Meldungen – Infomappe 24 – Juli 2003
Meldungen
Algerien knebelt TV
TAZ, 4. Juli 2003
Algerien knebelt ausländische Medien. Die fünf führenden französischen und belgischen TVSender TF1, France2, France3, LCP, und RTBF waren eigens angereist, um über die Freilassung der FIS-Chefs Madani und Benhadsch zu berichten. Sie hatten dafür Visa erhalten. Am Mittwoch wurde ihnen das Verlassen ihres Hotels verwehrt; gestern wurden sie aus Gründen der « Staatssicherheit » ausgewiesen und flogen aus. Auch ständig in Algier akkreditierte TV-Teams werden behindert. ARD-Korrespondentin Susanne Sterzenbach berichtet: « Wir wurden wenige Stunden nach der Freilassung angerufen. Uns wurde gesagt, dass wir nicht übermitteln dürfen. Wenn wir trotzdem Bilder senden, dann würde uns die Pressekarte entzogen. So etwas gab es noch nie. Nicht einmal in den dunkelsten Jahren des Bürgerkrieges wurde uns die Übermittlung von Bildern untersagt. » « RW
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Die schwerste Bilanz seit Beginn des Jahres
Über 120 Tote in drei Wochen
Aït-Chaâlal Mouloud, Le Jeune Indépendant, 23. Juni 2003
Etwa 120 Personen wurden seit Beginn des Monats Juni getötet, während zwölf Personen, darunter sechs Terroristen in den letzten 48 Stunden ums Leben kamen. Diese Bilanz – die schwerste in einem Monat seit Beginn des Jahres – gibt Auskunft über das Ausmaß der von den bewaffneten Gruppen verübten Anschläge und der von den Sicherheitskräften durchgeführten Durchkämmungsoperationen. Samstag Abend wurden von kombinierten Kräften während der Durchkämmungsoperationen in Guarboussa bei Relizane sechs Terroristen getötet, und gleichzeitig wurde eine fünfköpfige Familie, darunter drei Kinder, von einer bewaffneten Gruppe in Merdjet El-Abed im gleichen Departement massakriert.
Die Sicherheitskräfte hatten in den letzten Wochen große Durchsuchungsoperationen in der Region unternommen. Mitglieder der Gruppe Houmat al-daâwa salafia (HDS), eine Abspaltung der GIA, die etwa 100 Männer zählt, agieren in dieser Region. Diese Operationen haben zu der Eliminierung von insgesamt 23 Terroristen, darunter 12 Mitte mai im Wald von Souk El-Sebt (Relizane) geführt.
Die terroristischen Aktionen haben auch im Osten und Zentrum des Landes an Intensität zugenommen. In Jijel wurde gestern ein Milizionär von einer bewaffneten Gruppe getötet, drei Tage nach der Ermordung von vier Personen in Nechma, in der Nähe von Jijel. Die Kommunalgarden und Milizionäre sind oft Zielscheibe von terroristischen Attacken in der Region. In Tizi-Ouzou, Hochburg von der GSPC von Hassan Hattab waren am 15. Juni fünf Polizisten durch einen Bombenanschlag auf eine Patrouille in Tizi N’Tleta getötet worden. Einige tage zuvor hatten 10 Polizisten in einem Hinterhalt des GSPC in Beni Douala den Tod gefunden. In Tissemsilit wurden acht Soldaten in einem Hinterhalt der GIA getötet. Seit Beginn des Jahres wurden etwa 600 Personen ermordet, darunter ungefähr 100 Terroristen.
