Wer tötet wen in Algerien?

Wer tötet wen in Algerien?

Neue Zürcher Zeitung, 23. August 2008
http://www.nzz.ch/nachrichten/international/wer_toetet_wen_
in_algerien_1.813767.html

Die jüngste Attentatsserie in Algerien ist im Ausland unisono den islamistischen Terroristen der Kaida im islamischen Maghreb zugeschrieben worden. Das scheint aber nur die halbe Wahrheit zu sein, wie ein Blick auf algerische Zeitungen zeigt.

ach. Die Vielfalt der Blätter und die gelegentlich an den Tag gelegte Unerschrockenheit im Umgang mit dem Regime täuschen darüber hinweg, dass die algerische Presse keineswegs in allem tun und lassen kann, wie es ihr beliebt. Wie die Menschenrechtler der Pariser Website Algeria-Watch gezeigt haben, steuert der algerische Geheimdienst, das von General Mohammed «Taufik» Mediène geleitete Department de renseignement et de sécurité (DRS), die Schreibaktivitäten der Journalisten, vor allem, was die Behandlung von Sicherheitsfragen betrifft. Die Berichte und Kommentare algerischer Zeitungen über den Terror sind deshalb verwirrlich, weil doppelbödig: Was die Presseorgane aus eigenen Stücken mitteilen wollen und die geheimdienstliche Sicht auf die Ereignisse sind nicht leicht auseinanderzuhalten. Drukdel als Befehlsempfänger

In seiner Ausgabe vom Donnerstag behauptet der «Watan» ohne Angabe von Quellen, die beiden Selbstmordanschläge vom Mittwoch in Bouira – auf einen Bus mit Arbeitern einer kanadischen Engineering-Firma und auf ein Gebäude der Armee – gingen auf einen Befehl des Terroristenchefs Abdelmalek Drukdel zurück. Dieser habe seinen Untergebenen befohlen, allen Sprengstoff in ihrem Besitz einzusetzen und die Zone der bisher heftigsten terroristischen Aktivitäten, das «Todesdreieck» in den Provinzen Bouira, Tizi Ouzo und Boumerdès, auszuweiten. Der «Watan» bezeichnet Abdelmalek Drukdel als Chef des Groupe salafiste pour le prédication et le combat (GSPC). Dessen Namensänderung in Kaida im islamischen Maghreb ignoriert die Zeitung, wohl mit Absicht. Der «Jour d’Algérie» scheint ebenfalls die Verbindung der algerischen Terroristen zur Kaida herunterspielen zu wollen, gebraucht doch auch er für Drukdels Terrorgruppe nur das Kürzel GSPC.

Andere Zeitungen enthalten sich jeglicher Spekulation über die Urheber der jüngsten Anschläge; sie schreiben nur von «Terrorgruppen» (ohne das in der westlichen Presse übliche Adjektiv «islamistisch») oder greifen, wie der «Moudjahid», zu emotionalen Metaphern wie «bête immonde» (ekelhaftes Tier). Mit einer merkwürdigen Schuldzuweisung wartet der «Quotidien d’Oran» auf. Danach ist es gar nicht sicher, dass Abdelmalek Drukdel der Hauptverantwortliche für die jüngste Anschlagserie ist. Drukdel sei, behauptet die Zeitung, bloss ein«Zulieferer», der ausführende Arm von Auftraggebern im Hintergrund. Als solche kämen entweder die Kaida oder aber die «politisch-finanzielle Mafia» in Frage.

Nach der Entzifferung der codierten algerischen Zeitungssprache durch Algeria-Watch bezieht sich der Begriff «politisch-finanzielle Mafia» auf einen Clan oder eine Faktion der «Décideurs», jener Generäle, die hinter den Kulissen die politischen Fäden ziehen. Laut Algeria-Watch sind die Faktion um den Geheimdienstchef Mediène und diejenige von Präsident Bouteflika in eine tödliche Rivalität verstrickt. Vom Geheimdienst DRS sagen die Menschenrechtler der Pariser Website, dass er nicht einmal vor der zynischen Manipulierung verzweifelter junger Algerier zurückschrecke, die als Terroristen in den Kampf gegen den verfeindeten Clan geschickt würden. Geheimdienstliche Interpretationshilfe

Vor diesem Hintergrund liest sich die vom «Quotidien d’Oran» vorgenommene politische Analyse der jüngsten Anschlagserie als eine (in der Form einer zynischen Selbstdenunziation gehaltene) Interpretationshilfe des DRS an die Adresse der Faktion um Bouteflika.«Absichtlich», schreibt die Zeitung, «haben die Auftraggeber ihre abscheulichen Attentate in die zeitliche Nähe des Ferienendes und des Auftakts zum Ramadan gelegt. Sie kalkulierten, dass die Verschlechterung der Sicherheitslage zusammen mit den inflationsbedingten sozialen Spannungen das Scheitern der Regierung offenkundig macht und in der Folge Präsident Bouteflika daran hindert, eine dritte Amtszeit anzustreben.»

Als ob es darum ginge, die Schuldfrage in verschiedenen Varianten abzuhandeln, nimmt der «Watan» – seit Jahren ein unerbittlicher Gegner Bouteflikas – die jüngste Terrorwelle zum Anlass für eine weitere heftige Kritik am Präsidenten. «Wie lange noch, Herr Präsident!», schreit das Blatt in einer fetten Schlagzeile über einer Horrorszenen-Aufnahme aus Bouira. Der «Watan» geht zwar nicht so weit, Bouteflika direkt für den Terror verantwortlich zu machen. Aber er stellt den Präsidenten als abgehobenen, die Sorgen des gemeinen Volks ignorierenden Politiker dar, der es nicht fertigbringe, auch nur ein Wort des Mitgefühls gegenüber den Angehörigen der Terroropfer zuäussern. Bouteflika finde aber genug Worte, um Lusaka gegenüber die algerische Anteilnahme am Tode des sambischen Präsidenten Mwanawasa auszudrücken. Selbst wer ungeübt im algerischen «Newspeak» ist, vermag die wahrscheinlich ebenfalls vom DRS induzierte Botschaft des «Watan» zu entziffern. Sie lautet: Der herzlose Bouteflika muss weg, er verdient keine dritte Amtszeit.