Terrorismus im Dienste der Großmächte?

Terrorismus im Dienste der Großmächte?

Salima Mellah, Algeria-Watch, Infomappe 32, September 2005

Die Anschläge in London im Juli 2005 verstärkten in Europa die Befürchtung, dass weitere Bomben hochgehen könnten. Die Zuspitzung der Konflikte zwischen den europäischen Staaten untereinander einerseits und mit den USA andererseits, die immer komplexer werdende Lage in Afghanistan, Syrien, Libanon und Irak und die unerbittliche Konkurrenz um den Zugriff auf die Erdölreserven lassen Anschläge durchaus als realistisch erscheinen. In Europa und den USA wird die massive Verschärfung der Sicherheitspolitik, das Aushöhlen der Bürgerrechte, des Ausländer- und Asylrechts seit dem September 2001 mit der « Terrorismusbekämpfung » legitimiert.

In Frankreich beispielsweise wurde die Alarmstufe auf rot gesetzt, und es wird die permanente Gefahr eines Blutbades an die Wand gemalt. Die potentiellen Urheber sind bereits ausgemacht. Es handelt sich um die algerische GSPC (Groupe salafiste pour la prédication et le combat), eine Abspaltung der berüchtigten GIA (Groupes islamiques armés), die für unzählige Morde an Zivilisten und Massaker in Algerien in den 90er Jahren verantwortlich gemacht werden. In Frankreich sollen sie 1995 mehrere Bombenanschläge verübt haben, die 9 Tote und rund 200 Verletzte verursachten. Journalisten, Experten und Politiker greifen immer wieder auf diese schmerzliche Erinnerung zurück, um auf die heutige Gefahr hinzuweisen. Trotz der beklemmenden Erwartung neuerlicher Bombenanschläge ist es notwendig, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich zu fragen, auf welcher Grundlage die offiziellen Ankündigungen basieren und wie stichhaltig die angeführten Indizien in Bezug auf die möglichen Urheber dieser Terrorakte sind. Insbesondere im Fall von algerischen Terrorgruppen ist die Rolle des algerischen Geheimdienstes (DRS) und des französischen Inlandsgeheimdienstes (DST) bei manchen Operationen der GIA in Algerien wie auch in Frankreich keineswegs unbekannt.

Der Putsch der algerischen Generäle im Januar 1992, mit dem der Wahlsieg der FIS (Front islamique du Salut, Islamische Rettungsfront) verhindert wurde, wurde von der politischen Klasse in Frankreich im Allgemeinen begrüßt. Doch die anschließende massive Repressionswelle, der Zehntausende vermeintliche FIS-Anhänger zum Opfer fielen, und vor allem der Mord an Präsident Boudiaf vor laufender Kamera im Juni 1992 haben deutlich gezeigt, dass die Putschisten vor nichts zurückschrecken, um an der Macht zu bleiben. In Frankreich kollidierten zwei Auffassungen: Innenminister Charles Pasqua unterstützte rückhaltlos die algerischen Generäle, während Außenminister Alain Juppé sich reservierter zeigte und einen Dialog zwischen allen Parteien, die der Gewalt abschworen, einschließlich der FIS, befürwortete. Dieser Widerspruch in der Haltung gegenüber dem algerischen Regime schlug sich auch in den Positionen der Auslands- und Inlandsgeheimdienste Frankreichs nieder. Die DST hatte stets sehr gute Beziehungen zu den algerischen Kollegen gepflegt, während der französische Auslandsgeheimdienst DGSE vorsichtiger war.

Frankreich an der Seite der Putschisten

Frankreich im Fadenkreuz der GIA

Ohne Verfassung und legitime Institutionen brauchte das algerische Regime nach dem Putsch umso dringlicher die Hilfe Frankreichs, um die internationale Anerkennung wieder zu gewinnen und vor dem Staatsbankrott gerettet zu werden. Auf eine tatkräftige Unterstützung der USA war nicht zu rechnen, denn sie hatten zeitweilig mit einem Machtwechsel zu Gunsten der Islamisten geflirtet. Doch die öffentliche Meinung in der ehemaligen Kolonialmacht musste von der Unvermeidbarkeit des Putsches zur Rettung der Demokratie erst überzeugt werden. Und es war wichtig, dass die FIS mit den GIA identifiziert wurde, um die flächendeckende Repression des Militärs gutzuheißen. Zwischen 1994 und 1997 wurden Zehntausende Menschen verhaftet, Tausende wurden Opfer extralegaler Tötungen, zwischen 10000 und 20000 verschwanden, und die Folter wurde systematisch angewandt. Zehntausende FIS-Kader und -Anhänger flohen ins Ausland und bauten Exilorganisationen auf. In Algerien nahmen viele den bewaffneten Kampf auf. Ein Erstarken einer Untergrundorganisation, die in den ersten Jahren eine breite Unterstützung in der Bevölkerung genoss, durfte aus Sicht der Militärs nicht auch noch im Ausland auf Zustimmung stoßen. Deshalb war es notwendig, die im Exil agierenden FIS-Kader zu kriminalisieren und zu verfolgen. Im Herbst 1993 heckten Mitarbeiter des DRS mit der Beteiligung von Marchiani, einem engen Berater von Pasqua, eine Operation aus. Hocine Ougenoune, ehemaliger Geheimdienstoffizier, der in der algerischen Botschaft in Paris tätig war, berichtet: « General Smail Lamari, Chef der Gegenspionage (DCE), kam nach Paris, um die Zusammenarbeit mit der DST voranzutreiben. Er präsentierte Jean-Charles Marchiani mehrere Szenarien. Eines davon sah vor, eine Autobombe vor der französischen Botschaft in Algier explodieren zu lassen. Aber Marchiani hat Smain davon überzeugt, dass eine Geiselnahme auf der emotionalen Ebene besser auszunutzen und ihre Medienwirksamkeit größer wäre. Er hat gefordert, dass, um die Sicherheit der zukünftigen Geiseln zu garantieren, die Operation vom Geheimdienst durchgeführt werden sollte, ohne die Beteiligung von Islamisten, auch wenn sie manipuliert oder streng kontrolliert sind. »[1]

Im Oktober 1993 wurde die Entführung von drei französischen Konsularangestellten fingiert, die nach wenigen Tagen, als Alain Juppé sich öffentlich der repressiven Haltung Pasquas anschloss, wieder freigelassen wurden. Die GIA bekannten sich dann auch zu dieser Entführung in einer Erklärung, die sie der Zeitung Al Hayat zuschickten. Dies war für Pasqua der Moment einzuschreiten, und er befahl eine großangelegte Verhaftungswelle, die die Zerschlagung der FIS-Strukturen und -Publikationen in Frankreich zum Ziel hatte. 10 Jahre später bestätigte Marchiani gegenüber Journalisten diese Tatsachen.[2] Um die Netze der islamistischen Aktivisten besser zu durchleuchten, wurden Hunderte von algerischen Agenten nach Frankreich gesandt, offiziell um ihren Kollegen zur Seite zu stehen, doch oftmals in doppelter Funktion, da sie weiterhin im Dienste der DCE, der algerischen Gegenspionage unter der Führung von Smail Lamari, standen.

