Guantanamos Schatten
Sie sind ohne Schuld oder « keine Gefahr mehr ». Nun könnten sie also freikommen aus dem Gefängnis auf Kuba, doch die Welt hat keinen Platz mehr für sie. Einen hat Amerika deshalb in Albanien abgesetzt – in der Fremde, gegen seinen Willen, ohne Zukunft
Von Christine-Felice Röhrs, Tirana, Tagesspiegel, 15.6.2008 0:00 Uhr
Irgendwann gegen Ende des Gesprächs steht er auf und geht ins Nebenzimmer. Man hört eine Schranktür klappen. Dann kommt er wieder herein, auf dem Arm ein Stapel weißer Kleidung. Er legt sie neben sich auf das braunkarierte Sofa und faltet sorgfältig ein Stück nach dem anderen auf. Er arrangiert sie auf den Polstern, als säße da ein Mensch. Über die Rückenlehne mit ausgebreiteten Ärmeln ein weites Hemd ohne Knöpfe und Kragen, nur ein V-Ausschnitt. Darunter eine Shorts mit Gummibund. Die Hose legt er so, dass die Beine über die Sofakante auf den Boden fallen. Das ist die Kleidung, die er zuletzt in Guantanamo trug. Ruhig erwidert er den entgeisterten Blick des Gastes.
– Wieso haben Sie die nicht verbrannt?
– Der Stoff ist weicher geworden, je länger ich ihn getragen habe.
– Aber wieso heben Sie das auf?
– Das sind vier Jahre meines Lebens.
– Aber Scheißjahre.
– Ja … und man macht Erfahrungen.
Der Mann trägt jetzt ausschließlich Schwarz, an diesem Morgen ist es ein Trainingsanzug. Abu Aischa nennt sich der Mann: Aischas Vater. Es ist ein Kosename; in arabischen Ländern nennt man Väter oft nach dem ältesten Kind. Sein echter Name steht in vielen Akten in Guantanamo Bay, dem Gefängnis der Amerikaner auf Kuba, aber in einem Zeitungsartikel will er ihn nicht veröffentlicht sehen. Über vier Jahre lang hat man willkürlich auf sein Leben zugegriffen, und er hat sich nicht wehren können. Jetzt ist der ganze Mann ein Sperrgebiet.
Vom 5. August 2002 bis zum 17. November 2006 saß Aischas Vater in Guantanamo, nun sitzt er in Albanien. Die Knastvokabel passt ganz gut. Aischas Vater ist Algerier, aber selbst nachdem die Amerikaner ihn freilassen wollten, konnte er nach Algerien nicht zurück. Aischas Vater hatte Angst. Algerien, sagt er, sei kein Land, in dem die Menschenrechte große Geltung besäßen. Also hat Amerika, das ja irgendwohin muss mit seinen entlassenen Häftlingen, ihn in Albanien abgesetzt, dem einzigen Land, das ihn wollte, aus verschiedenen Gründen.
Seit ein paar Wochen hat Aischas Vater nun die Wohnung. Man hat ihn aus dem Flüchtlingslager in die Selbstständigkeit entlassen, von Tiranas Stadtrand ins Zentrum. Freiheit ist es wohl nicht. Er habe die Wohnung nur für zwei Jahre, sagt er, es klingt besorgt. Zwei Jahre sind nicht viel, um in einem Land, in dem man nicht sein will, dessen Sprache man nicht spricht und in dem Arbeit rar ist, auf die Füße zu kommen. Es ist eine neue Art Folter. Die Fortsetzung der Ungewissheit.
