XII Die Abschiebung
XII Die Abschiebung
Mit dem Ablehnungsbescheid fordert das Bundesamt die Betroffenen zur Ausreise auf und droht, für den Fall, daß der Aufforderung nicht nachgekommen wird, die Abschiebung an. Wird der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, beträgt die Frist nur eine Woche, ansonsten einen Monat.
In Deutschland leben offiziell etwa 15 000 AlgerierInnen,1 etwa sieben- bis achttausend von ihnen sind bereits vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und können, sofern sie das Land nicht « freiwillig » verlassen haben, abgeschoben werden. Für die Durchführung der « zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht », wie die Abschiebung im Bürokratendeutsch genannt wird, sind die Ausländerbehörden zuständig.
Abschiebungen nach Algerien erfolgen auf dem Luftweg, laut Bundesinnenministerium sollen algerische Flüchtlinge wegen ihrer « Renitenz » von Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) bis nach Algier « begleitet » werden. Dort werden sie den algerischen Sicherheitsbehörden überstellt.2 Nach der Ankunft am Flughafen in Algier werden die Rückkehrer in Polizeigewahrsam genommen. Die Inhaftierung kann mehrere Tage dauern und soll angeblich der Feststellung der Identität und der Überprüfung, ob der Betroffene einer Straftat (z.B. Desertion, Wehrdienstverweigerung) verdächtig ist, dienen.3 Allerdings erscheint diese Begründung sehr fragwürdig, wenn man bedenkt, wie genau die Betroffenen bereits im Vorfeld ihrer Abschiebung überprüft werden.
Anfang 1995 wurde in der Presse von einem « unfreiwilligen Abschiebestop » berichtet: da sich die Flugpläne geändert hatten, konnten die Beamten vom Bundesgrenzschutz nicht mehr sofort nach Deutschland zurückfliegen, sondern hätten eine Nacht in Algier verbringen müssen. Dies wollte man ihnen aus Sicherheitsgründen nicht zumuten. Ein Sprecher des Grenzschutzamtes Frankfurt erklärte deshalb: » Zur Zeit ist für uns keine Begleitung und keine Abschiebung nach Algier möglich. »4
Abgesehen von dieser Episode, die deutlich werden läßt, wie scharf zwischen dem Schutz für Leib und Leben von deutschen Beamten einerseits und unerwünschten Flüchtlingen andererseits unterschieden wird,5 gibt es noch andere Umstände, die eine Abschiebung nach Algerien verhindern oder verzögern. Eine Rolle spielen insbesondere die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Reisedokumenten.
XII-1 Beschaffung von Reisedokumenten
Viele Flüchtlinge sind nicht oder nicht mehr im Besitz von gültigen Identitätspapieren (Reisepaß, Carte d’Identité), andere verstecken ihre Papiere, weil sie darin die einzige Möglichkeit sehen, einer Abschiebung nach Algerien zu entgehen. Da diese nicht ohne Papiere möglich ist, muß bei der algerischen Vertretung in Deutschland in jedem einzelnen Fall die Ausstellung eines Paßersatzdokuments beantragt werden.
Die algerischen Behörden sind erst nach einer peniblen Identitätsüberprüfung, die in der Regel sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, bereit, einen sogenannten laissez-passer6 auszustellen. Die Betroffenen müssen Paßanträge ausfüllen und Fingerabdrücke und Photos nehmen lassen. Alle Informationen werden dann nach Algerien weitergeleitet und überprüft, bevor die Botschaft bzw. das Konsulat Reisedokumente ausstellt.
Ein internes Schreiben der Grenzschutzdirektion Koblenz,7 das wir hier wiedergeben werden, macht deutlich, wie aufwendig die Beschaffung von Papieren ist, vor allem aber, wie intensiv die deutschen Behörden den algerischen Behörden zuarbeiten, um die Rückführung algerischer Flüchtlinge zu sichern.
1. Der Vordruck – Angaben zu Person – des algerischen Generalkonsulats ist fortan nicht mehr zu verwenden. An dessen Stelle tritt der Vordruck – Angaben zur Person – Asylbewerber8 -, der von der Grenzschutzdirektion in Absprache mit dem Generalkonsulat erstellt wurde.
2. Der Vordruck – Personalbogen / Fingerabdrücke bleibt in seiner Form bestehen, wobei zu beachten ist, daß auch dieser maschinenschriftlich ausgefüllt werden muß.
