Berichte abgeschobener Asylbewerber
Berichte abgeschobener Flüchtlinge
Erster Bericht: Von Verhaftung zu Verhaftung
A.B., der am 10. Juni 1994 nach Algerien abgeschoben wurde, erzählt nach seiner erneuten Flucht nach Deutschland im Juli 1994, was er während seines Aufenthaltes in Algerien erlebte:
« Nach der Ankunft in Algier wurde ich gefesselt zur Polizei etwa 10 km vom Flughafen entfernt gebracht. Dort wurden mir Fingerabdrücke abgenommen, und ich wurde fotografiert. Ich blieb 48 Sunden dort ohne Essen und Trinken. Ich wurde immer wieder verhört, nach meinem Verbleib gefragt und nach den Gründen, warum ich in Deutschland Asyl beantragt hätte. Außerdem sollte ich sagen, welche Lügen ich über Algerien erzählt hätte. Die Polizisten wollten auch wissen, welche anderen Algerier ich in Deutschland getroffen hätte bzw. kenne. Ich habe aber nur allgemeine Angaben gemacht, daß ich einige Algerier getroffen hätte, ihre Namen aber nicht kenne. Dann wurde ich freigelassen.
Drei Tage nach Ankunft in meinem Heimatdorf holte mich die Polizei dort von zu Hause ab und brachte mich zur Polizeistation des nächstgrößeren Ortes, in das etwa 10 km entfernte… Wieder wurden Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht. Von immer anderen Männern wurde ich pausenlos verhört und geschlagen, sie rissen meinen Kopf an den Haaren hin und her. Ich sollte berichten, was ich in Deutschland gesagt und welche Lügen ich dort verbreitet hätte. Immer wieder habe ich gesagt, in Deutschland hätte ich nur angegeben, keine Probleme in Algerien gehabt zu haben. Das haben sie mir nicht geglaubt und warfen mir Lügen vor und fingen immer wieder von vorn an mit Schlägen und Mißhandlungen. Sie fragten mich nach S.F., der in Deutschland ist, und ob ich ihn getroffen hätte. Das habe ich verneint. Auch hier in dieser Polizeistation wurde ich in einem kleinen Raum eingesperrt und bekam während der dort verbrachten 48 Stunden nichts zu essen und zu trinken.
Eine Woche später kam die Polizei wieder zu unserer Wohnung, traf mich aber nicht an, weil ich zu Verwandten außerhalb des Dorfes gegangen war. Es kam dann ein Brief … von der Polizei mit der Aufforderung, sofort dorthin zu kommen. Ein Grund war nicht angegeben. Dieser Aufforderung habe ich nicht Folge geleistet.
Noch mal eine Woche später kam wieder die Polizei und holte mich ab. Sie machten mir Vorwürfe, daß ich nicht gekommen war. Sie wollten mir nicht glauben, daß ich bei ihrem letzten Kommen bei Verwandten gewesen war. Sie schlugen und beleidigten mich und schimpften mich einen Lügner. Es folgten dauernd Schläge und Zerren an den Haaren, wodurch mein Kopf hin und her gerissen wurde. Die Befrager wollten immer wissen, welche Angaben ich in Deutschland gemacht hätte. Nun wurden mir Fotos gezeigt von Algeriern in Deutschland, und ich sollte sagen, wo sie sich aufhalten und ob ich sie kenne. Das habe ich immer wieder verneint. Wieder blieb ich die ganze Zeit ohne Essen und Trinken. Nach 48 Stunden konnte ich wieder gehen und bin mit dem Bus nach Hause gefahren.
In der nächsten Woche kam schon wieder die Polizei. Ich war nicht zu Hause. Nach einigen Tagen kam wieder ein Brief, ich sollte mich bei der Polizei melden. (…) Diesmal bin ich zur Polizei gegangen, und sie haben mich sofort wieder eingesperrt in einem Raum allein, 48 Stunden mit ständigen Verhören und Schlägen, Fragen, warum ich Asyl beantragt, was ich gesagt hätte und welche Algerier ich kenne. Wie jedes Mal bedrohten sie mich und wollten mich in Haft behalten, wenn ich nicht die Wahrheit sagte.
