« Immer wirder wurde ich verhaftet, obwohl nichts gegen mich vorlag »

« Immer wieder wurde ich verhaftet, obwohl nichts gegen mich vorlag »

Dieses Zeugnis von Mounir, algerischer Asylbewerber in Deutschland, wurde von algeria-watch im Dezember 1997 dokumentiert.

Ich bin am 14. November 1973 geboren und wohne in der Cité Sidi-Moussa neben Bentalha. Ich bin seit dem 28. Juli 1997 in Deutschland. Mein Vetter, der den bewaffneten Gruppen angehörte, wurde im November 1996 von Sicherheitskräften getötet. Sie stellten ihn zur Schau, damit alle sehen konnten, daß er ein Terrorist war. Es war bekannt, daß er zu den bewaffneten Gruppen gegangen war, wie andere junge Männer aus unserer Gegend auch. Deswegen wurden unsere Viertel regelmäßig von Sicherheitskräften durchkämmt, wahllos die jungen Männer mitgenommen, um Informationen über die bewaffneten Gruppen zu erpressen. Wir nennen diese Duchkämmungsaktionen « Ratissage ».

Die erste Ratissage, die ich erlebte, ereignete sich im Januar 1995. Gendarmerie-, Armee- und Polizeieinheiten sperrten das Viertel ab und nahmen Leute fest. Ich wurde mit etwa 20 anderen Männern inhaftiert und zur Brigade Bourrarba (El-Harrach) gebracht. Dort sperrte man uns in eine Zelle im Keller ein. Wir bekamen kaum zu essen und wurden permanent geschlagen und verhört. Man warf uns vor, uns nicht von den Terroristen zu distanzieren. Ich blieb dort 25 Tage, dann ließen sie mich laufen. Keiner wußte, wo ich gewesen war, ich hatte keine Möglichkeit gehabt, meine Familie oder einen Anwalt zu informieren. Die gesetzlich festgelegte Garde-à-vue (Inkommunikado-Haft) darf eigentlich 12 Tage nicht überschreiten.

Bei einer zweiten Ratissage im Februar 1995 kam ich in das berühmt berüchtigte Folterzentrum Chateauneuf. Dort blieb ich zwei Wochen. Man hatte mir die gesamte Kleidung heruntergerissen und ich blieb die ganze Zeit nackt. Ich wurde regelmäßig zu Verhören geholt, die von Folterungen begleitet waren. Die zwei Methoden, die sie anwandten, waren die Chiffon-Methode [der Mund wird mit einem schmutzigen Tuch gestopft und Wasser eingeführt, so daß es geschluckt werden muß, der Bauch bläht sich auf, Atemnot und Bewußtseinsverlust können die Folge sein] und Stromschläge. Ich sah, wie ein Gefangener starb. Sie hatten seinen Kopf in eine Schraubzwinge gesteckt und diese so stark zusammengezogen, daß sein Kopf zerplatzte. Auch hier wurde ich auf freien Fuß gesetzt, ohne daß meine Familie wußte, wo ich mich befand und was mit mir geschah.

In einer dritten Verhaftung am 20. März 1995 kam ich nach El-Harrach ins Kommissariat von Bajarrah. Sie hatten mich mit einem Freund an einer Bushaltestelle aufgegriffen. Dort blieb ich auch zwei Wochen und erlebte ähnliche Folterungen und Verhöre wie bei den vorherigen Malen.

Die vierte Inhaftierung erlebte ich im April 1995. Ich wurde zur Brigade Baraki gebracht und blieb dort drei Tage lang, ohne zu essen. Dann ließen sie mich frei.

