XIII Die letzte Station: Abschiebungshaft
XIII Die letzte Station: Abschiebungshaft
Wie wir bereits dargestellt haben, ist die Chance für algerische Flüchtlinge, in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt oder zumindest geduldet zu werden, sehr klein.
Zur Ausreise verpflichtete Algerier, die der Aufforderung der zuständigen Ausländerbehörde, ihre Ausreise zu « besprechen » nicht zügig nachkommen, werden zur Fahndung ausgeschrieben. Nur wenn sie zur Mitarbeit bereit sind, Anträge für die Laissez-Passers ausfüllen etc., bekommen sie eine Duldung, bis die Reisedokumente vorliegen. Algerische Flüchtlinge, die mit Paß eingereist sind, können, sofern der Paß noch gültig ist, sofort abgeschoben werden. Sollte ein Flüchtling sich nicht melden, sich nicht um die Ausreise bemühen, nicht an seinem Wohnort angetroffen werden usw., reicht das für die Verhaftung und die Anordnung von Abschiebungshaft durch das Amtsgericht aus.
Die Möglichkeit einer sogenannten « freiwilligen Ausreise » ist in der Regel nicht gegeben, da die Flüchtlinge ohne Paß und Visum nicht auf dem Landweg zurückkehren können. Und oft fehlt es am guten Willen der Ausländerbehörden, einen « akzeptablen Rückweg » ausfindig zu machen. Bisher haben algerische Flüchtlinge, die nicht in ihre Heimat zurückkehren können, trotz vermehrter Anfragen bei den Auslandsvertretungen verschiedener Staaten weltweit, noch keine Fluchtalternative ausfindig machen können. Das einzige Land, in das algerische Staatsbürger mit gültigem Paß aber ohne Visum einreisen können, ist Tunesien. Allerdings, ist der Aufenthalt in Tunesien auf drei Monate beschränkt, und Algerier werden von den tunesischen Sicherheitskräften beobachtet und kontrolliert und werden, sofern sie sich illegal aufhalten, nach Algerien abgeschoben.
Die Lage in Algerien und der Umstand, daß es, einmal in Deutschland angekommen, eben tatsächlich keine mehr Fluchtalternative gibt, zwingt viele AlgerierInnen dazu, unterzutauchen und ein Leben in der Illegalität zu führen.
Illegal in Deutschland zu leben ist schwer. In einigen Städten gibt es ständig Razzien, vor allem an Orten, an denen sich überwiegend AusländerInnen aufhalten. Darüber hinaus werden ausländisch aussehende Menschen wesentlich häufiger von der Polizei angehalten und kontrolliert, als etwa « weiße » Deutsche. So geraten viele Flüchtlinge aus Algerien in Abschiebungshaft.
Natürlich kann z.B. auch ein Termin bei der Ausländerbehörde eine Inhaftierung zur Folge haben. Die Abschiebungshaft betrifft keineswegs nur Menschen, die bereits untergetaucht sind und ein Leben in der Illegalität führen.
Die Lage algerischer Abschiebungshäftlinge ist katastrophal, sie warten meist monatelang, bis sie abgeschoben werden, bzw. das Glück haben, wieder entlassen zu werden, um das Leben in Deutschland mit einem prekären Aufenthaltsstatus vorübergehend fortführen zu können.1
XIII-1 Was ist Abschiebungshaft?
Bevor wir auf die besondere Situation algerischer Flüchtlinge eingehen, ein paar Worte zu Abschiebungshaft allgemein:
Abschiebungshaft ist keine Strafhaft, d.h. sie setzt weder ein strafbares Verhalten voraus, noch hat sie repressiven Charakter.2 Es handelt sich vielmehr um eine präventive Maßnahme, um die Abschiebung zu sichern. Die Haft dient dem Ziel, « den Ausländer jederzeit für die Abschiebung zur Verfügung der Ausländerbehörde zu halten. »3
Abschiebungshaft kann angeordnet werden, wenn der/die Betroffene unerlaubt eingereist ist, oder wenn der begründete Verdacht besteht, er/sie, werde sich der Abschiebung entziehen.4 Die Haft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden und (nur) in Fällen, in denen der/die Betroffene seine/ihre Abschiebung verhindert, um weitere 12 Monate verlängert werden (§ 57 Abs. 3 AuslG).5 Die Praxis der letzten Jahre hat leider gezeigt, daß die Maximaldauer von 18 Monaten Freiheitsentzug nicht nur auf dem Papier steht.6Zwar liegt die durchschnittliche Haftdauer in der Regel unter einem Monat. Solche Zahlen sagen jedoch nichts darüber aus, wie viele Flüchtlinge für eine wesentlich längere Zeit inhaftiert bleiben.7
Wie jede andere Freiheitsentziehungsmaßnahme darf die Abschiebungshaft nur von einem Richter angeordnet werden. Dieser sogenannte « Richtervorbehalt » hat folgenden Grund: es soll verhindert werden, daß der schwere Eingriff in die Freiheit der Person allein von weisungsgebundenen Organen der Exekutive, in diesem Fall der Ausländerbehörde, abhängt. Die Praxis der Anordnung von Abschiebungshaft läßt jedoch befürchten, daß diese Verfahrensgarantie zu einer reinen Formsache verkommt.
Zum einen ist der Haftrichter an die der Ausweisung und Abschiebung zugrundeliegenden Verwaltungsakte gebunden, d.h., er darf nicht überprüfen, ob die Ausländerbehörde die Abschiebung zu Recht betreibt, dies ist Sache der Verwaltungsgerichte. Trägt z.B. ein Flüchtling bei seiner Anhörung vor, er habe Angst vor der Abschiebung, weil ihm in seinem Heimatland Gefahren für Leib und Leben drohen, so hat das keinen Einfluß auf die Entscheidung des Haftrichters, er könnte darin höchstens ein weiteres Indiz dafür sehen, der Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen.8
Zum anderen sind die Haftrichter oft hoffnungslos überlastet.9 In nicht wenigen Fällen ist die richterliche Anordung der Haft « mit Verfahrensmängeln oder dem Odium der Unverhältnismäßigkeit behaftet. »10 Das Vorbringen der Ausländerbehörden wird häufig ohne weitere Prüfung übernommen, gesetzlich vorgeschriebene Anhörungen von Ehegatten oder gesetzlichen Vertretern unterbleiben und die Frage, ob die Haftanordnung, etwa im Falle von Krankheit, noch verhältnismäßig ist, wird in der Regel nicht in die Beurteilung einbezogen. Die mündlichen Anhörungen sind meist sehr oberflächlich und beschränken sich manchmal auf die Feststellung der Identität. Das hat zur Folge, daß die Betroffenen oft gar keine Möglichkeit haben, die Vermutung, sie wollten sich der Abschiebung entziehen, zu widerlegen. So ist es z.B. fraglich, ob sich jeder, der sich nicht an dem ihm zugewiesenen Ort aufhält, beabsichtigt unterzutauchen. Grund für einen Ortswechsel könnte z.B. auch ein Besuch bei Freunden oder Verwandten sein. Oft sind die Menschen auch nie richtig über die Konsequenzen, die das Verlassen der Unterkunft haben kann, informiert worden, und es kommt häufig vor, daß die Betroffenen erst anläßlich ihrer Verhaftung erfahren, daß ihr Asylantrag abgelehnt wurde und sie bereits zur Ausreise verpflichtet sind.
An einigen Amtsgerichten ist es die Regel, daß die Betroffenen nur anläßlich ihrer Inhaftierung mündlich angehört werden, steht eine Haftverlängerung an, bleibt den Betroffenen lediglich die Möglichkeit, schriftlich zu dem Vorbringen der Ausländerbehörde Stellung zu nehmen. Das ist oft schon deswegen unmöglich, weil die Haftanträge den Betroffenen häufig erst wenige Stunden vor Ergehen des Haftbeschlusses zugestellt werden.
