V Algerien unter dem Diktat des IWF und der internationalen Ölkonzerne
V Algerien unter dem Diktat des IWF und der internationalen Ölkonzerne
Als Ende der achtziger Jahre Algerien nicht mehr zahlungsfähig war, schritt der IWF (Internationaler Währungsfond) ein, um ein Strukturanpassungsprogramm zu bestimmen. Die algerischen Wirtschaftsminister taten sich schwer damit, nicht nur die marode Wirtschaft umzustrukturieren, sondern vor allem sich die Kontrolle aus der Hand nehmen zu lassen. Der Schritt wurde schließlich unternommen, als deutlich wurde, daß die Sparpolitik weder ausreichen würde, um die notwendigen Lebensmittelimporte und Schuldenrückzahlungen zu tätigen, noch den Krieg zu finanzieren. Die Gläubigerländer schienen mit Krediten und politischer Unterstützung warten zu wollen, bis Algerien sich dem Diktat des IWF unterworfen hatte.1 Dies geschah, als der Premierminister Abdessalam Anfang 1994 abgesetzt und Mokdad Siffi zum Regierungschef ernannt wurde. Nun mußte das Land zwar Subventionen streichen, Gehälter kürzen, ArbeiterInnen und Angestellte entlassen, Fabriken schließen, Staatsbetriebe privatisieren,2 die Währung abwerten usw., genoß aber dafür den Rückhalt des Westens bei seiner Option des « totalen Krieges ». Geld gegen « Stabilität » lautet die Devise, die vor allem Frankreich zu verfolgen scheint und gegenüber den anderen europäischen Partnern vertritt. Nicht politische Reformen werden gefordert (außer als reine Lippenbekenntnisse), sondern der straffe Zugriff auf eine unzufriedene Bevölkerung, die ihre wirtschaftliche, soziale und politische Lage immer mehr verschlechtert sieht, sich aber auch zu artikulieren weiß.3 Doch diese « Großzügigkeit » der Gläubiger erweist sich bei näherem Hinschauen keineswegs als uneigennützig.
Im Jahre 1994 wurde der erste Vertrag mit dem IWF geschlossen worden. Kurz darauf erklärte sich auch der Club von Paris4 bereit, einen Betrag von 5,3 Mrd. Dollar auf 16 Jahre umzuschulden. Nun verfügt Algerien über mehr Devisen aus den Erdöleinnahmen und kann Konsumgüter und Waffen kaufen. Hinzu kommt die Vergabe von neuen Krediten, die aber nur zum Teil in produktiven Sektoren investiert werden. Insgesamt erhielt Algerien 1994 etwa 10 Mrd. DM.5 Am 22. Mai 1995 wird ein neuer Vertrag mit dem IWF unterzeichnet. Algerien erhält Kredite in Höhe von etwa 2,5 Mrd. DM zur Unterstützung des « mittelfristigen Anpassungs- und Strukturprogramms », und dafür verpflichtet sich die algerische Regierung ihrerseits, die Löhne zu verringern, die Nachfrage zu dämpfen, das Haushaltsdefizit zu halbieren und für eine Abwertung der Währung zu sorgen (der Dinar wurde schon im Vorjahr um 50% abgewertet). Der IWF zeigt sich in Bezug auf Algerien sehr optimistisch, obwohl bisher nichts auf eine Ankurbelung der Wirtschaft hindeutet.6 Aber Algerien befolgt seit dem Frühjahr 1994 die IWF-Rezepte und wird mit diesem zweiten Stand-by-Kredit über drei Jahre « belohnt ». Kurz darauf sind auch Verträge mit dem Club von Paris und von London7 geschlossen worden, durch die etwa die Hälfte der Schulden Algeriens umgeschuldet wurden.8