Im Juni 1995 schließlich kamen Armee- und Gendarmerieangehörige zu uns nach Hause. Sie waren etwa 20 Männer. Sie suchten mich im Rahmen einer gezielten Rattissage um vier Uhr morgens. Sie nahmen 22 Personen mit, in einem Lastwagen der Armee. Sie brachten uns in eine Kaserne, doch kurz später wurden wir in die Brigade der Gendarmerie von Baraki überführt. Sie beschuldigten uns mit den bewaffneten Gruppen zusammenzuarbeiten. Ich blieb 17 Tage lang in diese Brigade. Wir bekamen alle drei Tage ein Stück vertrocknetes Brot. Wir waren 12 Mann in einer Zelle, die etwa 2 mal 3 Meter groß war. Sie holten jeden einzeln raus. Ich kam alle zwei Tage raus, mußte mich ausziehen und wurde geschlagen und gefoltert (Chiffon und Strom). Die Foltersitzungen dauerten eine bis eineinhalb Stunden. Sie wollten Namen von Leuten erfahren, die in die Berge gegangen waren.

Nach diesen 17 Tagen wurde ich einem Untersuchungsrichter im Militärgericht von Blida vorgeführt und schließlich in das Gefängnis von El-Harrach überführt. Dort blieb ich 10 Monate ohne Gerichtsurteil, wurde aber verdächtigt, einer terroristischen Gruppe anzugehören. Gleich bei der Ankunft im Gefängnis wurde ich rasiert und mit Schlägen empfangen. Ich kam in einen großen Saal mit etwa 70 Personen. Alle waren aus politischen Gründen dort inhaftiert, manche schon 4 oder 5 Jahre, ohne vor Gericht gestellt worden zu sein. Dort wird nicht gefoltert, allerdings werden immer wieder Gefangene abgeholt, weil sie beschuldigt werden, in die eine oder andere Sache verwickelt zu sein. Sie werden in Folterzentren gebracht und dort entsprechend zugerichtet. Diejenigen, die endlich vor Gericht kommen und zu mehr als 20 Jahren verurteilt werden, werden in andere Gefängnisse verlegt. Manche scheinen zu verschwinden, da ihre Familien nicht wissen, wohin sie verlegt wurden, und nach ihnen suchen.

Im Gefängnis sind die Haftbedingungen unerträglich. Mal abgesehen von der Hygiene und der Ernährung werden die Gefangenen täglich drangsaliert und geschlagen. Bei jedem Hofgang (jeder Saal hat seinen eigenen Hofgang) kommen etwa 40 Wärter, die mit Stöcken und Schläuchen bewaffnet sind, und wir müssen eine Stunde lang unter ihren Schlägen rennend die Runden drehen. Ich habe fürchterliche Erinnerungen an diese Haftzeit. Nach zehn Monaten wurde ich endlich einem Richter vorgeführt, der mich freiließ. Auf meiner Freilassungsurkunde steht, daß nichts gegen mich vorliegt.

Nach meiner Freilassung, etwa zwei Wochen später, kamen Gendarmen zu uns nach Hause und fragten nach mir. Da ich nicht da war, bestellten sie mich für den nächsten Tag zur Gendarmerie von Baraki. Ich ging auch hin. Sie hielten mich dort zwei Tage lang fest und nahmen mir den Personalausweis ab.

Etwa einen Monat später etwa wurde ich an der Bushaltestelle von Baraki von Patrioten [vom Staat bewaffnete und bezahlte Selbstverteidigungsgruppen] kontrolliert. Ich wollte mit dem Bus nach Bentalha fahren. Ich sollte ihnen meine Papiere zeigen. Ich hatte keinen Ausweis mehr, aber einen Nachweis, daß ich vom Militärdienst befreit war. Sie erkannten meinen Namen, da mein Vetter, der zu den bewaffneten Gruppen gegangen war, denselben Namen trägt. Sie stülpten mir einen Sack über den Kopf und schlugen mit dem Gewehrkolben auf mich ein. Sie drängten mich in ein Fahrzeug mit dem Kopf zum Boden und fuhren zur Militärkaserne von Baraki. Ich wurde dem Kommandanten vorgeführt und der Zusammenarbeit mit meinem Vetter beschuldigt. Ich kam in eine Zelle, die 1,5 mal 1,5 Meter groß war. Dort blieb ich eine Woche lang isoliert. Sie holten mich immer wieder raus zum Verhör. Sie haben mir nichts getan, sondern mich immer nur nach meinem Vetter gefragt.