Es ist viel geschrieben worden über Guantanamo Bay, über ein Gefängnis gegen viele Menschenrechte, aber oft enden die Geschichten mit der Haft. Vor drei Tagen erst hat das Oberste Gericht der USA verfügt, dass Guantanamo-Insassen ihre Festnahme nun auch vor Zivilgerichten anfechten können. Bisher konnten Gefangene nur vor einem militärischen Gremium, dem Combatant Status Review Tribunal, protestieren. Sie hatten, mit beschränktem Zugang zu Anwälten, kaum die Möglichkeit, Vorwürfe zu entkräften. Dass es aber viele Häftlinge gibt, denen nicht einmal dieses neue Zugeständnis helfen kann, für die es weitergeht mit einer Haft nach der Haft und danach mit der Heimatlosigkeit, wird erst jetzt öffentlich, da das Gefängnis sich langsam leert, ja, vielleicht bald geschlossen wird.
Es sind Männer wie Aischas Vater, die nun nicht mehr nach Hause können. Von ehemals 776 Häftlingen sind nur noch rund 270 übrig, und rund 50 von ihnen sind bereits „cleared for release“. Sie seien „keine Gefahr mehr“ für die USA, sagt die Regierung, von Unschuld spricht sie nur unwillig. Sie könnten gehen – wenn man nur wüsste, wohin mit ihnen. Sie stammen aus Ländern wie Syrien, Libyen, China, Russland oder Algerien. Es sind Männer, die daheim erneut Haft, Verfolgung oder Folter ausgesetzt sein könnten, weil allein die Tatsache, dass sie in diesem Gefängnis waren, ihre Biografie fürs Leben gekennzeichnet hat. So hat Guantanamo auch aus denen, die unschuldig festgehalten wurden, zuletzt doch noch Schuldige gemacht.
Aischas Vater hat Früchtetee gekocht, in leichten, billigen Blümchentassen stellt er ihn auf das Tischchen im Wohnzimmer. Das Zimmer ist kühl und leer, die Möbel stehen an den Wänden aufgereiht wie schüchterne Besucher, zwei Sofas, der Tisch, ein Fernseher, darauf ein Schälchen mit staubigen Blütenblättern. Es ist keine üble Unterkunft für dieses Land. Die Wände sind in denselben fröhlichen Farben gestrichen, mit denen der Bürgermeister von Tirana die schäbigen Fassaden seiner Stadt aufzupeppen versucht, blau, pink, gelb. Nur leuchten sie hier drinnen nicht. Aischas Vater lässt die Rollläden immer unten.
Abu Aischa hat sonst selten Besuch. Er lehnt sich den Fragen entgegen und lächelt dabei, und besonders breit lächelt er bei Fragen, die man am liebsten nur leise stellt. Im Bart ist noch kein Grau, und er ist überschlank, was ihn eigenartig jung wirken lässt, obwohl er schon 45 Jahre alt ist. Er streckt gern den Zeigefinger in die Höhe, ein Hinweis auf Gott. Religiös war er auch vor der Haft schon.
Abu Aischa, Sohn eines Lebensmittelhändlers mit 20 Kindern, stammt aus einer kleinen westalgerischen Hafenstadt. 1989 hat er Algerien verlassen. Das sei im letzten Jahr seines Medizinstudiums gewesen, sagt er. Damals habe er beschlossen, sein praktisches Jahr in afghanischen Flüchtlingslagern zu verbringen. Bis 1992, sagt er, habe er für die religiösen Hilfsorganisationen Muslim Aid und Al Birr gearbeitet, sei zwischen Afghanistan und Pakistan gependelt; auf Kuba werden sie ihm das später zum Vorwurf machen. Dann wollte er heimgehen. In Algerien hatte jedoch gerade der Bürgerkrieg begonnen, Zehntausende starben, auch ein Bruder von Abu Aischa. Bleib bloß weg, sagte die Mutter. Also ging er in den Jemen. Er heiratete und arbeitete für die Schulbehörde als Gesundheitsinspektor.
Dann begannen die Schwierigkeiten. Es war 1996, Abu Aischas algerischer Pass lief aus. Er ging zum Konsulat, doch man habe ihn abgewiesen, sagt er; wieso, bleibt undurchsichtig. Ob es nun daran lag, dass die Familie daheim als politisch galt oder ob Algerien in den schlimmsten Jahren des Bürgerkriegs einfach dichtmachte – auf jeden Fall beschloss Aischas Vater, zurück nach Pakistan zu gehen, wo er Kontakte zum Flüchtlingswerk der UN, zur UNHCR, hatte. Er bekam den Flüchtlingsstatus, seine Nummer, I20052, ist Guantanamo-Akten zu entnehmen.