Jetzt bekam ich die Auflage, mich jeden Tag zweimal, morgens und abends bei den Gendarmen in… zu melden. Das habe ich etwa fünf Tage lang befolgt.
Dann kamen abends gegen 22 Uhr drei Männer zu mir nach Hause, zerrten mich in ein Auto, verbanden mir die Augen und brachten mich fort. Ich glaube, die Fahrt hat ungefähr eine Stunde gedauert. Wo wir ankamen, weiß ich nicht. (…) Ich wurde in einen Raum eingeschlossen. In Nebenräumen habe ich mehrere Stimmen gehört, als ob sich dort noch andere Abgeholte zum Verhör befunden hätten.
Hier gab es Verhöre genau wie bei der Polizei. Sie wollten wissen, was ich in Deutschland gesagt hätte und ob ich hier mit der Polizei zusammengearbeitet und welche Angaben ich gemacht hätte. Ich habe genau erzählt, was bei der Polizei passiert war. Sie sagten, noch mal würden sie mich nicht befragen, sondern beim nächsten Mal sofort töten. Sie würden mich auch töten, wenn ich irgendwelche Angaben bei der Polizei machen würde. Bis zum nächsten Abend wurde ich festgehalten und verhört. Gegen 21.30 Uhr wurden mir die Augen wieder verbunden, und ich wurde nach Hause gebracht. Wer diese Männer waren, weiß ich nicht, nehme aber an, daß sie der FIS angehörten.
Z Hause traf ich meine weinenden Eltern wieder, die nicht geglaubt hatten, mich lebend wiederzusehen. Mein Vater wollte nicht, daß ich noch länger bliebe und gab mir Geld für die Ausreise. (…) »
Zweiter Bericht: Nach der Abschiebung Sippenhaft
B.Z. wurde im März 1993 aus Deutschland abgeschoben. Bei seiner Ankunft am Flughafen in Algier wurde er verhaftet und in die Kaserne von Bab Ezzouar gebracht. Dort werden abgeschobene Flüchtlinge in Polizeigewahrsam festgehalten. Die Zelle war ein 8m2 großer Raum, in dem 10 bis 12 Männer eingesperrt waren. Die Verhöre waren zahlreich und die Verhörmethoden brutal. B.Z. blieb drei Tage dort, und drei Gefangene starben unter der Folter. Ihm selbst wurden Verletzungen zugefügt, eine große Narbe am Ohr rührt her von den Schlägen mit Handschellen. Es wurden ihm auch Zähne ausgeschlagen. Nie wurde er einem Arzt vorgeführt. Die Verhöre drehten sich um die Asylantragstellung und in Deutschland lebende Algerier.
Anschließend wurde er in das Gefängnis von El Harrach verlegt. Politische Gefangene und Straftäter waren dort zusammen in großen Sälen von ca. 110 m2 untergebracht. In jedem Saal befanden sich ca. 200 Gefangene. Etwa 60 bis 70 unter ihnen waren ehemalige Asylbewerber aus Deutschland.
Weder wurde er einem Richter vorgeführt noch verurteilt. Er hatte keinen Kontakt nach außen und wußte nicht, wie lange er dort bleiben würde. Schließlich wurde er nach drei Monaten freigelassen, ohne Papiere und Unterlagen.