Gegen den Beschluß des Amtsgerichts kann sofortige Beschwerde beim Landgericht eingelegt werden. Der Inanspruchnahme von Rechtsmitteln stehen jedoch tatsächliche Hindernisse entgegen: während bei der mündlichen Anhörung vor dem Amtsrichter ein Dolmetscher anwesend ist, muß die Beschwerde schriftlich und in deutscher Sprache abgefaßt sein. In den Haftanstalten ist es jedoch kaum möglich, einen Übersetzer zu finden und sich über die Rechtslage zu informieren. Da viele Flüchtlinge nicht anwaltlich vertreten sind11 und nur wenige das Glück haben, Unterstützung von ehrenamtlichen HelferInnen zu bekommen, können sie die gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten kaum wahrnehmen. In Berlin gibt es noch eine weitere Hürde: bis das Landgericht zur Entscheidung kommt, vergehen meist viele Wochen. Oft ist in der Zwischenzeit bereits eine neue Haftanordnung durch das Amtsgericht ergangen, so daß das Landgericht in der Sache überhaupt nicht mehr entscheidet.
Ebenso wie die Anordnung der Haft ist auch der Vollzug zu kritisieren. Ganz gleich, ob die Betroffenen in Strafanstalten oder in speziellen Hafthäusern untergebracht werden, sind die Zustände unerträglich, die Haftbedingungen sind in der Regel weit schlechter als für Strafhäftlinge. So haben Abschiebehäftlinge keine Beschäftigungs- oder Arbeitsmöglichkeiten.
Die medizinische Versorgung ist oft völlig unzureichend. Bei der Anordnung bzw. Verlängerung der Haft wird meist keine Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Betroffenen genommen. Häufig werden auch chronisch kranke Menschen inhaftiert und so aus einer ärztlichen Behandlung herausgerissen. Einmal in der Haft haben sie nicht mehr die Möglichkeit, einen Arzt ihres Vertrauens aufzusuchen; häufig wird aus Kosten- oder « Sicherheitsgründen »12 die Einnahme der notwendigen Medikamente untersagt. Hinzu kommt natürlich die Haftsituation, die Schmerzen und körperliche Leiden verschlimmert. Menschen, die über Beschwerden klagen, werden manchmal von einem diesbezüglich völlig inkompetenten Wachpersonal verhöhnt und als Simulanten bezeichnet.13
Es gibt auch immer wieder Fälle von Mißhandlungen durch das Wachpersonal. Dabei haben die Gefangenen kaum eine Gelegenheit, sich über ihre Rechte zu informieren und sich gegen eine ungerechte Behandlung zur Wehr zu setzen.14
Schließlich kommt die besondere Situation von Abschiebehäftlingen hinzu: viele können nicht nachvollziehen, warum sie eingesperrt werden, auch das Ende der Haft bleibt unbekannt. Die Sorge um Familienangehörige in Deutschland oder in der Heimat, wie auch die Angst vor einer Abschiebung und einer ungewissen Zukunft tun ein übriges, um die psychische Belastung unerträglich werden zu lassen.
Die Mißstände in der Abschiebehaft sind inzwischen des öfteren in der Presse angesprochen und beklagt worden.15 Im Wesentlichen hat sich jedoch nichts geändert, vielmehr entsteht der Eindruck, die scharfe Gangart im Umgang mit unerwünschten AusländerInnen solle noch intensiviert werden. So soll z.B. das Asylverfahrensgesetz in der Weise geändert werden, daß die Stellung eines ersten Asylantrages nicht mehr zur Entlassung aus der Haft führt16. Die Haftkapazitäten werden weiterhin ausgebaut.17
XIII-2 Die Situation algerischer Flüchtlinge in der Haft
Etwa 20-30 % der Menschen in deutschen Abschiebehaftanstalten sind Flüchtlinge aus Algerien.18 Auf diese Menschen wartet oft ein « zermürbender monatelanger Nervenkrieg. »19 Algerische Flüchtlinge leiden ganz besonders unter übermäßig langen Haftzeiten und der Angst vor der Abschiebung.
Hinzu kommt die ständige Ungewißheit: niemand weiß, wie lange die Haft dauern wird, die Gründe für eine Entlassung oder Fortdauer der Haft sind oft kaum nachzuvollziehen. So weckt jeder Haftprüfungstermin erneut die Hoffnung auf eine Entlassung. Wenn dann das Amtsgericht die Verlängerung der Haft anordnet, folgen Tage der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Ein Algerier, der seinen Humor noch nicht verloren hatte, bat den Haftrichter, doch gleich 18 Monate anzuordnen, dann wisse er wenigstens von Anfang an, was er zu erwarten hat und werde nicht jedesmal von neuem enttäuscht.
Wer an der Beschaffung von Paßpapieren mitgewirkt hat, stellt sich fast täglich die Frage, ob die algerischen Behörden einen laissez-passer ausstellen werden, oder ob er vielleicht vorher entlassen wird. Welche Belastungen damit einhergehen, scheint den MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde völlig gleichgültig oder zumindest nicht bewußt zu sein. In Bezug auf einen Algerier, der bereits seit neun Monaten inhaftiert war, hieß es z.B.: « Na jetzt hat er nur noch zwei Monate bis zu seiner Abschiebung, das ist ja nicht mehr so lange hin. »
Viele stellen aus der Haft heraus einen Asylfolgeantrag und/oder einen Antrag beim Verwaltungsgericht auf Aussetzung der Abschiebung.20 Meist sind die Verfahren völlig aussichtslos, aber trotzdem die einzige Hoffnung, an der sich die Betroffenen festhalten können. Wenn nicht konkret ein Abschiebungstermin feststeht,21 können sich die Verfahren sehr in die Länge ziehen. In einem Fall dauerte es z.B. fast fünf Monate, bis das Verwaltungsgericht im Eilverfahren (!) über den Antrag auf Aussetzung der Abschiebung entschieden hatte.22 Zwar war der Betroffene bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor einer Abschiebung geschützt, er blieb jedoch weiterhin inhaftiert.
Besonders belastend ist aber vor allem die Angst vor der Rückkehr. Natürlich wissen auch Flüchtlinge aus Algerien um das, was ihnen bevorstehen kann. Einige haben auch von Freunden oder Bekannten gehört, die nach ihrer Ankunft in Algier gefoltert wurden oder spurlos verschwunden sind. Gerade in der Abschiebungshaft, wo die Menschen den ganzen Tag eingesperrt sind und keine Möglichkeit haben, sich durch irgendwelche Aktivitäten abzulenken, kreisen die Gedanken um die Abschiebung und die Frage, was danach kommen wird.
