Algeria-Watch: Wer tötete die Mönche von Tibhirin?

Wer tötete die Mönche von Tibhirin?

Algeria-Watch, Januar 2003, Infomappe 22

In der Nacht vom 26. zum 27. März 1996 wurden sieben Trappistenmönche – Christian de Chergé, Bruno Lemarchand, Paul Favre-Miville, Christophe Lebreton, Luc Dochier Michel Fleury, Célestin Ringeard – aus dem Kloster Tibhirin bei Médéa entführt und am 21. Mai ermordet. Ihre Überreste wurden eine Woche später aufgefunden. Die GIA (Groupes Islamiques Armés) bekannten sich zu diesem Verbrechen. Doch sehr viele Fragen über die Umstände der Entführung und der Gefangenschaft der Geiseln, die Rolle der französischen und algerischen Geheimdienste und schließlich ihre Ermordung bleiben bis heute offen. Es hat nie eine Untersuchung gegeben. Am 23. Dezember 2002 veröffentlichte die französischsprachige Zeitung Libération die Ausführungen des Geheimdienstmitarbeiters, Abdelkader Tigha, der berichtet, die Operation sei von seiner Dienstelle aus organisiert worden.

In der Nacht vom 26. zum 27. März 1996 durchquerte ein Kommando von 20 Männern das Dorf von Tibhirin, verschleppte mehrere junge Männer, drang in das Kloster ein und entführte sieben Mönche. Sie ließen zwei andere Mönche – Amédée und Jean-Pierre – und eine Gruppe von Rentnern zurück, die sofort die Sicherheitskräfte alarmierten. [1] Diese kamen aber erst am nächsten Morgen zum Kloster. Eine der algerischen Geiseln floh und gab genaue Angaben zum Aufenthaltsort der Geiselnehmer und ihrer Opfer. Die Folge war die Bombardierung der gesamten Region, ohne dass die Geiseln gerettet werden konnten.

Die offizielle Version lautete, dass die GIA diese Entführung vorgenommen und schließlich die Geiseln ermordet hätten. Erst am 18. April 1996, fast einen Monat später, gab die Gruppe ein von Djamel Zitouni unterschriebenes Kommuniqué heraus. Darin wurde die Forderung nach der Freilassung der Gefangenen der GIA im Austausch mit den Mönchen gefordert. Das zweite Kommuniqué der GIA vom 23. Mai kündigte die Ermordung der Mönche an und begründete dies mit dem « Verrat » Frankreichs: « Der Präsident Frankreichs und sein Außenminister haben erklärt, dass sie mit der GIA nicht verhandeln. Sie haben den Faden des Dialogs abgeschnitten. Wir unsererseits haben nun den sieben Mönchen die Hälse abgeschnitten. » Was genau damit gemeint war, bleibt unklar, zumal offiziell die Verhandlungen zwischen dem französischen Geheimdienst und den Geiselnehmern nicht bestätigt wurden: Am 30. April begab sich ein Vertreter der GIA in die französische Botschaft und überreichte einem Offizier des französischen Geheimdienstes eine Videokassette, die bewies, dass die Mönche am 17. April noch lebten. [2] . Der Gesandte der GIA wurde nie mehr wieder gesehen, und es wird vermutet, dass die algerische Sécurité Militaire [3] ihn nach seinem Verlassen der Botschaft abgefangen hat. [4] Der Kontakt zwischen den GIA und der Botschaft war somit abgebrochen. Veranlasste dieser Abbruch der Verhandlungen die Geiselnehmer dazu, die Mönche zu ermorden?

Diese Entführung, die mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert, hat gewiss zu unzähligen Spekulationen geführt, insbesondere über die Rolle der französischen und algerischen Geheimdienste. Während der Entführung wurde die gesamte Region vom Militär umzingelt und bombardiert. Manche Personen aus Kirchenkreisen meinen, die Mönche seien während dieser Bombardierungen umgekommen. Andere vermuten, dass die französischen Dienste sich der Sache annahmen, weil ihre algerischen Kollegen – absichtlich oder nicht – keine Fortschritte in ihrer Suche machten bzw. womöglich selbst in dieser Operation verwickelt waren. Diese hätten sich schließlich der Geiseln entledigen müssen, um ihre eigene Rolle in dieser Entführung zu vertuschen.

Ließ der Geheimdienst die Mönche entführen?

