Bouteflikas Sirenen und der Sahara Blend

Öl

Bouteflikas Sirenen und der Sahara Blend

Oliver Meiler, Die Presse, 10. März 2006

Algerien. Das nordafrikanische Land verdient viel Geld mit Öl. Präsident Bouteflika könnte leicht seine Popularität ausbauen. Doch er will in die Geschichtsbücher – als Friedensfürst. Jetzt lässt er Islamisten frei.

ROM/ALGIER. Es gibt auch Länder, die freuen sich über hohe Ölpreise. Algerien ist so eines. Im letzten Jahr hat das nordafrikanische Land und Mitglied der Organisation Erdöl exportierender Staaten (Opec) 60 Milliarden Dollar eingenommen – mit Gas, Öl und Derivaten. Also dank Sahara Blend, der Rohölsorte aus der algerischen Sahara. 54 Dollar gab es dafür pro Fass im Ganzjahresschnitt, das waren 16 Dollar mehr als noch 2004 – eine ansehnliche Marge. In Algier spricht man von einem « Manna », von « neuer finanzieller Gelassenheit » und wieder einmal von der « Petro-Rente ».

So, als garantiere das endliche Petrogeschäft dem Land Einkünfte in alle Ewigkeit; als wären die schwer kalkulierbaren Reserven eine sichere Altersvorsorge für die Zukunft. Diesem gefährlichen Trugschluss unterlagen alle algerischen Regierungen seit der Unabhängigkeit 1962, und sie ließen andere Handels- und Industriezweige verkümmern. 98 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölhandel. Das ist ökonomischer Wahnsinn. Algerien, in seinem Norden ein fruchtbares Land, muss Basisgüter importieren. Selbst Getreide.

Reformen täten Not, die Wirtschaft müsste diversifizieren. Das sagt Abdelaziz Bouteflika, seit 1999 Algeriens Staatspräsident. « Boutef », wie sie den 68-jährigen jovialen Populisten nennen, widersteht mit seinem Pragmatismus eher überraschend einer großen Versuchung: Er könnte sich im Herbst seiner Karriere mit einer kleinen Geste fast unsterblich populär machen – mit einem Scheck. Seit Monaten nämlich fordern Gewerkschaften und Opposition eine generelle Anhebung der Löhne. Das sei nichts als gerechtfertigt angesichts der fetten Einnahmen, die das staatliche Ölunternehmen Sonatrach eingestrichen habe. « Boutef » aber weigert sich. Er pocht auf nachhaltige wirtschaftliche und soziale Reformen.

Etwa die Hälfte der jungen Algerier ist arbeitslos. Es mangelt an Wohnungen, oft auch an Wasser und Strom. Bouteflika sagt, es wäre leicht, den « Sirenen der Demagogie » zu erliegen. Demagogie? Früher, als es ihm gesundheitlich besser ging, pflegte Bouteflika seinem Publikum selbst stundenlange Reden vorzutragen.

Nun sind seine Auftritte rar geworden. Bouteflika ist krank. Wahrscheinlich ist es Krebs, doch darüber spricht man nicht. Im letzten November war Bouteflika in Paris operiert worden. Ein Magengeschwür, hieß es von offizieller Seite.

Gerüchte jagten einander: über Intrigen im « leeren Palast », über die Rückkehr der Generäle. Sie, die « Entscheidungsträger » im Hintergrund, hatten Algerien immer regiert, Präsidenten aus den eigenen Reihen bestimmt und wieder abgesetzt. Auch Bouteflika, der erste zivile Staatschef Algeriens, war ein Protégé der Generäle gewesen. Doch er hat sich über die Jahre emanzipiert. Nun also, während Bouteflikas Rekonvaleszenz, sollten die Generäle ihre Revanche genießen. Einmal hieß es gar, Bouteflika sei tot. Und es dauerte eine Weile, bis das Dementi aus Algier eintraf.

Im Jänner kehrte Bouteflika dann heim. Das Regime beorderte Claqueure an den Flughafen. Die Straße ins Stadtzentrum war aber auch von vielen Algeriern gesäumt, die freiwillig gekommen waren. Bouteflika hielt triumphal Einzug, küsste unter Tränen die Fahne, stieg schwachen Schrittes aus der offenen Limousine, nahm ein Bad in der Menge. Er war davor zwar nie sonderlich beliebt gewesen im Volk. Dafür gibt er sich zu gestelzt, zu selbstverliebt. Und dafür ist seine wahre Rolle im Regime zu rätselhaft.

Doch Bouteflikas Krankheit und das drohende Machtvakuum machten offenbar Angst. Noch ist der Konflikt zwischen bewaffneten Islamisten und Armee, der 1992 nach dem Abbruch der Wahlen begonnen hatte, nicht ausgefochten. Noch melden die Zeitungen alle paar Tage Zusammenstöße. Noch ist die « blutige Dekade » nicht Geschichte. Aber so ruhig wie gerade war es in Algerien seit 14 Jahren nicht. Und dafür will Bouteflika Anerkennung, ein Denkmal.

Die relative Ruhe kostet. Eben erst verlängerte Bouteflika die Frist für reumütige Islamisten, die im Rahmen der « Charta für Frieden und nationale Versöhnung » sich selbst anzeigen, die Waffen strecken und der Gewalt abschwören. Ihnen winkt Straffreiheit oder Haftreduktion. 2000 Militanten werden dieser Tage freigelassen.

Dem Amnestieangebot, dem dritten seit 1995, hatten die Algerier im letzten November mit – unwahrscheinlich anmutenden- 97,36 Prozent – zugestimmt. Ausgenommen sind Islamisten, deren Hände mit Blut besudelt sind, die an Massaker teilgenommen, Bomben gezündet und Frauen vergewaltigt haben. So zumindest steht es in der Charta.

Doch mit der Möglichkeit der Selbstanzeige schwindet die Hoffnung auf eine Unterscheidung zwischen Mitläufer und Mörder – und damit die Hoffnung auf Gerechtigkeit. Gleich sanft verfährt das Regime mit jenen Armeeangehörigen, die sich Bluttaten zu Schulden kommen ließen, auch an der Zivilbevölkerung. Auf seinem Höhepunkt war dies ein schmutziger Krieg mit unklaren Fronten und unfassbar brutalen Parteien.

Bouteflika wirft eine Decke aus, die alles überdecken soll: Massaker mit Äxten, Verschleppungen von Oppositionellen, Unterwanderung von Terrorgruppen durch die Geheimdienste. Mehr Amnesie als Amnestie. Den Opfern und Opferangehörigen, denen an Gerechtigkeit gelegen wäre, werden anstelle der Wahrheit nur Schmerzensgelder in Aussicht gestellt. Mittel dafür sind da. Dank Sahara Blend, 58 Dollar pro Fass.