Es war in der Nacht auf den 27. Mai 2002, als pakistanische Soldaten und ein Amerikaner in seine Wohnung eindrangen. Die Anschläge vom 11. September waren erst einige Monate her, und Peshawar, Grenzstadt zu Afghanistan, galt als Basis der Al Qaida. Aischas Vater hatte, wie er es erzählt, die letzten Jahre damit verbracht, in einer Schule des Roten Halbmonds als Mathelehrer zu arbeiten. Seine Frau war mit dem sechsten Kind schwanger. Von Amerikas Krieg gegen den Terror habe er aus den Nachrichten gehört, aber es habe ihn nicht sonderlich interessiert, behauptet er. Er hatte seine UNHCR-Karte, und die verhieß, man würde ihm ein neues Land finden, irgendwann. Eins, in dem man bleiben durfte.
Das Kärtchen war ihm wohl wie ein Schild vorgekommen, auf jeden Fall habe er in jener Nacht der Verhaftung keine Angst gehabt, sagt er heute. Man habe ihm gesagt, sein Haus gelte als Al-Qaida-Unterkunft, aber sein Name stehe „nicht auf der Liste“. Der Anführer der Soldaten, der Amerikaner, sei schon aus dem Haus gewesen, da sei er nochmal umgekehrt. Nun wollte er Aischas Vater doch noch Fragen stellen. Sicherheitshalber.
Über die Art und Weise, wie die Häftlinge auf Kuba gelandet sind, ist heute viel bekannt. Über 80 Prozent wurden von Soldaten der afghanischen Nordallianz oder pakistanischen Behörden an die US-Streitkräfte regelrecht verkauft, denn die zahlten für jeden mutmaßlichen Terroristen 1000 bis 5000 Dollar. Das Ergebnis war haltlose Kopfgeldjägerei. Festnahmen auf Verdacht – in der Umkehrung der natürlichen Folge von Urteil und Strafe wurde erst im Gefängnis untersucht, ob die Vorwürfe auch stimmten.
Oft genug stimmten sie nicht. Sechs Jahre nach Gründung des Gefängnisses sind nur 19 Gefangene angeklagt worden, darunter fünf mutmaßliche Hauptverantwortliche der Anschläge vom 11. September. Nur gegen einen, den Australier David Hicks, 2001 in Afghanistan als Taliban-Söldner festgenommen, wurde schon ein Urteil gefällt; er hat in Australien neun Monate abgesessen. Hunderte saßen Jahre ohne jede Anklage.
In jener Nacht ging Aischas Vater mit dem Soldaten mit. Seine Frau hat er bis heute nicht wiedergesehen. Das damals ungeborene Kind ist ein Mädchen geworden. Abu Aischa zieht das Handy aus der Tasche des Trainingsanzugs und streckt es über den Tisch. Auf dem Bildschirm hat er ein verwackeltes Foto gespeichert. Es zeigt ein Mädchen im rosa Festtagskleid. Jasmin, sechs.
Die Details aus der Zeit, die der Verhaftung folgt, bleiben unscharf und flach. Sie erheben sich nicht zu Anklagen, werden mit Lächeln umwunden. Erst ein Haus in Peshawar. Dann 60 Tage in Bagram, ein Lager in Afghanistan. Grelles Licht bei Tag und Nacht, ohrenbetäubende Musik, Prügel. Dann Guantanamo. Metallzelle, Verhöre. Kennen Sie Mullah Omar? Haben Sie Osama bin Laden getroffen? Gute Wärter, schlechte Wärter. Folter? Nein. Er sagt es mit breitem Lächeln.
