General Nezzar greift an
Exklusiv-Interview mit dem Ex-Armeechef.
Das Interview führte Henri-Christian Giraud, Figaro-Magazin, 21.April 2001 (aus der Veröffentlichung der « La Nouvelle République » vom 21.und 22. April 2001).
General Khaled Nezzar war Offizier der französischen Armee, aus der er im April 1958 desertierte, um sich der ALN (Armée de libération nationale, Nationale Befreiungsarmee) anzuschließen. Er war Kommandant der Bodentruppen, an deren Spitze er während der Unruhen im Oktober 1988 die Ordnung wiederherstellte – was zwischen 169 (nach offiziellen Angaben) und 500 Tote zur Folge hatte. Er ging durch seine Entscheidung in die Geschichte ein, 1992 die Wahlen abzubrechen, die der FIS (der Islamischen Heilsfront) den Sieg gebracht hätten. Als Generalstabschef, Verteidigungsminister und Mitglied des Hohen Staatskomitees (der Instanz, die nach dem Rücktritt Chadli Bendjedids an die Stelle der präsidentiellen Macht trat), leitete General Nezzar den Krieg gegen die Islamisten. Heute im Ruhestand, war er lange Zeit der starke Mann des algerischen Regimes. Und nach Meinung von Experten und der öffentlichen Meinung seines Landes, gehört er zu jenen, mit denen man weiterhin rechnen muß.
Sie schicken sich an, Ihre Memoiren in Frankreich zu veröffentlichen und eine Veranstaltungsreise zu machen – in einem Klima der Anklage gegen das algerische Regime…
Die Veröffentlichung meiner Memoiren in Frankreich war seit langem vorgesehen, aber sie fällt nun tatsächlich mit einer beispiellosen Verteufelungskampagne gegen die algerische Armee zusammen. Die Stärke der Islamisten, und insbesondere der FIS, ist ihre Propaganda. Eine Propaganda, die über eine Internetseite betrieben wird, die MAOL, die Algerische Bewegung der Freien Offiziere, die vorgibt, sich aus Offizieren zusammenzusetzen, die aus Algerien fliehen mußten, weil sie dort angeblich verfolgt wurden. Nur wenige ehemalige Offiziere der ANP, im Ruhestand oder die aus der Armee entlassen wurden, sind der MAOL beigetreten. Mir ist nur ein einziger Fall von Desertion bekannt, der eines Helikopterpiloten, Leutnant Messaoud Alili. Dagegen haben sich ca. 200 Personen dem fundamentalistischen Widerstand angeschlossen und sind alle getötet worden. In der Mehrzahl Unteroffiziere und einfache Soldaten, in sehr seltenen Fällen untergebene Offiziere. Die MAOL stützt sich ganz klar auf die Hilfe des internationalen Islamismus.
Das Buch von Habib Souaidia setzt das Verhalten der Armee mit den kriminellen Aktivitäten der terroristischen Gruppen gleich.
Der Ex-Leutnant Souaidia ist zugleich ein Betrüger und ein Scharlatan: er hat niemals den Sondereinheiten angehört. Da er nicht geeignet war, einer Elitetruppe anzugehören, wurde er dem 25. Aufklärungsregiment zugeteilt, wo er seine gesamte Armeezeit verbracht hat. Was sein Buch betrifft, es ist eine leicht zu durchschauende Montage. Er zitiert Namen, lokalisiert Daten und Orte, beschreibt präzise Fakten. Durch seine Kenntnis der Organisation der Einheiten und der Kommandostruktur, gibt er sich allen Anschein von Glaubwürdigkeit. Sieht man genauer hin, bleibt es beim bloßen Anschein.
