Der Drahtzieher geht

Der Drahtzieher geht

Der Abtritt des obersten Generals verwundert die Algerier. Mohamed Lamari galt lange als heimlicher Chef im Staat

Berlin Online, 19. August 2004

ROM, im August. Er war eine auffällige Figur mit seiner obligaten schwarzen Sonnenbrille und der pompösen Uniform am massigen Zwei-Zentner-Körper. General Mohamed Lamari, 65, war als oberster Militär Algeriens in den letzten zehn Jahren der heimliche Chef des Landes, das seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1962 stets von den Militärs regiert wurde. In so genannten Konklaven bestimmten die Uniformträger den jeweiligen Staatspräsidenten, der ihnen wie eine Marionette zu dienen hatte. Dieser Tage ist Lamari, der Königsmacher, abgetreten. Und die Algerier fragen sich, ob er aus freien Stücken ging oder abgesetzt wurde. Allein die Frage deutet auf das Ende einer historischen Ära hin.

Auch der seit 1999 amtierende Staatschef Abdelaziz Bouteflika war von Lamari & Co. auf den Schild gehoben worden. Allerdings konnte der Militärchef mit « Boutef », dem ersten Zivilisten auf dem Präsidentenposten überhaupt, nicht so recht. Der Staatschef gab von Beginn an zu verstehen, dass er nicht gedenke, einen « Dreiviertel-Präsidenten » abzugeben. Darauf konterte Lamari einmal, Bouteflika sei nur deshalb der Kandidat der Armee gewesen, weil gerade kein besserer zur Verfügung gestanden habe. Algerien befand sich damals in einem prekären Schwebezustand. Der seit 1992 tobende Krieg zwischen islamistischen Terrorbanden und der Armee hatte bereits zehntausende zivile Opfer gefordet – bis heute sind es über 150 000.

Die Militärs werden bis heute beschuldigt, selber Massaker verübt zu haben. In den letzten Jahren ist die Gewalt merklich zurückgegangen und laut offiziellen Schätzungen sind nur noch rund 700 Terroristen aktiv. 1993, als Lamari das Kommando übernahm, waren es 27 000. Zunächst schuf der neue Militärchef die gefürchtete Anti-Terror-Einheit der « Ninjas » – eine Truppe mit 15 000 modern gerüsteten Militärs, die mit Turnschuhen auftraten. Lamari galt als Vordenker der « Ausrotter », wie die Algerier jene nennen, die eine rein militärische Lösung des Konflikts anstrebten. Der jetzige Staatschef Bouteflika gehörte ins andere Lager. Er erließ ein Amnestiegesetz, bot reumütigen Islamisten Straffreiheit an.

6 000 Islamisten ergaben sich, dem Rest rückten Lamaris Truppen auf die Pelle. Und so stritten Präsident und Militärchef in den letzten Jahren über ihre persönlichen Verdienste im Kampf gegen den Terror. Hier der populistische Bouteflika, der den Dialog mit moderat islamistischen Kreisen suchte und auf eine nationale Aussöhnungspolitik setzte; dort der Hardliner Lamari, der sich als säkularer Republikaner aufspielte und den Begriff « gemäßigter Islamismus » für einen inneren Widerspruch hielt.

Vor den letzten Wahlen im April eskalierte der Machtkampf. Lamari rief das Volk auf, Bouteflikas Kontrahenten Ali Benflis die Stimme zu geben. Doch Bouteflika gewann mit der erdrückenden Mehrheit von 85 Prozent. « Bouteflikas Wahlsieg besiegelte Lamaris Ende », sagt der Algerien-Experte Benjamin Stora. « Der General war politisch isoliert, ein großer Teil der Militärclique stellte sich hinter Bouteflika. » Als jüngst die französische Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie nach Algier reiste, eine Premiere seit der Unabhängigkeit, war der Militärchef nicht einmal zugegen. Die Regierung ließ verlauten, der General weile in den Ferien, dann hieß es, er lasse sich in Spanien behandeln. Lamari selbst meldete sich nur noch einmal. Er huldigte sich selbst und seiner « vollbrachten Mission fürs Vaterland ». Von Gesundheitsproblemen sprach er nicht.