Abderrezak „al-Para“, das Phantom, das die Touristen in der Sahara entführte

Abderrezak „al-Para“, das Phantom, das die Touristen in der Sahara entführte

Salima Mellah, Algeria-Watch, 14. Juni 2004

Amari Saïfi alias Abderrazak „al-Para“ gehört zu den meistgesuchten Terroristen auf der Welt. Obwohl es heißt, er sei Fallschirmjäger der algerischen Spezialkräfte gewesen, gibt es von ihm nur ein Phantombild. Als Nummer zwei der GSPC (Groupe salafiste pour la prédication et le combat), eine Abspaltung der berühmt-berüchtigten algerischen GIA (Groupe islamique armé), wird „al-Para“ für das spektakuläre Geiseldrama im Jahr 2003 verantwortlich gemacht. Zwischen dem 22. Februar und dem 23. März 2003 wurden 32 Europäer (16 Deutsche, 10 Österreicher, 4 Schweizer, ein Niederländer und ein Schwede) in der algerischen Sahara entführt. Die erste Gruppe mit 17 Personen kam am 12. Mai in Südalgerien frei, die zweite erst am 18. August 2003 in Mali. Eine Geisel der zweiten Gruppe ließ ihr Leben.

Diese Geiselaffäre wirft heute, fast ein Jahr danach, immer noch unzählige Fragen auf. Im Grunde bleibt die Identität der Entführer bis heute ungeklärt, da sie sich nie öffentlich zu der Entführung bekannt und keine Forderungen gestellt haben. Die algerische Presse machte die GSPC von Anfang an dafür verantwortlich. Doch erst am 23. August 2003, also nach der Freilassung aller Geiseln, bezog sich die Zeitung El Khabar auf ein angebliches Schreiben von „al-Para“ vom 18. August (der Tag der Freilassung der zweiten Gruppe), in dem er sich zu der Tat bekannt haben soll, ohne aber die GSPC namentlich zu erwähnen. Der genaue Wortlaut des Textes ist nicht bekannt.

Dass die Tat der GSPC zugeschrieben wurde, war anfänglich überraschend, da nie zuvor über Aktivitäten der GSPC, die vor allem in der Kabylei agiert, so weit im Süden Algeriens berichtet worden war, und eine solche Operation neben genauen Ortskenntnissen eine anspruchsvolle Logistik und lokale Kontakte verlangt. Dennoch etablierte sich die zumeist unhinterfragt übernommene These, dass die GSPC für die Entführung der Touristen verantwortlich und der Anführer der Geiselnehmer Abderrezak „al-Para“ sei.

War schon während der Entführung vielfach über eine Beteiligung des algerischen Geheimdienstes (DRS: Département de recherche et de sécurité) an der Operation spekuliert worden, werden im Lichte der letzten Ereignisse noch größere Zweifel an der Identität von „al-Para“ und der gesamten oder Teile der GSPC laut. „al-Para“ ist ein Phantom, ein Springteufelder keine Verlautbarungen macht, von dem kein Bild bekannt ist, der weder eine politische Analyse noch eine Strategie vorschlägt.

Die monatelangen Geheimverhandlungen zwischen der algerischen Regierung und verschiedenen Behörden der Herkunftsländer der Geiseln ließen die Frage aufkommen, ob die Bedingungen für eine eventuelle Freilassung von den Entführern selbst oder vom algerischen Geheimdienst gestellt werden. Auch fast ein Jahr nach dem Drama ist es immer noch nicht möglich, die Odyssee der Geiseln wirklich zu rekonstruieren. Eines der Opfer berichtete in einer Fernsehsendung, dass mit der Entführung Lösegeld gefordert, aber auch die Weltöffentlichkeit auf die dramatische Situation in Algerien aufmerksam gemacht werden sollte.[1] Doch drang hiervon während der Entführung nichts an die Öffentlichkeit, und das im Zeitalter des Internets, in dem auch die GSPC über eine Webseite verfügt.