In Algerien hatte der DRS immer mehr die Kontrolle über die GIA übernommen bzw. eigene Zellen aufgebaut, die unter diesem Label agierten. Eine der wichtigsten Aufgaben der eingeschleusten Agenten bestand darin, den wirklichen Widerstand zu bekämpfen bzw. diesen durch immer brutalere Anschläge zu diskreditieren. In Frankreich bauten Agenten des DRS in ähnlicher Weise Gruppen auf, die dazu ausersehen waren, Anschläge zu verüben.

Während in Frankreich eine Propagandakampagne tobte, die in allen islamistischen Manifestationen terroristische Umtriebe witterte, fand ein Anschlag gegen eine französische Einrichtung in Algier statt. Im August 1994 explodierte eine Autobombe in einer Siedlung, in der französische Funktionäre lebten. Fünf französische Staatsbürger, darunter drei Gendarmen, kamen ums Leben. Erneut bekannte sich die GIA dazu. Ehemalige Geheimdienstler behaupten jedoch, dass die Operation von Oberst Bachir Tartag, Chef des militärischen Aufklärungshauptzentrums, organisiert wurde.[3] Auch dieses Mal wurde von französischer Seite keine Untersuchung veranlasst, doch Pasqua, der keine Gelegenheit ausließ, die FIS für den Anschlag verantwortlich zu machen, ordnete eine Operation der Identitätskontrolle an, wie sie in Frankreich seit dem algerischen Befreiungskampf nicht mehr stattgefunden hatte: 27 000 Personen wurden in zwei Wochen kontrolliert. Zum ersten Mal trat Djamel Zitouni als Mitglied der GIA in Erscheinung und wurde somit über die Grenzen Algeriens hinaus bekannt. Der bislang unbedeutende Hühnerverkäufer, der mit weiteren Männern in der Führung der GIA für den DRS arbeitete, putschte sich zum Emir im Oktober 1994. Darauf folgte eine Welle von Liquidierungen in den Reihen der GIA, die diverse Gruppen veranlassten, diese zu verlassen und zu verurteilen. Die GIA entwickelten sich immer deutlicher zu einer Counter-Insurgency-Guerillagruppe in den Händen des DRS: Terror, Entführungen, Vergewaltigungen, Bombenanschläge und Massaker erreichten ihren Höhepunkt in den Jahren 1995-1997, während die Armee gleichzeitig die Kontrolle über die aufständischen Regionen zurückgewann.[4]

Auch in Frankreich sorgten die GIA erneut für Angst und Schrecken. Weihnachten 1994 wurde in Algier ein Flugzeug der Air France von einem Kommando der GIA entführt. Drei Personen wurden getötet. Eine französische Sondereinheit stürmte die Maschine, die mittlerweile nach Marseille weiter geflogen war, und alle Entführer wurden getötet. Diese Operation stand im unmittelbaren Zusammenhang mit dem bedeutenden Treffen der repräsentativen algerischen Opposition im November 1994 in Rom. Dieses Treffen, das Verantwortliche u.a. der drei wichtigsten Parteien des Landes, FLN, FFS und FIS, unter der Schirmherrschaft der San-Egidio-Gemeinde organisierten, erregte internationales Interesse, da zum ersten Mal seit dem Putsch von Januar 1992 eine friedliche Lösung des Konfliktes in Aussicht stand. Die Abschlusserklärung vom 13. Januar 1995 rief das algerische Regime dazu auf, Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkrieges durchzuführen, sie forderte die Beendigung der Kämpfe, die Freilassung der inhaftierten Führer der FIS und aller politischen Gefangenen sowie eine Rückkehr zur verfassungsrechtlichen Legalität und Souveränität des Volkes. Die Vertreter der FIS erklärten den Verzicht auf Gewalt, um an die Macht zu gelangen, und den Respekt des Prinzips des Machtwechsels durch Wahlen.

Algeriens Militärführung und Regierung wie auch die GIA lehnten die « Plattform von Rom » kategorisch ab. In Frankreich sahen sich die Hardliner à la Pasqua, die Islamismus mit Totalitarismus gleichsetzen, in die Defensive gedrängt, zumal ein Großteil der politischen Verantwortlichen diese Initiative begrüßte. Angesichts der Zustimmungswelle in Europa und den USA für die Initiative der Opposition musste Algeriens Junta reagieren.

Gleichschaltung der Positionen

Als Jacques Chirac im Mai 1995 zum Präsidenten gewählt und Alain Juppé Premierminister wurde, befürchteten die algerischen Generäle einen Kurswechsel in Frankreichs Politik. Der Zeitpunkt war heikel, da die algerischen Putschisten bestrebt waren, pseudo-demokratische Strukturen aufzubauen: Der bereits amtierende Präsident General Liamine Zeroual, Kandidat der Armee, sollte nun « demokratisch » gewählt werden und ein kontrollierter Wahlprozess für die Wiedereinführung eines Parlamentes und pluralistischer Kommunalverwaltungen stand bevor. Hocine Ougenoune berichtet, dass « nach der Nominierung von Alain Juppé in Matignon der Plan des Einsatzdienstes der DCE sich präzisierte : einerseits sollen manche hohe Verantwortliche der FIS, die nach Europa geflüchtet sind, liquidiert werden und andererseits sollen junge desorientierte Maghrebiner manipuliert werden, um sie zu Anschlägen in Frankreich anzustacheln. In beiden Fällen soll Djamel Zitouni, « nationaler Emir » der GIA, als Deckmantel für diese Operationen der psychologischen Kriegführung des DRS in Europa dienen. »[5] Neben den Drohungen, die die GIA gegenüber Frankreich zum Ausdruck brachten, informierten die algerischen Sicherheitsdienste ihre französischen Kollegen über mögliche bevorstehende Anschläge.

