Terrorismus im Zentrum der Machtkämpfe?
Algeria-Watch, Juli 2004
Der Anschlag auf das Kraftwerk Hamma in Algier am 21. Juni wurde der GSPC (Groupe salafiste pour la prédication et le combat, Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf) zugeschrieben. Sie selbst bekannte sich erst eine Woche später zu der Tat. Ali Tounsi, der Chef der Polizei, bestätigte erst am 6. Juli, dass die Explosion, die 15 Menschen verletzte, ein Anschlag war, obwohl vor Ort die Über-reste der Autobomben sichtbar zu erkennen waren. Die algerischen Medien meldeten, dass die bewaffnete Gruppe mit diesem Anschlag auf den Tod ihres Chefs, Nabil Sahraoui, der mit seinen Ge-folgsleuten am 20. Juni von Sicherheitskräften getötet worden war, reagiert hätte. Warum diese Ausflüchte von offizieller Seite? Wer sind die wirklichen Drahtzieher dieser Operation? Wer befiehlt die GSPC, der seit den Anschlägen vom 9. September 2001 auf den World Trade-Center Beziehungen zu Al-Qaida nachgesagt werden? Sind diese spektakulären Anschläge der Ausdruck eines unerbittlichen Machtkampfes zwischen den « Putschisten » – den Generälen, die den Staatsstreich von Januar 1992 vorbereiteten, darunter Khaled Nezzar, Larbi Belkheir Mohamed Lamari, Toufik Mediene, Smaïn Lamari u.a. – und Präsident Bouteflika?
In der Wochenzeitung Les Débats, die bekanntlich dem Präsidenten Bouteflika nahe steht, erschien Anfang Juli ein aufschlussreicher Artikel. Demzufolge sind die Hintermänner der Anschläge, die General-Major Khaled Nezzar bereits am 3. Februar 2004 in der Zeitung Le Soir d’Algérie ankün-digte, im Machtapparat zu suchen:
Indem die Barone des Systems die Anschläge gegen die Stromzentralen von El-Hamma und Cap Djinet befahlen, sendeten sie eine unmissverständliche Botschaft, nämlich dass sie keineswegs bereit sind, die verschiedenen Hebel der Rente, die sie seit 25 Jahren kontrollieren, aufzugeben, und nicht beabsichtigen, das Handtuch zu schmeißen. All diejenigen, die tiefe Veränderungen in den verschiedenen Institutionen der Republik und den sensiblen Apparaten des Staates [gemeint ist die Armee, Anm. d. Ü.] erwarten, müssen sich mit Geduld wappnen und dürfen keine großen Hoff-nungen im Zusammenhang mit dem 5. Juli [Jahrestag der Unabhängigkeit 1962, Anm. d. Ü.] und wahrscheinlich auch nicht dem 1. November [Jahrestag des Beginns des Befreiungskrieges 1954, Anm. d. Ü.] hegen.
Die Zerstörungsfähigkeit der Finanzmafia, die im Räderwerk des Staates fest verankert ist, ist sicherlich nicht mehr das, was sie einmal war, aber der Terrorismus, den sie befiehlt, kann noch viel Schaden anrichten.
Mit aller Deutlichkeit sagen wir, dass die Verbindung zwischen den Kräften des Terrorismus, einiger hoher Verantwortlicher ziviler und militärischer Organe des Staates, des Medienkartells und der Unterstützung mancher ausländischer Geheimdienste immer noch einen Bremsfaktor in den Liberalisierungsbemühungen des Systems, wie Präsident Abdelaziz Bouteflika sie sich wünscht, darstellt. Die Wahl vom 8. April hat nicht zur Folge, das System sofort zu verändern und hat dem Präsident nur die ersten Mittel auf dem Weg zur Erfüllung dieser Aufgabe gegeben. »
Die nachfolgenden Ereignisse scheinen die Prognosen der Zeitung zu bestätigen. Am 18. Juli reiste Frankreichs Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie nach Algier, um erstmals seit der Unabhängigkeit Algeriens eine offizielle militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern einzuläuten. Die Abwesenheit von Oberbefehlshaber Mohamed Lamari während dieses Besuches löste eine Lawine von Spekulationen über seinen möglichen Rauswurf aus. 10 Tage später wurde seine Entlassung bestätigt, auch wenn sich Lamari offiziellen Angaben zufolge aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen haben soll.
