedener Gegner der FIS und nicht bereit, sich auf Gespräche mit ihr einzulassen. Ende Juni 1992 wurde er während einer Rede in Annaba von einem Sicherheitsbeamten ermordet. Für das Regime und die Presse war dieses Attentat vorerst das Werk von Islamisten, doch die Untersuchungskommission wird nie zufriedenstellende Ergebnisse liefern können. Der Täter, Unterleutnant Lembarek Boumaarafi, gehörte einer Spezialeinheit an, die nicht für die Sicherheit des Präsidenten verantwortlich war. Er wurde von seiner Einheit abberufen, um an diesem Tag die Funktion des Leibwächters für Boudiaf zu erfüllen. Mittlerweile sind sich alle darüber einig, daß die Hintermänner für dieses Attentat noch ausfindig zu machen sind. Die Menschen auf der Straße in Algerien sprechen von einem politischen Mord aus Militär- und Finanzkreisen, die wegen der eingeleiteten Anti-Korruptionskampagne ihre Interessen gefährdet sahen. Dieser Version schließen sich immer mehr Kreise an, seien sie nun Oppositionspolitiker, Journalisten oder ausländische Diplomaten. Nachdem die Version, die die FIS für diese Tat verantwortlich macht, nicht mehr haltbar war, vertreten die Machthaber die Position, es sei das Werk eines Einzeltäters. Der französische Anwalt Jacques Vergès zitiert dazu in seinem offenen Brief einen gut informierten französischen Journalisten:

Die französischen Geheimdienste haben ihre Untersuchung durchgeführt und sind zu dem Schluß gekommen, es handele sich um eine Operation, die von der Gendarmerie, dem algerischen Geheimdienst und der alten Chadli-Administration organisiert wurde.24

Drei Jahre später fand nun der Prozeß Boumaarafis statt. Er wurde zum Tode verurteilt, doch die Hintergründe des Attentats sind bis heute nicht aufgeklärt.25 Frau Boudiaf äußerte sich noch Mitte des Jahres 1995 zu der Verurteilung Boumaarafis:

Boumaarafi interessiert mich nicht. Für mich ist er ein guter Soldat, der einen Befehl ausgeführt hat. Man hat ihn benutzt, weil er ein Islamist ist. Es war dann leicht für die Macht, glauben zu lassen, daß er zur FIS gehört. Ich habe es gesagt und mehrfach wiederholt, es ist nicht die FIS, die meinen Mann getötet hat.26

VI-6 Vom gezielten zum wahllosen Anschlag

Das nächste erschütternde Ereignis fand kurz nach Boudiafs Ermordung statt: Am Flughafen von Algier explodierte im August 1992 eine Bombe, die 9 Tote und mehrere hundert Verletzte verursachte. Sofort wurde dieser Anschlag der FIS zugeschrieben, die diesen jedoch bald verurteilte und jegliche Verantwortung abstritt.

Der Innenminister bezichtigt sofort die FIS, für das Attentat verantwortlich zu sein, und nutzt die Gelegenheit einerseits, um die baldige Einführung einer speziellen anti-terroristischen Gesetzgebung anzukündigen, und andererseits, um diejenigen aus der politischen Klasse in Frage zu stellen, die die Wiederaufnahme des Dialogs mit der FIS bevorzugen.27

Die Machthaber schienen sehr darauf bedacht zu sein, die Urheberschaft der FIS zu beweisen, und zwar öffentlich. Anfang Oktober 1992 werden die mutmaßlichen Attentäter festgenommen. Sie machen Geständnisse vor der Kamera, so daß alle AlgerierInnen Zeuge sein können, aber nicht viele waren von diesen Geständnissen überzeugt. Im Mai 1993 wird ein Prozeß gegen 55 Personen, von denen 26 abwesend sind, angestrengt. Rabah Kebir und die Söhne Abbassi Madanis, die ins Ausland geflohen sind, werden verdächtigt und in diesem Prozeß verurteilt.

Das Gericht wollte diese Fälle zusammen behandeln, um eine Verbindung zwischen der FIS, ihren Verantwortlichen und dem Terrorismus herzustellen.28

In dem Prozeß gesteht Méliani Mansuri die Tat und beschuldigt viele andere. Das Ergebnis ist, daß am 25. Mai 1993 38 Todesurteile verhängt, davon 26 in Abwesenheit, und drei der zum Tode Verurteilten Ende August hingerichtet werden. Zu dem Foltervorwurf erwidert der Richter, daß der Hauptverdächtige Hocine Abderrahim, der gezeichnet von der Folter im Fernsehen vorgeführt wurde, einen Selbstmordversuch unternommen habe. Vergès geht dieser Sache nach und zitiert mal wieder René Faligot, der in der oben genannten Zeitung zum Attentat am Flughafen schreibt:

Auch hier soll, laut französischer Geheimdienste, die Spitze des Nachrichten- und Sicherheitsdienstes verantwortlich sein.29

