Präsident Algeriens wiedergewählt / Betrugsvorwürfe
Bouteflika triumphiert
Präsident Algeriens wiedergewählt / Betrugsvorwürfe
Frankfurter Rundschau, 10. April 2004
Der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika ist mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang wiedergewählt worden. Die Opposition warf Bouteflika Wahlbetrug vor.
Algier · 9. April · rtr/dpa · Der 67-jährige Bouteflika erhielt 83,49 Prozent der Stimmen, teilte das Innenministerium am Freitag mit. Sein stärkster Herausforderer, der ehemalige Ministerpräsident Ali Benflis, erhielt 7,93 Prozent. 1999 war Bouteflika mit 74 Prozent gewählt worden. Am Vorabend dieser Wahl hatten allerdings alle übrigen Bewerber ihre Kandidatur zurückgezogen, weil die Abstimmung manipuliert worden sei.
Benflis und mehrere andere der insgesamt fünf Konkurrenten der Wahl vom Donnerstag sprachen von einem massiven Wahlbetrug. Im Zentrum Algiers kam es in der Nacht nach der Bekanntgabe der ersten Auszählungen zu Auseinandersetzungen zwischen Benflis-Anhängern und der Polizei. Benflis behauptet, entgegen den Angaben der Regierung werde nach seinen Informationen eine Stichwahl notwendig sein. Zu dieser wäre es gekommen, wenn kein Kandidat die 50-Prozent-Hürde übersprungen hätte. Benflis war bis zum vergangenen Jahr Ministerpräsident unter Bouteflika, wurde dann aber von dem Präsidenten entlassen. Bouteflika wird von vielen Algeriern zugute gehalten, die Gewalt in dem nordafrikanischen Land eingedämmt zu haben.
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Betrug? Nicht nötig
Algeriens Präsident Bouteflika genehmigte eine halbwegs faire Wahl – und gewann
VON AXEL VEIEL (MADRID)
Als Algeriens Innenminister am Freitagmittag den Wahlsieg des Präsidenten Abdelaziz Bouteflika bekannt gibt, trauen die Zuhörer ihren Ohren nicht. Nach den Worten Nourredine Zerhounis haben die Algerier dem umstrittenen, von fünf Rivalen herausgeforderten Staatschef nicht etwa nur den allseits erwarteten knappen Vorsprung beschert. Sie haben ihm auch nicht nur die Stichwahl gegen den Zweitplatzierten erspart, indem sie für einen Stimmenanteil von mehr als 50 Prozent sorgten. Was der Minister und Bouteflika-Vertraute da verkündet, ist ein Erdrutschsieg.
Als Kandidat des Militärs hatte Bouteflika 1999 noch 73 Prozent der Stimmen bekommen, nachdem zuvor alle anderen Kandidaten Wahlbetrug beklagt und sich zurückgezogen hatten. Diesmal liegt er dem offiziellen Auszählungsergebnis zufolge bei 83 Prozent. Weit abgeschlagen folgen mit acht Prozent der bei den Parlaments- und Regionalwahlen noch so erfolgreiche, reformfreudige Ex-Premier Ali Benflis und mit knapp fünf Prozent der Islamist Abdallah Djeballah.
Belohnung oder Betrug?
War das so eindeutige Votum für Bouteflika der Lohn dafür, dass der 67-Jährige mit einer Mischung aus Amnestiegesetzen und entschlossener militärischer Gegenwehr die Gewalt eingedämmt und den Maghrebstaat aus der internationalen Isolation geführt hat? Mehr als 120 000 Menschen waren zwischen 1992 und 2002 bei Anschlägen und Massakern islamistischer Gewalttäter, aber auch im Antiterrorfeldzug der Armee ums Leben gekommen. Im vergangenen Monat waren nicht mehr hunderte, sondern 54 Tote zu beklagen. Oder steckt hinter den 83 Prozent für den Amtsinhaber bei einer Wahlbeteiligung von offiziell 58 Prozent Betrug, wie dies die Unterlegenen behaupten? Von verbrannten Stimmzetteln berichten sie, von drangsalierten Wahlbeobachtern und gesperrten Zufahrten zu den Wahllokalen, ohne freilich Beweise vorzulegen.