Cheikh Abdelbaki Sahraoui und einer seiner Mitarbeiter wurden am 11. Juli 1995 ermordet. Der 85 Jahre alte Imam einer Pariser Moschee war Mitbegründer der FIS und galt als moderater Islamist, der durchaus als Gesprächspartner für die französischen Behörden und Medien anerkannt wurde. Djamel Zitouni bekannte sich zu diesem Mord. Kaum zwei Wochen später explodierte die erste Bombe in der Pariser Metro. Sieben Personen starben, über achtzig wurden verletzt. Fünf weitere Anschläge folgten bis Oktober 1995. Ein Verdächtiger, Khaled Kelkal, wurde von den Gendarmen vor laufender Kamera liquidiert; Boualem Bensaid wurde am 1. November in Paris festgenommen. Der Koordinator der Anschlagsreihe Ali Touchent konnte aber zum wiederholten Male entkommen. Kein Wunder, denn laut Oberst Mohamed Samraoui, ehemaliger Geheimdienstoffizier, war Touchent von seinem Kollegen, dem DRS-Chef in Paris, 1993 rekrutiert worden, um islamistische Kreise zu infiltrieren. Er wurde im April 1995 zum « Verantwortlichen der GIA in Europa » befördert und baute u.a. das Netz in Chasse-sur-Rhône – die Heimatregion von Kelkal – wieder auf. Abdelkader Tigha, der damals in der Geheimdienstzentrale in Blida tätig war, bestätigte, dass Ali Touchent ihr Mann war. « Die jungen Männer wie Khaled Kelkal wussten nicht, dass Touchent für uns arbeitete. Die ganze Gruppe zu manipulieren, wäre zu riskant gewesen: im Fall einer Festnahme hätten sie sagen können: ‘es ist Kapitän Abdelhafid Allouache, vom CTRI in Blida, der uns geschickt hat!’ Welch ein Skandal…' »[6] Ali Touchent konnte nach Beendigung des Auftrags unbehelligt nach Algerien fliehen, obwohl er von den französischen Behörden gesucht wurde. Drei Jahre später wurde er getötet und konnte somit nicht mehr verfolgt werden.

Frankreichs Politiker wussten sehr wohl, wer diese Anschläge befohlen hatte. Jean-Louis Debré, damaliger Innenminister, der über Liquidierungskommandos informiert worden war, ahnte aber nicht, dass seine Landsleute auch betroffen werden könnten. Er beschloss, den Hintermännern dieser Bombenanschläge deutlich zu zeigen, dass sie in der Instrumentalisierung der GIA einen Schritt zu weit gegangen waren. Er lud Mitte September 1995 Journalisten ein und äußerte seine Überlegungen über eine mögliche Manipulation des Terrorismus durch algerische Dienste. Am nächsten Tag war diese Information die Schlagzeile der Le Monde. Ein ehemaliger Berater von Charles Pasqua sagte ganz deutlich gegenüber Journalisten, dass die Anschläge von Paris eine vom DRS organisierte und finanzierte Operation der psychologischen Kriegführung war.[7]

Damit hatten Algeriens Generäle erreicht, was sie wollten: Frankreichs politische Klasse und öffentliche Meinung schlugen sich uneingeschränkt auf die Seite der Putschisten. Die französische Position setzte sich in der Folge auch gegenüber den europäischen Partnern durch. Der Krieg konnte in Algerien unbehelligt im Namen der GIA weitergeführt werden. Angesichts des unvorstellbaren Terrors, dem das Land täglich ausgesetzt wurde, konnten die IWF-Auflagen sowie die gewaltsame Schließung Hunderter Betriebe ohne Protest durchgeführt werden. Schlimmer noch, Hunderttausende von Menschen wurden durch die vom Geheimdienst eingesetzten GIA aus ihren Dörfern vertrieben, um dem bewaffneten oder unbewaffneten Widerstand den Boden zu entziehen, und bevölkerten die Slums am Rande der Städte. Innerhalb von wenigen Jahren schlug die Stimmung durch Terror und Vertreibung um. Zehntausende Männer ließen sich in Milizen rekrutieren, um an der Seite der Armee den schmutzigen Krieg zu führen. Ab 1996 begannen die großen Massaker, die bis 1998 Tausende von Opfern forderten.

Eine besonders abscheuliche Tat bleibt vielen in Europa in Erinnerung: die Entführung und Ermordung der sieben Mönche von Tibhirin im März-Mai 1996. Auch hier spielte die DRS-Antenne in Blida (und die französischen Geheimdienste) eine Schlüsselrolle.[8] Als die internationale Empörung 1997 angesichts der Massenmorde in die Forderung einer unabhängigen Untersuchungskommission mündete, halfen Frankreichs Politiker und Intellektuelle diese zu ersticken.[9] Bis heute blieben die meisten Morde und Massaker ungeklärt. Als schließlich die GIA ab 1998 ihren Dienst getan hatten, verschwanden sie allmählich. Doch in der Zwischenzeit hatte sich eine neue Organisation gegründet, die GSPC, die allerdings erst einige Jahre später international Aufsehen erregte und noch viel von sich reden machen wird.

Verschärfte Konkurrenz zwischen USA und Frankreich

Schon während der großen Massaker des Jahres 1997 wurde von einer wachsenden Konkurrenz zwischen den USA und Frankreich berichtet. Präsident General Liamine Zeroual und sein Berater General Mohamed Betchine, die allgemein als « Versöhner » dargestellt wurden, schienen die Gunst der Amerikaner zu genießen, während die Hardliner General Larbi Belkheir, der ewige Berater des Präsidenten, und die Führung der Sicherheitsdienste auf die Unterstützung Frankreichs rechnen konnten. Die Massaker waren Ausdruck eines Machtkampfes um die Kontrolle der algerischen Ressourcen und des algerischen Marktes. Präsident Zeroual gab schließlich im September 1998 den Kampf gegen die « Hardliner » auf, und das Militär setzte Abdelaziz Boutelika ein.

Das Ansehen des algerischen Regimes wurde dank der diplomatischen Künste von Bouteflika, der im April 1999 als Kandidat der Militärführung ins Amt gewählt wurde, verbessert. Bouteflika gab vor, sich politisch vom harten Kurs der Putschisten abzusetzen, ohne jedoch die von ihnen diktierte « rote Linie » je zu überschreiten. Zu Beginn der Jahre 2000 sorgten eine Reihe von Enthüllungen über die subversiven Methoden der Terrorismusbekämpfung und die Massaker für ein gewisses Unbehagen in den Reihen der Generäle. Die Entwicklung des internationalen Rechts ließ die Aussicht auf eine Verfolgung der Folterer und Verantwortlichen der « Todesmaschine » näher rücken. General Khaled Nezzar, einer der wichtigsten Putschisten, erstattete 2002 gegen einen Unteroffizier, der es gewagt hatte, seine Erfahrungen in einer Spezialeinheit der Armee öffentlich zu machen, Anzeige. Im Gerichtssaal wurde aber dem Regime der Prozess gemacht, und Nezzar verlor.[10] Dies machte deutlich, dass der « Sieg » der Junta vom Wohlwollen ihrer mächtigen Verbündeten abhängig ist, und die Menschenrechtsfrage ihnen jederzeit zum Verhängnis werden kann.

