Presseerklärung: Geheimdienst will Ex-Agent zum Schweigen bringen
Presseerklärung:Prozess wegen Ermordung der Mönche in Algerien
Geheimdienst will Ex-Agent zum Schweigen bringen
Algeria-Watch, Paris, 23. Februar 2004
Frau Fouzia Tigha, geborene Mendil, Mutter zweier Kinder, ist die Ehefrau von Herrn Abdelkader Tigha, ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes der algerischen Armee, die vormalige « Sécurité militaire », seit September 1990 DRS (Département du renseignement et de la sécurité, Militärischer Geheimdienst). Herr Tigha war von 1993 bis 1997 Adjutant (Hauptfeldwebel) beim Aufklärungsdienst des CTRI (Centre territorial de recherche et d’investigation, Regionales Forschungs- und Aufklärungszentrum) in Blida, einer ca. 40 km südwestlich von Algier gelegenen Stadt.
Das CTRI in Blida
Das CTRI in Blida ist der verlängerte Arm der wichtigsten Abteilung der DRS, des DCE (Direction du contre-espionnage, Hauptamt des Abwehrdienstes), in der 1. Militärregion (Umgebung von Algier). Das DCE steht seit September 1990 unter der Leitung von General Smaïl Lamari, genannt « Smaïn ». Untersuchung von Menschenrechtsorganisationen und Aussagen ehemaliger Offiziere der Armee und des DRS haben ergeben, dass das CTRI in Blida – bis heute – eines der wichtigsten Zentren für die Repressionswelle ist, mit der die algerische Armee im seit Januar 1992 andauernden « schmutzigen Krieg » die Bevölkerung überzieht. Das CTRI wurde von Juli 1990 bis Oktober 2003 von Oberst M’Henna Djebbar geleitet. In diesem wichtigen Folterzentrum wurden Tausende von extralegalen Hinrichtungen von Zivilisten, die des Islamismus beschuldigt wurden, (ein Teil von ihnen zählt zu den « Verschwundenen ») durchgeführt. Zugleich diente das CTRI als eines der wichtigsten Zentren zur Kontrolle der bewaffneten islamistischen Gruppen, die seit 1992 vom DRS gegründet oder manipuliert wurden und die insbesondere für die großen Massaker in der Umgebung von Algier im Herbst 1997 verantwortlich sind.
Algeria-Watch veröffentlichte im Oktober 2003 einen umfangreichen Bericht unter dem Titel « Algerien: Die Mordmaschine », in dem die verfügbaren Informationen über das CTRI in Blida (sowie über andere Folter- und Hinrichtungszentren des DRS) zusammengestellt wurden.
Die lange Irrfahrt des Abdelkader Tigha
Aufgrund verschiedener Auseinandersetzungen mit seinen Vorgesetzten, die ihn um sein Leben fürchten ließen, entschloss Herr Tigha sich Ende 1999, zu desertieren und Algerien zu verlassen. Infolge einiger Zwischenfälle kam er schließlich im Januar 2000 in Bangkok (Thailand) an. Dort wurde er bis September 2003 in Haft gehalten. Während dieser Haftzeit bekundete Herr Tigha seine Bereitschaft, über die äußerst schweren Menschenrechtsverletzungen durch den algerischen Geheimdienst auszusagen, zu deren Zeuge er geworden war. In mehreren Artikeln in der internationalen Presse wurde über seine Enthüllungen berichtet. Der wichtigste dieser Artikel, der von der französischen Tageszeitung Libération veröffentlicht wurde, betrifft die direkte Verstrickung der Chefs des DRS in die Entführung und Ermordung von sieben französischen Mönchen des Klosters in Tibéhirine im Frühjahr 1996.
Trotz mehrerer Anträge erhielt Herr Tigha nicht den Schutz des Hochkommissariats für Flüchtlinge der Vereinten Nationen. Im Sommer 2003 wurde offensichtlich, dass sein Leben direkt durch den algerischen Geheimdienst in Gefahr war. Mit der Unterstützung verschiedener internationaler Menschenrechtsorganisationen, die das Leben eines entscheidenden Zeugen der Menschenrechtsverletzungen in Algerien schützen wollten, gelang es Herrn Tigha im September 2003, Thailand zu verlassen und nach Jordanien einzureisen. Doch auch in diesem Land war sein Leben vor dem algerischen Geheimdienst nicht sicher und er musste am 3. Dezember 2003 Jordanien verlassen und in die Niederlande reisen. Dort wird er seither in Haft gehalten, in Erwartung eines Bescheids auf seinen Antrag auf politisches Asyl.
Die in Paris erstattete Anzeige gegen unbekannt wegen der Ermordung der Mönche von Tibéhirine und ihre Folgen für Frau Tigha
Am 9. Dezember 2003 erstatteten Familienmitglieder von Christophe Lebreton, eines der französischen Mönche von Tibéhirine, die im Mai 1996 ermordet worden waren, und Pater Armand Veilleux, ehemaliger Abt des Zisterzienserordens, Anzeige gegen unbekannt als Nebenkläger, um die Umstände dieser Tragödie endlich aufzuklären. Rechtsanwalt Patrick Baudouin, ehemaliger Vorsitzender der FIDH (Fédération internationale des ligues des droits de l’homme) und bereits Rechtsvertreter von Abdelkader Tigha bei der Beantragung des politischen Asyls, wurde von der Familie Lebreton und von Herrn Veilleux mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragt.
In der schriftlichen Anzeige , die auf der Website von Algeria-Watch verfügbar ist, stützt sich Rechtsanwalt Baudouin in weiten Teilen auf die Aussagen von Herrn Tigha.
