« Keine Amnestie ohne Wahrheit und Gerechtigkeit »

Pressekonferenz der Familien von Verschwundenen

« Keine Amnestie ohne Wahrheit und Gerechtigkeit »

Algeria-Watch, Februar 2005

Zum ersten Mal trafen sich fünf Organisationen von Opfern des Terrorismus und von Familien von Verschwundenen, um öffentlich gegen die Absicht der Regierung, eine Generalamnestie zu erlassen, zu protestieren. In einer am 30. Januar 2005 organisierten Pressekonferenz kündigten sie eine Kampagne an, die das Vorhaben der Regierung vereiteln soll.

Frau Yous, Vorsitzende von SOS-Disparus, erklärte, dass niemand gegen den Frieden sei, aber „dieser Frieden nicht auf das Vergessen, das Fehlen der Wahrheit und der Gerechtigkeit aufgebaut werden kann. Frau Halaimia, Koordinatorin der Nationalen Organisation der Opfer des Terrorismus (Onvitad), bekräftigte ihrerseits, dass die Wiederherstellung der Sicherheit „nicht von dem Verzicht der Familien der Opfer auf ihr Recht auf Wahrheit“ abhängig gemacht werden darf. Frau Nacera Dutour, Vertreterin des Collectif des Familles de disparus, schloss „das Schließen dieses Buches des Schreckens, ohne die Wahrheit zu verlangen,“ kategorisch aus. Frau Ighil, Vertrerin der Association nationale des familles de disparus, hat in ihrer Ansprache insbesondere die Haltung von Farouk Ksentini, dem Vorsitzenden der Nationalen Kommission der Verteidigung der Menschenrechte, kritisiert: „Er spricht die Staatsorgane von ihrer mutmaßlichen strafrechtlichen Verantwortung für die illegalen Festnahmen frei. (…) Herr Ksentini ist nicht befugt, irgendjemanden anzuklagen oder freizusprechen. Dies ist die Aufgabe der Justiz. Unsererseits behaupten wir, dass eine zentrale Entscheidung für das Verschwinden unserer Angehörigen verantwortlich ist. Wir verlangen, dass die Verantwortlichen dieser Entscheidung vor Gericht gestellt werden(…) Wir werden nicht vom Geist der Rache getrieben, wir wollen nicht den Kopf des einfachen Polizisten, aber wir wollen Gerichtsurteile, und unser Kampf ist die Pflicht zur Erinnerung.“

Angesichts der Tausenden von Verschwundenen, deren Angehörige genaue Angaben zu den Festnahmen, den Verantwortlichen für letztere und den Verbleib der Opfer in den ersten Tagen der Inhaftierung gesammelt haben, ist nicht hinnehmbar, dass die Suche nach ihrem Verbleib aufgegeben werden soll. „Wie sollten die Familien, die gesehen haben, wie ihre Kinder von Staatsorganen offiziell festgenommen wurden und deren weiteres Schicksal ihnen unbekannt ist, auf die Wahrheit und das Anrufen der Justiz verzichten können? Eine solche Amnestie dient dazu, Ermittlungen über die Verantwortlichen der Entführungen zu verhindern, und verstärkt das Klima der Straflosigkeit. Sie trägt nicht dazu bei, die Achtung der Menschenrechte und des Rechtsstaates zu stärken.“
Ali Lembaret, Vorsitzender von Somoud, einer Organisation der Familien von Personen,, die von bewaffneten Gruppen entführt wurden, fragt sich, wem die Amnestie nützen soll: „Nach dem Gesetz der Rahma, der „amnestierenden Gnade“ für die AIS und der zivilen Eintracht – wer soll da mit diesem Gesetz geschützt werden?“ (1). Und er fährt fort: „Welche Botschaften sollen den zukünftigen Generationen vermittelt werden, wenn man sie die Straflosigkeit lehrt und das Gesetz des Schweigens über die Massaker und den Genozid verhängt?“

Im Namen der Ligue algérienne de défense des droits de l‘homme hat Herr Hocine Zehouane das Prinzip der Forderung nach Wahrheit und Gerechtigkeit unterstützt. Er hob hervor, dass die Massaker, Entführungen und Folterungen Verbrechen gegen die Menschheit sind und nicht verjähren. Deshalb müsse die Frage eines Referendums öffentlich und loyal debattiert werden. Er kündigte an, dass die LADDH in einem juristischen Memorandum die Unverjährbarkeit der Verbrechen, die amnestiert werden sollen, nachweisen will. „Die Bemühungen der Familien der Verschwundenen und der Menschenrechtler um die Anerkennung der Verbrechen stoßen auf Grenzen aufgrund der Komplizenschaft zwischen der UNO und der algerischen Regierung.“ Hocine Zehouane meint, dass „gegenseitige Interessen die Vereinten Nationen daran hindern, sich dieser Frage anzunehmen. Gewiss könne man sich an die Afrikanische Kommission der Menschenrechte wenden, aber diese sei auch durch Korruption verdorben.“

Die anwesenden Personen erklärten, dass sie eine nationale und internationale Kampagne starten wollen, um die „Weihe der Straflosigkeit“ zu verhindern. Sie betonte zudem ihren Willen „ein freies und gesundes Algerien und einen wirklichen Frieden auf solide Fundamente und nicht auf ein Meer von Blut, nämlich das ihrer Angehörigen, aufzubauen“(2)

1- 1995 wurde das Gesetz der Rahma (Barmherzigkeit) für diejenigen erlassen, die sich den Behörden stellen und keine Verbrechen begangen hatten. 1999 erließ Präsident Bouteflika das Gesetz der zivilen Eintracht, das Ähnliches vorsah. Die „amnestierende Gnade“ betraf die Mitglieder der bewaffneten Gruppen, die seit 1997 einen Waffenstillstand einhielten. Sie wurden als Gruppe von jeglicher strafrechtlichen Verfolgung freigesprochen.

2- Quellen: Liberté, 31. Januar 2005; La Tribune, 31. Januar 2005; Le Soir d’Algérie, 31. Januar 2005, Le Quotidien d’Oran, 31. Januar 2005.