Es wird deutlich, daß die westlichen Staaten entschlossen sind, dem algerischen Regime « unter die Arme zu greifen », mit dem Ziel, daß die islamistische Bewegung unter Kontrolle gehalten wird. Doch die Intentionen des Westens sind zahlreich: mal ganz abgesehen davon, daß sich die Umschuldungspolitik unterm Strich für die « Geberländer » bezahlt macht, sichern sie sich gewisse Rechte vor allem in der Erdöl- und Erdgasproduktion und -beförderung.9 Zudem darf nicht vergessen werden, daß die Emigration der AlgerierInnen eine weitere große Befürchtung für Europa ist. Die Region insgesamt müsse « stabilisiert » werden, da ein Umsturz in Algerien große Auswirkungen auf die Nachbarländer haben könnte. Um auf den ersten Punkt zurückzukommen, so können wir am Beispiel Frankreichs sehen, wie die französischen « Hilfen » vor allem für Frankreich selbst von Nutzen sind: ein Teil der gewährten 10 Mrd. Francs für 1995 dient der Investitionen im Erdölbereich, eine Art der Sicherung künftiger Einnahmen und der Schuldenrückzahlungsgarantie. Außerdem ist ein Teil dieses Kredits gebunden an die Lieferung französischer Produkte, zu Preisen, die 30-40% über den Weltmarktpreisen liegen.10 Hinzu kommt, daß Algerien durch die Umschuldung wieder über mehr Devisen aus dem Erdölexport verfügt und also wieder mehr importiert, vor allem aus Frankreich. Letztes Jahr verzeichnete der französische Handel mit Algerien einen Plus-Saldo von 5 Mrd. Francs. Der Aufschub der Rückzahlungen sollte zwar eine Reaktivierung der Wirtschaft mit sich bringen, und ausländische Investitionen zur Folge haben, doch das politische Klima ist derart schlecht, daß außer dem « schnellen Geld », das durch den Handel gemacht wird, sich kaum Firmen niederlassen, um Produktionsstätten einzurichten. Der einzige Bereich, in dem ausländische Firmen aktiv sind, ist die Erdöl- / Erdgasprospektion und -förderung.11 Diese Vorhaben finden vor allem in entlegenen Regionen der Sahara statt und werden rigoros von der algerischen Armee bewacht.12 Spätestens ab dem Jahr 2000 muß Algerien mit den jetzt aufgeschobenen Rückzahlungen beginnen. Doch ohne politische Stabilität ist keine ökonomische Dynamik in Aussicht und eher noch eine zunehmende Verschlechterung der Lebensbedingungen zu erwarten. Die FIS hatte angekündigt, daß sie sich an die Verträge, die nach dem Abbruch der Wahl geschlossen wurden, nicht halten würde und formulierte eine heftige Kritik an der IWF-Politik. Sie beschuldigt den IWF, den Ausverkauf des Landes vorbereitet zu haben. Die PT (Arbeiterpartei) setzt sich ebenfalls für eine Nicht-Rückzahlung der Schulden ein.
1 Jeune Afrique, 12-18. Januar ’95. Mitterweile sieht dies anders aus, wie die letzte Vergabe von Krediten bezeugt: u.a. Umschuldungsvertrag mit den USA vom 27. März 1996 über 1 Milliarde Dollar (Le Monde, 29. März 1996) und Gewährung eines Kredits über 400 Mio. Dollar mit der Auflage, mehrere Staatsunternehmen und eine Bank zu privatisieren, Le Monde, 10. April 1996.
2 « Unter der Aufsicht des Innenministeriums werden derzeit in mehreren Provinzen insgesamt 54 Abteilungen der Staatsbetriebe, der Entreprises Publiques Économiques (EPE) umstrukturiert. Bei den Betrieben – vorwiegend im Dienstleistungsbereich, im Kleingewerbe, in der industriellen Produktion, in der Landwirtschaft und im Tourismus – werden Subventionen abgebaut und neue Unternehmensführungen nach westlichem Modell eingesetzt. » FAZ, 11. Dezember 1995.
3 Z.B. sollte ein im Februar 1996 ausgelöster Streik den Protest gegen die Ankündigung der Regierung zum Ausdruck bringen, den Angestellten und Arbeitern aus dem öffentlichen Dienst einen Teil ihres Lohnes für die seit einem Jahr unbezahlten 200 000 Beamten einzuziehen. Le Monde, 16. Februar 1996 und 3. April 1996.
4 Informelles Gremium der wichtigsten westlichen Kreditgeberländer, das sich auf Antrag eines Schuldnerlandes trifft, um z.B. über Umschuldungen zu verhandeln.