Die Angst vor der Rückkehr spielt jedoch im Abschiebungverfahren keine Rolle mehr; wie bereits erwähnt, hat der Haftrichter nur über die Haftgründe, nicht aber über die Rechtmäßigkeit der Abschiebung selbst zu entscheiden.23 Die Ausländerbehörde, die die Abschiebung betreibt, kann sich auf die Entscheidung des Bundesamtes berufen und ist in der Regel auch an diese gebunden (vgl. § 42 AsylVerfG). Und die Grenzschutzbehörde sieht sich schließlich als ausführendes Organ, dem keinerlei Ermessensspielraum zusteht. Dabei wird deutlich, daß die Verteilung der Zuständigkeiten im Ausländer- und Asylrecht nicht nur zur Folge hat, daß dieses Rechtsgebiet kaum mehr zu durchschauen ist. Ein weiteres Resultat ist, daß sich niemand mehr für das Schicksal der Flüchtlinge verantwortlich fühlt. Während das Bundesamt nichts mit der Durchführung der Abschiebung zu tun hat, sind die Fluchtgründe für die Entscheidungen der HaftrichterInnen, die BGS-Beamten und meist auch für die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde ohne Relevanz. So wird die Frage, warum einige Flüchtlinge von der Verschleierung ihrer Identität bis hin zur Gegenwehr am Flughafen24 alles probieren, um eine Abschiebung nach Algerien zu verhindern, oder warum sie immer wieder versucht haben, mit verzweifelten Aktionen auf ihre Lage aufmerksam zu machen, nicht gestellt. Statt dessen wird immer wieder das « renitente Verhalten » der Algerier und ihre hohe Gewaltbereitschaft beklagt; eben eine Frage der Mentalität. Menschen, die irgendwann durchdrehen, weil sie ihre Lage einfach nicht mehr aushalten, wird nicht geholfen. Statt dessen werden sie aus « Sicherheitsgründen » oft in eine Einzelzelle oder in ein anderes Gefängnis verlegt. 25
XIII-2-1 Abschiebungshaft als Beugemittel
AlgerierInnen, die keinen Reisepaß besitzen, können nur nach Algerien abgeschoben werden, wenn die algerische Botschaft bzw. das Konsulat ein Paßersatzpapier ausstellt. Mit Drohungen wie: « Wenn Sie jetzt nicht unterschreiben, sitzen Sie hier 18 Monate » versuchen die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde, die Gefangenen zur Mitarbeit an der Paßbeschaffung zu bewegen.
In der Praxis wird von der Bestimmung des § 57 Abs. 3 AuslG, nach der die Haft über sechs Monate hinaus auf insgesamt 18 Monate verlängert werden kann, wenn der Betroffene seine Abschiebung verhindert, reichlich Gebrauch gemacht. Es liegt auf der Hand, daß die Abschiebungshaft in solchen Fällen nichts anderes als Beugehaft darstellt. Der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main schreibt hierzu:26
Allein zulässiger Zweck der Sicherungshaft ist die Sicherung der Abschiebung in den vom Gesetz in § 57 Abs. 2 AuslG vorgesehenen Fällen. Voraussetzung ist stets, daß die Ausländerbehörde die Abschiebung tatsächlich betreibt, denn nur dann besteht ein Sicherungsbedürfnis. Davon kann jedoch nicht mehr ausgegangen werden, wenn sich die Abschiebungsvorbereitungen der Ausländerbehörde darauf beschränken, abzuwarten, ob der Betroffene seine Angaben zur Person ändert.27 Wenn die Ausländerbehörde keine andere Möglichkeit zur Beschaffung von Rückreisedokumenten sieht, darf sie keinen Haftantrag mehr stellen oder aufrechterhalten. Entgegen der Meinung des Landgerichts kommt Abschiebungshaft nicht in Betracht, wenn mit der Haft das Ziel verfolgt wird, den betroffenen Ausländer zu einer Handlung zu bewegen.
Die Auffassung, daß Abschiebungshaft als Beugemittel nicht statthaft ist, wird von anderen höherinstanzlichen Gerichten geteilt.28 Allerdings hat u.E. bisher nur das OLG Frankfurt die daraus resultierende Feststellung getroffen: die Beantragung und Anordnung von Abschiebungshaft ist nur dann zulässig, wenn die Abschiebung auch ohne ein von den Betroffenen zu erzwingendes Verhalten durchgeführt werden kann. Gerade das ist aber bei algerischen Flüchtlingen, die keinerlei Papiere haben, nicht der Fall.
Viele Flüchtlinge sind nach einigen Monaten der Haft so zermürbt, daß sie sich zu der Mitwirkung an der Paßbeschaffung bereit erklären. Eine Rolle spielt dabei nicht nur die Aussicht, 18 Monate in Haft zu bleiben, sondern vor allem die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die dazu führen, daß die Menschen keine Kraft mehr haben und in bestimmten Momenten ihrem Schicksal nur noch gleichgültig gegenüberstehen. Aber auch wenn die Flüchtlinge alle Formulare ausgefüllt und die Fragen der Mitarbeiter des algerischen Konsulats beantwortet haben, kann es bis zur Abschiebung noch mehrere Monate dauern.
Andere Flüchtlinge bleiben bei ihrer Weigerung und versuchen die Zeit in der Abschiebungshaft irgendwie durchzuhalten. Zynisch klingt in diesem Zusammenhang die Äußerung des CDU-Abgeordneten im hessischen Landtag. Im Zusammenhang mit der Kasseler Gefängnisrevolte forderte er, auf eine strafrechtliche Verfolgung der Beteiligten zu verzichten, sein Argument: die Meuterer dürften nicht noch dadurch « belohnt » werden, daß ihre Straftat ihren Aufenthalt in Deutschland verlängere. Wenn die Abzuschiebenden merkten, daß solche Straftaten zu Aufenthaltsverlängerungen führten, seien weitere Straftaten in den Strafanstalten zu befürchten.29
Da die Abschiebungshaft nicht auf eine evtl. Straf- oder U-Haft angerechnet wird und das gleiche auch umgekehrt gilt, kann die Freiheitsentziehung durch das Zusammenspiel verschiedener Haftarten in manchen Fällen über die vorgesehenen 18 Monate hinaus verlängert werden. In der Regel wird bei ausgewiesenen Straftätern Abschiebungshaft als sog. Überhaft angeordnet. D.h. sobald der/die Betroffene aus der Strafhaft entlassen wird, kommt er/sie in Abschiebungshaft. Ein Haftgrund nach § 57 Abs. 2 AuslG wird oft mit der Begründung bejaht, die begangenen Straftaten ließen eine so rechtsfeindliche Energie erkennen, daß davon ausgegangen werden müsse, der Betroffene werde sich auch seiner Abschiebung widersetzen. Umgekehrt kommt es aber auch häufig vor, daß Menschen, die bereits seit mehreren Monaten in der Abschiebungshaft sitzen, plötzlich in die U-Haft verlegt werden. Grund für die Anordnung der Untersuchungshaft kann bereits ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz sein, z.B. illegaler Aufenthalt. In solchen Fällen ist anzunehmen, daß die Ausländerbehörden entweder Zeit gewinnen oder die Betroffenen noch mehr unter Druck setzen wollen.30 Natürlich wirkt eine solche Vorgehensweise auch verunsichernd und abschreckend auf Mitgefangene: niemand soll glauben, nach 18 Monaten sei erst einmal alles überstanden! Besonders erschreckend sind auch Äußerungen von MitarbeiterInnen der Berliner Ausländerbehörde wie: « Wenn Sie aus der U-Haft entlassen werden, dann fangen die 18 Monate Abschiebungshaft wieder von vorne an. » Natürlich entbehren derartige Drohungen jeglicher rechtlichen Grundlage, sie wecken jedoch bei Menschen, die ohnehin weitgehend das Vertrauen in die rechtsstaatliche Vorgehensweise deutscher Behörden verloren haben, die Vorstellung, diesen vollkommen wehrlos ausgeliefert zu sein.