3. Identitätsnachweise (z.B. Carte d’identité, Führerschein) sind, wenn möglich, dem Antrag auf Beschaffung von Paßersatzdokumenten im Original beizufügen.
4. Desweiteren werden nun acht Lichtbilder benötigt, weil das Generalkonsulat vier Lichtbilder zur Überprüfung nach Algerien schickt und vier Lichtbilder benötigt, um ein laissez-passer auszustellen.
5. Das Formular – Angaben zu Person – Asylbewerber – ist in dreifacher, das Fingerabdruckblatt in zweifacher Ausführung vorzulegen.
6. Nachdem das Generalkonsulat die Person in Algerien überprüft hat, erhält die Grenzschutzdirektion eine Zusage auf Ausstellung eines Paßersatzdokuments. Daraufhin setzt die Grenzschutzbehörde die Außenstelle des BAFl über die Außenstellen BGS über die Zusage in Kenntnis. Die für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörden buchen nun einen Flug, um den algerischen Staatsangehörigen abzuschieben und übermitteln die Flugdaten (Flugdatum, Fluggesellschaft, Flugnummer) an die Grenzschutzdirektion.
ACHTUNG: Das Generalkonsulat braucht rund 14 Tage Vorlauf.
Die Grenzschutzdirektion gibt diese Daten weiter an das Generalkonsulat, das daraufhin einen laissez-passer mit einer Gültigkeit von 24 Stunden ausstellt und diesen an die Grenzschutzdirektion sendet.
Das Generalkonsulat übermittelt die Flugdaten nach Algerien, um sicherzustellen, daß der algerische Staatsangehörige auch den algerischen Sicherheitsbehörden zugeführt wird.
Die Grenzschutzdirektion wiederum führt das Paßersatzdokument der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde oder der am Flughafen zuständigen Grenzschutzstelle (Sachgebiet Schubwesen) zu.
7. Über das Verfahren zur Vorführung der Personen, die über keinerlei Ausweisdokumente verfügen, wird in den nächsten 14 Tagen nachberichtet.
Die Vorgehensweise der Grenzschutzdirektion ist nicht hinnehmbar. Indem z.B. die Flugdaten nach Algerien weitergeleitet werden, « um sicherzustellen, daß der algerische Staatsangehörige den algerischen Sicherheitsbehörden zugeführt wird », kommt die Abschiebung einer Auslieferung gleich. In dem Antragsformular, das die Flüchtlinge vollständig ausfüllen müssen,9 sind etwa auch Angaben über wichtige Adressen in Algerien (eigene Adresse und die von Eltern oder anderen Familienangehörigen) oder zu « Datum und Grund der Einreise ins Ausland » vorgesehen. Darüber hinaus haben die Flüchtlinge genaue Angaben über eine evtl. Inhaftierung vor der Ausreise aus Algerien und über ihren militärischen Status zu machen.
XII-2 Zwangsvorführungen
Zusätzlich fordert die algerische Vertretung vielfach die persönliche Vorführung der Flüchtlinge.10
Einige Flüchtlinge erhalten von der Ausländerbehörde die Aufforderung, bei ihrer Heimatvertretung vorzusprechen und einen Paßersatz zu beantragen. Sie werden auf ihre Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Identitätspapieren (§ 15 Abs. 2 Ziff. 6 AuslG) verwiesen und für den Fall, daß sie der Aufforderung nicht nachkommen, wird ihnen die zwangsweise Vorführung bei der Botschaft angedroht. Weiterhin müssen sie eine Erklärung unterschreiben, daß sie sich mit der unmittelbaren Übersendung des Paßersatzes an die Ausländerbehörde einverstanden erklären.11
Wie weit die Bereitschaft der deutschen Behörden geht, den Wünschen der algerischen Seite zu entsprechen, zeigt sich insbesondere an den Zwangsvorführungen der algerischen Flüchtlinge in Abschiebehaft.
Hierzu einige Beispiele12:
– In Rheinland-Pfalz wurden in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar 1995 alle in Abschiebehaft befindlichen algerischen Flüchtlinge mit Bussen aus den Haft- bzw. Abschiebehaftanstalten des Landes nach Ingelheim in die zentrale Aufnahmestelle des Bundesamtes verbracht. Dort wurden sie Mitarbeitern des algerischen Konsulats in Frankfurt vorgeführt, die die Personalien überprüften und zusagten, daß alle algerischen Asylbewerber, die ihnen vorgeführt worden wären, die Paßersatzpapiere erhalten und in bälde abgeschoben werden können.
