Liebeswerben in Algier
ZEIT online, 16.7.2008
Die Kanzlerin will bei ihrem Algerien-Besuch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem gasreichen Land stärken. Die Visite ist aber auch ein Seitenhieb gegen Frankreichs Präsident Sarkozy Suchen beide Abstand zu Frankreich: Kanzlerin Merkel und Algeriens Präsident Bouteflika
Es ist die Ausnahme bei Auslandsreisen der Kanzlerin, dass sie unmittelbar nach der Ankunft vom Gastgeber noch am Flughafen begrüßt wird. An diesem Mittwochnachmittag aber wartet in einer Bruthitze Algeriens Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika an der Gangway auf dem modernen Airport von Algier bereits auf Angela Merkel.
Eine protokollarische Höflichkeit, mehr nicht. Doch sie zeigt, dass sich Bouteflika von der zweitägigen Visite der Kanzlerin eine Menge erhofft. Immer wieder wurden die Algerier im Berliner Kanzleramt vorstellig, um Merkel zu der Reise zu bewegen. Das Land, das bis vor fünf Jahren noch von einem Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Regierungstreuen erschüttert wurde, will sich aus der ökonomischen Abhängigkeit zur einstigen Kolonialmacht Frankreich befreien. Es möchte neue Bindungen eingehen, am besten zur größten Wirtschaftsnation in Europa: Deutschland.
Für die Kanzlerin, die am Donnerstag zumindest Teile ihres 54. Geburtstags in Algier in offizieller Mission verleben wird, und Bouteflika war die Begrüßung auf dem Flughafen freilich kein Wiedersehen nach langer Zeit. Allein in der vergangenen Woche hatten sie sich gleich zweimal getroffen: auf dem G8-Gipfel von Toyako und dann am Sonntag und Montag auf dem Mittelmeerunion-Meeting in Paris, wo die EU und die Mittelmeerstaaten eine neue Kooperation eingingen.
Dass sie nun auch noch Bouteflika besucht, war eher Zufall und den Lücken in ihrem Terminkalender geschuldet. Dennoch ist Merkel für diesen Zufall ganz dankbar. Symbolisiert ihre erste Reise nach Algerien doch, dass es das an Nord- und Ostsee gelegene Deutschland ernst damit meint, der «Mittelmeerpolitik neue Dynamik zu geben», wie es in Paris in schönstem Politikerdeutsch hieß.
Unterschwellig gibt die Kanzlerin Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zu verstehen, dass sie ihm in der in Paris pompös gefeierten Zusammenarbeit zwischen der EU und den südlichen Mittelmeerländern tatsächlich nicht das Feld allein überlassen will. Mühsam hatte Merkel in den vergangenen Monaten Sarkozy abgerungen, die Mittelmeerunion als Projekt der gesamten EU aufzulegen und nicht als eine Veranstaltung unter französischer Führung. Nun zeigt Merkel gleich in einem wichtigen Mittelmeer-Land persönlich Flagge.
Vor der Reise nannte Merkel zwei Hauptthemen: Die Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Beide hängen enger zusammen, als zunächst zu vermuten wäre.
Zunächst hat die deutsche Industrie in dem viertgrößten Gasförderstaat der Erde und dem elftgrößten Erdölproduzenten längst nicht alle Chancen ausgenutzt. Eine große Wirtschaftsdelegation begleitet daher Merkel. Ebenso wird die Kanzlerin aber ansprechen, dass der Reichtum des Landes bislang bei der breiten Bevölkerung nicht angekommen ist. Eine gängig Formel zur Beschreibung der Lage Algeriens lautet: «Algerien schwimmt im Geld und ist doch ein armes Land.»
Zwei Drittel der Algerier sind jünger als 30 Jahre, aber die Hälfte davon ist arbeitslos. Nicht nur die Infrastruktur gilt als unzureichend, es mangelt auch an Bildung. Die Folge: Immer mehr junge Algerier versuchen über das Mittelmeer zu fliehen. Die algerischen Sicherheitskräfte nahmen im vergangenen Jahr etwa 1500 illegale Migranten fest, ein Drittel mehr als im Vorjahr. Sie fischten zudem 83 Leichen von Auswanderern aus dem Meer, die die riskante Flucht nicht überlebt hatten.
Die große Zahl der Unzufriedenen bildet wiederum den Nährboden für ein Wiedererstarken des islamistischen Terrors in Algerien. Der Terror ist ohnehin noch längst nicht besiegt. Immer wieder gibt es Attentate mit Toten und Verletzten, wenn auch die Lage nicht mit der in den 90er Jahren zu vergleichen ist, wo in einer Art Bürgerkrieg 100 000 Menschen getötet wurden.
Im vergangenen November zog Bundespräsident Horst Köhler eine gemischte Bilanz seines Algerien-Besuchs. Dem Land fehle noch der Mut, einen neuen Weg zu gehen nach dem Scheitern des Sozialismus. Auch Merkel ist eine Freundin des klaren Wortes.
(Von Ulrich Scharlack, dpa)