Der 11. September und die amerikanisch-algerische Freundschaft

Erst die Anschläge vom 11. September 2001 veränderten die Stellung des Regimes grundsätzlich. Auf einmal galt Algerien als « Partner », ja als « Musterschüler » in der internationalen Terrorismusbekämpfung der USA. Ihre Politiker wurden nicht müde zu behaupten, dass Washington, « was den Kampf gegen den Terrorismus angeht, von Algerien viel lernen » kann.[11] Diese zuvorkommende Haltung der Supermacht verschleierte kaum ihre wachsende Hegemoniebestrebung über das traditionelle « Herrschaftsgebiet » Frankreichs. Die USA haben es insbesondere auf die Erdölvorkommen in der Region abgesehen, und um diese zu sichern, sind US-Militärstützpunkte und kooperierende Armeen in der Region notwendig. Die militärische Kooperation mit Algerien erhielt ab 2000 konkrete Konturen. Der Oberbefehlshaber der algerischen Armee, General Molamed Lamari, reiste im Februar 2001 zum Stuttgarter Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa. Und nach den Anschlägen von Washington und New-York wurde diese beginnende offizielle Zusammenarbeit intensiviert.

Im Dezember 2002 wurde die Pan-Sahel-Intiative in der gesamten Sahel-Region lanciert. Die Umsetzung begann nach der Entführung der europäischen Touristen Anfang 2003. Neben Waffenlieferungen und der Ausbildung von Armeeeinheiten wurden bereits kleine Militärbasen in der Region errichtet. Die Amerikaner begnügten sich aber nicht mit einer militärischen Präsenz, sondern ihre Ambitionen sind in dem umfassenden Vorhaben, die « Great Middle East »-Region zu beherrschen, kaum verschleiert. Heute heißt der Plan « Middle East Partnership Initiative » (MEPI) und versucht, durch ein dichtes Netz von staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen (National Endowment for Democracy (NED), National Democratic Institute for International Affairs (NDI), Freedom House, International Republican Institute (IRI), Center for International Private Enterprise (CIPE), usw.) Einfluss auf die Politik und die Zivilgesellschaft der jeweiligen Länder auszuüben. Die USA geben vor, die politischen, ökonomischen und sozialen Reformen in der Region von Marokko bis Pakistan zu unterstützen.

Angesichts dieser amerikanischen Offensive im « Hinterhof » Frankreichs, bemühte sich dieses seine Jahrzehnte alten Beziehungen zu Algerien neu zu gestalten. Im Zuge der Reisen mehrerer Delegationen von Ministern und Managern begab sich auch Präsident Jacques Chirac im März 2003 nach Algier und verabschiedete mit seinem Amtskollegen Bouteflika die « Deklaration von Algier ». Diese Absichtserklärung sieht einen umfassenden Kooperationsvertrag auf politischer, ökonomischer und militärischer Ebene zwischen beiden Ländern vor. Ein Freundschaftsvertrag – der oft mit dem deutsch-französischen verglichen wird – ist für 2005 vorgesehen, doch könnte die Unterzeichnung verschoben werden.

Zwei Ereignisse sollten die amerikanische Präsenz in Form der Terrorismusbekämpfung in der Region rechtfertigen: Die Entführung der Sahara-Touristen zu Beginn 2003 und die Attacke auf die Militärstation von Lemghity in Mauritanien am 4. Juni 2005. Der erste Vorfall begründete die Errichtung einer US-Armeebasis und einer Abhörzentrale, auf der 400 US-Soldaten stationiert sind, in der Nähe von Tamanrasset.[12] Und der zweite Vorfall fand genau zum Zeitpunkt des « größten Militärmanövers amerikanischer Truppen in Afrika seit dem zweiten Weltkrieg » vom 6. bis 26. Juni 2005 statt. An der Operation Flintlock beteiligten sich rund 3000 Soldaten aus acht Ländern der Region.

Die Geiselnahme mehrerer Touristengruppen im Frühjahr 2003 wurde der GSPC zugerechnet, doch stellt sich einmal mehr die Frage, inwieweit Geheimdienste diese geplant und bis zu einem gewissen Grad durchgeführt haben. Die entscheidende Figur in dieser Operation ist Amari Saifi, alias al-Para, der gerne als « Ben Laden der Wüste » bezeichnet wird.

 

« El-Para » und die Entführung der europäischen Touristen

Der Lebenslauf von al-Para ist kein außergewöhnlicher und weist schon auf mögliche Verbindungen zwischen der GSPC und dem algerischen Geheimdienst hin. Er wird meist als ehemaliger Fallschirmjäger präsentiert, der der Garde von General Khaled Nezzar, ehemaliger Verteidigungsminister, angehörte. Er desertierte 1991 oder 1992 und soll sich 1994 – laut der Webseite des Centre de recherche sur le terrorisme depuis le 11 septembre 2001 – den algerischen Behörden gestellt haben. Er wurde mehrmals in Begleitung des schon erwähnten Oberst Athmane Tartag gesehen. Nach einem dreijährigen Aufenthalt im US-amerikanischen Fort Bragg, dem Ausbildungslager der Green Berets, soll al-Para laut algerischer Presse 1997 wieder « desertiert » sein. Die erste größere Aktion, die ihm als einer der Verantwortlichen der GSPC zugeschrieben wurde, war ein Hinterhalt am 4. Januar 2003 im Osten des Landes, bei dem 43 Soldaten getötet wurden.[13] Internationales Aufsehen erregte « al-Para », der nunmehr als N° 2 der GSPC bezeichnet wurde, obwohl er in keinem Organigramm der Organisation erscheint, mit der Entführung der europäischen Touristen, darunter auch 16 Deutsche. Lange Zeit war nicht klar, wer die Sahara-Besucher gekidnappt hatte, denn weder ein Bekennerschreiben noch Forderungen waren bekannt.[14] Nach einer wochenlangen Odyssee in der Wüste, die angeblich genauestens vom algerischen Militär, aber auch von europäischen und amerikanischen Sicherheitsdiensten verfolgt wurde, hat die algerische Armee eine Gruppe von Geiseln im Mai 2003 in einer spektakulären Aktion befreit. Während offiziell von mehreren Tote in den Reihen der Entführer berichtet wurde, haben die befreiten Geiseln keinen einzigen gesehen. Manche berichten auch, den Eindruck gehabt zu haben, Zeuge eines gespielten Szenarios gewesen zu sein.[15] Den Entführern gelang es, mit einer zweiten Gruppe nach Mali zu gehen, wo sie erst im August 2003 ihre Opfer gegen ein Lösegeld freiließen. Laut algerischen Pressemeldungen bewaffnete al-Para dank des Geldsegens seine Männer und entkam trotz internationalen Haftbefehls und amerikanischer Militärpräsenz in der Region.