Zunächst ein Wort über den Autor. Habib Souaidia ist vorbestraft. Er wurde von einem Militärgericht zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Autos von Zivilisten gestohlen hat, die er eigentlich hätte beschützen müssen. Jetzt klagt er über Unrecht, damals hat er es nicht getan. Ein weiterer Widerspruch: auf Seite 161 seines Buches schreibt er, daß sein Anwalt, Herr Chandouki aus Blida beanstandet hatte, daß seine Akte « völlig leer » gewesen sei, dann, 4 Seiten weiter, daß er sich nicht auf ihn als Anwlt verlassen könnte. Wer soll da etwas verstehen! Eins ist sicher: Souaidia hat seine Strafe bis zum Ende absitzen müssen. Normalerweise kommen Häftlinge nach zwei Dritteln ihrer Haftzeit frei, aber angesichts der Schwere seines Deliktes, das er im Dienst und zu Zeiten des Ausnahmezustands begangen hatte, wurde ihm keinerlei Nachsicht zuteil. Souaidia sagt, er sei Opfer einer Verschwörung… Als der ehemalige portugiesische Präsident Mario Soares sich 1998 als Leiter einer UNO-Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtslage in Algerien aufhielt, wurde ihm von den Behörden eine Liste von Offizieren ausgehändigt, die sich Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung zu Schulden kommen gelassen hatten. Der Name von Souaidia befand sich auf dieser Liste, obwohl er zu dieser Zeit absolut unbekannt war und seine Strafe in einem Militärgefängnis absaß. Das ist doch wohl Beweis genug für die Gründe seiner Verhaftung ?
Mit Sicherheit, denn die UNO-Kommission hätte verlangen können, mit ihm zu sprechen. Und wenn die algerischen Behörden sich in seinem Fall etwas vorzuwerfen gehabt hätten, wären sie so das Risiko eingegangen, entlarvt zu werden. Welches Echo hätte das im Ausland hervorgerufen ! Aber es gibt einen weiteren Beweis, der mir ebenso entscheidend erscheint: wenn die algerischen Militärkader wirklich die Folterknechte wären, als die Souaidia sie beschreibt, ist es kaum zu verstehen, daß sie einen so unbequemen Zeugen wie ihn am Leben lassen. Um den Eindruck abzumildern, den dieser « Widerspruch » auf seine Leser haben könnte, schreibt Souaidia, er verstehe (selbst) nicht, warum seine Folterer ihn nicht umgebracht haben… Sie haben ihn nicht nur am Leben gelassen, sie haben sogar freigelassen. Dann ließen sie ihn sich einen Paß besorgen, sich um ein Visum kümmern und das Land verlassen… A propos Visum – Souaidia behauptet, daß es in der französischen Botschaft korrupte Beamte gibt, die Schwarzhandel betreiben und er so für 6000 Francs in den Besitz eines Visums kommen konnte !
Das wenigste, was man über all das sagen kann, ist, daß es an den Haaren herbeigezogen ist; und es erstaunt, daß jene, die seinen Anschuldigungen an die Armee Glauben geschenkt haben, sich nicht die geringste Frage über eine Person stellen, die « gute » Gründe dafür hatte, das Ansehen einer Institution zu beschmutzen, aus der sie selbst ausgeschlossen wurde ! Souaidia gibt vor, seinen Austritt aus der Armee beantragt zu haben, dies geschieht bei einer Verurteilung von mehr als 6 Monaten jedoch automatisch und ist mit Verkündung des Urteils wirksam. Im Gegensatz zu seiner Behauptung, hat er seinen Austritt aus der Armee niemals beantragen können.
Souaidia ist wie er ist, aber das muß nicht heißen, das seine Anschuldigungen unwahr sind. Er beschuldigt die Armee, Massaker verübt zu haben, die den Islamisten zugerechnet werden. Wenn das wahr ist, glauben Sie, daß eine Armee, die zu 80 % aus Wehrpflichtigen besteht, ihren Zusammenhalt bewahren kann ?
Das wäre unmöglich. Die Truppe hätte sich schon längst gegen ihre Anführer erhoben. Zudem sind derartige Übergriffe von moralischer Seite undenkbar: unsere Offiziere wurden in großartigen Schulen ausgebildet, sie besitzen Ideale und respektieren gewisse Regeln. Diese Armee, die alle Technologien beherrscht und in der Lage ist, mit der NATO Manöver durchzuführen, soll nichts anderes als eine Bande von Barbaren sein ? Souaidia nennt präzise Fakten, wie z.B. das Massaker in Zaatria, im März 1993. Es hat in Zaatria niemals ein Massaker stattgefunden. Die algerische Presse hat eine Untersuchung durchgeführt und die Bewohner haben in ihren Aussagen den Lügen Souaidias kategorisch widersprochen. Zwei französische Journalisten haben sich an Ort und Stelle begeben, um ebenfalls dieses angebliche Massaker zu untersuchen – sie kamen zu demselben Ergebnis. Die ausländischen Medien – und das ehrt sie – haben diese Untersuchungsergebnisse bekannt gemacht.
