Neue Freunde im Maghreb

Neue Freunde im Maghreb

Frankreichs Präsident Jacques Chirac will bei seinem Algerien-Besuch eine Ära der Zusammenarbeit einleiten

Süddeutsche Zeitung, 3. März 2003

Frankreichs Präsident Jacques Chirac beginnt am Sonntag einen Staatsbesuch in Algerien. Die dreitägige Visite soll nach 41 Jahren wechselhafter Beziehungen des ehemaligen Mutterlandes zu seinem früheren nordafrikanischen Besitz eine neue Ära der Zusammenarbeit einleiten. Chirac, der am achtjährigen Unabhängigkeitskrieg als junger Leutnant der französischen Armee teilnahm, wird zwei Gesprächsrunden mit seinem algerischen Kollegen Abdelaziz Bouteflika halten, vor dem Parlament des Landes sprechen und mit Studenten in Oran diskutieren. Höhepunkt soll die Unterzeichnung einer „Freundschaftserklärung“ sein.

Offiziell wird der Besuch als die poli-tisch bedeutsamste Begegnung von Staatschefs beider Länder seit der Unabhängigkeit Algeriens im Jahre 1962 bewertet. Chirac wird von Außenminister Dominique de Villepin, Kulturminister Jean-Jacques Aillagon sowie von der algerisch-stämmigen Staatsekretärin Tokia Safi und ihrem Kollegen Hamlaoui Mekachera begleitet. Im Gefolge des Präsidenten reisen ferner Franzosen und Algerier, die für die kulturellen Verbundenheit beider Länder stehen sollen: der Rai-Sänger Cheb Mami, der Choreograph und Star-Tänzer des Pariser Opernballetts, Malek Boutih und die in Oran geborene Schauspielerin Nicole Garcia.

Dem gleichen Zweck dient, dass in Frankreich gerade mit zahlreichen Veranstaltungen ein „Jahr Algeriens“ proklamiert wurde. Dagegen haben sich angesichts der Menschenrechtsverletzungen und des Polizeiregimes in der Kabylei Proteste erhoben. Zu den Unterzeichnern einer Anfang Februar in Le Monde veröffentlichten Erklärung gehören die Präsidentenwitwe Danielle Mitterrand, die Vorsitzenden der Menschenrechtsliga und des Kollektivs der Verschwundenen Algeriens, die Organisation Reporter ohne Grenzen sowie französische Menschenrechtsgruppen. Noch immer wirkt der algerische Bürgerkrieg mit seinen weit über 100000 Opfern als Belastung der Beziehungen.

Im Zuge der schleppend anlaufenden Privatisierung seiner einst nach osteuropäischem Modell entwickelten Staatswirtschaft setzt Algerien große Hoffnungen auf französische Investitionen. Chirac nimmt deshalb auch Leiter von Unternehmen wie Total, Airbus, Gaz de France oder Alstom mit. Generell besteht bei der französischen Wirtschaft jedoch noch große Zurückhaltung. Algerien liegt geographisch abseits des Irak-Konflikts, ist aber ein arabisches Land. Chirac wird deshalb versuchen, Bouteflikas Einfluss in der islamischen Welt und bei den Blockfreien im Sicherheitsrat zugunsten Frankreichs zu mobilisieren. Zugleich verfolgt der französische Präsident das Ziel, wachsendem Einfluss der USA im Maghreb entgegenzuwirken. Während Washington im vergangenen Jahrzehnt kein Geheimnis daraus machte, dass es die Herrschaft der Militärs in Algerien missbilligte, wurde mit dem von den USA erklärten Krieg gegen den internationalen Terrorismus auch hier eine Kehrtwendung vollzogen. So haben die Amerikaner im Dezember den algerischen Sicherheitskräften die Lieferung von elektronischem Material zur nächtlichen Bekämpfung von Terroristen zugesagt. Die Franzosen hatten sich diesem Ansinnen lange verweigert.

Rudolph Chimelli