XV Situation der algerischen Flüchtlinge in anderen europäischen Ländern
XV Situation der algerischen Flüchtlinge in anderen europäischen Ländern
Wir haben im Zuge dieses Projektes ai-Stellen in verschiedenen Ländern angeschrieben und sie gebeten, uns Informationen über die Asylrechtsprechung und die Behandlung von algerischen Flüchtlingen zu übermitteln. Zu diesem Zweck hatten wir einen kleinen Fragekatalog zusammengestellt, der leider nicht von allen von uns angeschriebenen Büros beantwortet wurde.
XV-1 Frankreich
1993 sind 2673 Algerier ausgewiesen worden, 1994 waren es etwa 3500. Für 1995 liegen keine Zahlen vor.
Die Algerier, die keinen Flüchtlingsstatus erhalten, werden angewiesen, innerhalb eines Monats Frankreich zu verlassen. Wenn sie dies nicht tun, kann eine Anweisung des Präfekten die Rückführung zur Grenze veranlassen. In einer getrennten Entscheidung muß der Präfekt den Zielstaat festlegen Das Gesetz sieht eine Frist von nur 24 Stunden, um beim Verwaltungsgericht diesen Beschluß annullieren zu lassen.
Es gibt auch Rückschiebungen an der Grenze. Informationen des Innenministeriums zufolge sind 1993 5 300 Algerier an den französischen Luft-, Land- und Seegrenzen (von 57 000 Ausländern) zurückgeschoben worden.
Diejenigen, die nicht ausgewiesen werden, können eine Art Duldung erhalten (asile territorial). Diesbezüglich gibt es jedoch kein Gesetz, sondern es handelt sich um eine Art von vorübergehender Aufenthaltserlaubnis, deren Erteilung dem freien Ermessen des Innenministeriums überlassen ist. Sie gilt für 3 oder 6 Monate und kann verlängert werden. Dieser prekäre Duldungsstatus verbietet es zu arbeiten, außer bei Vorlage eines Arbeitsangebotes. Die Präfekturen erteilen diese Duldungen nur an Personen, die legal in Frankreich eingereist sind (Visa) und die eine Gefährdung durch islamistische Gruppen glaubhaft machen können.
Wir haben keine Information über die Anzahl über die erteilten Duldungen. Die Zahlenangaben des Innenministeriums schwanken zwischen 10 000 und 18 000 Duldungen. In Wirklichkeit scheint die Zahl weitaus geringer zu sein und nur ein paar Tausend zu betragen.
1992 wurden von 504 Entscheidungen 15 als politische Flüchtlinge anerkannt (3%), 1993 wurden von 879 Entscheidungen 14 anerkannt (2%), 1994 waren es 18 von 1451 (1%) und schließlich 1995 15 von 2028 (unter 1%).
Die Personen, die eine gewisse Chance haben, als Flüchtlinge anerkannt zu werden, sind Staatsfunktionäre, Intellektuelle und Frauen, allerdings ist kein Anerkennungsmodus auszumachen. Die Asylbewerber müssen im Sinne der französischen Interpretation des Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention staatlicherseits verfolgt werden: d.h. die Verfolgungen müssen von den algerischen staatlichen Behörden gefördert, zumindest aber geduldet werden. Die Personen, die von islamistischen Gruppen verfolgt werden, können nur anerkannt werden, wenn sie dieses überzeugend vortragen. Ergebnis: die Zahl ist sehr gering. Ein Justizbeamter und eine Anwältin wurden von einer Berufungskommission für Flüchtlinge aus oben genannten Gründen anerkannt.
Es gibt einen Geheimvertrag zwischen beiden Regierungen, der am 28. April 1994 unterzeichnet wurde. Dieser erlaubt den Konsulaten Laissez-Passers auszustellen, wenn die Staatsangehörigkeit einer Person ohne Papiere nicht nachgewiesen werden kann, von der aber vermutet wird, sie sei aus Algerien. Durch diesen Vertrag sind die französischen Behörden bevollmächtigt, selbst – mit verschiedenen Mitteln – den Beweis für eine algerische Staatsangehörigkeit beizubringen.
Seit Oktober 1994 erteilen die französischen Botschaften in Algerien keine Visa mehr. Die Antragsformulare können in verschiedenen Reisebüros bezogen werden und müssen nach Nantes (Bureau Visa Algérie) geschickt werden. Die Dauer der Bearbeitung ist « variabel ». Wenn sie die Genehmigung erhalten, werden die Personen in die Konsulate geladen, um diese abzuholen. 1995 wurden etwa 200 Visa am Tag ausgestellt (10% der Nachfrage). Etwa 75% der Anträge werden abgelehnt, weil die Akten unvollständig waren. Ein Rückgang der Nachfrage ist allerdings aufgrund der Verarmung zu verzeichnen, aber auch, weil die Flugverbindungen zwischen den beiden Ländern reduziert worden sind.
1992 wurden 619 Asylanträge gestellt, 1993 waren es 1098, die höchste Zahl wurde 1994 erreicht mit 2385 Anträgen, 1995 sank die Zahl auf 1537 für die neun ersten Monate. Die meisten Asylbewerber erwähnen eine Verfolgung von islamistischen Gruppen, und deswegen erhalten sie kein Asyl auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Das Prinzip der « geduldeten Verfolgung » von algerischen Behörden wird manchmal angewandt, um den Status des Flüchtlings zu gewähren. Doch ist dies eher die Ausnahme.