Vergès geht die Protokolle der Prozeßverhandlungen durch und gibt einige Aussagen der Beschuldigten wieder. Darunter befindet sich auch die Hocines. Dieser berichtet:

Gott ist Zeuge, daß ich in keiner Beziehung zu der Flughafenangelegenheit stehe. […] Zweimal bin ich im Zustand des Komas nach Ain-Naadja (militärisches Krankenhaus) gebracht worden. […] An diesem Tag hat man mich, sobald ich vom Krankenhaus zurückgekehrt war, direkt nach Hydra gebracht, um mich wieder zu verhören. Ich habe geantwortet: ‘Ich schwöre, daß ich nichts mit der Flughafenangelegenheit zu tun habe’. Sofort bekam ich einen Faustschlag auf den Schädel und mir wurde gesagt: ‘Jetzt trink dein Blut’. Zum Glück hat ein Offizier gesagt, man solle mich nach Ain-Naadja bringen. Hätte man mich gefragt, ob ich mein Vater, meine Mutter, Boudiaf getötet hätte, ich hätte ja gesagt. […] Der Richter antwortet, dies alles sei nicht im Untersuchungsprotokoll aufgeführt, und daß er sich die Verletzung am Kopf selbst zugezogen habe, indem er den Kopf gegen die Wände geschlagen hätte. […] Zu einem anderen Zeitpunkt sagt Hocine: ‘Ich bin am 6. September festgenommen worden’. Der Richter erwidert: ‘Im Protokoll der Polizei steht, daß du am 6. Oktober festgenommen und am 8. dem Richter vorgeführt wurdest. Hocine antwortet: ‘Was! am 6. Oktober! Und am 8… Für Sie Herr Präsident ist es ein Protokoll der Polizei. Für mich ist es ein Protokoll der Folter. Und dann haben sie den Mut zu sagen, ich sei wirklich am 6. Oktober festgenommen worden?’ Unter diesen Bedingungen wird Hocine Abderrahim am 27. Mai 1993 zum Tode verurteilt und am 31. August 1993 hingerichtet.30

Vergès erwähnt eine weitere Person, die vom Gericht vernommen wurde. Dieser gibt an, 34 Tage lang gefoltert und… kastriert worden zu sein! Er wird zu drei Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, während diejenigen, die ihn verstümmelt haben, nicht belangt werden.31 Ein anderer Fall betrifft Soussène Said, der als Kopf des Attentats präsentiert und von dem behauptet wird, er habe sich am 26. August am Flughafen befunden. Vergès fragt: « Wie konnte er dort sein, wenn er seit dem 18. August 1992 im Gefängnis war? »32 Er wird trotzdem angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet.33

 

 

1 Abed Charef, Octobre, 136.

2 idem, 153.

3 « Als humanitäre Organisationen anfingen, auf die offenkundigen und zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte hinzuweisen, gelang es den Propagandisten des Regimes und ihren Unterstützern aus ‘demokratischen’ Kreisen, die Aufmerksamkeit dauerhaft auf die Greultaten, die den Islamisten zugeschrieben wurden zu lenken: Mordanschläge auf Intellektuelle, Ausländer und Journalisten, vergewaltigte Frauen mit durchgeschnittener Kehle – ein Szenario des Grauens, das wohl zuerst dazu diente, die westlichen Länder zu überzeugen, daß sie das Regime, wenn schon nicht offen zu unterstützen, so doch insgeheim zu fördern hätten. » Salima Ghezali, Hat Algerien seine Chance vertan?, Le Monde diplomatique, Februar 1996.

4 Abed Charef, Le Dérapage, 97.

5 wobei betont werden muß, daß selbst in dieser Phase immer wieder FIS-Aktivisten festgenommen, eingesperrt und gefoltert wurden (Vgl. X-1, Beispiel 2)

6 « Am 4. Juni 1991 kommt es in Algerien abermals zur Ausrufung des Ausnahmezustandes, nachdem die FIS am 25. Mai 1991 zum Generalstreik aufgerufen hatte. Streiks und Demonstrationen werden verboten und die Bearbeitung von politischen Anklagen vor Militärgerichten wird gestattet. », ai 10/92.

7 Abed Charef, Le Dérapage, 168.

8 Angesichts der massiven Repression setzt Abassi Madani der Armee ein Ultimatum von 48 Stunden, um aus den Städten abzuziehen, ansonsten würde er zur Rebellion aufrufen; Ali Benhadj rät Waffen zu horten und die Ausgangssperre zu mißachten. Le Dérapage, 170, 172 und Le Drame Algérien, 139.

9 ai Newsletter, 11/91. « Bereits seit dem Sommer 1991 wurden Tausende vermuteter FIS-Anhänger festgenommen, und innerhalb von sechs Wochen davon 2 600 aufgrund der Notstandsbestimmungen strafrechtlich belangt », ai 2/93.