Sowohl der Verlauf der Operation als auch die Freilassung der ersten Gruppe bleiben bis heute im Dunkeln. Es ist bekannt, dass das algerische Militär, aber auch europäische und amerikanische Sicherheitsdienste die Bewegungen der Opfer und ihrer Entführer genauestens verfolgt haben. Hohe Staatsfunktionäre aus Deutschland (Außenminister Joschka Fischer, Innenminister Otto Schily und der Präsident des Bundesnachrichtendienstes August Hanning mit einer hochrangigen Delegation), der Schweiz und Österreich reisten nach Algerien, um eine Lösung zu finden. Die damals verhängte Nachrichtensperre zeigt bis heute ihre Wirkung, denn über die Verhandlungen und die Umstände der Freilassungen ist nichts bekannt geworden. Diese Treffen auf höchster Ebene deuten auf eine Dimension der Angelegenheit hin, die weit über die Geiseltragödie selbst hinausweist. Ende Juli 2003 wurde berichtet, dass die US-Armee beabsichtigt, in Südalgerien eine Militärbasis einzurichten, was später wieder dementiert wurde.

Weder die deutsche noch die Schweizer Regierung hat offiziell zugegeben, Lösegeld gezahlt zu haben. Erst viel später wurde über Beträge in Millionenhöhe spekuliert. Die deutsche Regierung soll Zeitungsmeldungen zufolge etwa 5 Millionen Euro gezahlt haben, und zuletzt rechnete die NZZ am Sonntag vom 16. Mai 2004 vor, dass die Schweizer Regierung 4,6 Millionen Dollar an die GSPC übergeben haben soll.[2]

Nach der Freilassung der zweiten Gruppe am 18. August 2003 wurde immer häufiger von einem Erstarken der GSPC berichtet. Sie soll die Sahelzone als neues Aktionsfeld gewählt und sich mit den reichlich fließenden Lösegeldern Waffen, Geländewagen und Kämpfer beschafft haben. Angesichts der Tatsache, dass die algerischen Militärs während der monatelangen Geiselhaft genau gewusst haben sollen, wo sich die Gruppe jeweils befand, ist es mehr als verwunderlich, dass es ihnen nach der Freilassung der Geiseln nicht möglich gewesen sein soll, die Entführer aufzuspüren. Die angeblich von dieser Gruppe ausgehende Gefahr wird allerdings immer häufiger und eindringlicher beschworen.

Das algerische Regime fühlt sich dazu berufen, dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus beizutreten. Die USA hatten zu Beginn des Konfliktes in Algerien mit der Machtübernahme der Islamisten gerechnet und waren gegenüber den algerischen Generäle sehr zurückhaltend gewesen. Doch heute sieht die Lage völlig anders aus: Noch nie waren die Beziehungen zwischen Algerien und den USA so gut. Die GSPC wird – sehr zur Zufriedenheit der algerischen Machthaber – als eine der gefährlichsten islamistischen Gruppen samt Verbindungen zu al-Qaïda präsentiert und seit 2002 auf der amerikanischen Liste der internationalen Terrororganisationen geführt. Sowohl algerische Geheimdienstler als auch andere Experten stellen diese Verbindungen zwischen der GSPC und al-Qaïda in Frage.[3]

Die USA ihrerseits lancieren ihre „Pan-Sahel-Initiative“, die unter dem Deckmantel einer Zusammenarbeit mit den lokalen Regierungen der militärischen Erschließung der Region dient. Im März 2004 lud die US-Armee die Generalstabchefs der Maghreb- und Sahelländer zu einem Gipfeltreffen in ihr deutsches Hauptquartier in der Nähe von Stuttgart. Die Beziehungen zwischen Algerien und den USA waren nie so gut. Die Amerikaner sehen Algerien als einen „Schlüsselstaat“, der im neuen Kooperationsprogramm mit dem Mittleren Osten (« Greater Middle East ») der langfristigen Sicherung ihrer Interessen dient. Immer deutlicher wird zudem, dass das Eindringen der USA in die Region auch von der Rivalität mit Frankreich motiviert wird.

Abderrazak „al-Para“ wird seit dem Geiseldrama mit internationalem Haftbefehl gesucht, auch von Deutschland. Er irrte mit seiner Gruppe von Mali in den Niger und schließlich in den Tschad. Immer wieder wurde er an einem anderen Ort lokalisiert, zu fassen sei er aber nie gewesen. Vor einiger Zeit wurde berichtet, er sei im Tibesti (Tschad) von einem Felsen gestürzt und dabei ums Leben gekommen. Kurz darauf jedoch hieß es, eine tschadische Oppositionsgruppe, die MDJT (Mouvement pour la démocratie et la justice au Tchad), habe ihn am 16. März 2004 mit seinen Männern gefangen genommen. Die französische Zeitung Le Monde vom 26. Mai berichtete zwei Monate später, die MDJT habe der algerischen Regierung angeboten, „al-Para“ an sie zu übergeben, was diese jedoch mit der Begründung abschlug, er sei noch nicht identifiziert worden. Die deutsche Staatsanwaltschaft ihrerseits soll die Identität des Geiselnehmers aber bestätigt haben,[4] was jedoch nicht zu einer Übernahme des Gefangenen führte. Auch Kontaktaufnahmen mit Frankreich und den USA seien laut Vertretern der tschadischen Gruppe in Paris ergebnislos verlaufen. Keine der in der internationalen „Terrorismusbekämpfung engagierten Regierungen“ scheint den gefährlichen Terroristen haben zu wollen. Nicht einmal die Amerikaner, die laut der algerischen Zeitung Le Matin doch Militärbasen in der Sahel-Region, die ihnen als « neues Afghanistan » gilt, einrichten wollen, um die Gruppe dieses Top-Terroristen unschädlich zu machen.[5]