XIII-2-2 Haftexzesse
Als Grund für die langen Haftzeiten für algerische Flüchtlinge wird in erster Linie das Verhalten der algerischen Behörden genannt, die ihrer Verpflichtung, eigene Staatsbürger zurückzunehmen, nur sehr zögerlich nachkommen, keine Paßersatzpapiere ausstellen und Abschiebungen nur in kleinen Gruppen zulassen. Unseres Erachtens sind es aber vor allem auch die deutschen Behörden, die die langen Haftzeiten zu verantworten haben. In nicht wenigen Fällen stellt die Ausländerbehörde einen Haftantrag, ohne zuvor geprüft zu haben, ob und wann eine Abschiebung möglich sein wird. Zwar hat die Ausländerbehörde bei der Frage der Inhaftierung kein Ermessen, jedoch ist sie gewiß nicht verpflichtet, einen Haftantrag zu stellen, wenn der/die Betreffende ohnehin erst nach vielen Monaten abgeschoben werden kann. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen die Ausländerbehörde schlichtweg schlampig arbeitet. Selbstverständlich geht es uns hier nicht darum, ein schnelleres und effektiveres Arbeiten der Behörden in Bezug auf die Abschiebung von Flüchtlingen anzumahnen. Solange jedoch die Fehler der Behörden zu Lasten der Betroffenen gehen und etwa aufgrund dessen die Abschiebehaft verlängert wird, soll darauf hingewiesen werden.
Die Anordnung bzw. die Verlängerung der Abschiebungshaft ist nur dann verhältnismäßig, wenn die Ausländerbehörde ihrerseits alles tut, um die Abschiebung in möglichst kurzer Zeit durchzuführen.31 So weist etwa das Oberlandesgericht Frankfurt darauf hin, daß ein möglicher Personalmangel keinesfalls zu Lasten der Betroffenen gehen darf. Den MitarbeiterInnen der zuständigen Behörden scheint nicht immer bewußt zu sein, wie schwerwiegend der Eingriff in das Leben der Betroffenen ist, zuweilen drängt sich sogar die Befürchtung auf, es werde mehr Energie darauf verwendet, einen Ausländer/eine Ausländerin in Haft zu behalten, als darauf, die Dauer der Freiheitsentziehung möglichst zu beschränken.
In Berlin ist es z.B. mehrmals vorgekommen, daß die Ausländerbehörde falsche Angaben gemacht hat, um eine Haftverlängerung zu erwirken. Es hieß z.B., eine Abschiebung sei vorübergehend nicht möglich, da zur Zeit alle Flüge nach Algier ausgebucht seien. Tatsächlich konnte die Abschiebung nicht durchgeführt werden, da die Botschaft nicht bereit war, einen laissez-passer auszustellen.
Zwar bemüht sich die Ausländerbehörde, Algerier, die keine Papiere haben, zur Mitarbeit an der Paßbeschaffung zu bewegen, ihre Bemühungen beschränken sich jedoch häufig auf die Drohung: « Wenn Sie nicht unterschreiben, dann bleiben Sie hier 18 Monate. » So wurde z.B. dem Hinweis eines Betroffenen, er habe bereits einen Antrag ausgefüllt, nicht weiter nachgegangen. Die Sachbearbeiterin meinte später hierzu, der Betroffene habe auch drei oder vier Anträge auszufüllen, wenn das von ihm verlangt werde. In einem anderen Fall gab die Ausländerbehörde an, die Abschiebung könne erst in fünf Wochen durchgeführt werden, da noch Visa für das Begleitpersonal vom BGS beschafft werden müßten. Selbst wenn diese Angaben richtig gewesen wären, hätte die Ausländerbehörde in diesem Fall prüfen müssen, ob eine Begleitung überhaupt notwendig gewesen wäre. Der Betroffene hatte nämlich zwei Wochen zuvor mitgeteilt, er sei bereit, « freiwillig » auszureisen.
Es gibt auch Fälle krasser Schlamperei. Uns ist etwa der Fall eines Algeriers bekannt, der seinen Paß bei Stellung seines Asylantrages abgegeben hatte. Nach fünf Monaten Abschiebungshaft wurde ihm die Abschiebung nach Algerien angekündigt, fand jedoch nicht statt. Die Ausländerbehörde schrieb in ihrem Antrag auf Verlängerung der Haft, die Abschiebung habe nicht durchgeführt werden können, da sich im Monat Ramadan die Flugzeiten derAir Algérie so verändert hätten, daß keine Abschiebung möglich gewesen sei. Nachfragen eines ehrenamtlichen Helfers haben jedoch ergeben, daß alle Flüge in der fraglichen Zeit planmäßig stattfanden. Laut Auskunft des polizeilichen Überführungsdienstes war die Abschiebung entgegen den Angaben der Ausländerbehörde auch nicht geplant, da keinerlei Papiere vorgelegen hätten. Erst nach sechs Monaten Haft und dreimaliger « folgenloser » Ankündigung der Abschiebung war der Paß plötzlich wieder da.
Gemäß § 57 Abs. 2 S. 3 AuslG ist die Abschiebungshaft unzulässig, wenn feststeht, daß aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Von dieser Bestimmung wird viel zu selten Gebrauch gemacht. In der Regel legt die Ausländerbehörde in ihrem Haftantrag nicht dar, in welchem Zeitraum eine Abschiebung möglich ist. Statt dessen täuschen unkonkrete Aussagen über die voraussichtlich lange Haftdauer oder die faktische Unmöglichkeit der Abschiebung hinweg. So heißt es z.B.: « Die Paßbeschaffung soll über den BGS Koblenz laufen », « demnächst wird der Betroffene einem Vertreter der algerischen Botschaft vorgeführt », « wir sind weiterhin bemüht, die Ausstellung eines laissez-passsers zu erreichen » usw.
Die Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 3 AuslG erhellt, daß die Abschiebungshaft nur in Ausnahmefällen länger als drei Monate dauern soll. Da sich inzwischen herausgestellt hat, daß algerische Flüchtlinge meist wesentlich länger inhaftiert werden, ganz gleich, ob sie die Mitwirkung an der Paßbeschaffung verweigern oder nicht, sollte die Beweislast bei der Ausländerbehörde liegen. D.h. nur wenn feststeht, daß die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann, ist die Anordnung der Abschiebungshaft zulässig.32 In diese Richtung geht ein Beschluß des Amtsgerichts Paderborn,33 das Gericht hob auf Antrag der Ausländerbehörde (!) den Haftanordnungsbeschluß auf, mit der Begründung, mangels einer konkreten Zusage auf Ausstellung eines Paßersatzpapieres durch die algerischen Behörden müsse zur Zeit von einem tatsächlichen Abschiebungshindernis ausgegangen werden.34
Die Situation algerischer Abschiebungshäftlinge soll noch einmal anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden:
Fall 1
K.M. aus Algerien war für die Dauer seines Asylverfahrens einer hessischen Unterkunft zugewiesen worden. Aufgrund von Streitereien mit anderen Flüchtlingen bat er um Umverteilung, die jedoch nicht so schnell durchgeführt wurde. Als er dann zusätzlich von einer Bande, die er für Agenten aus seiner Heimat hielt, bedroht und verprügelt wurde, setzte er sich nach Nordrhein-Westfahlen ab. Dort haben ihn die Bescheide des Bundesamtes nicht mehr erreicht und er hielt seinen Aufenthalt weiterhin für gestattet. Von seiner Ausreisepflicht erfuhr er erst nach seiner Festnahme. Aus Furcht vor Verfolgung wegen seiner oppositionellen Tätigkeiten und der Teilnahme an mehreren Demonstrationen in Algerien hat er sich geweigert, eine « freiwillige Heimreiseerklärung » zu unterschreiben. Er hat sich immer bereit erklärt, nach Frankreich oder in irgendein anderes Land auszureisen, auf keinen Fall aber nach Algerien. Die Haft wurde mehrfach verlängert. Nach 10 Monaten war K.M. so zermürbt, daß er alle von der Ausländerbehörde verlangten Anträge unterschrieb. Nach weiteren vier Monaten wurde K.M. nach Algerien abgeschoben. Obwohl er versprochen hatte, sich zu melden, gibt es seitdem keine Nachricht von ihm.35
Fall 2
R.S. war einem Heim in Brandenburg zugeteilt. Daß sein Asylverfahren bereits abgelehnt worden war, hat er nicht verstanden. Da er weiterhin fast ein Jahr lang in dem Heim gelebt hat, ohne jemals aufgefordert worden zu sein, sich um die Beschaffung von Reisedokumenten zu kümmern, hatte er auch keinen Anlaß, an der Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts zu zweifeln. Bei einem Besuch in Berlin wurde er inhaftiert und in Abschiebungshaft genommen. Da er sich dem Wehrdienst entzogen hatte und große Angst vor einer Abschiebung nach Algerien hatte, weigerte er sich zunächst, Paßanträge zu unterschreiben. Nach etwa drei Monaten füllte er dann doch alle Anträge aus und übergab sie seinem Anwalt, der sie der Ausländerbehörde weiterleitete. Diese behauptet dann, sie habe die Anträge erst zwei Monate später erhalten. Das Gegenteil konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Als nach sechs Monaten immer noch kein laissez-passer vorhanden war, hoffte R.S. entlassen zu werden. Der Haftrichter ordnete jedoch immer wieder eine Verlängerung an, obwohl die Anträge der Ausländerbehörde nur sehr spärlich begründet waren und der Anwalt von R.S. in einigen Fällen sogar nachweisen konnte, daß die Angaben der Ausländerbehörde falsch waren. Mehr als 11 Monate nach seiner Inhaftierung sollte R.S. nach Algerien abgeschoben werden. Er entzog sich der Abschiebung durch Flucht aus der Haftanstalt.
