Spanische und marokkanische Soldaten patrouillieren in Ceuta und Melilla
Militärische Abschreckung
Spanische und marokkanische Soldaten patrouillieren in Ceuta und Melilla
Ein starkes Militäraufgebot zu beiden Seiten der Grenzzäune der spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla hat fürs Erste die Lage beruhigt. In Madrid wird heftig über die Ausländerpolitik debattiert.
Ralph Schulze/Madrid, St. Galler Tagblatt, 1. Oktober 2005
Spanische Legionäre patrouillieren mit dem Gewehr im Anschlag an den Stacheldrahtwällen der beiden Garnisonsstädte Ceuta und Melilla entlang. Ein Riesenaufgebot marokkanischer Soldaten riegelte auch auf der anderen Seite der Grenze den Zaun ab, um weitere Massenattacken afrikanischer Flüchtlinge auf die beiden spanischen Aussenposten zu verhindern. «Es gab keinen einzigen Angriff auf die Grenzzäune», meldeten die spanischen Behörden gestern erleichtert. Wohl auch, weil Marokkos Grenzpolizei, die mit Hundertschaften und Heli-koptern die nahen Wälder auf eigenem Territorium durchsuchte, Dutzende Afrikaner festnahm und abtransportierte.
Mehr als 23 000 Flüchtlinge, die meisten aus Schwarzafrika, habe sein Land bereits seit Jahresbeginn festgesetzt, sagte Marokkos Ministerpräsident Driss Jettou. Die in Marokko erwischten Illegalen werden in der Regel an die algerische Grenze transportiert, über welche die meisten zuvor eingereist waren, und dann nach Algerien abgeschoben. Von dort machen sie sich freilich erfahrungsgemäss erneut auf die Wanderung Richtung Europa.
Wer schoss?
Spanien und Marokko beschuldigten sich gestern gegenseitig, am Tod der fünf Afrikaner schuldig zu sein, die in Ceuta ums Leben gekommen waren. Alle fünf, darunter laut inoffiziellen Angaben auch ein Baby, erlitten nach den bisherigen Informationen Schussverletzungen. Marokkanische Quellen behaupten, «die spanische Grenzpolizei» habe «auf die Angreifer geschossen». Spaniens Grenzkommando erklärte derweil, es sei «keine scharfe Munition» abgefeuert worden, nur Gummigeschosse. Der spanische Regierungschef Zapatero kündigte seinerseits eine sofortige Untersuchung an.
Die humanitäre Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die sich seit zwei Jahren an der Erstversorgung der afrikanischen Immigranten auf marokkanischer Seite beteiligt, berichtete von schweren Misshandlungen der Flüchtlinge durch die Grenzpolizei beider Seiten. Flüchtlinge berichteten regelmässig von Prügel, Hundebissen, Schüssen und Vergewaltigungen.
In Madrid beschuldigte der konservative Oppositionschef Mariano Rajoy die sozialdemokratische Regierung, mit einer zu toleranten Ausländerpolitik die Flüchtlinge gleichsam zum Sturm auf Spanien aufzufordern. Erst im Frühjahr hatte die Regierung Zapatero im Rahmen einer Generalamnestie etwa 700 000 illegalen Einwanderern, die einen Arbeitsplatz nachweisen konnten, die Aufenthaltserlaubnis geschenkt. Diese Aktion war auch in der EU kritisiert worden.
Unzählige warten
Die Ausländerbeauftragte der Regierung, Consuelo Rumi, wies die Vorwürfe zurück und begründete die massiven Grenzangriffe mit der «Verzweiflung» der Flüchtlinge angesichts des bereits laufenden Ausbaus und der Erhöhung der Sperranlagen in Ceuta und Melilla. Justizminister Juan Fernando Lopez Aguilar äusserte die Befürchtung, dass der Flüchtlingsdruck auch in der Zukunft kaum nachlassen werde. Es befänden sich vermutlich «Zehntausende oder sogar Hunderttausende» Schwarzafrikaner in Marokko, um von dort auf ihre Fluchtchance nach Europa zu warten.
Die beiden lokalen Regierungschefs von Ceuta und Melilla, die der konservativen Oppositionspartei angehören, fordern derweil, die Flüchtlinge mit «Sofortabschiebungen» abzuschrecken. Juan José Imbroda, Stadtoberhaupt Melillas, sagte: «Wir müssen das Einwanderungsgesetz ändern, um die illegalen Immigranten gleich an der Grenze zurückschicken zu können. Das würde sie demoralisieren.»