Doch weder die französische Regierung noch die Kirche forderte eine Untersuchung dieses Verbrechens, und schließlich geriet die Angelegenheit mehr oder weniger in Vergessenheit. Mit den Enthüllungen von Abdelkader Tigha gegenüber der Zeitung Libération ist die Frage nach den Urhebern der Entführung und der Ermordung der sieben Mönche aufs Neue entfacht. Tigha, der zwischen 1993 und 1997 als Brigadechef im CTRI (Centre territorial de recherche et d’investigation) von Blida – einer regionalen Stelle des Geheimdienstes – beschäftigt war, berichtet, dass seine Kollegen bewaffnete Gruppen infiltrierten und steuerten. Im Zusammenhang mit der Entführung der Mönche berichtet er, dass am 24. März 1996 die rechte Hand von Djamel Zitouni – Mouloud Azzout – im CTRI übernachtete und sich dort am nächsten Morgen zwei Stunden lang mit Smaïn Lamari, Chef des DCE (Direction du Contre-Espionnage) und Nummer 2 des Geheimdienstes, unterhielt. Fünf Personen nahmen an dieser Unterredung teil, u.a. M’henna Djebbar, der Chef des CTRI. An diesem Tag wurde die höchste Alarmstufe ausgerufen, und niemand durfte seinen Posten verlassen. Die Wachen wurden von Unteroffizieren übernommen. Am Abend des nächsten Tages verließen Mitarbeiter des CTRI mit Azzout in zwei Autos die Dienststelle, entführten die sieben Mönche und kehrten zurück. Tigha berichtet: « Wir glaubten, dass es sich um die Festnahme von Terroristen handelte. Es waren leider die sieben Mönche, die entführt worden waren. Sie wurden von Mouloud Azzout verhört. Zwei Tage später hat er sie oberhalb von Blida und schließlich zur Kommandozentrale von Djamel Zitouni, einem Ort namens Tala Acha, gebracht, ein Ort, der aus unterirdischen Unterschlüpfen, einer Krankenstation und einer Schule für neue Rekruten besteht. Von diesem Versteck aus hält Azzout den Kontakt mit dem CTRI. » [5]

Tigha erzählt weiter, dass die internen Rivalitäten der GIA die Situation völlig verändert haben: Hocine Bessiou (alias Abu Moss’ab) leitete eine der Gruppen der GIA in der Region Blida-Bougara-Sidi Moussa-Baraki. Er forderte von Zitouni die Herausgabe der Mönche. Dieser und seine rechte Hand Azzout mußten sich dem beugen, nachdem andere Leutnants der GIA diese Forderung unterstützten. Die Mönche wurden nach Bougara gebracht, und Azzout musste zum CTRI, um diese Entscheidung zu rechtfertigen. Tigha erklärt, dass « er [Azzout] zwei Wochen dort blieb, und dann hat man nichts mehr von ihm gehört ». Von Djamel Zitouni forderte der DRS, dass er die Geiseln zurückholen solle, ein Unterfangen, das seinen Tod bedeutete, da der Krieg zwischen den GIA und anderen Gruppen tobte. Tigha behauptet, dass Zitouni einem Hinterhalt der AIS zum Opfer fiel und starb. « Seine Neutralisierung sowie die von Azzout löschte jede Spur der Verwicklung unserer Dienste aus. Zitounis Tod wurde erst im Juli verkündet. » [6]

Die GIA kündigten den Tod der Geiseln in einem Kommuniqué vom 21. Mai 1996 an. Am 30. Mai wurden ihre Köpfe gefunden. Es bleibt weiterhin unklar, wie die Mönche den Tod fanden. Wurden sie Opfer der militärischen Bombardierungen, wie weiter oben ausgeführt? Wurden sie direkt oder indirekt von Geheimdienstagenten ermordet, weil sie wussten, von wem sie entführt worden waren? Oder wurden sie von den GIA ermordet, weil die Verhandlungen mit der französischen DGSE kein Ergebnis brachten. Weiterhin undurchsichtig bleiben die Verwicklungen beider Dienste nach der Entführung. Vieles deutet daraufhin, dass sie nicht zusammen, sondern gegeneinander arbeiteten.

Ali Benhadjar, ein ehemaliges Mitglied der GIA berichtet

Die Ausführungen von Tigha decken sich in vielen Einzelheiten mit den Erklärungen von Ali Benhadjar. Bereits im Juli 1997 schrieb das Mitglied und später selbst Chef einer bewaffneten Gruppe, die sich der GIA angeschlossen hatte und diese zu Beginn des Jahres 1996 verließ, einen Bericht über dieses Drama, der viele Details über die Umstände der Entführung enthält. Er erklärt, dass das Kommando, das die Entführung durchführte, das Dorf terrorisierte, Wohnungen zerstörte, drei Männer tötete und andere mitnahm, die später ermordet aufgefunden wurden, bis auf einen, der fliehen konnte. [7] Er erzählt, dass die Geiselnehmer mit ihren Opfern zu Fuß in die Berge gingen und eine der algerischen Geiseln fliehen konnte und die Sicherheitskräfte alarmierte. Er fragt sich, warum die Region bombardiert wurde, wenn dort die Mönche festgehalten wurden. Er wundert sich, dass alle Zeitungen aus « gut informierten Quellen » zu berichten wussten, dass die Geiseln von der Region Tibhirin nach Bougara gebracht worden waren. Wie konnte der Verbleib der Mönche bekannt sein, wenn nicht über den Geheimdienst, und warum wurden sie dann nicht befreit? Oder bestand gar nicht die Absicht, sie zu befreien? Benhadjar geht in seinen Belastungen noch weiter, indem er den französischen Geheimdienst des Mitwissens und der Komplizenschaft beschuldigt.