Fall 3
A.L. kam Ende 1993 aus Algerien über Frankreich nach Deutschland. In den Jahren 1991 hatte er sich als Student als aktives Mitglied der FIS an Demonstrationen beteiligt und Flugblätter verteilt. Er beantragte Asyl und wurde in ein Asylbewerberheim nach Sachsen geschickt. Nach der Ablehnung seines Asylantrages ging er Ende 1993 auf Umwegen nach Berlin. Dort wurde er in Abschiebehaft genommen. Aus Angst vor Verfolgung und Folter bei einer Abschiebung nach Algerien, weigerte sich A.L. seinen Paßantrag zu unterschreiben. Da er auf diese Weise seine Abschiebung verhinderte, blieb er insgesamt 16 Monate in Abschiebehaft. Nach einem Jahr Haft erklärte sich A.L. bereit, nach Tunesien auszureisen. Er unterschrieb jedoch weiterhin keinen Paßantrag, weil der Vertreter der algerischen Botschaft ihm nicht zusichern konnte, daß diese Unterschrift nicht auch für ein laissez-passer verwendet werden würde. Kurze Zeit später stellte die Ausländerbehörde Strafantrag gegen A.L. wegen illegalen Aufenthalts vor seiner Inhaftierung. Er kam in Untersuchungshaft und wurde nach knapp einem Monat zu einer Geldstrafe verurteilt. Direkt anschließend kam er wieder in Abschiebungshaft. Nach insgesamt 17 Monaten Haft wurde er entlassen, nachdem das Amtsgericht den Antrag der Ausländerbehörde auf Haftverlängerung ablehnte. Als Papier erhielt er die in Berlin übliche Grenzübertrittsbescheinigung. Einige Monate nach seiner Entlassung stellte die Ausländerbehörde erneut Strafantrag gegen A.L., diesmal wegen illegalen Aufenthalts in Deutschland in der Zeit nach seiner Entlassung.
Fall 4
B.B. kam 1993 nach Deutschland. Er hatte Algerien verlassen, weil sein Bruder sich für die FIS engagiert hatte und er aufgrunddessen Angst hatte, selbst inhaftiert und gefoltert zu werden. Sein Asylantrag würde als « offensichtlich unbegründet » abgelehnt. Einen Antrag auf Aussetzung der Abschiebung wurde vom Verwaltungsgericht Stuttgart zurückgewiesen. Nach sechs Monaten Abschiebungshaft in einer Containerzelle der Rottenburger Justizvollzugsanstalt rastete B.B. aus, laut Anstaltsleitung soll er tagelang geschrien und Bedienstete beleidigt und bedroht haben. Anstatt Hilfe zu bekommen, wurde er aus « Sicherheitsgründen » in das Tübinger Untersuchungsgefängnis verlegt. Bei einem Besuch des algerischen Generalkonsuls wurde er als algerischer Staatsbürger « identifiziert ». Jedenfalls war es der Ausländerbehörde scheinbar gelungen, Reisedokumente zu beschaffen, denn nach einem Jahr Abschiebehaft sollte B.B. nun nach Algerien abgeschoben werden, es gelang ihm jedoch, wie auch bei zwei späteren Abschiebungsversuchen, sich zur Wehr zu setzen. » Ich will lieber tot sein, als nach Algerien ausgeliefert zu werden », hatte er gesagt. Nach 16 Monaten Haft wurde er wiederum abgeholt und zum Flughafen gebracht. Ob B.B. tatsächlich nach Algier verbracht wurde, ist unbekannt. Während dieAir Algérie angibt, B.B. sei nicht geflogen meldeten die deutschen Behörden « Vollzug ».36
Die Monate in der Abschiebungshaft hinterlassen auch bei Flüchtlingen, die das Glück hatten, entlassen zu werden, tiefe Spuren. Das Gefühl « für nichts » monatelang in einer Zelle eingesperrt gewesen zu sein, die vielfältigen Demütigungen durch das Wachpersonal und die MitarbeiterInnen der zuständigen Behörden und die Momente der Verzweiflung können nicht so schnell vergessen werden. Es bleibt uns daher weiterhin völlig unverständlich, wie der Gesetzgeber anläßlich der Novellierung des Ausländergesetzes 1991 die Höchstdauer der Abschiebungshaft von 12 auf 18 Monate erhöhen konnte. Es scheint ganz gleichgültig zu sein, in welchem Zustand ein Mensch in sein Land abgeschoben wird.
XIII-3 Selbsttötungen und Revolten in Abschiebehaft
Die überdurchschnittlich lange Haftdauer (bis 18 Monaten), die extrem repressiven Bedingungen der Abschiebehaft, die geringe Anerkennungsquote im Asylverfahren und die hohe Gefährdung bei Rückkehr nach Algerien, besonders im Zusammenhang mit Zwangsvorführung vor dem algerischen Konsulat steigern Angst und Aussichtslosigkeit und treiben viele algerische Abschiebehäftlinge zu Verzweiflungstaten wie Selbstverstümmlungen und Selbsttötungen. Gefängnisgeistliche beklagen, daß in der Abschiebehaft « Zustände herrschen, die mit menschenwürdigen Umständen nichts mehr zu tun haben. »37
Allein im 2. Halbjahr 1993 wurden sechs Selbsttötungen und 30 Selbsttötungsversuche gezählt, die in Abschiebezellen verübt wurden, im Juli 1994 gab es bereits 25 Fälle von « Gefangenenmeuterei ».38
Zermürbender monatelanger Nervenkrieg39
Schon bevor Algerier in Abschiebeanstallten oder JVAs eingeliefert werden kursieren Gerüchte unter den Wachleuten, Algerier seien besonders gefährlich und müßten einer « strengeren Behandlung » unterzogen werden.