Interessanterweise berichtete im Juli desselben Jahres eine algerische Zeitung über das Vorhaben der Amerikaner, eine Militärbasis im Süden des Landes zu errichten.[16] Diese wurde gerade in der Region aufgebaut, in der die Touristen entführt wurden. Die amerikanischen Strategen behaupteten, dass die Sahel-Zone zum Rückzugsgebiet der al-Qaida-Kämpfer geworden war. Im März 2004 erklärte General Charles Wald, stellvertretender Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa (Eucom), al-Qaida-Aktivisten versuchten, « in Nordafrika, in der Sahelzone und im Maghreb » Fuß zu fassen. « Sie wollen dort ein ähnliches Rückzugsgebiet wie in Afghanistan unter der Taliban-Herrschaft einrichten. Sie brauchen einen sicheren Ort, um sich neu zu formieren und auszurüsten und um neue Mitglieder zu rekrutieren. »[17] Doch wer sind die Kämpfer der al-Qaida in der Region? Al-Para und die GSPC, von der behauptet wurde, sie habe Verbindungen zu al-Qaida. Weder hatte die GSPC diese Beziehung kundgetan, noch waren die Hinweise auf diese organische Nähe stichhaltig: Der wichtigste « Beweis » sollte eine Videokassette liefern, die bei einem angeblichen Gesandten al-Qaidas in Algerien nach seiner Ermordung im September 2002 gefunden wurde. Dieser « Fund » ermöglichte der algerischen Regierung, die GSPC auf die amerikanische Liste der terroristischen Organisationen im Ausland setzen zu lassen. Später berichteten drei Überläufer der GSPC, dieses Video, das den algerischen Salafisten die Unterstützung durch al-Qaida zusichere, sei von der GSPC selbst aufgenommen worden.[18] Doch das kümmerte keinen mehr, da die Verbindung zwischen beiden Organisationen nunmehr als etabliert galt.

Unterdessen bewegte sich al-Para frei von Mali über den Niger bis nach Tschad, wo er von einer Rebellengruppe im Tibesti im März 2004 festgenommen wurde. Und nun schien sich niemand mehr für den « Bin Laden der Wüste » zu interessieren, obwohl z.B. die deutsche Regierung einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. Die Amerikaner gingen so weit zu behaupten, « al-Para und seine Komplizen sollten möglichst bald von den algerischen Behörden gefasst und vor Gericht gestellt werden. »[19] Alles deutete darauf hin, dass al-Para wieder auf freien Fuß kommen sollte, denn die GSPC sei « der einzige Grund für die Präsenz der Amerikaner in der Region. Einige Entscheidungen dürften neu bewertet werden, falls al-Para getötet und sein Tod offiziell bestätigt wird oder falls er gefangen genommen und an einen anderen Staat ausgeliefert wird ».[20]

Schließlich wurde al-Para am 27. Oktober 2004 den algerischen Behörden ausgeliefert – und keiner weiß, wo er sich zur Zeit befindet. Offiziell soll er in Haft sein, doch erschien er nicht zu seinem mehrfach verschobenen Prozess am 25. Juni 2005. Das Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit zu lebenslanger Haft und betrachtete ihn als « abwesend »! Die berechtigte Frage stellt sich, ob nicht der DRS Interesse hat, ihn zu schützen und ihn deshalb nicht dem Gericht überlässt.

Zielt die GSPC auf Frankreich?

Am 26. Juni 2005 kündigte die französische Zeitung Le Monde an, dass die GSPC Frankreich bedrohe. Ein Brief des Emirs, Abdelmalek Droukdal an al-Zarkaoui vom 14. Oktober 2004 sei vom amerikanischen Geheimdienst abgefangen worden. Er soll darin den Chef der al-Qaida im Irak dazu auffordern, « zu den Zielscheiben von Geiselnahmen im Irak auch Franzosen mit einzubeziehen ». Die GSPC « wolle jede Art von Druck auf Frankreich ausüben » wegen seiner « Verwicklung in der Befreiung der 32 europäischen Touristen, die 2003 in der Sahara entführt wurden ». Der Druck diene zudem dazu, die Freilassung von al-Para sowie anderer Gefangene der GSPC in Algerien zu erzwingen.

Die Meldungen überstürzten sich, widersprachen sich, bezogen sich immer konkreter auf Frankreich. So schrieb beispielsweise Le Figaro am 23. Juli, dass in dem abgefangenen Brief des Chefs der GSPC Entführungen im Irak vorgeschlagen werden, um die Freilassung von gefangenen Islamisten in Frankreich zu fordern.

Sowohl Le Monde wie Le Figaro gaben an, dass der Brief von Abdelmalek Droukdal verfasst worden sei. Doch keine der beiden renommierten Zeitungen erwähnte, dass das algerische Verteidigungsministerium am 20. Juni 2004 in einem Kommuniqué den Tod von Droukdal sowie von Nabil Sahraoui, dem damaligen Emir der GSPC, und weiterer Mitglieder angekündigt hatte. Diese Meldung war aber von der gesamten algerischen Presse aufgegriffen worden, und RFI (Radio France International) verbreitete sie am 21. Juni 2004. Die algerische Presse kündigte wiederum unhinterfragt am 7. September desselben Jahres die Nominierung des neuen Emirs an[21], der kein anderer war als Droukdal! Wer die Lebensläufe der Emire der GIA verfolgt hat, weiß, dass hier Tod und Wiederauferstehung keine Seltenheit sind.

Am 14. Oktober 2004 behauptete die GSPC in einem Kommuniqué auf ihrer Webseite, dass der französische Geheimdienst bei der Festnahme von Abderrezak al-Para durch die tschadische Widerstandsgruppe MDJT eine Rolle gespielt habe. Letztere wird aufgefordert, den GSPC-Mann freizulassen. Wie erklärt sich der Zufall des Datums zwischen dem Kommuniqué der GSPC und der « von amerikanischen Sicherheitsdiensten abgefangenen Botschaft »? Doch noch kurioser ist der Umstand, dass in dem von Le Monde zitierten Brief vom 14. Oktober 2004 die Freilassung von al-Para aus der Gefangenschaft in Algerien gefordert wurde, obwohl dieser erst am 27. Oktober 2004 den algerischen Behörden ausgeliefert wurde!

Angesichts dieser Widersprüche ist es schwer, an die Ernsthaftigkeit der angeführten Beweise zu glauben. Doch gegenüber der öffentlichen Meinung reichen diese Hinweise um die « Wiederaktivierung » der GSPC-Netze in Europa heraufzubeschwören und die Furcht vor anstehenden Attacken angesichts der bevorstehenden Freilassungen von Islamisten aus französischen Gefängnissen wachsen zu lassen.[22]

Haben die Amerikaner die Fäden in der Hand?

Die Attacke auf die Militärbasis von Lemgheity in Mauretanien

Die mauretanische Militärbasis vom Lemgheity an der algerisch-malischen Grenze wurde am frühen Morgen des 4. Juni von einer bewaffneten Gruppe attackiert. Die 100 bis 140 Mann starke Gruppe sei, laut mauretanischen Quellen, mit einem Dutzend Fahrzeugen herangerückt, um die Anlage, in der fünfzig Soldaten stationiert waren, anzugreifen. Fünfzehn mauretanische Soldaten und fünf Angreifer wurden getötet, zwanzig Soldaten wurden verletzt und zwei verschwanden. Die mauretanische Regierung erklärte sehr schnell, dass die algerische GSPC für diesen Angriff verantwortlich sei.