– Ebenfalls Anfang 1995 wurden etwa 30 in Abschiebehaft befindliche Algerier aus den Haftanstalten Bayerns zwangsweise in die JVA Nürnberg verbracht und dort Mitarbeitern des Konsulats « vorgeführt ».
-In Nordrhein-Westfahlen hatte das Innenministerium zu diesem Zweck eine Kaserne in Frankfurt angemietet. Dieses Vorgehen wurde später dahingehend geändert, daß algerische Flüchtlinge in Haftanstalten aufgesucht werden.
– In Berlin werden die Flüchtlinge entweder einzeln zur Außenstelle der algerischen Botschaft gebracht, oder Mitarbeiter der Botschaft suchen die Flüchtlinge in der Haftanstalt auf.
– In Niedersachsen sollten am 25. Januar 1995 ca 30 Flüchtlinge dem Konsul in Hamburg vorgeführt werden. Im Vorfeld gab es Haftanordnungen und Verhaftungen.
Nach den Aussagen einiger Flüchtlinge werden von den Angehörigen der algerischen Botschaft auch Fragen gestellt, die weit über das für die Feststellung der Identität Notwendige hinausgehen.13 « In Büren wurden die Flüchtlinge massiv unter Druck gesetzt und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen (« Wenn Sie mithelfen, werden Sie freigelassen ») dazu genötigt, auch die Namen und Adressen oppositioneller Algerier im Bundesgebiet zu benennen. »14
Mit Hinweis auf die Situation in Algerien und die Verfolgung oppositioneller Algerier durch das Regime protestierte der Flüchtlingsrat in Niedersachsen heftig gegen die geplante Zwangsvorführung15 und berief sich unter anderem auf ein Schreiben des niedersächsischen Datenschutzbeauftragten, in dem dieser schreibt:
Nicht zumutbar dürfte die Beschaffung von Reisedokumenten im Herkunftsland dann sein, wenn hierzu Informationen offenbart werden müssen, die nicht zur Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit und somit zur Ausstellung von Reisedokumenten erforderlich sind. Erforderlich dürften regelmäßig folgende Angaben sein: Name, Adresse im Heimatland, Geschlecht, Geburtsangaben, Angaben zu körperlichen Merkmalen (z.B. Größe, Augenfarbe), zuständige Paßbehörde im Heimatland, evtl. Angaben zur Familie. Nicht für erforderlich halte ich dagegen Angaben über einen evtl. gestellten Asylantrag, über Abschiebungstermine oder über in der Bundesrepublik gepflegte soziale Kontakte. Die Mitteilung dieser Angaben dürfte den Flüchtlingen auch nicht zumutbar sein. […] Werden aber ausländische Bürgerinnen und Bürger zwangsweise zur Offenbarung ihrer Daten vorgeführt, so liegt hierin ein Eingriff, für den ich keine rechtliche Grundlage erkennen kann. Ich hielte eine zwangsweise Vorführung aus datenschutzrechtlicher Sicht für problematischer als eine Datenübermittlung, da die deutschen Behörden mangels ausreichender Übersetzungsmöglichkeiten nicht feststellen können, welche Fragen von den algerischen Behörden gestellt werden und ob evtl. Versprechungen oder Drohungen ausgesprochen werden, um an Informationen zu gelangen. […]16
Die Justizministerin Niedersachsens Heidi Alm-Merk sprach auf der Pressekonferenz des Flüchtlingsrats « ganz selbstverständlich von einer ‘Diktatur in Algerien’, bei der das Botschaftspersonal oder die Konsularbeamten häufig dem Geheimdienst zuarbeiten. »17
Angesichts der weitgehenden Zusammenarbeit mit den algerischen Behörden entsteht der Eindruck, daß die deutsche Seite in Kauf nimmt, die betroffenen Flüchtlinge zusätzlich zu gefährden und Nachfluchtgründe zu schaffen. Der Hinweis auf die Einzelfallprüfung durch Bundesamt und Gerichte rechtfertigt nicht, daß die deutschen Behörden dem Staat, aus dem die Betroffenen geflohen sind, zuarbeiten und Informationen weitergeben, die das erforderliche Maß übersteigen.