Als sich am 20. Januar 1995 der Algerier Mahmoud Tahir in der JVA Wittlich erhängte, hatte er bereits 7 Monate Abschiebehaft hinter sich, Schikanen des Wachpersonals mit Schlägen und Tritten, mehrtägige Isolierung (nur mit Slip bekleidet und ohne Nahrung) in der « Beruhigungszelle » und zweimalige Zwangsvorführung beim algerischen Generalkonsulat in Ingelheim, zuletzt zwei Tage vor seinem Tod erlitten. Mahmouds algerischer Zellengenosse M. R. war zwei Wochen zuvor in Frankfurt mit Gewalt40 ins Flugzeug nach Algerien « geschafft » und abgeschoben worden, wo er sofort von der Geheimpolizei verhaftet und Verhören unterzogen wurde.41 Von der Arbeitsgemeinschaft Frieden e. V. / Trier wird ferner kritisiert, « daß das Justizministerium den Selbstmord…. geheim gehalten hat ».42
Während die sich häufenden Selbsttötungen von Abschiebehäftlingen offiziell lediglich als bedauerliche Vorfälle gelten, die keineswegs mit der Situation in der Haft oder der drohenden Abschiebung in Verbindung stehen, werden gescheiterte Selbsttötungsversuche und Selbstverstümmelungen in den seltensten Fällen der Öffentlichkeit bekannt. Falls doch etwas bekannt wird und sich nicht bagatellisieren läßt, weil ein Verletzter im Krankenhaus behandelt werden muß oder Teile einer Haftanstalt in Brand geraten sind, wird die ganze Schuld und Verantwortung dafür auf den (verletzten) Häftling zurückgeworfen und seine Selbstzerstörung als « Kulturtypischer Erpressungsversuch eines Simulanten » dargestellt.43
Im Falle des doppelten Selbsttötungsversuchs des algerischen Abschiebehäftlings Boudia Yahia im Juni 1994 in der JVA Bayreuth erstatteten zwei Mitgefangene des akut Selbstmordgefährdeten B. Yahia Anzeige gegen die Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt. B. Yahia hat selbst angegeben, daß er unter keinen Umständen nach Algerien abgeschoben werden wolle. Er bleibe lieber 5 oder 10 Jahre in deutschen Gefängnissen, als nach Algerien abgeschoben zu werden. Nach Aussagen des Zeugen und Mitgefangenen T. S. am 7. Juni 1994 unternahm B. Yahia am frühen Morgen einen Selbsttötungsversuch. Bereits eine Viertelstunde danach wurde er zurück auf die Gemeinschaftszelle gebracht. Etwa eine Stunde später ging er dann auf die Toilette, die sich innerhalb der Zelle befindet. Als er von der Toilette zurückkam, hatte er sich laut Zeugenaussage, « quer über den Bauch eine tiefe Schnittwunde etwa 3 cm tief und 20-30 cm lang zugefügt, … uns dann seine Wunde gezeigt und auch sein Hemd war total voller Blut. »44 Die Reaktion der Staatsanwaltschaft darauf: « Hätte Boudia tatsächlich Selbstmord begehen wollen, hätte er Vorsorge dafür getroffen, daß er unbemerkt verblutet. Dies hat er jedoch nicht getan, sondern seinen Zellengenossen die Verwundung gezeigt. Er mußte deshalb davon ausgehen, daß die Sanitäter alarmiert werden und die Verletzungen ärztlich behandelt werden. Im übrigen wurden die Verletzungen, die sich Boudia Yahia mutwillig beibrachte, jeweils durch Ärzte und Sanitäter versorgt. »45
Zynisch klingt die folgende juristische Ausführung desselben Staatsanwalts zu Yahias Selbsttötungsversuch, in der die Zwangssituation der Abschiebehaft und die drohende Abschiebung unter Gewaltandrohung schlicht geleugnet werden: « So ist zum Beispiel der Selbstmordversuch nicht als Unglücksfall anzusehen, wenn er aufgrund freier, unbeeinflußter Entscheidung erfolgt; dies ist in der Weise zu respektieren, daß eine unterlassene Verhinderung der Selbsttötung straffrei bleibt. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß Boudia ja hier sich gar nicht ernsthaft selbst töten wollte. »46
Dieser Fall ist nicht ein isolierter, immer wieder erfährt die Öffentlichkeit von Verzweiflungsakten oder Protesten von Algeriern, die entweder auf Selbstverstümmelungen oder Selbsttötungen zurückgreifen. So der 28-jährige Moussa Daoudi, der als er in der Ausländerbehörde Homberg erfuhr, daß sein Asylantrag abgelehnt worden war, den Raum durchquerte und durch das offene Fenster sprang.47 So steckte ein 34-jähriger Algerier seine Zelle in der JVA Mannheim am 17. März 1995 in Brand und versuchte anschließend sich zu erhängen. Ihm stand die Abschiebung direkt bevor.48
Ende Mai 1996 töteten sich zwei Algerier in der JVA Kassel selbst, indem sie ihre Zelle anzündeten. Einer der beiden saß wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz in Untersuchungshaft.49
Weniger gelassen abwartend und gleichgültig reagieren die offiziellen Stellen, wenn die Abschiebehäftlingen nicht « nur » gegen sich selbst Gewalt anwenden, sondern auf kollektive Protestformen zurückgreifen: Verweigerungen, Brandstiftungen, Ausbrüche, Hungerstreiks, Abschiebungsverhinderungen, Gefängnisrevolten.
Der besonders hohe Anteil der Algerier, die sich an den verschiedenen Aktionen beteiligen, erklärt sich aus der großen Zahl der algerischen Staatsangehörigen in Abschiebehaft (20-30%), dem großen Druck, den diese Gefangenen im Vergleich zu anderen Abschiebehäftlingen durch die extremen lange Haftdauer, Rückkehrgefährdung und Bespitzelung durch Konsulatsbefragungen ausgesetzt sind, zusätzlich zu den verschärften Haftbedingungen.
Aus dieser Situation heraus kam es zu einer Reihe von Gefängnisrevolten und anderen Widerstandsformen, die von persönlichen Verweigerungen über spontane Gruppenaktionen bis hin zu organisierten Aufständen reichten.
So war die Angst vor den Zuständen in Algerien bei einem Abschiebehäftling so groß, daß er sich fünfmal erfolgreich gegen seine Abschiebung gewehrt hat.
Weitere Beispiele von Revolten, an denen Algerier beteiligt waren:
– 24. April 1994 Büren: Verweigerung der Rückkehr in die Zellen nach Hofgang (ca. 50-80 algerische Abschiebehäftlinge),
– 1. Mai 1994 Leverkusen-Opladen: Dachbesetzung von 14, später 9 algerischen Abschiebehäftlingen, die drohen, vom Dach zu springen,
– 14. April 1994 Kassel: Revolte, Geiselnahme, Stürmung durch GSG 9, s. u.,
– 14. Oktober 1994 Leipzig: 55 ausländische Untersuchungs- und Abschiebehäftlinge verweigern Essen, zerstören Gegenstände, setzen Brand. Reaktion: Fesselung durch JVA-Beamte.
– Sommer 1994 u. November 1995 Berlin: Hungerstreiks.