Der staatliche französische Radiosender RFI (Radio France International) berichtete schließlich am 2. Juni 2004, „al-Para“ sei von seinen eigenen Leuten für 200 000 Euro aus den Händen der tschadischen Rebellengruppe freigekauft worden. Dies wurde zwar von dem Vertreter der MJDT in Paris dementiert, doch der Journalist Richard Labévière, der diese Information verbreitete, bestätigte nochmals laut Le Matin vom 7. Juni 2004 diesen Freikauf. Es ist dabei allerdings kaum vorstellbar, dass die algerische Militärführung eine solche Transaktion der GSPC unkontrolliert geschehen lässt.

Die widersprüchlichen Angaben über den Verbleib von „al-Para“ machen einmal mehr deutlich, dass es sich um eine ebenso suspekte wie hochbrisante Angelegenheit handelt, in die immer mehr Länder involviert werden. Washington sieht in der Sahelzone die Gefahr eines Rückzugsgebiet mit al-Qaida verbundener Kämpfer aus Afghanistan. Damit soll die Einrichtung einer Militärbasis der amerikanischen Spezialkräfte mit einer Kapazität von 400 Soldaten im Süden von Tamanrasset (Algerien) gerechtfertigt werden. Die bei Stuttgart stationierte Führung der amerikanischen Streitkräfte in Europa, von der die Anti-Terror-Einsätze koordiniert werden, beabsichtigt im Rahmen der US-amerikanischen „Pan-Sahel-Initiative“ den Aufbau kleiner Anti-Terror-Einheiten zunächst in Mali, Niger, Mauretanien und Tschad.[6]

Offensichtlich haben sich die Beziehungen zwischen den algerischen Militärs und Washington deutlich verbessert, seit es ersteren gelungen ist, die GSPC in die US-amerikanische Liste der terroristischen Organisationen, die möglicherweise Beziehungen zu al-Qaida unterhalten, aufnehmen zu lassen. Es ist sogar die Rede davon, dass die USA beabsichtigen, ihr Waffenembargo gegenüber Algerien aufzuheben. Eins ist sicher: Das Bild einer radikalen, gefährlichen, mit al-Qaida verbundenen GSPC, deren Anführer einem Springteufel gleich hie und da Schrecken verbreitet, ist nicht nur den USA nützlich, sondern erweist sich auch für die zivilen und militärischen Machthaber in Algerien in ihren Beziehungen zu den USA als sehr vorteilhaft. Nichts ölt die Freundschaft mehr als ein gemeinsamer Feind.[7] Es bleibt aber zu hoffen, dass die Gerüchte über die Anwesenheit der GSPC in Algier, nicht dieser Logik folgen.


 

[1] Die Familie Bleckmann wurde in die ARD-Sendung Beckmann am 19. Mai 2003 eingeladen. http://www.daserste.de/beckmann/aktuell.asp?datum=19.05.03

[2] Le Quotidien d’Oran, 18. Mai 2004.

[3] Ex-Oberst Mohamed Samraoui und ex-Adjudant Abdelkader Tigha bspw. betonen, dass die bewaffneten islamistischen Gruppen in Algerien keine Verbindungen zu al-Qaïda haben.

[4] Die FAZ vom 27. Mai 2004 berichtet, dass die „Bundesanwaltschaft in Karlsruhe schon am 18. Mai bestätigt hatte, daß Saifi im Tschad festgesetzt worden sei. (…) Der Bundesgerichtshof hatte im September 2003 Haftbefehl gegen Saifi und weitere mutmaßliche Geiselnehmer erlassen.“

[5] Le Matin, 7. Juni 2004.

[6] Le Point, 10. Juni 2004.

[7] Risques Internationaux, 2. Juni 2004.