Eine von Capitaine Yacine kommandierte Einheit ist in einen Hinterhalt geraten und General Mohamed Lamari persönlich hat Souaidia verboten, seinen Kameraden zu Hilfe zu kommen. Er durfte nur – etwas später – die Leichen aufsammeln. Seiner Meinung nach war dieses Massaker von der Hierarchie gewollt.
Dieser Fall gehört zu weiteren Behauptungen Souaidias, in denen er die Hierarchie beschuldigt und den Kodenamen Bravo 55 voranstellt. Dieser Kodename kann nur aus seiner Einheit oder aus seinem Operationsgebiet stammen. Er wird schlicht dazu benutzt, bei einer Intervention von Spezialeinheiten auf ein nahegelegenes Objekt, eine Koordination herzustellen und so Fehler wie z.B. den irrtümlichen Beschuß von in der Umgebung stationierter Einheiten zu vermeiden. Er kann auf gar keinen Fall aus der Spitze der Hierarchie stammen, die Weitergabe [des Kodenamen] – das muß man diesbezüglich wissen – ist nämlich streng hierarchisch organisiert. Es ist also unmöglich, daß ein Sektionsleiter direkt vom Generalbstabschef Befehle übers Radio erhält.
Souaidia sagt, er habe beobachtet, wie Militärs 1994 ein 15-jähriges Kind bei lebendigem Leib verbrannten.
Nach Aussagen der Familie dieses Unglücklichen, handelte es sich um einen Zigarettenverkäufer, der sich nicht an das von den Islamisten ausgesprochene Verbot von Tabakkonsum gehalten hat. Er fiel ihnen zum Opfer, nicht der Armee !
Genauso wenig haben die Sicherheitskräfte 1992 das Attentat auf dem Flughafen Boumedienne verübt. Die Urheber dieses schrecklichen Verbrechens sind verhaftet worden und haben ihre Tat öffentlich gestanden. Ich werde mich im Verlauf meiner Reise durch Frankreich mit all diesen Lügen auseinandersetzen, weil ich weiß, daß sie in der algerischen Gemeinde in Frankreich den Zweifel gesät haben und vielleicht auch bei gutgläubigen Franzosen, von denen es mehr gibt als man glaubt. Im Gegensatz dazu, was man im Ausland verbreitet, besitzen wir eine vorbildliche Armee, die sich seit der Affäre um die Westsahara nichts vorzuwerfen hat und die – dank der Erneuerung, die unter meiner Leitung in den achtziger Jahren stattgefunden hat und die junges Blut brachte – von einer neuen Generation von jungen und qualifizierten Offizieren kommandiert wird.
Alle diese Offiziere, die Chengrihas, die Chibanis, denen Souaidia ihr Verhalten vorwirft, kennen Sie sie ?
Chengrina und Chibani, die sich an der Spitze der Division abgelöst haben, durchliefen Saint-Cyr, Saumur und die Ecole de Guerre. Es sind bemerkenswerte Männer. Wenn ich lese, wie Souaidia sie beschreibt, sage ich mir: wenn das wahr ist, wenn all diese Offiziere so sind, wie er sie beschreibt, dann bin ich dafür verantwortlich. Wenn ich solche Monster geformt habe, dann muß auch ich selbst ein Monster sein ! Dann soll er auch über mich schreiben ! Aber seltsamerweise tut er das nicht…..
Er lobt Sie sogar für die Absetzung eines korrupten Offiziers, eines gewissen Colonel Boukhari. Zurecht ?