Bisher war die algerische Vertretung daran interessiert, daß Abschiebungen « aus Sicherheitsgründen » nur in kleinen Gruppen durchgeführt werden. In der Presse wurde etwa von höchstens 50 Abschiebungen im Monat gesprochen.18 In einer Stellungnahme der Berliner Ausländerbehörde wird ein Kontingent von fünf Abschiebungen pro Flugtermin erwähnt.19 Darüber hinaus sollen sich die Piloten derAir Algérie weigern, mehr als nur einen Abschiebehäftling in das Flugzeug zu lassen.20
Wie lange die Ausstellung eines Reisedokuments dauert, ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich, Flüchtlinge, die in der Abschiebehaft waren, haben in der Regel viele Monate lang « gewartet », oder mußten wieder entlassen werden. Dabei dürften die Ausländerbehörden gerade hier besonders an schnellen Abschiebungen interessiert sein. Es wird auch vermutet, daß einige Ausländerbehörden geschickter als andere sind und auf « verschlungenen Wegen » zu einer schnellen Ausstellung von Reisepapieren gelangen.21 Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums sollen Abschiebungen jedoch inzwischen zügiger durchgeführt werden können.22
Für viele Flüchtlinge waren die Probleme, die die deutschen Behörden mit ihrer Rückführung hatten, bisher die einzige Chance, einer Abschiebung nach Algerien zu entgehen. Allerdings bietet die faktische Unmöglichkeit der Abschiebung nur eine sehr fragwürdige Sicherheit. Nur in seltenen Fällen erkennen das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte rechtliche Abschiebehindernisse aufgrund von Gefahren bei der Rückkehr nach Algerien an. Die Abschiebung ist für die Betroffenen daher nur aufgeschoben. Die Menschen leben in ständiger Ungewissheit über ihre nahe Zukunft, sie können jederzeit abgeholt und zum Flughafen gebracht werden, denn es scheint vom Zufall abzuhängen, wann die Abschiebung stattfindet. Hinzu kommt, daß die deutschen Behörden nicht daran interessiert sind, das Verfahren für die Betroffenen transparenter zu machen. Selbst Flüchtlinge, die sich bereits in Abschiebungshaft befinden, also nicht mehr untertauchen können, werden häufig nur wenige Stunden zuvor über einen anstehenden Flugtermin informiert. Vielen ist daher die Möglichkeit genommen, rechtzeitig um Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten nachzusuchen.
XII-3 Das geplante Rückführungsabkommen
Das alleinige Interesse der deutschen Behörden scheint dagegen darin zu liegen, den reibungslosen Ablauf der Abschiebung zu sichern. Hinweise auf die Lage in Algerien werden regelmäßig mit dem Argument, das Bundesamt wie auch die Verwaltungsgerichte hätten jeden Einzelfall überprüft und festgestellt, daß es keine Rückkehrgefährdung gibt, zurückgewiesen. So betonte der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Inneren, Eduard Lintner: « Die Beachtung von Abschiebungshindernissen bzw. Abschiebungsverboten wird durch die der Abschiebung vorangehende Einzelfallprüfung gewährleistet. » Auf den Hinweis von Amke Dietert-Scheuer (Bündnis 90/Die Grünen), es habe mehrfach Berichte gegeben, daß Abgeschobene anschließend verschwunden sind oder mißhandelt wurden, entgegnete Herr Lintner: « Dadurch ändert sich an der Einschätzung der Bundesregierung nichts. Sie wissen, daß solche Aspekte im Rahmen der soeben herausgestellten Einzelfallprüfung berücksichtigt werden. »23 Daß die Einzelfallprüfung, auf der die zuständigen Behörden ständig herumreiten, auch fehlerhaft sein kann, wird nicht in Betracht gezogen. Bereits die z.T. entgegengesetzte Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte deutet darauf hin, daß die Frage, ob einem Flüchtling Schutz gewährt wird, oft dem Zufall überlassen bleibt. Wer Glück hat, gerät an ein Gericht, das sich ausführlich mit der Situation in Algerien auseinandergesetzt und nicht nur die Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu seiner Entscheidungsgrundlage gemacht hat. Die anderen müssen sich die « sorgfältige Einzelfallprüfung » als « Beweis » dafür entgegenhalten lassen, daß sie keinen Grund haben, in Deutschland Schutz zu beanspruchen.