Er schlug sich durch bis zu seinen Eltern in… In den folgenden drei Monaten wurde die Familie dreimal von Spezialeinheiten aufgesucht, wobei sie den untergetauchten Bruder von B.Z. suchten. Im Oktober 1993 wurde dieser in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt. Ende des Jahres wurde das Haus der Familie von den Spezialeinheiten durchsucht. B.Z. wurde verhaftet, da sie den Bruder nicht antrafen. Der Überfall wurde von 8 Ninjas am hellichten Tag verübt. Sie stülpten dem Betroffenen einen Sack über den Kopf und führten ihn ab. Nach einer Autofahrt von etwa 15 Minuten wurde er in einen Keller gebracht. Es war ein Folterzentrum. Die Gefangenen wurden in Einzelzellen untergebracht und zu den Verhören herausgeholt. B.Z. blieb 25 Tage dort und wurde phasenweise einmal und manchmal auch zweimal täglich mißhandelt und gefoltert. Die Foltersitzungen dauerten eine oder eineinhalb Stunden, unterbrochen von den Ohnmachtsanfällen. Dann ließen sie ihn drei Tage in seiner Zelle ohne Nahrung und Wasser. Er mußte das Wasser aus der Toilettenspülung trinken. Die Folterungen bestanden neben dem Schlagen aus der Folter mit der Chiffon-Methode (das Opfer wird an eine Bank festgebunden, in den Mund wird ein Lappen gesteckt und Flüssigkeit in den Bauch eingeflößt bis Erstickungsanfälle aufkommen. Oft werden Schmutzwasser oder Chemikalien verwendet. Wenn der Bauch prall ist, wird darauf gesprungen, so daß der Gemarterte sich übergeben muß). Über die anderen Foltermethoden kann B.Z. nicht sprechen. Bei einer Sitzung wurde B.Z. das Nasenbein gebrochen.
Mitte Januar 1994 wurde B.Z. in das « Centre de réeducation » in … verlegt und kurz später wurde er in ein anderes Gefängnis in … gebracht. Im August 1994 erhielt B.Z. das Urteil des Sondergerichts … über zwei Jahre Haftstrafe. Er war nie einem Richter vorgeführt worden. Die Haftbedingungen in beiden Gefängnissen waren menschenunwürdig, aber B.Z. fürchtete insbesondere die Mißhandlungen durch das Gefängnispersonal. Er kann bezeugen, daß Gefangene durch Folter in der Haft gestorben sind.
Ende November 1994 wurde B.Z. ohne Vorankündigung vorzeitig entlassen. Er durfte jedoch … nicht verlassen und mußte sich wöchentlich im Polizeikommissariat seines Viertes melden. Diese Termine bei der Polizei wurden zur Qual, da er von den Beamten aufgefordert wurde mitzuarbeiten und bedroht wurde, erneut inhaftiert zu werden. Ihm wurde das Untertauchen seines Bruders angelastet. Nach etwa einem Jahr der Belästigungen und Bedrohung beschloß er, das Land wieder zu verlassen und wieder nach Deutschland zu fliehen.
Dritter Bericht: Folter und Gefängnis nach freiwilliger Rückkehr
B.K. floh erneut im August 1997 nach Deutschland und stellte einen Nachfolgeantrag. Seinen Bericht geben wir in gekürzter Form wieder:
« 1996 wurden wir aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Die deutschen Behörden hatten mich aufgefordert, einen Antrag für ein Laissez-Passer zu unterschreiben, und damit gedroht, uns gewaltsam auszuweisen. Da wir eine Familie mit vier Kindern haben und selbst der Anwalt uns empfohlen hat, freiwillig zurückzukehren, haben wir uns schließlich dazu durchgerungen, unsere Rückreise vorzubereiten. Ich sollte vorher fahren und meine Frau mit den Kindern nachkommen. Ich habe beschlossen, nicht über Algier zu fahren, sondern über Frankreich nach Oran zu fliegen.
Als ich dort ankam und in der Schlange stand, kamen zwei Sicherheitsbeamte auf mich zu und fragten nach meinen Papieren. Ich zeigte ihnen mein Laissez-Passer. Sie führten mich ab, und wir fuhren im Auto zum Zentralkommissariat. Meine Familie, die mich abholen wollte, hatte nichts gesehen und dachte, ich sei nicht angekommen.
Im Kommissariat sperrten sie mich in eine Zelle ein, in der schon fünf oder sechs Gefangene waren. Es war nicht genug Luft zum Atmen. Ich wußte, daß gefoltert wurde, ich hörte die Schreie. Auch Frauen waren dort inhaftiert und wurden gefoltert. Ich blieb dort drei Tage, ohne daß sich jemand für mich interessierte.