Einen ranghohen Offizier zu bestrafen ist nur auf ministerieller Ebene möglich, d.h. in diesem Fall durch den Verteidigungsminister, dieses Amt hatte ich inne. Im Verlauf meiner Dienstzeit als Minister habe ich einen General und zwei Colonel bestrafen müssen, da sie im Ausland Geschäfte gemacht hatten (das Gesetz erlaubt dies, die militärischen Regeln allerdings nicht), ich kann mich jedoch an einen Fall Boukhari nicht erinnern. Einen Colonel zu bestrafen ist keine Kleinigkeit ! Wenn dies zutreffend sein sollte, würde ich mich, so scheint mir, daran erinnern. [besagter Colonel Boukhari war Kommandant der Fallschirmjäger-Schule in Biskra, anschließend im Rang eines Colonel Kommandant des Militärbezirks Sidi Bel-Abbès. Er verstarb an der Spitze seiner Truppe bei einer militärischen Operation, A.d.R.]
Welche Rolle spielt die von Ihnen persönlich in den Reihen der Armee gegründete Ethik-Kommission ?
Die Ethik-Kommission befaßte sich mit ca. 30 Offizieren, die sich der fundamentalistischen Propaganda schuldig gemacht haben. Sie bildeten demzufolge Brandherde des Aufruhrs. Ich habe einige dieser Offiziere in meinem Büro empfangen, einer von ihnen wurde auf meine Veranlassung in seinen militärischen Rang zurück versetzt. Was die Offiziere betrifft, die dieser Gruppe angehörten und von denen im Buch von Souaidia gesagt wird, sie wären « verschwunden » oder exekutiert worden, möchte ich in dem nach seinen Angaben exemplarischen Fall des Capitaine Boualeg – eigentlich Capitaine Allag Abdelhadi – klarstellen, daß dieser des Amtsmißbrauchs gegen Zivilisten schuldig befunden und dafür verurteilt wurde. Dieser Fall wurde der UNO-Kommission vorgelegt. Die Capitaines Chouchène, Mahdadi und Azizou wurden in Wirklichkeit zu diversen Gefängnisstrafen verurteilt und zwischen 1993 und 1995 freigelassen. Sie sind immer noch am Leben. Der Ex-Capitaine Chouchène lebt zur Zeit in London und steht dort in enger Beziehung zu fundamentalistischen Kreisen.
Warum hat die Armee, die sich in direkter Nähe befand, beim Massaker von Bentalha nicht eingegriffen ?
In Algerien ist jeder Flecken, jedes Dorf zu einem sensiblen Bereich geworden und ein sensibler Bereich kann nur dann wirklich verteidigt werden, wenn man Truppen vor Ort verlegt. Die Größe des Staatsgebietes und die damalige geringe Truppenstärke erlaubten keine Errichtung einer schlagkräftigen landesweiten Verteidigung, die sich immerhin aus Bodentruppen und Eingreiftruppen hätte zusammensetzen müssen.
Im Fall von Bentalha gab es ein städtisches Netz von Komplizen der Terroristen. Der Stromausfall, in dessen Verlauf die Angreifer ihre Gewalttaten begangen, verursachte eine derartige Konfusion, daß eine von außerhalb durchgeführte Intervention die Lage nur noch verschlimmert hätte. Die geringe Anzahl von Milizionären und die Abteilung der Kommunalgarde wurden von einem Teil der Terroristen gebunden, während der Großteil von ihnen sich dem Abschlachten der Bevölkerung und dem Diebstahl ihrer Wertsachen widmete. In diesem speziellen Fall, gibt es für von außen eingreifende Truppen nur eine einzige Möglichkeit: Durch Beschuß Präsenz anzeigen und versuchen, die Angreifer bei ihrem Rückzug von hinten zu attackieren. Souaidia stellt in seinem Buch richtig dar, daß sich an diesem Abend nur etwa dreißig Soldaten in der Kaserne befanden. Das war genau der Moment, den die Terroristen sich für die Durchführung ihrer Verbrechen ausgesucht hatten. Sie werden von ihren Komplizen ständig auf dem Laufenden gehalten, wann sich die Truppe in einen Einsatz begibt. Erinnern wir uns an die Ermordung von 15 Serben durch Kosovaren, bei dem sich die KFOR in 1000 Meter Abstand befand, ohne eingreifen zu können.
Keine Armee bleibt rein und unbefleckt, vor allem in einem schmutzigen Krieg !