Am 14. Juli 1994 revoltierte eine große Zahl von überwiegend algerischen Abschiebehäftlingen im Untersuchungs- und Abschiebegefängnis « ELWE » in Kassel. Sie nahmen einen Schließer als Geisel und forderten die freie Ausreise nach Frankreich, später die Verlegung in eine andere JVA. Am frühen Morgen des nächsten Tages stürmte die GSG 9 den « Fluchtbus » und schlugen den Aufstand nieder. 26 Aufständische wurden anschließend ins Polizeipräsidium und in die JVA Wehlheiden gebracht. Hier wurden die meisten von ihnen erheblich mißhandelt. So mußten sie z. B. durch eine Spalier von 10-20 Beamten gehen und wurden während dieses « Gassenlaufs » und auf dem Weg in die Zellen schwer geschlagen und getreten, so daß einige der Mißhandelten dauerhafte Hör- und Sehschäden davontrugen. Inzwischen sind die Prozesse gegen die Aufständischen abgeschlossen, die vor dem Jugendschöffengericht und der 1. und 6. Strafkammer des Landgerichts Kassel geführt wurden. Ein Prozeß wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt, in allen anderen Prozessen wurden Haftstrafen zwischen eineinhalb und fünfeinhalb Jahren ausgesprochen. In zwei Fällen ging der zuständige Richter weit über das Strafmaß der Staatsanwaltschaft hinaus.50
1 In einigen Bundesländern erhalten AlgerierInnen eine Duldung bis zur Ausstellung eines laissez-passers, in Berlin dagegen bekommen Flüchtlinge, die aus der Abschiebungshaft entlassen werden lediglich, eine Grenzübertrittsbescheinigung. Wer im Besitz eines solchen Papieres ist, hält sich unrechtmäßig in Deutschland auf, insbesondere besteht bei jeder Polizeikontrolle die Gefahr, wieder in Abschiebungshaft genommen zu werden und sei es auch « nur » für ein paar Tage. Oft werden die Flüchtlinge auch verpflichtet, sich in regelmäßigen Zeitabständen bei der Ausländerbehörde zu melden. Das ist zwar im Vergleich zur Abschiebungshaft das mildere Mittel, eine solche Auflage kann jedoch auch eine erhebliche Belastung bedeuten.
2 Unseres Erachtens kann das nicht oft genug betont werden, schafft doch schon der Umstand, daß ein Mensch eingesperrt wird, den Eindruck, er/sie müsse sich irgend etwas vorwerfen lassen. Kein Ausländer sitzt wegen einer Straftat in Abschiebungshaft; rechtskräftig verurteilte Straftäter haben ihre Strafe abgesessen, bevor sie in Abschiebungshaft kommen und sind daher auch nicht mehr als Straftäter zu bezeichnen. Und für AusländerInnen » gegen die etwas vorliegt », sollte, genauso wie für Deutsche, die Unschuldsvermutung gelten, bis sie verurteilt worden sind.
3 FAZ, 15. August 1994, Oft zu lange in Abschiebungshaft.
4 § 57 AuslG, der die Abschiebungshaft regelt, unterscheidet zwischen Vorbereitungshaft und Sicherungshaft, hier soll nur letztere interessieren. In § 57 Abs. 2 Nr. 2-4, werden Fälle aufgezählt, in denen regelmäßig der Verdacht bestehen soll, der Betroffene werde sich seiner Abschiebung entziehen (Wechsel des Aufenthaltsortes, Nichterscheinen bei einem Abschiebungstermin), § 57 Abs. 2 Nr. 5, übernimmt die Generalklausel des alten Ausländergesetzes (ein sonst begründeter Verdacht).
5 In der Regel werden nicht sechs bzw. 12 Monate auf einmal angeordnet, die Haft wird vielmehr in « kleinen Schritten » immer wieder verlängert.
6 Daß die 18 Monate voll ausgeschöpft werden, ist allerdings eher selten, meist werden die Flüchtlinge einige Wochen vorher entlassen. Zu vermuten wäre, daß sich die Ausländerbehörde ein paar Tage oder Wochen « aufsparen » will, um dann, wenn die Abschiebung durchführbar ist, noch einmal Haft anordnen zu können. Möglich ist aber auch, daß auf diese Weise die faktische Unmöglichkeit der Abschiebung etwas weniger deutlich zu Tage treten soll.
7 Viele Flüchtlinge werden, etwa aufgrund von Rücknahmeabkommen, innerhalb weniger Tage abgeschoben, und die kurzen Haftzeiten wirken sich natürlich « positiv » auf die Statistik aus.
8 Die Aufteilung der Zuständigkeiten im Ausländer- und Asylrecht ist ausgesprochen kompliziert und sicherlich nicht nur für AusländerInnen undurchschaubar. Wer nicht anwaltlich vertreten ist, dürfte große Schwierigkeiten haben, seine Argumente am richtigen Ort vorzutragen.
9 Z.B. hat es ein Berliner Haftrichter abgelehnt, zur Überprüfung der Angaben der Ausländerbehörde, an deren Richtigkeit bereits Zweifel bestanden, ein Telephongespräch zu führen, mit dem Argument, er habe so viele Fälle zu bearbeiten und daher keine Zeit.
10 Daniel Deckers, Oft zu lange in Abschiebungshaft, FAZ, 15. August 1994.
11 Die Anwälte müssen von den Flüchtlingen bzw. ihren Familien selbst finanziert werden. Eine mit § 117 Abs. 4 der Strafprozeßordnung vergleichbare Vorschrift, nach der Untersuchungshäftlinge nach drei Monaten Haft die Stellung eines Verteidigers beantragen können, existiert für die Abschiebehaft nicht. Ein weiteres Hindernis ist der Umstand, daß die Flüchtlinge nach § 82 AuslG die mit der Abschiebung verbundenen Kosten, zu denen auch die Kosten für eine Unterbringung im Abschiebungsgefängnis zählen, selbst zu tragen haben, vorhandenes Geld kann ihnen daher abgenommen werden. Ein weiteres Problem ist, daß die Gefängnisse oft weit draußen liegen, so daß es selbst für engagierte AnwältInnen schwierig ist, direkten Kontakt zu den Gefangenen zu haben.
12 Z.B. wurde einem Asthmakranken die Spraydose abgenommen, da sie aus Metall war.
13 Wie zynisch mit den Betroffenen umgegangen wird, zeigt auch das Beispiel eines Algeriers, der sich in der Strafhaft ein Bein gebrochen hatte. Er wurde operiert und zum Zusammenwachsen des Knochens wurde eine Stahlplatte implantiert, die ein Jahr später wieder entfernt werden sollte. In der Zwischenzeit erhielt er jedoch eine Ausweisungsverfügung und zwei Monate Abschiebungshaft als Überhaft (also direkt im Anschluß an den Vollzug der Strafhaft). Im folgendem wurde ihm erklärt, daß er keine Chance habe, in Deutschland operiert zu werden. Das Schmerzensgeld, das er dringend gebraucht hätte, um die Operation in Algerien zu finanzieren, wurde ihm abgesprochen. Später wurde er aufgefordert, sich zu äußern, ob er lieber schnell abgeschoben werden oder in der Abschiebungshaft auf seinen Operationstermin warten wolle. Auf einen Duldungsantrag reagierte die Ausländerbehörde sichtlich erbost: Der Antrag wurde völlig falsch beantwortet, gleichzeitig wurde seinem Bevollmächtigten mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz gedroht (Information von Abschiebehaftgruppe beim Flüchtlingsrat Leipzig).
14 Z.B. wurde ein Gefangener in Berlin in eine Einzelzelle gesteckt, als er sich über eine Mißhandlung durch das Wachpersonal beschweren wollte. Trotz der repressiven Methoden, mit denen die Gefangenen eingeschüchtert werden sollen, erstatten einige Opfer Anzeige, allerdings ohne Erfolg. Abgesehen von der Schwierigkeit, den Vorgang zu beweisen, sind Zeugen und Opfer in der Regel abgeschoben, bevor es zu einem Verfahren gegen die Angeschuldigten kommen kann.
15 Roland Kirbach, Abgeschoben in eine Zelle, Die Zeit, 8. April 1994; SZ, 29. Juli 1994; Martin Hagemaier, Von 16.00 bis 19.30 Uhr stehen die Zellentüren offen, FR, 8. Juli 1994; Gaby Hommel, Es darf gefoltert werden, junge welt, 25. Januar 1996, usw..
