Waffen für Nordafrika

Waffen für Nordafrika

www.german-foreign-policy.com, 11. Oktober 2004

BERLIN/TUNIS (Eigener Bericht) – Berlin besteht weiterhin auf der Errichtung von Flüchtlingslagern in Nordafrika. Einer entsprechenden Forderung des deutschen Innenministers hat sich jetzt auch die sozialdemokratische Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestags, Cornelie Sonntag-Wolgast, angeschlossen. Europäischer Repräsentant der deutschen Lager-Aktivitäten ist der designierte EU-Kommissar für ,,Justiz, Freiheit und Sicherheit », Rocco Buttiglione. Der Berliner Lager-Vorstoß provoziert Konflikte mit mehreren europäischen Staaten, die den Verlust ihres traditionellen Einflusses in Nordafrika befürchten. Die Auseinandersetzung um das deutsche Vorhaben soll Mitte Oktober auf einem Treffen der ,,G 5″ fortgesetzt werden. Berlin hat unterdessen die Lieferung von Marine-Schnellbooten an Tunesien zugesagt und demonstriert mit der eigenständigen Aufrüstung der nordafrikanischen Küstenüberwachung seine nationalen Handlungsoptionen.

Neuausrichtung

Wie Frau Sonntag-Wolgast erklärt, werde man in der EU die deutsche ,,Idee der Aufnahmezentren (…) weiter diskutieren » müssen.1) Dies sei nötig, um eine ,,Balance » herzustellen. Es gehe um die Behandlung von ,,Betroffenen » einerseits, aber andererseits um ,,Belange (…), die der Sicherheit dienen sollen », sagte die sozialdemokratische Politikerin. Zeitgleich mit Frau Sonntag-Wolgast verlangte auch der zukünftige EU-Kommissar Buttiglione die ,,Neuausrichtung » der EU-,,Wanderungspolitik » durch Lager in Nordafrika.2)

Kasernierung

Bei der Anhörung in Strasbourg nahm Buttglione das Wort ,,Konzentrationslager » in den Mund, um sich sogleich von der eigenen Wortwahl zu distanzieren. Zwar sei nicht beabsichtigt, ,,Konzentrationslager » zu errichten, da bereits Lager existierten, ,,in denen Flüchtlinge unter schwierigsten Bedingungen lebten ». Dieses schon vorhandene Lagersystem solle man nutzen und ausgestalten. Wie es in der italienischen Presse heißt, will Buttglione durch die beabsichtigten Lagerkomplexe afrikanische Lohnarbeiter schleusen, die von europäischen Industriebetrieben in Massenkontingenten geordert werden können. Die Idee einer betriebsgebundenen Kasernierung außereuropäischer Flüchtlinge entwickelte Buttglione gemeinsam mit Spitzenrepräsentanten des italienischen Unternehmerverbandes ,,Confindustria ». Dem waren Gespräche des deutschen Innenministers Schily mit seinem römischen Amtskollegen Pisanu voraus gegangen.3)

Wohlkalkuliert

Der deutschen Intiative haben sich jetzt auch österreichische Politiker angeschlossen. Der Wiener Innenminister Ernst Strasser möchte die zukünftigen Lagerkomplexe in Nordafrika durch einen Ausbau des Lagersystems in Osteuropa ergänzen. Mittels territorialer Auslagerung grenznaher Kontrollen in Drittländer und Errichtung von Lagerschleusen im vorasiatischen Staatengebiet könnten Flüchtlinge aus der südrussischen Teilrepublik Tschetschenien an Asyleinreisen gehindert werden, schlägt Strasser vor.4) Nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen handelt es sich bei dem deutsch inspirierten Vorstoß, der in Italien und Österreich Unterstützung findet, um einen ,,wohlkalkulierte(n) Versuch, dem individuellen Asylrecht in Europa den Garaus zu machen ».5)

Konkurrenz

Die deutschen Lager-Pläne rufen außenpolitische Konflikte zwischen den europäischen Industriestaaten hervor. So spricht sich die schwedische Regierung bislang gegen das Berliner Projekt aus, das neue EU-Gelder nach Südeuropa umlenken und der nordeuropäischen Interessensphäre entziehen würde. Ebenso protestieren die Außenminister Frankreichs und Spaniens gegen das Vorhaben. Auch der italienische Außenminister sieht durch die Lager-Absprachen mit Berlin nationale Interessen im Mittelmeergebiet gefährdet. Paris, Madrid und Rom befürchten, dass sie ihre postkolonialen Beziehungen in Nordafrika den EU-Behörden öffnen und damit priviligierte Positionen auf wirtschaftlichen und militärischem Gebiet aufgeben müssten. Dem hält der neue EU-Kommissar Buttiglione entgegen, bei massiver Lagerpolitik in Nordafrika könne es gelingen, in den dortigen Staaten Regimewechsel herbeizuführen (,,Demokratisierungsprozeß »), die im Interesse sämtlicher EU-Mitglieder wären.6) Die Differenzen sollen beim nächsten Treffen der ,,G 5″ (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien) Mitte Oktober ausgetragen werden.7)

Nationale Option

Unterdessen setzt Berlin die Aufrüstung der nordafrikanischen Küstenüberwachung in eigener Regie fort. Wie das Verteidigungsministerium mitteilt, erhält Tunesien für die Verfolgung von Flüchtlingen sechs ,,Albatros »-Schnellboote aus den Beständen der deutschen Marine.8) Bereits vor zwei Jahren ist die Lieferung von fünf Schnellbooten nach Ägypten beschlossen worden.9) Allein im Jahr 2002 genehmigte Deutschland die Ausfuhr militärischer Überwachungsgüter im Umfang einer zweistelligen Millionensumme an nordafrikanische Staaten: Algerien erhielt Überwachungssysteme für 10,5 Millionen Euro, Tunesien bekam Kommunikationsausrüstung und Boden-Überwachungsradar für einen weiteren Millionenbetrag, nach Marokko gingen Militär-LKWs für 4,5 Millionen Euro.10) Berlin demonstriert damit die Fortdauer einer eigenen nationalen Handlungsoption in Nordafrika.11)

 


1) Sonntag-Wolgast spricht sich für Flüchtlingsauffangzentren in Afrika aus; DeutschlandRadio Berlin 07.10.2004
2) Buttiglione bekräftigt Vorschläge zur Migrationspolitik; Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.10.2004
3) s. dazu Schilys Schleuser und Import-Export
4) Strasser für Flüchtlingslager in Ukraine; Die Presse 07.10.2004. S. auch Festung
5) Deutsch-österreichische Arbeitsteilung: Demontage des europäischen Asylrechts; Pressemitteilung von Pro Asyl 22.09.2004
6) Buttiglione bekräftigt Vorschläge zur Migrationspolitik; Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.10.2004
7) s. auch ,,G 5″
8) ,,Albatrosse » für Tunesien; www.bmvg.de 05.10.2004
9) Ägypten erhält fünf Schnellboote der Klasse 148; www.soldat-und-technik.de Oktober 2002
10) Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für das Jahr 2002
11) s. dazu Maghreb im Visier, Strafverfolgung (I) und ,,Nicht nur nach Osten » sowie Eurafrika