Ein schmutziger Krieg, es ist in der Tat ein schmutziger Krieg, in dem Menschen – ich müsste sagen wilde Tiere – Säuglinge mit ihren Köpfen gegen Häuserwände schlagen und Schüler mit Axthieben töten ! Stellen Sie sich vor, wie traumatisiert die jungen Soldaten werden, wenn sie solche Horrorszenen vorfinden ! Daß es in einem solchen Klima der Barbarei zu Übergriffen kommt, ist unvermeidlich, aber diese Übergriffe werden bestraft. Ich kann Ihnen versichern, daß kein einziger Unschuldiger davon betroffen wurde.
Souaidia wirft der Armee vor, eine Maschine zur Terroristenfabrikation zu sein.
Die Maschine, die Terroristen fabriziert, ist nicht die Armee, es sind unsere politischen « Versöhner »: die FLN, die FFS, die Partei von Louisa Hanoune, all jene, die an der St.Egidio-Konferenz teilgenommen haben. Kurz gesagt all jene, die auf die eine oder andere Art den Terrorismus legitimieren wollen. Jene, die den Untergrund mit Opportunisten bevölkert haben und glaubten, sich so auf die Seite der Sieger zu schlagen.
Souaidia beschuldigt Generäle, die Ermordung von Präsident Boudiaf befohlen zu haben…. Als Generalstabschef in dieser Zeit war ich der Hauptbetreiber seiner Rückkehr nach Algerien. Aus welchem Grund also sollten ich und meine Kollegen uns seiner entledigen ? Um an die Macht zu kommen ? Wir waren bereits an der Macht und haben Boudiaf kommen lassen, um genau diese Macht an ihn abzugeben und damit er diese mit der ihm eigenen Autorität ausübt. Ich bin doch aus dem Hohen Staatsrat ausgetreten. Um etwas zu verbergen ? Aber was sollte ich zu verbergen haben? Ich weiß, was kommt: die algerischen Generäle sind verdorben, sie haben Konten in der ganzen Welt. Ich habe Anne Sinclair sogar sagen gehört, daß « sie die Erdölgewinne unter sich aufteilen »… Ich bin sehr bestürzt darüber, wie man ohne Beweise eine ganze Zunft derartig denunzieren kann ! Wissen Sie, wie viel ein General verdient ? 5.440.000 Dinar, das entspricht 5.400 französischen Francs. Sonderzulagen eingerechnet kann sich sein Sold verdoppeln. Um auf Boudiaf zurück zu kommen: wir haben ihn kommen lassen, um Algerien aus dem Chaos zu retten und wir sollen willentlich durch seine Ermordung – sein Tod kam einem Umsturz gleich – eine Verschlimmerung des Chaos riskiert haben ? Das ist absurd !
Warum wurde er umgebracht ?
Souaidia gibt in seinem Buch selbst zu, daß Boudiaf eine prioritäres Ziel hatte: den Kampf gegen den Islamismus. Die FIS indessen hat ihn direkt – urbi et orbi – beschuldigt, ein « Agent der internationalen Freimaurerei » zu sein. Zudem ist bekannt, daß Boudiaf – im Gegensatz zu einigen seiner Vorgänger, die einer Annäherung an die FIS nicht abgeneigt waren – jeder Machtteilung absolut feindlich gegenüberstand.
« Ich habe keine Macht zu teilen », betonte er. Schließlich war Boudiaf dank seines Charismas besonders bei der Jugend erfolgreich – eine neue Dynamik, die die Anhänger einer totalitären theokratischen Herrschaft ins Abseits stellte. Wer also, wenn nicht die Islamisten, hatte ein Interesse daran, ihn umzubringen ? Sein Mörder, der Sous-Lieutenant Boumaarafi, ein laut all seiner Kollegen verschlossener Mensch, hat sich während seines Prozesses vor einem Zivilgericht in völliges Schweigen eingemauert und die Justiz hat so auf die Tat eines Einzeltäters geschlossen. Seitdem ist er Objekt ständiger Bewachung. Ich war im Büro von Generalstabschef Lamari zugegen, als dieser während des islamistischen Aufstandes im Gefängnis von Serkadji den Befehl gab, alles nur mögliche zu tun, um Boumaarafis Leben zu schützen. Die Soldaten haben Boumaarafi beschützt und dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, obwohl er selbst zu den Aufständigen gehörte. Persönlich bin ich davon überzeugt, daß er letztendlich seine islamistische Überzeugung preisgeben wird. So wird dann die Wahrheit vor aller Augen sichtbar.