In der Zeitung Le Soir d’Algérie, bekanntlich Sprachrohr der Putschisten, erschien am 28. Juli 2004 ein bemerkenswerter Artikel, der annehmen lässt, dass sich der Wind auch für die einstigen Verbündeten der Putschisten leicht gedreht hat. Die Propagandamaschine, die zwölf Jahre lang den Militärputsch im Januar 1992 als Rettungsaktion der Armee im Dienste der Demokratie präsentierte, scheint immer mehr ins Leere zu laufen. Heute werden die Verantwortlichen für die « Gewalt » namentlich benannt. Bemerkenswert dabei ist, dass General Larbi Belkheir, einer der Hauptverantwortlichen für die Ereignisse in Algerien seit der Ära Chadli Bendjedids und eigentlicher Kopf des Putsches 1992, in diesem Artikel nicht erwähnt wird. Als graue Eminenz, die immer verstand, sich im Hintergrund zu halten, ist er der Mentor von Bouteflika und der eigentliche Entscheider. Ihm ist sehr daran gelegen, mit den Verbrechen der letzten 12 Jahren nicht in Verbindung gebracht zu werden.
Hier Ausschnitte aus dem Artikel von Le Soir d’Algérie:
Mit dem Rücktritt des Oberbefehlshabers der Armee verlässt ein Hauptakteur und Zeuge der Ereignisse auf der nationalen Bühne der letzten fünfzehn Jahre die Bühne. Mohamed Lamari gilt in der Tat als einer der führenden « Janviéristen-Offiziere » (« officiers janviéristes ») [so bezeichnete die Opposition die Putschisten, da der Staatsstreich im Januar stattfand, Anm. d. Ü.], also derjenigen, die die Verantwortung übernahmen für den Rauswurf von Chadli Bendjedid und die Unterbrechung des Wahlprozesses am 11. Januar 1992, der drohte, die Kontrolle über den algerischen Staat in die Hände der Fundamentalisten zu legen.
Wenn offiziell diese « primäre Gewalt » – so Bouteflikas Worte -, die die FIS daran hinderte, die Macht zu übernehmen, als das Werk der gesamten « Führung » dargestellt wird, so steht heute fest, dass der « Staatstreich auf dem Canapé » – wie eine französische Zeitung damals schrieb – das Werk einer Gruppe von sechs einflussreichen Generälen war, von denen nur noch zwei im aktiven Dienst sind: General-Major Mohamed Mediene, genannt Toufik, der mächtige Direktor des Geheimdienstes (DRS), und Mohamed Touati, Militärberater des Präsidenten. Letzterer wird zu Recht oder zu Unrecht die Urheberschaft für das feingesponnene Szenario zugesprochen, das die Vernichtung der islamistischen Bedrohung möglich machte. Er wird seitdem « El Mokh » (das Hirn) genannt. Die vier anderen Generäle sind Khaled Nezzar, Verteidigungsminister, Mohamed Lamari, Chef der Landstreitkräfte, die 80 % der algerischen Armee ausmachten, Abdelmalek Guenaïzia, damaliger Oberbefehlshaber, und Benabbes Ghziel, ehemaliger Chef der Gendarmerie, der seit mehreren Monaten sehr krank sein soll. (…)
Mit dem Rückzug aus der Armeeführung hat Mohamed Lamari das Intermezzo der « Janviéristen » an der Spitze der Militärinstitution beendet. Da die zwei anderen Mitglieder der Gruppe, die Generäle Toufik und Touati, nicht das Profil für die Führung des Generalstabs aufweisen, wird die Lei-tung der Armee zwangsläufig einer Person zufallen, die nicht « direkt » an der Entscheidung, den Wahlprozess zu unterbrechen, beteiligt war. (…)