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Ein UNO-Funktionär wird des Landes verwiesen
Paolo Lemba, Verantwortlicher des PNUD in Algier wurde gebeten, das Land zu verlassen. Am 16. Juni hat der algerische UNO-Botschafter in New York von Generalsekretär Kofi Anan seine Rückberufung verlangt. Herr Lemba hatte zum Zeitpunkt der Erdbeben eine Krisenzelle gegründet, um die Bedürfnisse der Erdbebenopfer besser evaluieren zu können und die Entsendung von neun internationalen Experten veranlasst, um die internationalen Hilfeleistungen zu koordinieren. Diese Initiativen des Repräsentanten einer internationalen Institution machte die anfängliche Tatenlosigkeit der algerischen Behörden nur deutlicher. Diese konnten nicht akzeptieren, dass die eigenen Unzugänglichkeiten in dem Maße zu Tage treten. Paolo Lemba war nach 13 Jahren Abwesenheit der erste UNORepräsentant, der seit September 2001 im Land stationiert war. Er zeichnete sich hervor durch eine zahlreiche Projekte, die er koordinierte. (Libération,26. Juni 2003)
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Nach dem Verschwinden eines jungen Algeriers wird Anzeige gegen Unbekannt gestellt
Eine Französin stellte im März 2003 eine Anzeige gegen Unbekannt in Frankreich, in Bobigny bei Paris, wegen Sequestrierung ihres Sohnes Samir, der als Student in Oran 1994 von Polizisten festgenommen wurde, um ein Routineverhör unterzogen zu werden. Er verschwand. Ein Zeuge gibt an, ihn in einem algerischen Gefängnis 1998 gesehen zu haben. Die Familie wandte sich an die UNOArbeitsgruppe für Verschwindenlassen, die von der algerischen Regierung Informationen über den Fall erbat. Als Antwort erhielt sie 1999 einen Brief, in dem behauptet wird, der 25-jährige Samir sei vorgeladen worden, um eine Identitätsüberprüfung vorzunehmen und danach wieder freigelassen worden.
Die Familie ist überzeugt davon, dass er Opfer vom Verschwindenlassen ist. (Le Quotidien d’Oran, 11. März 2003)
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Die Sicherheitsdienste belästigen die Besucher der beiden freigelassenen Führer der FIS
Ali Djeddi, ehemaliges Mitglied der Führung der FIS verurteilte in einem am 3. August 2003 veröffentlichten Kommuniqué die Praktiken der Sicherheitsdienste, die alle Personen, die mit den Anfang Juli freigelassenen Führer der FIS, Ali Benhadj und Abbassi Madani, in Kontakt treten, belästigen. So sollen selbst Passanten, die die beiden begrüßen gefilmt werden und eine Vorladung zum Kommissariat erhalten. Beide Führer wurden nach einer 12-jährigen Gefängnisstrafe Anfang Juli freigelassen und jegliche politische, religiöse, oder soziale Betätigung wurde ihnen verboten.
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Die LADDH startet eine Kampagne für die Aufhebung des Ausnahmezustandes
Ali Yahia Abdennour, Vorsitzender der Ligue algérienne de défense des droits de l’Homme (LADDH) startet mit anderen Persönlichkeiten eine Kampagne für die Aufhebung des Ausnahmezustandes. Ali Yahia erklärt: « Der Ausnahmezustand wurde « 1992 ausgerufen – sagt die Regierung – um den Terrorismus zu bekämpfen. Jetzt, wo die selbe Regierung erklärt, dass der Terrorismus nur eine Randerscheinung ist und der bewaffnete Islamismus besiegt ist, warum diesen Zustand aufrecht erhalten? » (El Watan, 17. Juni 2003) Der Ausnahmezustand wird für eine festgelegte Zeit vom Präsidenten ausgerufen werden, aber er kann nur mit der Bewilligung des Parlaments verlängert werden (Artikel 91 der Verfassung von 1996). Die Organisation des Ausnahmezustandes muss über das Grundgesetz festgelegt werden, doch in Algerien haben die Ministerialerlasse vom 10. Februar und 25. Juli 1993 den Ausnahmezustand zum Belagerungszustand pervertiert.. Alle Befugnisse werden der Armee zugesprochen.
Die Folgen davon sind, dass Personen ohne Haft- und Durchsuchungsbefehl festgenommen werden, Demonstrationen, Versammlungen verboten werden. Ein Komitee wurde gegründet, um die Kampagne öffentlich zu machen.