10 Ali Haroun rechtfertigt nicht nur die Einrichtung der Lager, sondern er « erklärt am 10. Juli, daß die Eröffnung der Sicherheitszentren vom Menschenrechtsministerium gefordert und erreicht wurde! », Abed Charef, Le Dérapage, 171.

11 Séverine Labat, La « grève sainte » de Mai-Juin 1991, Le Drame Algérien, 138.

12 Viele Moscheen sind während des Freitagsgebets so überfüllt, daß die Besucher sich in den umliegenden Straßen aufhalten, in denen Matten ausgelegt und Lautsprecher installiert sind, damit die Predigten verfolgt werden können. Der damalige Minister für religiöse Angelegenheiten sagte: « Wir lassen nicht länger zu, daß Orte des Gebets von Mördern gebraucht werden. », SZ, 27. Dezember 1992.

13 SZ, 10. Februar 1992.

14 Khelladi, 148. Seitdem befindet sich Abdelkader Hachani im Gefängnis, ohne verurteilt worden zu sein.

15 TAZ, 13. Februar 1992.

16 Berliner Zeitung, 11. Februar ’92 und FR, 10. Februar 1992.

17 Pierre Dévoluy, Mireille Duteil, La poudrière, 111.

18 Abed Charef, Le Dérapage, 292.

19 Khelladi, 149.

20 Abed Charef, Le Dérapage, 306.

21 Sie drucken nicht nur Fotos der vermeintlichen « Terroristen » ab, sondern übernehmen kritiklos die offiziellen Darstellungen der staatlichen Stellen. So werden nicht selten extralegal getötete Menschen in der Presse als « Terroristen » bezeichnet (Bericht in Kap. VIII-3-4, Fall 11) oder willkürlich verhaftete Männer für den Mord an einer Persönlichkeit verantwortlich gemacht, noch bevor ein (Schein)-Prozeß dies feststellt. Der Journalist Hamid Barrada schreibt z.B. zu der Ermordung Kasdi Merbahs « Später verkündet man die Festnahme einiger armer Kerle, die als die Urheber der Operation vom 21. August 1993 vorgestellt werden. Eines Tages, als sie sich langweilten, kann man in einer staatlichen Tageszeitung lesen, beschlossen sie in einer Moschee, Kasdi Merbah töten zu gehen. », Hamid Barrada, 1993: Die Ermordung Kasdi Merbahs, Le Drame Algérien, 95. Die Aussagen, die unter der Folter erpreßt wurden, werden von der Presse ohne jede Spur der Skepsis weitergegeben, wie im Fall der angeblichen Verantwortlichen des Flughafenattentates (Vgl. VI-6). « ‘Ein anderer Mann (…) war der Imam von Boumerdès, genannt Houmi Mohamed Arezki, ein Kabyle, dem man lebend die Augen ausriß. Sie haben ihn im Folterzimmer sterben lassen. Später schrieb die algerische Presse über ihn als einen Terroristen, der während eines bewaffneten Zwischenfalls mit der Polizei erschossen wurde.' » Zitiert in Robert Fisk, The Independent, 4. Februar 1994. Die Beispiele lassen sich unendlich weiterführen. Es sei hier nur noch bemerkt, daß in regelmäßigen Abständen Zeitungen wie El Watan, Liberté, L’authentique und Le Matin Hetzjagden auf vermeintliche Islamisten machen, indem sie namentlich Personen anführen, die darüber hinaus Harkis oder Söhne von Harkis sein sollen (als Harki wurden die Algerier bezeichnet, die während des Befreiungskrieges mit der kolonialen Armee kollaborierten). Viele Betroffene haben Anzeige erstattet. Nicht selten wird eine Person für tot erklärt (von Terroristen umgebracht), die später eine Richtigstellung von der Zeitung fordert, siehe El Watan, 15. Oktober 1994.

22 Gudrun Harrer, Hier gibt es doch keinen Krieg, Basta!, FR, 27. März 1995.

23 Über die Staatsmonopole und den Druck, der dadurch auf die Presse ausgeübt wird, siehe Le Drame Algérien, 160.

24Jacques Vergès, Lettre ouverte, 37. Darin zitiert er René Faligot aus Journal du Dimanche, 28. August 1993.

25 Hamid Barrada, Le système a assassiné Mohammed Boudiaf, Le Drame Algérien, 143.

26 La Croix, 13. Mai 1995 zitiert in: Comité Algérien des Militants Libres de la Dignité Humaine et des Droits de l’Homme, Livre Blanc sur la répression en Algérie (1991-1995), Band 2, Plan les Ouates, 1996,17.

27 Jacques Vergès, 37.

28 Abed Charef, Le Dérapage, 448.

29 Vergès, 38.

30 idem, 39-41.

31 idem, 45f.

32 idem, 46.

33 Siehe auch José Garçon, L’attentat de l’aéroport, Le Drame Algérien, 181.

 

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