Wer steht Ihrer Meinung nach hinter diesem Buch ?
Souaidia sagt, er kämpfe den Kampf der MAOL. Meiner Überzeugung nach sind es die Islamisten, die an der Entstehung des Buches beteiligt waren, das einen Betrug darstellt, wie das von Timisoara, nur noch um vieles schlimmer. Denn eine nationale, aus dem Volk hervorgegangene Armee anzuklagen, sie würde ihre Landsleute umbringen, ist abscheulich. Selbst unsere Intellektuellen – die wie alle Intellektuellen eher antimilitaristisch eingestellt sind – haben sich wie ein Mann gegen diese Lügen erhoben.
Nach Angaben der MAOL wurden 47 Offiziere, Sympathisanten der Islamisten, die kurz vor ihrer Entlassung aus dem Gefängnis von Boghari standen, von dem DRS (militärischer Sicherheitsdienst) kaltblütig ermordet.
Boghari ist kein Gefängnis, sondern ein Ausbildungslager. Jeder Soldat ab einem gewissen Rang weiß das; das zeigt deutlich, daß es wenig echte Soldaten in der MAOL gibt. Diejenigen, die sich hinter dieser Vereinigung verstecken, die völlig wahllos Geschichten erzählt, versuchen uns jetzt Glauben zu machen, daß es nicht nur « Bücher-Offiziere » im Ausland gibt, sondern auch « freie Offiziere » in Algerien, und daß diese selbstverständlich verfolgt werden. Um noch einmal zu bekräftigen, daß es sich bei der MAOL um nichts weiter als eine Internetseite handelt, möchte ich einen Auszug aus einem Leitartikel dieser Bewegung wiedergeben, der auf einen Artikel eines ehemaligen, pensionierten Chef einer Militärregion antwortet: « Während eines 1992 von Gaid Salah geleiteten Treffens, an dem über 450 Offiziere teilgenommen hatten, haben Sie ihm eingeflüstert, er solle den anwesenden Offizieren mitteilen, daß das militärische Kommando im Fall von Befehlsverweigerung dazu bereit sei, Einheiten einer ausländischen Armee anzufordern, um diesen Meutereien ein Ende zu machen…. Sie haben es auch ohne einen deratigen Anlaß getan, oder muß man Sie erst an die Söldner erinnern ? Die Südafrikaner, die Franzosen, die Jugoslawen und andere. » Darauf antworte ich, daß solche Behauptungen nicht von angeblich freien Offizieren stammen können, d.h. nicht von Offizieren, die die algerische Armee kennen. Bei diesem Treffen in Ain Naadja waren die Leiter der Militärregionen, die Leiter der kämpfenden Truppen und der Generalstabschef anwesend. Es hat niemals ein Treffen mit mehr als 25 Personen gegeben. Das Treffen wurde von mir selbst in meiner damaligen Funktion als Verteidigungsminister geleitet, Gaid Salah war nur Chef einer Militärregion.
Auf welchem Level befindet sich der Terrorismus zur Zeit ?
Er ist schwächer, aber zugleich aggressiver geworden. Und da er schwächer wird, ist er natürlich auch schwerer zu bekämpfen, zumal er sich gegen Bewohner isolierter Landstriche richtet, in für die staatlichen Sicherheitskräfte nur schwer zugänglichen Regionen. Aber das Spiel ist gewonnen.
Das Spiel ist gewonnen ?
Ja. Der Terrorismus stellt noch einen Störfaktor dar, er kann das System jedoch nicht mehr stürzen. Ein Szenario wie in Afghanistan ist somit unmöglich. Algerien ist wegen seiner strategischen Lage zum Ziel des internationalen islamischen Terrorismus geworden: Algerien zu Fall zu bringen, hätte die Destabilisierung einer ganzen Reihe weiterer Länder, ja sogar von ganzen Regionen bedeutet. Und man hatte sich einen Moment ausgesucht, in dem Algerien gerade besonders anfällig war. Meine Überzeugung ist folgende: wenn der Terrorismus sterben soll, dann wird er hier in Algerien sterben, denn seine Anhänger haben begriffen, daß Terrorismus zu nichts führt.