Endlich holte man mich aus der Zelle und brachte mich in ein Büro. Mehrere Männer waren in dem Raum. Sie zeigten mir ein Foto. Dieses Foto war bei einer Demonstration gemacht worden und sie behaupteten, ich sei darauf abgebildet. Es stimmt, daß die Person, die sie mir auf dem Foto zeigten, mir sehr ähnlich war, aber ich war es nicht. Dieses Foto war in Deutschland gemacht worden und sie behaupteten: ,Du warst 6 Jahre in Deutschland, Du muß alles wissen, die Terroristen in Deutschland sind nicht weit von dort, wo Du gewohnt hast. Du mußt mit ihnen in Kontakt gewesen sein.’ Ich kannte diese Leute nicht und wußte nichts von ihren Aktivitäten. Die Polizisten glaubten mir nicht und gingen zur Folter über. Sieben Tage lang holten sie mich täglich zu ihnen und verhörten mich zwei Stunden lang. Ich wurde vor allem mit Eisenstangen geschlagen und mit der Chiffon-Methode gefoltert. Sie schlugen mich am Hinterkopf und ich habe geblutet. Seit diesem Tag hat sich in meinem Kopf etwas verändert. Ich habe auch Schmerzen, die sich genau von diesem Punkt aus über den ganzen Kopf ausbreiten. Sie haben mich in eine Toilette eingesperrt und den Kopf in die Schüssel gesteckt, so daß ich da Schmutzwasser trinken mußte. Sie wollten nichts anderes wissen als die Namen der Personen auf dem Foto. Ich konnte ihnen nichts sagen, denn ich kannte sie nicht.
Nach 10 Tagen brachte man mich in das Gefängnis von Mers el-Kebir, ein Militärgefängnis, das während der Kolonialzeit gebaut worden war. Ich kam in eine Zelle mit etwa 15 anderen Gefangenen. Man holte uns regelmäßig zur Folter heraus. Wir waren in einem furchterregenden Zustand, blutige Körper, schmutzig und verlaust. Nie haben wir einen Arzt gesehen. Oft kamen diejenigen, die rausgeholt worden waren, nicht mehr zurück. Sie waren unter der Folter gestorben. Wir fürchteten uns voreinander, wir hatten angst, vom anderen belastet zu werden. Ich erfuhr, daß in diesem Gefängnis viele aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge waren.
Mich holten sie zwei bis drei Mal in der Woche heraus. Über einen langen Flur gelangte man zu einem kleinen Hof, wo sie mich zwischen einer halben bis einer Stunde folterten. Meistens wandten sie die Chiffon-Methode an, aber sie fügten mir auch Verbrennungen mit Zigaretten zu. Ich habe bis heute Narben. Jedesmal zeigten sie mir das Foto und wollten von mir die Namen der Abgebildeten wissen. Ich blieb dort insgesamt sieben Monate. Ich habe Mühe zu beschreiben, was sich dort abspielte. Bis heute habe ich Alpträume und vor allem habe ich immer noch unerträgliche Kopfschmerzen.
Meine Frau suchte mich monatelang und schaffte es schließlich, mich aus dem Gefängnis zu holen. Sie bezahlte eine große Summe Geld dafür. Ich mußte mich bei der Polizei wöchentlich melden, aber ich wohnte nicht an dem Ort, an dem ich gemeldet war. Es stellte sich auch später heraus, daß es auch richtig war, mich woanders aufzuhalten, da die Sécurité Militaire mich suchte. Mir ging es sehr schlecht, ich konnte kaum laufen und sprach nicht. Ich konnte die wöchentlichen Termine bei der Polizei nur mit Hilfe meiner Mutter überstehen. Da man mich suchte, ging ich nach zwei Monaten nicht mehr zur Polizei, verließ die Stadt und hielt mich im Dorf auf. Meine Familie beschloß, mich aus dem Land zu bringen, da sie eine neue Verhaftung befürchtete.
Meine Mutter sagte mir vor meiner Abreise: ,sag alles, erzähl alles, was Du gesehen hast, alles, was Du erlitten hast, sie müssen wissen, was hier geschieht.' »