Anschließend wurde ich in die Gendarmerie von Baraki gebracht. Ich blieb dort zwei Tage und wurde gefoltert. Am ersten Tag holten sie mich für vier Stunden, am zweiten Tag für zwei Stunden aus der Zelle heraus. Die Foltermethoden waren die bekannten.

In der Zelle konnte man auf den Wänden die Zeugnisse der vorherigen Gefangenen erkennen. Einer war fünf Monate von einer Brigade zur nächsten verschleppt worden, andere hatten geschrieben, sie seien seit 3 oder 4 Monaten an diesem Ort.

Am dritten Tag wurde ich von vier Patrioten mitgenommen. Ich dachte, sie würden mich zu ihrem Hauptquartier mitnehmen, doch sie gingen mit mir in den Wald. Sie banden meine Arme hinter dem Rücken fest und wollten mich unbehelligt abschlachten. Da intervenierte ein Armeekapitän, der mich suchte. Meine Mutter hatte über Beziehungen versucht, mich aus den Fängen der Gendarmen zu holen. Dieser Militärangehörige war zu der Brigade gegangen und hatte erfahren, daß die Patrioten mich zum Sitz der Kommunalgarden mitnehmen wollten. Als er überraschend auftauchte, konnten die Patrioten sich nur damit herausreden, daß sie nicht beabsichtigt hätten, mich umzubringen, sondern mir lediglich Angst einflößen wollten.

Der Kapitän nahm mich zur Gendarmerie mit und von da aus kam ich wieder zum Militärgericht von Blida. Dort wurde ich verhört und der Untersuchungsrichter sagte, er würde mich ins Gefängnis schicken, da ich dort sicherer vor den Patrioten geschützt wäre als draußen. Ich habe natürlich nicht geglaubt, daß er mir helfen wollte, sondern daß er mich einfach hinter Gittern sehen wollte. Doch im Nachhinein glaube ich, daß er tatsächlich gute Absichten mit meiner Einsperrung verfolgte. Nach vierzig Tagen wurde ich auf freien Fuß gesetzt. Ich habe eine Bescheinigung erhalten, daß ich unschuldig bin.

Ich ging ins Hotel und setzte mich in Verbindung mit meiner Mutter. Für mich kam es nun nicht mehr in Frage in unser Viertel zurückzukehren oder sogar in Algerien zu bleiben. Sie gab mir meinen Paß und Geld und im Juli 1996 verließ ich Algerien in Richtung Libyen. Dort blieb ich 11 Monate lang. Ich hielt mich über Wasser durch Auftritte mit einer Musiktruppe in Tripoli. Ich fühlte mich aber nicht sicher, da der algerische Geheimdienst auch dort tätig war und Leute verschleppte. Ich habe es mit den eigenen Augen gesehen.

Im Juni 1997 bin ich nach Algerien zurückgekehrt, aber nicht nach Hause gegangen., sondern zu meiner Schwester. Ich habe meine zweite Flucht vorbereitet. Ich bin zwei Wochen später nach Tunis gefahren und habe dort ein Ticket nach Thailand über Frankfurt gekauft. In Frankfurt habe ich mich zwei Tage lang im Transitraum aufgehalten und bin einfach hinausgegangen. Ich habe meinen Paß und mein Ticket nach Algerien zurückgeschickt. Beides ist nie angekommen.

Mir wurde gesagt, ich solle den Asylantrag unter einem falschen Namen stellen. Ich bin von Frankfurt aus nach Wismar verteilt worden. Mein Asylgesuch ist im August abgelehnt worden. Ich habe bei der Anhörung lange nicht so viel erzählt, wie hier geschrieben ist, und ich kann aus Algerien die zwei Bescheinigungen über den Freispruch schicken lassen. Leider kann ich nicht die diversen Inhaftierungen in den Brigaden nachweisen, da die Sicherheitskräfte keine Bescheinigungen darüber ausstellen. Ich kann nicht zurück nach Algerien, da ich mich nicht permanent verstecken kann und mir – wie ich hier beschrieben habe – keine Ruhe gelassen wird. Ich bin scheinbar als Terrorist abgestempelt, obwohl das Gericht zweimal meine Unschuld bestätigt hat.