Bedauern Sie es, daß Sie 1992 die Wahlen abrechen mußten ?
Überhaupt nicht. Ich würde es genauso wieder tun. Wir waren bereit zu akzeptieren, daß die FIS mit bis zu 30 % der Sitze ins Parlament einzieht. Aber 70 % der Sitze bereits im ersten Wahlgang, mit noch günstigeren Aussichten für den zweiten Wahlgang aufgrund flächendeckenden Wahlbetrugs und einem verbrecherischen Wahlgesetz – das hätte die Herrschaft der Taliban in Algerien bedeutet! Über welche Stärke verfügen die Terroristen ? Die terroristische Bewegung zählt ein halbes Dutzend Gruppen (GIA, FIDA, GSPC, usw.), die unterschiedlich stark sind.
Was ihre Stärke angeht, ist diese abhängig von der jeweiligen Region. Im Gebiet um Algier verfügt Antar Zouabri (GIA) über nicht mehr als 100 Männer. An die Spitze dieser Gruppe ist er als Nachfolger seiner beiden Brüder gelangt, die beide getötet wurden. Dasselbe trifft auf Hassan Hattab zu, den Anführer der GSCP in der Kabylei. Man kann fast von Dynastien sprechen. Dieser Terrorismus ist gekennzeichnet durch eine enorme Rohheit, die sich ständig wiederholt, zeitlich und räumlich; dies stellt in meinen Augen ein noch nicht genügend an die Öffentlichkeit gelangtes Problem dar.
Welcher der Emire ist zur Zeit der mächtigste ?
Hassan Hattab III mit seiner GSPC, denn er greift hauptsächlich die Sicherheitskräfte an, nicht die Bevölkerung, er lebt infolgedessen mehr wie ein Fisch im Wasser. Vor allem in den Regionen, in denen die Muslim-Bruderschaften stark verankert sind, die übrigens entstanden sind, nachdem die FFS das Verbot durchsetzte, die Bevölkerung zu bewaffnen
Gibt es Staaten, die den Terrorismus unterstützen ?
Mehrere Länder haben den Terrorismus unterstützt, insbesondere der Iran, der mittels seiner Propaganda und seiner Verlautbarungen vorsätzlich Öl aufs Feuer gegossen hat. Daher habe ich, Anfang der Neunziger Jahre, persönlich entschieden, den Botschafter auszuweisen und die Botschaft zu schließen. Parallel dazu haben wir die Beziehungen zum Sudan abgebrochen.
Was halten Sie von der von Bouteflika ins Leben gerufenen « Zivilen Eintracht », die den Terroristen die Möglichkeit gibt, sich zu stellen und sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern?
Ich stehe dem positiv gegenüber, denn es handelt sich hier um einen Krieg zwischen Algeriern und man muß ihn dadurch beenden, daß man sich wieder versteht. Ich stehe dem umso mehr positiv gegenüber, da diese « Zivile Eintracht » von Militärs, insbesondere von General Smain Lamari, in die Wege geleitet wurde. Einerseits hat diese Politik positive Ergebnisse gebracht, es haben sich immerhin über 7.000 Terroristen ergeben. Das bedeutet 7 000 Henker weniger. Diese Reumütigen , die sich nicht vor Gericht verantworten mußten und jetzt mitten unter der Bevölkerungen leben, stellen jedoch weiterhin ein Problem dar. Diese Situation ist nicht einfach für sie, genauso wenig wie für ihre Opfer.
Manche behaupten, daß die « Zivile Eintracht » nur bei denen erfolgreich war, die eigentlich nicht von ihr betroffen waren – die Terroristen der AIS, die Armee der FIS – und ein Mißerfolg bei denen, die sie betreffen sollte: die Terroristen der GIA.