Die Klagen der verantwortlichen Politiker über die Probleme bei der Abschiebung nach Algerien und die daraus resultierenden langen Wartezeiten in der Abschiebehaft24 scheinen weniger dem Leid zu gelten, das viele Flüchtlinge erdulden müssen, bevor sie zwangsweise nach Algerien gebracht werden, sondern eher die Sorge auszudrücken, unerwünschte Menschen nicht schnell genug abschieben zu können.
Seit mehreren Monaten ist die Bundesrepublik bemüht, mit Algerien ein Abkommen über die Rückführung algerischer Flüchtlinge abzuschließen.25 Betroffen sind davon die etwa sieben bis acht tausend AlgerierInnen, die bereits ausreisepflichtig sind. « Das geplante Abkommen stellt « , so der Sprecher von PRO ASYL Heiko Kaufmann, « den Höhepunkt einer offenen Kumpanei dar. »26 Bereits die jetzige Zusammenarbeit der Grenzschutzbehörden mit den algerischen Behörden zeigt, daß der Schutz der Betroffenen hinter dem Ziel einer reibungslosen Abschiebung zurücktritt. Die Gefährdung der Rückkehrer war dementsprechend auch nicht Gegenstand der Verhandlungen mit der algerischen Seite. Hilfestellungen für die Rückkehrer in Form von Eingliederungshilfen sind nach Auskunft des Innenministeriums nicht mehr vorgesehen. Bestehende Projekte seien wegen der Gefährdung von Ausländern eingefroren worden. Da die Gelder versickern und zweckentfremdet würden, sei es auch nicht möglich, weitere Gelder zur Verfügung zu stellen. Algerien und Deutschland haben gemeinsame Kriterien erarbeitet. Die Rückführung soll aus « Sicherheitsgründen » weiterhin nur in kleinen Gruppen durchgeführt werden. Die deutsche Seite fordert einen Verzicht auf Daten, die zur Überprüfung der Identität nicht erforderlich sind. Bisher ist es jedoch aufgrund « technischer Probleme » noch nicht zur Unterzeichnung eines Rücknahmeabkommens gekommen, die algerischen Verhandlungspartner seien nicht bevollmächtigt gewesen, Entscheidungen zu treffen.27
Es ist beinahe absurd, wenn die einzige Hoffnung von AlgerierInnen, die bereits zur Ausreise verpflichtet sind, darin besteht, daß die algerische Regierung weiterhin Schwierigkeiten macht und sich der Abschluß eines Rückführungsabkommens noch weiterhin verzögert. Zu fordern ist deshalb in erster Linie von der deutschen Seite, von Zwangsabschiebungen abzusehen, bis zurückkehrende Flüchtlinge nicht mehr einer Gefahr ausgesetzt sind.
XII-4 Allgemeiner Abschiebestop
Im Falle der algerischen Flüchtlinge ist ein allgemeiner Abschiebestop seit langem überfällig. Zum einen kann unseres Erachtens die Anerkennung einer Rückkehrgefährdung nicht auf bestimmte Gruppen begrenzt werden. Wie wir in Kapitel XIV noch darstellen werden, kann prinzipiell jeder abgeschobene Flüchtling in Algerien Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen werden. Und zum anderen würde ein allgemeiner Abschiebungstopp aufwendige Einzelfallprüfungen, die aufgrund der zersplitterten Rechtsprechung oft ganz unterschiedlich ausfallen können, ersparen. Sollten sich Deutschland und Algerien tätsächlich demnächst über die zügige Rückführung algerischer Flüchtlinge einigen, ist mit einer großen Anzahl von Rechtsschutzverfahren zu rechnen.
Die Oberste Behörde eines Landes kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen für eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen einen allgemeinen Abschiebestop erlassen (§ 54 AuslG); dabei hat sie allgemeine Gefahren, die den Flüchtlingen in ihrem Heimatland drohen zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 6 S. 2 AuslG). Allerdings ist ein solcher Abschiebungsstop nur für die Dauer von sechs Monaten möglich, danach bedarf es « zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit » der Zustimmung des Bundesinnenministeriums (§54 S.2 AuslG).