Wie kann eine Kolonne von zwölf Fahrzeugen sich in einer Zone bewegen, die zwei Tage später Schauplatz des größten Militärmanövers in Afrika unter der Kontrolle der USA werden sollte? Wie kann eine so große Anzahl von Männern und Fahrzeugen unbehelligt wieder verschwinden? Es ist doch wohl anzunehmen, dass Satelliten die Region genau beobachten, zumal die Kaserne eine wichtige geostrategische Position innehat und in der Nähe Erdölfelder vermutet werden. Im Bassin de Taoudenni, in dem die Ortschaft Lemghity liegt, konkurrieren Ölfirmen, insbesondere die australische Woodside und die französische Total. Auf der Webseite der GSPC wurde der Angriff auf die Garnison begrüßt, doch die Unstimmigkeiten über Einzelheiten dieser Operation einerseits und die Angabe der genauen Namen mancher ermordeter Offiziere andererseits rufen Skepsis über die Hintermänner hervor. In einer vom mauretanischen Observatorium für Menschenrechte veröffentlichten Untersuchung der Attacke werden die Beziehungen zwischen Mitgliedern der GSPC und der mauretanischen Barone des illegalen Handels, die enge Verbindungen zum Präsidenten pflegen, betont. Die Verfasser gehen sogar einen Schritt weiter: « Die mögliche Beteiligung der Gruppe von Belaouar [von der GSPC] an der Operation von Lemgheity bestätigt die Annahme einer geheimen Verständigung mit den Geheimdiensten von Oberst Ould Taya. Durch den Plan, arme schlecht bewaffnete Soldaten zu töten, soll der Staatschef versucht haben, die terroristische Gefahr in Mauretanien unter Beweis zu stellen. »[23]

Für die US-Regierung ist diese Attacke ein willkommener Anlass, ihre ehrgeizigen Pläne in der Region zu rechtfertigen: die « Trans Saharan Counterterrorism Initiative », für die das Pentagon eine halbe Milliarde Dollar zur Verfügung gestellt hat. Das Oberkommando dieser Initiative befindet sich in Dakar und bildet Einheiten aus Algerien, Senegal, Tschad, Tunesien, Marokko, Mauretanien, Niger, Nigeria und Mali aus. Die Flintlock-Manöver im Juni 2005 fanden in verschiedenen Ländern unter der Leitung von amerikanischen Spezialeinheiten statt. Ziel dieser Übungen, denen weitere folgen sollen, ist der Kampf gegen den Terrorismus, den Menschenhandel, den Waffen- und Drogenhandel.

Zwei Monate nach dem Angriff auf die Kaserne von Lemgheity und einen Monat nach Beendigung der Militärübungen in der Region wurde Mauretanien am 3. August von einem Staatstreich überrascht. Die Putschisten, angeführt vom Chef der Präsidentengarde Oberst Mohamed Ould Abdel-Aziz, sollen den Franzosen näher stehen als den Amerikanern, die den abgesetzten Präsident Ould Sid’Ahmed Taya unterstützten. Der abgesetzte Präsident pflegte diplomatische Beziehungen zu Israel, nahm dessen Dienste auf der militärischen Ebene an und befürwortete den amerikanischen Angriffskrieg auf den Irak, eine Haltung, die in Mauretanien auf große Kritik gestoßen war. Der Coup wird als ein Rückschlag in der US-Politik angesehen und könnte möglicherweise die politischen und militärischen Hegemoniebestrebungen der USA in der Region, die Frankreich nicht mit einem wohlwollenden Blick beobachtet, bremsen.

Die Entführung und Ermordung der zwei algerischen Diplomaten im Irak

Inzwischen hat ein weiteres Ereignis Vermutungen über die mögliche Verwicklung der Geheimdienste in terroristische Operationen aufgeworfen. Die Entführung und Ermordung von zwei algerischen Diplomaten im Irak Ende Juli 2005 bleibt noch sehr rätselhaft. Viele Hinweise deuten jedoch darauf, dass sie nicht Opfer einer Vergeltungsmaßnahme des « irakischen Widerstandes » wurden. Die algerische Presse hat in dem Zusammenhang ungewöhnliche Kommentare veröffentlicht, die angesichts der spärlichen Informationen über die Umstände der Operation einige Fragen über die Hintermänner aufwerfen.

Am 21. Juli 2005 wurden zwei algerische Diplomaten in Bagdad in der Hochsicherheitszone al-Mansourah entführt. Seit der Besetzung des Iraks durch die amerikanisch-britischen Truppen werden die eigentlichen Botschaftsgeschäfte Algeriens in Jordanien geführt. Ali Belaroussi und Azzedine Belkadi waren im Irak offiziell zuständig für die Verwaltungsbelange der 300 Personen starken algerischen Community. Belaroussi war seit zwei Jahren in Bagdad, Belkadi war kaum einen Monat vor Ort.

Die algerische Regierung schien über die Geiselnahme ernsthaft geschockt zu sein, obwohl in den vergangenen Wochen mehrere Diplomaten entführt oder angegriffen worden waren. Umso erstaunlicher war die Meldung, dass die beiden Männer weder bewaffnet waren noch über einen Personenschutz verfügten. Die algerische Presse berichtete, noch bevor sich die Entführer zu Wort meldeten, von der Verantwortung von al-Zarkaoui und der Mitverantwortung der GSPC.[24] Ein Bekennerschreiben der al-Zarkaoui-Gruppe, dessen Echtheit nicht bestätigt werden konnte, erschien dann auch zwei Tage später, am 23. Juli, im Internet. Darin wurde nur auf die Entführung von Belaroussi Bezug genommen. Die Gruppe stellte keine Forderung, rechtfertigte aber die Tat damit, dass Algerien diplomatische Beziehungen zum besetzten Irak unterhält und die Aufforderung, den Irak zu verlassen, nicht befolgt habe. Die GSPC veröffentlichte gleichzeitig auf ihrer Webseite ein Kommunique. Dies enthielt allerdings nicht, wie von der Presse behauptet,[25] die Forderung nach der Freilassung von al-Para (erinnert aber daran, dass in dem angeblich abgefangenen Brief des Emirs der GSPC, dieser al-Zarkaoui geraten hatte, im Irak Entführungen vorzunehmen, s.o.!). Hingegen verurteilte die GSPC die « Doppelzüngigkeit » der algerischen Regierung, da « sie ihre Unterstützung für die Kreuzfahrer vertusche, Unterstützung für das irakische Volk vortäusche », aber « gleichzeitig diesem Volk einen Stoß in den Rücken versetze durch seine Annerkennung des ‘abtrünnigen’ irakischen Regimes ».