Das ist unzutreffend. Als die AIS 1997 den Waffenstillstand akzeptiert hat, zählte sie nur 600 Kämpfer. Sie hatte jedoch mehr als 7.000 Unterstützer.
Mit welchen Maßnahmen muß man Terroristen begegnen, die die « Nationale Eintracht » ablehnen?
Ich sehe nur ein Mittel: Die Ausmerzung. Dies entspricht nicht meiner ursprünglichen Ansicht, ich tendierte zum Verzeihen, heute jedoch, angesichts dieser Leute, die sich noch wilder aufführen als wilde Tiere, sage ich, daß die einzige Lösung darin besteht, sie auszumerzen .
Das bedeutet, sie auszurotten ?
Das bedeutet, sie bis zuletzt zu bekämpfen und ihnen das zu geben, was sie verdienen.
Die Veröffentlichung der Bücher von Nesroulah Yous und von Souaidia wurde gefolgt von einem Appell französischer Intellektueller, der die Gründung einer Internationalen Untersuchungskommission über das Verhalten der Armee fordert. Was halten Sie von diesem Versuch, die algerische Krise zu internationalisieren ?
Meiner Überzeugung nach, ist der Hintergedanke immer noch der gleiche: die FIS soll rehabilitiert werden. Und dies über die Destabilisierung der Armee, dem Hauptakteur im Kampf gegen die Fundamentalisten. Man wirft dem Oberkommando eine Strategie vor, nach der die spannungsgeladene Situation nur aufrechterhalten wird, um so jedwede Opposition zu zerstören.
Der Präsident regiert mit einer Koalition. Was stellen die übrigen Parteien außerhalb dieser Koalition dar ?
Meinem Kenntnisstand nach nichts besonderes. Wenn sie etwas zu sagen hätten, würde man etwas von ihnen hören. Wenn ich die algerische Presse so lese, habe ich nicht den Eindruck, daß die Algerier mundtot gemacht wurden !
Wegen der finanziellen Unterstützung und wegen der Lieferung hochwertiger Waffen an Algerien, haben gewisse intellektuelle Kreise auch die Algerienpolitik Frankreichs angegriffen und diese als « faktische Komplizenschaft an Verbrechen gegen die Menschlichkeit » bezeichnet. Indem man Frankreich in diese Angelegenheit hineinzieht, versucht man, auf die ein oder andere Art, ein strikt « algero-algerisches » Problem zu internationalisieren. Wir haben für unsere Unabhängigkeit gekämpft und wir haben teuer genug dafür bezahlt, um jede Einmischung aus dem Ausland zurückweisen zu dürfen. Weil wir einige Hilfe von der UdSSR angenommen haben, hat man einst behauptet, wir hätten Mers El-Kébir an die Russen ausgeliefert ! An dieser Behauptung war überhaupt nichts dran. Ich versichere Ihnen eines: Moskau hat wiederholt von uns gefordert, einen algerischen Flughafen nutzen zu dürfen. Ein Flughafen, der den sowjetischen Flugzeugen erlaubt hätte, Europa zu erreichen. Wir haben dies abgelehnt. Und Moskau mußte sich damit abfinden. Wie sollten wir nun akzeptieren, daß andere in unser Land kommen, uns Lehren erteilen und uns unser Verhalten vorschreiben wollen !
Nachdem er den Begriff der « Zivilen Eintracht » geprägt hat, spricht Präsident Bouteflika nun von « Nationaler Eintracht ». Was verspricht er sich davon ? Bei manchen steht er auch im Verdacht, der FIS die Hand reichen zu wollen. Wie denken Sie darüber ?
Ich persönlich halte mich an die « Zivile Eintracht ». Ich weiß nicht, was « Nationale Eintracht » konkret bedeuten soll, denn momentan existiert dergleichen nicht. Das Militär ist an seinem Platz und erfüllt weiterhin seinen Auftrag.
Vor 18 Monaten hat Bouteflika versprochen, daß wieder Friede einkehrt. War er erfolgreich oder ist er gescheitert ?
Ich möchte nicht von Scheitern sprechen, denn wir wußten vorher, daß er keine Wunder vollbringen kann. Der Präsident hat ein 5-jähriges Mandat. Es bleibt ihm noch Zeit, erfolgreich zu sein.