5 Le Monde, 4. Juli 1995.
6 Der algerische Finanzminister Ahmed Benbitour sieht trotzdem den Erfolg des Aufbauprogramms gesichert. Es gliedert sich in drei Teile: Anstoß des Wachstums durch vermehrte und liberalisierte Importe, Reform der Industrie und schließlich Engagement in- und ausländischer Privatfirmen. Die ersten beiden Teile – so Benbitour weiter – müßten zuerst verwirklicht werden und dafür sei eine Lösung der Sicherheitsprobleme nicht notwendig. » Nachrichten für Außenhandel, 30. Mai 1995.
7 Gremium der Geberbanken, die über Modalitäten der Vergabe oder der Rückzahlungen von Krediten debattieren.
8 Vertrag mit dem Club von Paris über einen Betrag von 7,5 Mrd. $, der zwischen 1995 und 1998 fällig gewesen wäre. Die neuen Zahlungsverpflichtungen sind auf 13 Jahre verteilt, davon 4 Jahre Nachfrist. Mit dem Club von London wurde ein Vertrag über 3,2 Mrd. $ unterzeichnet, mit dem die Zahlungen auf 16 Jahre festgelegt werden. In: Mounir Aziz, Yacine Taibi, Algérie 2000, Tunesien, 1995, 71.
9 In drei Jahren wurden mit etwa 15 amerikanischen Konzernen Verträge abgeschlossen. Le Monde, 7.-8. Januar 1996. « Große westliche Mineralölkonzerne drängen nach Algerien. Nach dem Wahlsieg von Präsident Liamine Zeroual hat der Wettlauf um lukrative Verträge mit dem nordafrikanischen Land begonnen. » BP hat ein Dreimilliarden Kontrakt über Erschließung und Gewinnung von Erdgas abgeschlossen. Es ist ein Vertrag auf 30 Jahre, « der die weltweite Gasförderung der Briten auf 30% steigern dürfte ». Der amerikanische Konzern Arco hat über eine Milliarde Dollar investiert in ein Vorkommen, das ihm 600 Millionen Barrel sichert. Die französische Total hat Vorkommen im Südosten des Landes in Aussicht und verhandelt mit den algerischen Firmen Sonatrach und Repsol. FR, 5. Januar 1996. « Insgesamt wird Algerien in der Lage sein seine Gasexporte zu verdoppeln. Spezialisten erwähnen die Zahl von 65 Milliarden Kubikmeter für Anfang des nächsten Jahrzehntes, gegen etwa 31 Milliarden 1994 » Jeune Afrique, 31. Januar-6. Februar 1996.
10 Moussa Ait-Embarek, L’Algérie en murmure, Plan les Ouates, 1996, 122. Frankreich ist erstes Importland mit einem Drittel des algerischen Marktes und einer Importsteigerung von 12% gegenüber dem Vorjahr, Algerien steht an 13. Stelle als Kunde Frankreichs und ist die Nummer 1 unter den « Entwicklungsländern ». Algerien importiert mehr französische pharmazeutische Produkte als das übrige Afrika. Der algerische Markt für Saatgut übersteigt bereits den französischen! Siehe in Le Monde, 4. Oktober 1995.
11 Das staatliche Unternehmen Sonatrach machte durch die Erdöl- und Gasförderung vor 1991 7,65% Profit und der algerische Staat 85%. Die ausländischen Firmen und Staaten erhielten 7,35% der Gewinne. Heute erhält die Sonatrach nur noch 0,3%, der algerische Staat 50,7% und die ausländischen Firmen 49%. Moussa Ait-Embarek, 121.
12 Vier Sperrgebiete (zones d’exclusion) wurden eingerichtet, die von der Armee kontrolliert werden. « Die ausländischen Firmen schicken praktisch keinen Westler mehr nach Algerien, außer die mit der Sicherheit betrauten Söldner. Die große Mehrheit der ausländischen Arbeitnehmer sind aus Asien und Osteuropa. » Le Monde, 16. Februar 1996. An die 1 500 Franzosen arbeiten unter Hochsicherheitsschutz auf den großen Erdölfeldern, Le Monde, 28. März 1996.