Am 26. Juli erschien eine Videoaufnahme im Internet. Beide Geiseln wurden nacheinander mit zugebundenen Augen gezeigt – eine ungewöhnliche Praktik – und stellten sich vor. Gleichzeitig verbreiteten die Entführer über Foren des Internets in einem von einem gewissen Abou Maïssara El-Iraqi unterschriebenen Kommuniqué, dass ein « islamisches Gericht » sie zum Tode verurteilt hätte. Die Geständnisse der Geiseln würden zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich gemacht werden. Die GSPC ihrerseits veröffentlichte einen Brief, der weder Logo, Datum noch Unterschrift enthielt, in dem sie die Entführung begrüßte und den Kidnappern empfahl, die Geiseln zu verhören, insbesondere Azzedine Belkadi, der ihren Aussagen nach ein Geheimdienstagent und an den Massakern in Rais und Bentalha im Jahre 1997 beteiligt gewesen sei.

Die Sachlage schien sich zu verkomplizieren durch Meldungen aus dem Irak, die behaupteten, dass möglicherweise das Video und die Ankündigung des Todesurteils nicht von derselben Quelle stammten.[26] Manche Journalisten vermuteten, die beiden Diplomaten könnten in den Händen algerischer Djihadisten im Irak sein. Es stellte sich mit dieser Anhäufung von unklaren Informationen zunehmend der Verdacht ein, dass verschiedene Gruppen, vielleicht geheimdienstlicher Natur, am Werk waren.

Am Nachmittag des 27. Juli wurde dann über die selbe Webseite, die das Bekennerschreiben und das Video veröffentlicht hatte, ein von Abu Maissar al-Iraqi unterzeichnetes Kommuniqué verbreitet, das die Ermordung von Belaroussi und Belkadi bestätigte. Es wurde wider Erwarten kein weiteres Video ausgestrahlt. Kaum war ihr Tod angekündigt, organisierte das algerische Außenministerium eine Pressekonferenz, in der die Ankündigung des Todes der beiden Männer übernommen wurde. Wie kann die algerische Regierung nach wenigen Stunden mit Sicherheit den Tod der beiden Diplomaten bestätigen, wenn in den Tagen zuvor immer wieder über die Authentizität der über das Internet verbreiteten Botschaften diskutiert wurde?

Der Außenminister gab bekannt, dass die Entführer zweimal mit der algerischen Regierung in Kontakt treten wollten, dies aber nicht zustande kam. Am nächsten Tag veröffentlichte die GSPC ein Kommuniqué, in dem sie die Ermordung der beiden Diplomaten gut hieß. Die algerische Presse misst der algerischen Untergrundorganisation eine große Verantwortung in der Vollstreckung des Todesurteil bei. Sie wurde als verlängerter Arm der al-Qaida im Maghreb angesehen, aber die Beschuldigungen gingen noch weiter, da sie behaupteten, ihre Mitglieder hätten an der Aktion teilgenommen.[27] Eine andere gut informierte algerische Zeitung hatte wenige Tage zuvor zu der Frage, wer diese Djihadisten waren, geschrieben: « Laut einer anonymen algerischen ‘Sicherheitsquelle’ hätte die GSPC seit der amerikanischen Invasion algerische Freiwillige in den Irak über Syrien eingeschleust, um Salafisten zu infiltrieren, die die al-Qaida-Netze unterstützen oder ihre Ausbildung verbessern wollten, bevor sie nach Algerien zurückkehren. » [28]Diese Ausdrucksweise ist sehr ungewöhnlich im Zusammenhang mit Oppositionsgruppen und kann auf geheimdienstliche Tätigkeiten hinweisen. Weitere algerische Zeitungen bestärkten diese Annahme, indem sie die Entführung und Tötung der zwei Männer erstaunlicherweise mit den amerikanischen Hegemoniebestrebungen in der Region in Verbindung brachten. So wies ein Leitartikel darauf hin, dass das Kommuniqué des Präsidiums der Republik vom 27. Juli davor warnte, die falschen Personen der Ermordung der zwei Diplomaten zu beschuldigen. Der Journalist hob hervor, dass das Kommuniqué den Begriff « Aggression » und nicht « Attentat » verwendet, was in der diplomatischen Sprache das Handeln eines Staates bezeichnet – und nicht einer gewöhnlichen terroristischen Gruppe.[29] Andere wussten zu berichten, dass die Ermordung der beiden Diplomaten in unmittelbaren Zusammenhang stand mit der Absicht des Präsidenten, eine Generalamnestie zu erlassen. Die Tat wurde zudem in einen globalen Kontext gestellt, in dem Großmächte auf die bevorstehende « nationale Versöhnung » Einfluss nehmen wollen.[30]

Die Hintergründe all dieser erstaunlichen Kommentare in der algerischen Presse bleiben unklar. Bemerkenswert ist aber, dass in einer Stimmung, in der unentwegt der Terrorismus hervorgehoben und die Verbindungen zwischen der GSPC und al-Qaida betont werden, plötzlich offizielle Verlautbarungen ahnen lassen, dass etwas Unplanmäßiges geschehen ist. Ist es denkbar, dass eine fingierte Entführung von einer Fraktion des algerischen Geheimdienstes mit Billigung oder Beteiligung einer Großmacht organisiert wurde, um Druck auf den algerischen Staat auszuüben und diese Opfer ihres eigenen « Spiels » wurde? Das könnte erklären, dass einerseits das Szenario der Operation bereits im Vorfeld bekannt war, sowie andererseits das Ausmaß der Empörung nach dem Tod der Diplomaten. Kurz darauf jedenfalls verschwand die Webseite der GSPC!

Und um die Verwirrung noch zu steigern (innerhalb einer Woche sollen al-Zarkaoui und die GSPC jeweils drei Kommuniqués veröffentlicht haben!), meldete sich am 30. Juli al-Zarkaoui höchstpersönlich mit einer neuen Erklärung. Er versicherte darin, weder für die Entführung noch für die Ermordung der zwei algerischen Diplomaten (und des ägyptischen, der zwei Wochen zuvor das selbe Schicksal erlitten hatte) verantwortlich zu sein.[31]