Nach Informationen, die Algeria-Watch, Justitia Universalis (eine besonders im Kampf gegen die Straflosigkeit in Algerien engagierte Organisation) und REMDH (Réseau euro-méditerranéen des droits de l’homme) seit Januar 2004 bekannt wurden, wurde die Ehefrau von Herrn Tigha, die mit ihren beiden Kindern immer noch in Blida in der Cité Frantz Fanon in unmittelbarer Nähe des CTRI lebt, Opfer verschiedenartiger Belästigungen, die sie mit großer Sorge erfüllten, und unlängst unverhohlener Drohungen, die sie um ihr Leben fürchten ließen.
Anfang Januar erhielt Frau Tigha Besuch von einem französischen Journalisten namens Didier Contant, der vorgab, für Figaro-Magazine zu arbeiten, und von einem algerischen Journalisten namens Achouri begleitet wurde. Sie sagten ihr, dass sie über die Affäre der 1996 ermordeten Mönche recherchierten, stellten ihr aber vor allem Fragen über eine angebliche Verstrickung ihres Ehemannes in den Handel mit Drogen und Fahrzeugen (zu der Zeit, als er beim CTRI war) und über die angebliche illegale Bereicherung der Familie. Frau Tigha wies diese Anschuldigungen zwar entschieden zurück (Frau Tigha und die Brüder ihres Mannes leben in sehr bescheidenen Verhältnissen), aber dieses Vorkommnis löste bei ihr große Besorgnis aus. Die beiden Journalisten stellten die gleichen Fragen auch anderen Mitgliedern der Familie Tigha.
Am 16. Februar 2004 wurde bekannt, dass Didier Contant bei einem Sprung aus dem siebten Stock eines Gebäudes in Paris ums Leben gekommen ist. In der Tageszeitung France-Soir wurde am 17. Februar ein Artikel mit dem Titel « L’ex-rédacteur en chef de Gamma victime d’une chute : il enquêtait sur le GIA » (Der ehemalige Chefredakteur von Gamma stirbt bei einem Fenstersturz: Er recherchierte über die GIA) veröffentlicht, in dem es hieß, er habe kürzlich zu seinen Freunden gesagt: « Ich habe das Gefühl, meine Finger in eine Geschichte gesteckt zu haben, die ich nicht durchschaue. »
Am 10. Februar 2004 fand Frau Tigha in ihrer Wohnung 26 Fotos, auf denen zerstörte und in Brand gesetzte Häuser und brennende Kerzen abgebildet waren, was ihr wie eine Drohung erschien. Außerdem erfuhr sie aus Kreisen innerhalb des CTRI, dass sie unter Beobachtung stehe, ihr Telefon abgehört werde und der DRS viel Geld ausgegeben habe, um ihren Ehemann auszuschalten oder ihn aus den Niederlanden « auszuschleusen » und nach Algerien zu schaffen.
Die Nachbarn in dem Gebäude, in dem Frau Tigha wohnt und das ausschließlich von Familien von Agenten des CTRI bewohnt wird, mieden jeden Kontakt mit ihr und ihren Kindern.
Frau Tigha wird seit dem 18. Februar 2004 bis heute tags wie nachts mit Telefonanrufen belästigt, in denen anonyme Anrufer obszöne Äußerungen tätigen und ihr damit drohen, sie und ihre Kinder zu vergewaltigen.
Die algerische Tageszeitung El-Watan veröffentlichte am 20. Februar 2004 einen mit « Salima Tlemcani » unterzeichneten Artikel mit dem Titel « Le journaliste français Didier Contant poussé au suicide/Victime du qui tue qui » (Der französische Journalist Didier Contant in den Selbstmord getrieben/Opfer des wer-tötet-wen). Dieser Artikel voller Lügen und Verleumdungen erhob schwere Vorwürfe gegen den Rechtsanwalt Baudouin, den Canal+-Journalisten Jean-Baptiste Riviore und die Leitung des Figaro-Magazine und gab unmissverständlich zu verstehen, dass die Aussagen von Tigha über die Ermordung der Mönche nicht glaubwürdig sei. Die Vorwürfe wurden in anderer Form tags darauf von der algerischen Tageszeitung L’Expression und am 23. Februar von der Tageszeitung Le Matin erneut erhoben.
* Algeria-Watch protestiert entschieden gegen die Drohungen gegenüber Frau Tigha, die offensichtlich darauf abzielen, Druck auf ihren Ehemann auszuüben, damit dieser davon absieht, im Rahmen des am 10. Februar 2004 von der französischen Justiz aufgrund der von Rechtsanwalt Baudouin erstatteten Anzeige eröffneten Verfahrens auszusagen, das die wahren Umstände der Ermordung der Mönche von Tibéhirine aufklären soll.
* Algeria-Watch fordert von der französischen und holländischen Regierung, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen:
– um einerseits zu erreichen, dass die algerische Regierung unverzüglich dafür sorgt, dass alle Aktivitäten des algerischen Geheimdienstes gegen Frau Tigha eingestellt werden;
– und um andererseits die Sicherheit von Herrn Tigha in Holland und die seiner gesamten Familie in Algerien zu garantieren, damit die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass er seine entscheidende Aussage vor dem mit dem Verfahren infolge der Anzeige der Familie Lebreton betrauten Richter Jean-Louis Bruguière machen kann.
* Algeria-Watch protestiert schließlich gegen die mediale Verleumdungskampagne – in der großen Tradition des DRS – gegen all jene, die heute dafür kämpfen, die Wahrheit über die Menschenrechtsverletzungen in Algerien und insbesondere die Ermordung der Mönche aufzuklären.