Nährboden für Unruhen
Man hätte die Verkündung eines solchen Resultats eigentlich mit lautem Lachen quittieren müssen, findet Soufiane Djilali, ein Sprecher von Ali Benflis. Aber angesichts der Zukunft des Landes sei einem eher zum Weinen zumute. Dass in dem mit Devisenreserven, Öl- und Gasreichtum gesegneten Land mehr als die Hälfte der erwerbsfähigen Männer und Frauen unter 30 Jahren keine Arbeit haben, einer Altersgruppe, die 75 Prozent der Bevölkerung stellt, kann der Grund des grandiosen Bouteflika-Sieges auf alle Fälle nicht gewesen sein.
Fest steht zunächst nur, dass Freund und Feind vom Wahlergebnis überrascht wurden. Während die Anhänger Bouteflikas hupend durch Algier fahren und Fahnen sowie überlebensgroße Fotos des Siegers schwenken, lassen die Mitstreiter der unterlegenen Rivalen ihrer Enttäuschung und ihrem Zorn freien Lauf. Die im Vorfeld empfundene Genugtuung, dass erstmals seit Beginn des 1989 eingeführten Mehrparteiensystems der Sieger einer Präsidentschaftswahl nicht von vornherein festzustehen schien, ist der Verbitterung gewichen.
Noch in der Nacht zum Freitag hatte Benflis angekündigt, das Volk auf die Straße zu rufen, sollte sich bestätigen, dass Wahlbetrug im Spiel sei. Falls der Generalsekretär der früheren Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) seine Drohung wahr macht, stünde Bouteflika womöglich gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit vor großen Herausforderungen. Arbeitslosigkeit, Armut, Wohnungsnot und Korruption könnten sich als idealer Nährboden für soziale Unruhen erweisen. Der ungelöste Konflikt mit den Berbern der Kabylei, die auf Achtung ihrer kulturellen Besonderheiten pochen, birgt weiteren Zündstoff.
Auch die Opposition muss freilich einräumen, dass die Präsidentschaftswahlen vom Donnerstag freier und fairer waren als alle vorangegangenen. Erstmals in der Geschichte des 1962 unabhängig gewordenen Landes haben die als wahre Machthaber geltenden Militärs nicht in der Abgeschiedenheit der Kasernen ihre Stimmen abgegeben, sondern in Wahllokalen. Mehr als 120 Beobachter, vornehmlich aus afrikanischen Ländern und dem Nahen Osten, wachten über die Stimmabgabe. Aber auch die Oppositionsparteien konnten Beobachter schicken.
Auf einem anderen Blatt steht, dass der Amtsinhaber in wenig demokratischer Attitüde seit Monaten seine Wiederwahl betrieb. Vor einem Jahr hatte Bouteflika den damaligen Premier Benflis entlassen, nachdem dieser zum Rivalen geworden war. Später bediente sich der Staatschef dann recht ungeniert der Hilfe der öffentlichen Medien, der Justiz und der Verwaltung.
Vom Geächteten zum Verbündeten
Im Ausland dürfte der Sieg Bouteflikas gleichwohl Zufriedenheit auslösen. Zumal die USA, die Algerien im Kampf gegen den Terrorismus eine Schlüsselrolle einräumen, können zufrieden sein. Amerikanische und britische Erdöl- und Erdgasunternehmen haben sich gegen ausländische Konkurrenz durchgesetzt und rangieren hinter dem staatlichen Energiekonzern Sonatrach auf Platz zwei. Auch die militärische Zusammenarbeit macht Fortschritte. Im Einvernehmen mit Bouteflika will Washington Ausbilder und Waffen in den Maghrebstaat schicken, der wegen Menschenrechtsverletzungen lange Zeit geächtet war.