XV-2 Niederlande
Grundsätzlich werden die Asylanträge algerischer Asylbewerber genauso behandelt wie alle anderen, doch ist der prozentuale Anteil von Algeriern, die als Flüchtling anerkannt werden, bzw. eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, niedriger als der Prozentsatz für alle Nationalitäten.
Im Jahre 1995 beantragten 651 Algerier in den Niederlanden Asyl. Im selben Jahr wurden vier Algerier als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Zehn Algerier erhielten eine Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen; acht Algerier erhielten eine befristete Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen. 681 Anträge von Algeriern wurden abgelehnt, darunter 350 als « offensichtlich unbegründet ».
Das holländische Justizministerium gab mit einem Schreiben vom 20. Oktober 1994 bekannt, daß abgelehnte Asylbewerber aus Algerien wegen der dort herrschenden kritischen Menschenrechtslage nicht dorthin abgeschoben werden sollen. Diese Regelung beinhaltet drei Ausnahmen:
1. Algerier, die in den Niederlanden oder anderen Ländern Straftaten begangen haben,
2. Personen, die behaupten Algerier zu sein, deren Nationalität jedoch nicht glaubhaft ist,
3. Algerier, die in die Niederlande über ein Land der EU eingereist sind.
Als Folge mehrerer Gerichtsurteile wurde der Punkt 3. vom Justizministerium am 12. Juli 1995 zurückgezogen.
Aufgrund dieser Politik werden die meisten algerischen Asylbewerber zwar nicht aus den Niederlanden ausgewiesen, besitzen aber keinen legalen Status. Algerier mit Vorstrafen und Illegale, die keinen Asylantrag gestellt haben, werden abgeschoben.
Normalerweise werden Algerier ohne Reisedokumente, die aus den Niederlanden abgeschoben werden sollen, von der Polizei zur algerischen Botschaft in Den Haag gebracht, damit ihnen dort ein Laissez-Passer ausgestellt wird. Sie werden von Botschaftsangestellten befragt, um ihre Nationalität festzustellen. In einigen Fällen folgt noch eine Untersuchung in Algerien. Manchmal dauert die Ausstellung eines Laissez-Passers länger und der Flüchtling wird in Haft gehalten. In einem Fall dauerte diese Haft siebeneinhalb Monate. Sie wurde schließlich per Gerichtsbeschluß beendet, da nicht vorauszusehen war, wann die Botschaft einen Laissez-Passer ausstellen würde.
Das holländische Justizministerium führt keine Statistik über die Anzahl der tatsächlich in ihr Heimatland abgeschobenen Algerier. Nach Kenntnisstand von ai-Niederlande sind im vergangenen Jahr 151 abgelehnte Asylbewerber aus den Niederlanden ausgewiesen worden. Sie verließen das Land unter Anwendung von Zwang oder unter Aufsicht. Es ist uns nicht bekannt, wieviele dieser Personen direkt nach Algerien abgeschoben wurden. Desweiteren wurden 495 andere Algerier (keine Asylsuchenden) von den Niederlanden abgeschoben.
Es gibt keine Vereinbarung bzw. keinen Vertrag zwischen den Niederlanden und Algerien bezüglich der Repatriierung algerischer Asylsuchender.
XV-3 Schweiz
1995 wurden 48 Algerier in ihre Heimat rückgeführt. Die Asylanträge werden meistens negativ beantwortet aus zwei Gründen:
– Der Antragsteller kann keine staatliche Verfolgung nachweisen.
– Seine Begründung wird als unglaubwürdig erklärt.
In der Regel werden algerische Asylsuchende vorläufig aufgenommen, d.h. daß sie aus folgenden Gründen nicht ausgewiesen werden:
– Technische Gründe: die Person kann weder nach Algerien noch in einem Drittstaat ausgewiesen werden,
– völkerrechtliche Unzulässigkeit der Ausweisung: die Person entspricht dem Flüchtlingsstatus, aber ihr wird aufgrund von Asylunwürdigkeit in der Schweiz das Asyl verweigert (z.B. Terrorist),
– Unzumutbarkeit der Ausweisung: wenn die Abschiebung eine konkrete Gefahr darstellt (Art. 3 der EMRK).
1994 ist kein einziger Asylantrag bewilligt worden.
1995 wurden 12 der 388 Asylgesuche von algerischen Staatsangehörigen positiv entschieden. 155 waren am 31. Dezember 1995 noch anhängig.
Nach Kenntnissen der ai-Sektion in der Schweiz gibt es kein Rückführabkommen zwischen der Schweiz und Algerien.
XV-4 Schweden
1995 stellten 81 AlgerierInnen Asylanträge in Schweden, 8 % von ihnen bekamen Aufenthaltserlaubnisse verschiedener Formen und ein Drittel von diesen wurde aus humanitären Gründen geduldet und zwei Drittel, weil sie nahe Verwandte in Schweden haben. Keiner von ihnen bekam einen Aufenthaltsstatus als politischer Flüchtling. Es gibt kein bilaterales Rückführungsabkommen zwischen Schweden und Algerien. Da es keine algerische Botschaft in Schweden gibt, befindet sich die zuständige algerische Botschaft in Kopenhagen. Diese stellt die Reisepässe aus, aber es ist nicht bekannt, wieviel Zeit sie dafür benötigt und wie sie arbeitet.
Algerische Flüchtlinge sind von einer Inhaftierung vor der Abschiebung nicht in besonderer Weise betroffen.