Flüchtlingslager in Afrika
Schily bekommt Unterstützung von EU-Innen- und Justizministern für die Auslagerung des Schutzes von Verfolgten und existentiell bedrohten Menschen
Ulla Jelpke, Junge Welt, 2. Oktober 2004
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) wird offenbar immer resistenter gegenüber Kritik. Unbeirrt verfolgte er seine abstruse Idee, Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika einzurichten, am Freitag beim informellen Treffen der Innen- und Justizminister der Europäischen Union (EU) im niederländischen Seebad Scheveningen bei Den Haag mit Erfolg weiter. Die EU-Minister einigten sich im Grundsatz darauf, fünf Pilotprojekte für Flüchtlingslager vorzubereiten. Als Partnerländer seien dafür Libyen, Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien vorgesehen. Die Lager sollen in Zusammenarbeit mit dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen UNHCR realisiert werden.
Ungeachtet der scharfen Kritik von Menschrechtsorganisationen noch Anfang der Woche setzt Schily seinen offenen Affront auch gegen den eigenen Koalitionspartner weiter fort. Denn die Grünen, die oft genug schon bei Schilys Gesetzesverschärfungen im Bundestag zustimmend die Hand gehoben haben (wie beispielsweise bei den so genannten Terrorismusbekämpfungsgesetzen), haben es diesmal unmittelbar vor ihrem Bundesparteitag, für richtig gehalten, sich per Fraktionsbeschluß von Schily zu distanzieren. Das war am Dienstag. Am Mittwoch behauptete der grüne Rechtspolitiker Volker Beck, Schily habe seinen Irrtum eingesehen. Eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung gebe es zu dem Thema nicht, so daß Schily nicht für Deutschland sprechen könne.
Der Irrtum der Grünen
Der Irrtum lag aber auf seiten der Grünen, wenn sie glaubten, Einfluß auf den starrsinnigen Kabinettssenioren nehmen zu können. Denn schon am Donnerstag beharrte Schily nicht nur auf seinem Nordafrika-Plan, sondern verschärfte am Rande des EU-Ministertreffens die Tonlage noch erheblich. »Die Europäische Union kann entweder mit den Achseln zucken und warten, bis die Probleme in Europa ankommen, oder aber diese Probleme aktiv angehen«, erklärte er. »Ich bin für das zweite.«
Mit »Problemen« meinte Schily die Menschen, die sich wegen politischer Verfolgung oder aus existentieller wirtschaftlicher Not auf den gefahrvollen Weg über das Mittelmeer machen, um unter Risiko ihres Lebens Zuflucht und Schutz in Europa zu erlangen.
Schilys Betrachtungsweise ist die des obersten Polizisten Deutschlands. Die Konsequenz aus illegaler Einwanderung sei »mehr Kriminalität, mehr Schwarzarbeit und mehr Drogenschmuggel«. Zugleich mußte der Innenminister zugeben, daß die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika wieder gesunken ist. Es bleibt also sein Geheimnis, warum er gerade jetzt dieses Thema so aufbauscht. Zunächst zeigten sich andere EU-Staaten wie Frankreich, Schweden und Spanien im Vorfeld des Treffens von Scheveningen sehr skeptisch. Diese scheint allerdings nicht lange angehalten zu haben, denn laut der Agentur AP stimmten die Minister grundsätzlich mit Schily überein.
Insbesondere äußerten sich Vertreter Italiens, Großbritanniens, Polens , Belgiens und Österreich positiv. Sie plädieren jetzt auch für Flüchtlingslager in Osteuropa. Österreich hat bereits angekündigt, Flüchtlinge aus Tschetschenien durch Auffanglager in der Ukraine abzuwehren. EU-Justizkommissar Antonio Vitorino machte seine Zustimmung für die Standorte der Flüchtlingslager davon abhängig, daß die betreffenden Länder die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert haben. Es müsse auch geklärt sein, wie ein abgelehnter Asylbescheid vor Ort rechtlich überprüft werde und wer für die Rückführung eines abgelehnten Asylbewerbers zuständig sei, meinte Vitorino.
EU-Motto »Schotten dicht«
Der per Videokonferenz zugeschaltet UN-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers appellierte an die EU-Mitgliedsstaaten, ihre Maßnahmen und Entscheidungen nicht an den niedrigsten Standards zu orientieren, die durch die verabschiedeten EU-Asylrichtlinien der ersten fünfjährigen Phase ermöglicht worden seien. Lubbers forderte darüber hinaus, »eine höchstmögliche Qualität des Flüchtlingsschutzes« sicherzustellen. Er wies darauf hin, daß in der EU und anderen Industriestaaten die Asylanträge drastisch gesunken wären, während sie in vielen neuen EU-Staaten steigen. Für die Flüchtlinge, die Europa über das Mittelmeer erreichen wollen, forderte Lubbers ein faires Anerkennungsverfahren unter internationaler Aufsicht. Gleichzeitig müsse es glaubwürdige Alternativen zum gefährlichen Seeweg nach Europa geben. Die Flüchtlingshilfeorganisation »Pro Asyl« kritisierte dagegen am Freitag in einer Presseerklärung als »absurd und nicht mehr nachvollziehbar, daß ausgerechnet in Staaten, in denen schwerste Menschenrechtsverletzungen vorkommen, Opfer von Menschenrechtsverletzungen Schutz finden sollen.«
In einem Entwurf der niederländischen Ratspräsidentschaft wird die EU-Kommission aufgefordert, bis Juni 2005 entsprechende Pläne für die »Auffangzentren« vorzulegen. Als Starttermin ist in dem Papier Dezember 2005 vorgesehen.
Insgesamt paßt Schilys Vorstoß ja auch lückenlos in die Gesamtkonzeption der »Festung Europa«, die immer hermetischer gegen Migranten und Flüchtlinge abgeschottet werden soll. Daß es dem grünen Außenminister Joseph Fischer nicht gelingt, Schily an die Kandare zu nehmen, liegt entweder an mangelnder Durchsetzungsfähigkeit der Grünen innerhalb der Koalition oder am klammheimlichen Einverständnis mit der inhumanen Politik der »Festung Europa«.