Wenn nationale Interessen internationalen Zwängen unterliegen

Auch wenn die zuletzt beschriebene Operation mehr Fragen aufwirft, als Antworten liefert, lassen die hier im Text beschriebenen Ereignisse erkennen, dass diese komplexen Vorgänge kaum auf einen Konflikt zwischen einem Staat – Algerien – und bewaffneten Gruppen – gestern die GIA, heute die GSPC – reduziert werden können. Die Instrumentalisierung dieser Gruppen von unterschiedlichen Mächten ist wahrscheinlich. Es ist zu befürchten, dass vor dem Hintergrund der zugespitzten Konflikte zwischen Frankreich und den USA in der Maghreb-Region noch weitere Anschläge zu erwarten sind. Ob geheimdienstlichen Operationen auch eingesetzt werden, um die Politik des algerischen Staates zu orientieren, ist unklar. Doch stellt sich die Frage, warum Präsident Bouteflika, der vor zehn Monaten eine Generalamnestie angekündigt hatte, schließlich zwei Wochen nach dem Vorfall im Irak eine « Charta für den Frieden und die Versöhnung » publik machte, die sich auf der gesetzlichen Ebene kaum von dem Gesetz der « zivilen Eintracht » von 2000 unterscheidet. Darin wird die Begnadigung oder die Straffreiheit der Mitglieder von bewaffneten Gruppen vorgesehen, die sich den Behörden stellen und keine Massaker, Vergewaltigungen oder Bombenanschläge verübt haben. Allerdings dürfen sie keine politischen Tätigkeiten mehr aufnehmen. Die Charta beinhaltet allerdings auch eine Lobeshymne an die algerische Armee und alle Kräfte, die den « Terrorismus » siegreich bekämpft haben. Manche sehen darin die Absicht, Armeeangehörige und andere staatliche Sicherheitskräfte von jeglicher Verantwortung für ihre Verbrechen freizusprechen. Doch festzuhalten ist, dass die Charta keine gesetzliche Grundlage für die Amnestierung ihrer Verbrechen bietet. Bouteflika gab selbst zu, dass das Kräfteverhältnis keine weiteren Zugeständnisse erlaube. Bedeutet dies, dass eine Generalamnestie, die vor allem dem Militär Nutzen bringen würde, international nicht vertretbar ist? Besteht ein Deal darin, die prominentesten Militärs, die für den staatlichen Terror verantwortlich sind, nach und nach in Ehren von der politischen Bühne zurückzuziehen und ihnen im Gegenzug Straflosigkeit zu garantieren?

Algerien soll aufgrund seiner geographischen Lage, seiner Ressourcen und menschlichen Potentialitäten einen herausragenden Platz in der amerikanischen Vision der Integration des Maghreb in seine « Verteidigungsstrategie » einnehmen. Die angestrebte Modernisierung und Professionalisierung der algerischen Armee geht einher mit der amerikanischen Middle East Partnership Initiative (MEPI), die vorgibt, gesellschaftspolitische Veränderungen zu unterstützen. Eine « geliftete » Staatsklasse, die keine Generäle mehr aufweist, gehört ebenso zu dem neuen Bild, das Algerien von sich geben will und muss, wie die verschiedenen Kampagnen, um den Anforderungen der Welthandelsorganisation und des IWF zu genügen. Allerdings bestehen noch eine Reihe Hindernisse, die aus der Sicht der US-Administration abzubauen sind, um die Algerien zugedachte Rolle einer Regionalmacht zu gewähren. Der jahrzehntealte Konflikt mit Marokko um die Westsahara wird als ein Bremsfaktor angesehen, dem die Amerikaner sich nun direkt widmen. In Bezug auf die amerikanische Politik gegenüber dem Irak hat Algerien stets eine vorsichtige Haltung eingenommen, jahrelang das Embargo umgangen und plädiert heute für einen Abzug der Militärkräfte der Koalition aus dem besetzten Land. Und nicht zuletzt wird Algeriens solidarische Haltung zum Kampf der Palästinenser nicht mit Wohlwollen betrachtet. Die Bemühungen für eine « Normalisierung » der Beziehungen zu Israel haben zwar informelle Kontakte ermöglicht, doch hat Algerien offiziell bis heute keine diplomatischen Beziehungen aufgenommen.

Der Maghreb soll zum strategischen Partner der USA werden, was die französische Regierung beunruhigt beobachtet. Ihr Gewicht in ihrem traditionellen « Hinterhof » Westafrika wird bereits durch die amerikanische Präsenz u.a. in Senegal und Mali stark beschnitten. Und die Aussicht, nun auch im Maghreb und insbesondere in Algerien von der Supermacht marginalisiert zu werden, lässt sicherlich die Alarmglocken schlagen. Durch diese Einflusskämpfe werden die Konflikte und Spannungen immer weiter verschärft – mit unabsehbaren Folgen.


[1] Lounis Aggoun und Jean-Baptiste Rivoire, Françalgérie, crimes et mensonges d’Etats, S. 344.

[2] idem.

[3] Idem, S. 385.

[4] Salima Mellah, Le mouvement islamiste algérien entre autonomie et manipulation, Dossier für das ständige Tribunal der Völker, das im November 2004 in Paris tagte. <http://www.algerie-tpp.org/tpp/pdf/dossier_19_mvt_islamiste.pdf>

[5] Françalgérie, S. 442-443.

[6] Idem, S. 452.

[7] Idem, 454.

[8] Algeria-Watch, Wer tötete die Mönche von Tibhirin, Infomappe 22, Januar 2003, http://www.algeria-watch.org/de/artikel/aw_tibhirin.htm

[9] Salima Mellah, Les massacres en Algérie, 1992-2004, Dossier für das ständige Tribunal der Völker, das im November 2004 in Paris tagte. http://www.algerie-tpp.org/tpp/pdf/dossier_2_massacres.pdf

[10] Algeria-Watch, Die Junta vor Gericht, Infomappe 20-21, September 2002, http://www.algeria-watch.org/de/infomap/20-21/junta_gericht.htm

[11] William Burns, US-Vizeaußenminister und Sondergesandter für den Nahen Osten in Algier, zitiert von The New York Times, 10. 12. 2002.

[12] Canard Enchaîné, 27. Juli 2005.

[13] Liberté, 6. Januar 2003.

[14] Salima Mellah und Werner Ruf, Entführungen in der Sahara: Fragen und Hypothesen, Algeria-Watch, 2. Juni 2003, http://www.algeria-watch.org/de/artikel/touristen/mellah_ruf.htm und Salima Mellah, Abderrezak al-Para, das Phantom, das die Touristen in der Sahara entführte, Algeria-Watch, 14. Juni 2004, http://www.algeria-watch.org/de/artikel/touristen/al_para.htm

[15] Harald Ickler, « Entführt in der Wüste », Bergisch-Gladbach (Bastei-Lübbe) 2003, S. 224-225.

[16] Le Quotidien d’Oran, 20. Juli 2003.

[17] Le Quotidien d’Oran, 6. März 2004

[18] Le Quotidien d’Oran, 23. Oktober 2004. Siehe auch Salima Mellah und Jean-Baptiste Rivoire, Der seltsame « Bin Laden der Sahara », http://www.algeria-watch.org/de/artikel/touristen/mellah_rivoire.htm

[19] Le Matin, 11. Juli 2004.

[20] L’Expression, 6. Juni 2004.

[21] Le Quotidien d’Oran, 7. September 2004.

[22] Le Monde, 26. Juni 2005.

[23] Observatoire mauritanien des droits de l’homme, Impasse politique et réflexes sécuritaires en Mauritanie, Juli 2005, S. 16-17 und 25. < www.conscienceresistance.org/memo_rim_terrorisme.pdf >

[24] Le Quotidien d’Oran, 23. Juli 2005.

[25] L’Expression, 24. Juli 2005.

[26] L’Expression, 27. Juli 2005.

[27] L’Expression, 28. Juli 2005.

[28] Le Quotidien d’Oran, 23. Juli 2005.

[29] Le Jour d’Algérie, 31. Juli 2005.

[30] Le Jeune Indépendant, 2. August 2005.

[31] L’Expression, 31. Juli 2005.