Nach Ansicht des Bundesinnenministers ist es erforderlich, daß alle Bundesländer einer entsprechenden Abschiebestopregelung zustimmen. Das heißt, ein einzelnes Bundesland soll den Erlaß eines Abschiebestops verhindern können.28 In der Praxis kommt es daher nur sehr selten zu einem Erlaß nach § 54 AuslG.
Bisher gab es einige Versuche, einen Abschiebestop für Flüchtlinge aus Algerien zu erreichen (z.B. fanden in Rheinlandpfalz wie auch im Saarland Anhörungen zur Lage in Algerien statt). Grund für das Scheitern dieser Initiativen war u.a. die erforderliche Zustimmung des Bundesinnenministers. In einem Antwortbrief des Innenministeriums von Rheinlandpfalz heißt es z.B.:
Angesichts der schon jetzt erkennbaren fehlenden Bereitschaft des Bundesministeriums zur Erteilung seines erforderlichen Einvernehmens und der mangelnden Unterstützung der übrigen Länder wäre die Fortsetzung eines allein von Rheinland-Pfalz erlassenen Abschiebestops über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten nicht möglich. Aufgrund dessen würde mit einem Abschiebestop nur ein vorläufiger Aufschub der zwangsweisen Durchsetzung einer bestehenden vollziehbaren Ausreiseverpflichtung erreicht werden.
Daß keine allgemeine Gefährdung für rückkehrende Flüchtlinge bestehe, wird unter anderem folgendermaßen begründet:
Rheinlandpfalz hat allein im Jahre 1994 108 Algerier abgeschoben. Bei weiteren 58 Menschen aus Algerien erfolgte eine kontrollierte Ausreise. In keinem Fall wurde mir von irgendwelchen Schwierigkeiten berichtet.
Dieses Argument hätte jedoch nur dann Sinn, wenn auch tatsächlich überprüft worden wäre, was mit den Betroffenen nach der Abschiebung geschehen ist. Der bloße Hinweis darauf, daß es keine negativen Nachrichten gegeben habe, sagt nicht viel aus. Immer wieder wird nämlich von Betreuern oder Freunden der Betroffenen berichtet, sie hätten nach der Abschiebung nichts mehr von dem Flüchtling gehört, obwohl dieser ernsthaft versprochen habe, sich zu melden. Zu bedenken ist auch, daß es sehr schwierig ist, nachzuweisen, daß ein Flüchtling bei seiner Rückkehr mißhandelt wurde oder gar verschwunden ist; hinzu kommt in der Regel eine gewisse Zurückhaltung, was Nachforschungen angeht, da die Betroffenen nicht zusätzlich gefährdet werden sollen.
Sicherlich spielt es bei der Entscheidung der Landesbehörden aber auch eine große Rolle, daß die Situation in Algerien allgemein als eine Auseinandersetzung des Staates mit « fundamentalistischen Terroristen » wahrgenommen wird. Die Vorstellung, Deutschland könnte Zufluchtsort für islamisch orientierte Regimegegner werden, löst daher Ängste aus, die den Blick auf die tatsächliche Situation in Algerien zu verstellen scheinen.
1 Es wird angenommen, daß noch wesentlich mehr AlgerierInnen in Deutschland leben, ohne allerdings einen Asylantrag gestellt zu haben.
2 Zu der Formulierung « überstellen » paßt die Aussage eines Flüchtlings, der berichtete, der BGS-Beamte habe der algerischen Polizei auch gleich noch seine Ausländerakte überlassen.
3 Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes ( Kap. IX-5).
4 TAZ, 25./26. Februar 1995. Das Problem scheint sich zwar inzwischen gelöst zu haben. Jedoch scheitert die Abschiebung oft daran, daß die Flüge verspätet sind und die Rückkehr der Beamten aus diesem Grund nicht garantiert werden kann.
5 Selbstverständlich ist die Sorge um die Beamten angebracht und die Sicherheitsbestimmungen sind begrüßenswert. Erstaunen mag dann jedoch das Unverständnis der deutschen Behörden, wenn es um die Angst der Flüchtlinge vor einer Abschiebung geht.
6 Ein laissez-passer ist ein Dokument, das in seiner Gültigkeit auf einen kurzen Zeitraum beschränkt ist und das nur zur Einreise nach Algerien berechtigt. Pässe werden von der algerischen Vertretung nur ausgestellt bzw. verlängert, wenn der/die Betroffene eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland besitzt.