Die Bedeutung des Berichtes liegt darüber hinaus in den Ausführungen von Benhadjar über das Wesen der GIA-Gruppe, die die Entführung vorgenommen hätte. Er erklärt, dass die Gruppe um Djamel Zitouni, die vom Geheimdienst manipuliert und kontrolliert wurde, die Führung in den GIA durch eine Art internen Putsch übernommen hatte. Diese hätte die Entführung ausgeführt, nachdem seine eigene Gruppe sich dagegen ausgesprochen hatte, weil sie den Mönchen bereits Ende 1993 Schutz (Aman) versprochen hatte. Er beschreibt im Einzelnen den Besuch, den er mit fünf weiteren Männern seiner Gruppe, darunter Cheikh Attia, damaliger Chef der Gruppe, in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember 1993 den Mönchen abstattete, um ihnen den Aman anzubieten. Im Gegenzug verlangten sie, dass der Arzt unter den Mönchen, bei Bedarf, ihre Verletzten behandelt. Benhadjar versichert, dass die Mönche der vorgeschlagenen Abmachung zustimmten. Er erklärt: « Als die GIA unter der Führung von Zitouni, der von den Sicherheitsdiensten durch absurde Fatwsa und Richtlinien manipuliert wurde, begann, von der Linie abzuweichen, annullierte sie unsere Verpflichtungen, indem sie das Blut, das Vermögen und das Geld derjenigen, die nicht mit ihr einverstanden sind, für rechtmäßig erklärte. » [8] In seiner Broschüre gibt Benhadjar viele Hinweise, dass die GIA, die von Djamel Zitouni und seinem Leutnant Antar Zouabri geführt wurden, vom Geheimdienst manipuliert wurden.

Bis heute hat weder die algerische noch die französische Regierung auf die Erklärungen von Benhadjar und Tigha reagiert. Der Erzbischhof von Algier Mgr. Tessier teilte der Presse mit : « Derjenige, der die klarsten Informationen gab, war Benhadjar von der AIS (Armée islamique du Salut), der mit den verschiedenen terroristischen Gruppen der Region in Verbindung stand. Wir haben keine andere Information, um der Version von Libération mehr Glauben zu schenken. » [9] Ist dies angesichts der Ausführungen von Benhadjar nicht eine diplomatische Bestätigung seiner Aussagen?

Es ist zu wünschen, dass die Ausführungen von Abdelkader Tigha die Kirche und die französische Regierung endlich veranlassen werden, eine Untersuchung zu fordern.



[1] Henri Tincq, La sécurité algérienne pourrait être impliquée dans le Drame de Tiberhirine, Le Monde, 7. und 8. Juni 1998. http://www.algeria-watch.org/mrv/mrvreve/lmo7698.htm

[2] L »Express, 30. Mai 1996.

[3] Sécurité Militaire ist die ehemalige Bezeichnung für den Geheimdienst DRS (Département du Renseignement et de Sécurité)

[4] Idem. Tincq bemerkt dazu, dass « zufälligerweise » an diesem Tag die Kameras am Eingang der Botschaft ausfielen, so dass dieser Gesandte nicht identifiziert werden konnte. Der Offizier gab dem GIA-Mann eine schriftliche Bescheinigung über den Erhalt des Videos und ließ ihn in einem gepanzerten Wagen wegfahren. Der Mann soll nach dem Verlassen des Wagens ermordet worden sein.

[5] Arnaud Dubus, Les sept moines de Tibehirine enlevés sur ordre d’Alger, Libération, 23. Dezember 2002. http://www.algeria-watch.org/mrv/mrvreve/tigha_moines.htm

[6] Idem.

[7] Abu Scha’ib ‘Ali Ben Hadjar, Qadhiat maqtal ar-rahban as-sab’a bil-djazair, Al-Djazair, 17. Juli 1997 http://www.algeria-watch.org/farticle/tigha_moines/benhadjar.htm

[8] idem, S. 11.

[9] Reuters, 24. Dezember 2002.