16 § 14 des Asylverfahrensgesetzes soll durch einen Absatz vier folgendermaßen ergänzt werden: » Befindet sich der Ausländer gemäß Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 in Haft oder sonstigem öffentlichen Gewahrsam, steht die Asylantragstellung der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen. Die Abschiebungshaft endet vier Wochen nach Eingang des Asylantrages beim Bundesamt, spätestens jedoch mit der Entscheidung des Bundesamtes, soweit nicht der Asylantrag als « unbeachtlich » oder « offensichtlich unbegründet » abgelehnt wird. Damit wird ein effektives Asylverfahren nahezu unmöglich gemacht, denn zum einen haben die Betroffenen aus der Haft heraus kaum Möglichkeit, sich zu informieren und einen Anwalt zu organisieren und schließlich dürfte das Bundesamt unter dem Zeitdruck geneigt sein, noch häufiger als bisher Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzulehnen.
17 In Berlin wurde z.B. Ende 1995 ein neues Abschiebungsgefängnis eröffnet, das – weit ab vom Stadtzentrum und ganz in der Nähe des Flughafens – etwa doppelt so viele Haftplätze zur Verfügung stellt.
18 Die Zahlen beruhen auf Schätzungen von Beratungsstellen und Gruppen, die sich um Menschen in den Haftanstalten kümmern. In Rottenburg sollen im Sommer 1995 ca. 70 % der Abschiebehäftlinge Algerier gewesen sein.
19 « Pro Asyl »-Sprecher Herbert Leuninger, zitiert nach FR, 26. Juli 1994.
20 Die Ausländerbehörde und leider auch manche Gerichte sehen in der Einlegung von Rechtsmitteln ein Indiz für die Absicht der Betroffenen, sich der Abschiebung zu entziehen.
21 In einem Fall sandte die Ausländerbehörde den Asylfolgeantrag eines Algeriers mit folgender Bemerkung an das Bundesamt: » mit der Bitte um kurzfristige Entscheidung. Die Abschiebung ist für den … vorgesehen ». Prompt zwei Tage später war der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes da. Man kann sich vorstellen, wie « frei » das Bundesamt in seinen Entscheidungen ist, wenn die Ausländerbehörde bereits alle Vorkehrungen für eine Abschiebung getroffen hat.
22 Zu der langen Dauer von Verfahren tragen neben der Überlastung mancher Kammern auch die Zuständigkeitsregelungen bei. Da sie auch in der Rechtsprechung umstritten sind, ist es schwierig, auf Anhieb das zuständige Gericht zu finden.
23 In einem Beschluß des OLG Dresden vom 19. Dezember 1995 wird das folgendermaßen ausgedrückt: » Das Bundesamt für die ausländischen Flüchtlinge hat in einem Asylverfahren nach den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes festgestellt, daß dem Betroffenen kein Asyl zu gewähren ist und Abschiebehindernisse nach §§ 51, 53 AuslG nicht vorliegen. Die Entscheidung des Bundesamtes ist nach der Bestandskraft des Bescheides für alle mit der Ausführung dieses Gesetzes Betrauten verbindlich, auch das Haftgericht ist an diese Entscheidung gebunden. Es hat keine Kompetenz, den Bescheid in Frage zu stellen oder zu prüfen. (…) Die Ausländerbehörden haben die Abschiebung angeordnet und damit bestandskräftig und rechtsverbindlich für alle Behörden und Gerichte entschieden, daß dem Betroffenen vom algerischen Staat her keine Gefahr für Leib und Leben droht. » Leider ist gerade der algerische Staat nicht an die Entscheidung des Bundesamtes gebunden
24 Einem Algerier aus Leipzig ist es fünfmal, z.T. mit Selbstverletzungen, gelungen, sich der Abschiebung zu erwehren (Information von der Abschiebehaftgruppe beim Flüchtlingsrat Leipzig). In Nordrheinwestfahlen verfiel ein Algerier nach mehreren Abschiebungsversuchen in einen tranceähnlichen Zustand und mußte in das Krankenhaus eingewiesen werden. Die Psychiater bescheinigten ihm Hysterie (Information von Margret Müller, Flüchtlingsrat NRW, AG Abschiebungshaft).
25 Siehe auch unten Fall 4.
26 Beschluß vom 4. Mai 1995, AZ 2o W 179/95.
27 In diesem Fall handelte es sich um einen Algerier, der nach Aussage der Ausländerbehörde falsche Angaben zu seiner Identität gemacht haben soll. Für die rechtliche Beurteilung dürfte es allerdings keinen Unterschied machen, ob jemand falsche Angaben macht, oder ob jemand Angaben generell verweigert. Entscheidend dürfte vielmehr sein, ob die Abschiebung ohne diese Angaben durchführbar ist oder nicht.
28 OLG Köln, Informationsbrief für Ausländerrecht, 1987, 155; Kammergericht, KG-Report 1995, 57, usw.
29 FAZ, 26. Juli 1994.
30 Und selbstverständlich darf nicht vergessen werden, daß an den Verfahren auch RichterInnen und StaatsanwältInnen beteiligt sind.
31 OLG Düsseldorf, Beschluß vom 16. Januar 1995, 3 WX 5/95.
32 Wir sind zwar der Auffassung, daß Flüchtlinge überhaupt nicht inhaftiert werden sollten und § 57 AuslG dementsprechend ersatzlos gestrichen werden sollte. Hier geht es jedoch darum, aufzuzeigen, daß die ohnehin schon scharfen Bestimmungen des Ausländergesetzes in der Praxis manchmal auch noch zuungunsten der Betroffenen ausgelegt werden. Zwar wird häufig eingeräumt, daß die Haftzeiten bei Algeriern zu lange sind und dies am Verhalten der algerischen Behörden liege. Für die Frage, ob ein Flüchtling inhaftiert wird oder nicht, sind jedoch allein die deutschen Behörden und Gerichte verantwortlich.
33 Beschluß vom 25. September 1995, AZ: 11 XIV 412/B, aus ai Rechtsprechungsübersicht 2/96.
34 Weniger erfreulich als die Begründung ist allerdings die Tatsache, daß der Betroffene bereits seit Oktober 1994, also fast ein Jahr in Haft war.
35 Berichtet von Margret Müller, Flüchtlingsrat NRW, AG Abschiebungshaft.
36 Tagblatt (Tübingen), 30. September 1995, 5. Oktober 1995.
37 FR, 26. Juli 1994.
38 Die Welt, 26. Juli 1994.
39 Ausdruck von PRO ASYL-Sprecher Herbert Leuninger für die lange Warteprozedur vom AlgerierInnen.
40 Am 30. August 1994 starb der nigerianische Staatsbürger Kola Bankole auf dem Frankfurter Flughafen, als er gefesselt und geknebelt eine Beruhigungsspritze bekommen hatte, und gegen seinen Willen mit Gewalt und vier BGS-Beamten nach Lagos abgeschoben werden sollte.
41 Mehr Informationen über die Haftbedingungen und Umstände der Selbsttötung M. Tahirs sind bei Migration erhältlich.
42 Pressemitteilung AG Frieden Januar 1995.
43 Ausdruck aus einer Beschreibung der Abschiebehaftsituation von der Abschiebehaftgruppe Leipzig.
44 Aussage des Anzeigenstellers T.S. in Junge Welt, 5. September 1994.
45 Einstellungsverfügung des Unterlassungsklageverfahrens von 12. April 1994 unterzeichnet von Sander a. G1, Junge Welt 5. September 1994.
46 idem.
47 Kennzeichen D, ZDF, 16. November 1994.
48 TAZ, 18. März 1995.
49 TAZ, 28. Mai 1996; Junge Welt, 28. Mai 1996.
50 Aus: Aufruf zur bundesweiten Demonstration gegen Abschiebehaft am 2.12.95 in Kassel.