7 Der Bund ist gemäß § 43 b AuslG verpflichtet, den zuständigen Ausländerbehörden bei der Beschaffung von Reisedokumenten Amtshilfe zu leisten. Diese Aufgabe nimmt er durch die Bundesgrenzschutzbehörden wahr.
8 Der Zusatz Asylbewerber ist inzwischen gestrichen worden.
9 Ansonsten kann ihnen die Ausländerbehörde mangelnde Bereitschaft, an der Beschaffung von Paßersatzpapieren mitzuwirken, vorwerfen, was ein Haftgrund sein bzw. zu einer Verlängerung der Abschiebehaft über sechs Monate hinaus führen kann.
10 Eine Vorführung ist zumindest dann erforderlich, wenn der/die Betroffene keine originalen Identitätsnachweise hat.
11 Es kommt vor, daß Flüchtlinge diese Aufforderung erhalten, während sie noch im Asylverfahren sind. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Würtemberg weist darauf hin, daß ein Asylbewerber nicht aufgefordert werden darf, bei den Behörden seines Heimatstaates und damit potentiellen Verfolgerstaates vorzusprechen, solange der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes noch nicht bestandskräftig ist. Beschluß vom 10. März 1995; A 13 S 571/95.
12 Migration.
13 Vgl. TAZ, 28. Januar 1995.
14 Presseerklärung des Fördervereins Niedersächsischer Flüchtlinge e.V. vom 19. Januar 1995.
15 TAZ, 20. Januar 1995; der Protest hatte insofern Erfolg, als die geplante Vorführung nicht durchgeführt wurde, TAZ, 26. Januar 1995.
16 Aus einem Brief des Datenschutzbeauftragten an den niedersächsischen Flüchtlingsrat.
17 TAZ, 21. Februar 1995.
18 FAZ, 26. Juli 1994.
19 In der Stellungnahme an den Haftrichter ging es der Ausländerbehörde darum zu begründen, warum ein Abschiebungstermin nicht wahrgenommen werden konnte. Die Ausländerbehörde hatte auch angegeben, daß Abschiebungen nach Algerien nur auf einem Direktflug und nur mit der staatlichen Fluggesellschaft Air Algérie durchgeführt werden können, da die Botschaft ansonsten keinen laissez-passer ausstelle. Das würde heißen, daß « nur » fünf Abschiebungen in der Woche möglich sind.
20 FR, 26. Juli 1994. Es ist auch schon mehrmals vorgekommen, daß sich die Piloten der Air Algérie geweigert haben, Flüchtlinge mitzunehmen, weil diese erklärt haben, nicht ausreisen zu wollen, oder sich am Flughafen gewehrt haben.
21 Uns erscheint z.B. der Bericht eines Flüchtlings, er habe bei seiner Vorführung in der Botschaft, seine Ausländerakte auf dem Tisch liegen sehen, durchaus glaubwürdig. Bei Gesprächen mit Mitarbeitern der Ausländerbehörden entsteht manchmal der Eindruck, sie empfänden eine gelungene Abschiebung als ein persönliches Erfolgserlebnis, daher halten wir es auch für denkbar, daß auf zusätzliche Forderungen der algerischen Seite eingegangen wird, auch wenn dies den datenschutzrechtlichen Bestimmungen eindeutig zuwiderläuft.
22 Brigitte Fischer, Geprächsnotiz eines Telefonats mit Herrn Schieffer (Bundesministerium des Inneren), am 29. April 1996.
23 Deutscher Bundestag – 13. Wahlperiode – 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995. Aus ai Asylinfo 7-8/95.
24 Vgl. etwa SZ, 27. Juli 1994 und FR, 26. Juli 1994.
25 Rückführungsabkommen wurden etwa mit Rumänien und Vietnam geschlossen.
26 Presseerklärung vom 12. Mai 1995.
27 Brigitte Fischer, Gesprächsnotiz eines Telefonats mit Herrn Schieffer (Bundesministerium des Inneren) am 2. Februar 1996.
28 Göbel-Zimmermann, Handlungsspielräume der Landesregierungen für den Erlaß von Abschiebestopregelungen, ZAR, 1995, 23; Jürgen Krais /Christian Tausch, Asylrecht und Asylverfahren, 1995, 189f.