Aischas Vater sieht Männer mit Würgemalen am Hals vom Selbstmordversuch. Er hat das nie versucht. Er sagt: „Das ganze Leben ist ein Test von Gott. Nur ein Mann mit Geduld ist ein guter Muslim.“ Was er tat, um die Monotonie zu besiegen, weiß er nicht mehr; überhaupt falle ihm das Erinnern in letzter Zeit schwer. Als sie ihm endlich offenbaren, er sei wohl doch kein „feindlicher Kombattant“, dauert es immer noch fast eineinhalb Jahre bis Albanien.
Wohin sie ihn bringen würden, das hat Aischas Vater erst am Tag vor der Reise erfahren. Er hat Nein gesagt. Es hat nicht geholfen. Ausgerechnet Albanien. Noch ärmer als Algerien.
Über 100 Staaten sollen von den USA gefragt worden sein, bevor Albanien sich bereit erklärt hat, Ex-Häftlinge zu übernehmen. Der US-Regierung war die eigene Guantanamo-Rechtfertigungsrhetorik – „Männer, die zu den heimtückischsten Mördern auf dem ganzen Erdball gehören“ – zum Verhängnis geworden.
Aber auch die Menschenrechtsanwälte, zum Beispiel vom Center for Constitutional Rights in New York oder von der Organisation Reprieve in London, haben sich längst auf die Suche nach neuen Heimatländern für ihre auf Kuba gestrandeten Klienten gemacht. Sie reisen durch die Welt und versuchen, Politiker zu bewegen, den empörten Lippenbekenntnissen gegen das Gefängnis Taten folgen zu lassen. Von einem hohen deutschen Außenpolitiker sind die Worte überliefert: „Die Bundesregierung ist durchaus bereit, einen Beitrag zu leisten, wenn sie dazu aufgefordert wird“ – doch dann, recht hinterhergemurmelt, ist noch von der „Berücksichtigung anderer politischer Wirkungen einer solchen Maßnahme“ die Rede.
Es ist wohl ein politischer Deal, der Albanien veranlasst hat, Flüchtlinge aufzunehmen. Albanien wäre gern Mitglied der Nato. Dabei, sagt Emi McLean, Abu Aischas Anwältin vom Center for Constitutional Rights, sei die albanische Infrastruktur für Flüchtlinge ein Witz. Albanien produziere eher selber Flüchtlinge, Hunderttausende, als dass es sich um welche kümmern könne. Landesweit gibt es ein einziges Flüchtlingslager.
Sein Entgegenkommen kostet das Land bisher Wohnungen und je 150 Euro im Monat für sechs Ex-Häftlinge.
Etwa 100 Euro gibt Aischas Vater fürs Telefonieren aus. Vom Rest kauft er Lebensmittel. Im Kühlschrank stehen zwei Gläser eingelegte Pfirsiche und ein Teller mit Reis. Auf dem Küchentisch liegt ein Merkblatt, das er mal gefunden hat. Es stammt aus der Dänischen Botschaft und handelt von „health policy challenges“, Herausforderungen der Gesundheitspolitik. Er hat es mehrmals gelesen, nun dient es als Tischset. Manchmal geht er ins Fitnessstudio, und wenn die Anwältin kommt, lässt er sich zum Essen einladen und isst Fisch. Er vermisst Fisch. Aber die Anwältin kann nicht oft. Sie muss sich um die kümmern, die noch auf Kuba sitzen.
Es ist Nachmittag geworden, und eine Besorgung steht an. Aischas Vater muss zum Vodafone-Laden, sein Handy spinnt. Er tauscht den dunklen Trainingsanzug gegen eine schwarze Hose und einen schwarzen Anorak. Er läuft das Treppenhaus mit den geborstenen Stufen hinunter, tritt aus dem Haus – und sofort wird der zugewandte Mann ein anderer. Er geht jetzt schnell, Kopf gesenkt, Hände in den Hosentaschen. Er wird einsilbig. Nein!, sagt er scharf, als dem Gast im Bus das Wort Guantanamo herausrutscht; er erzählt niemandem hier, wo er war. Das kleine Wort am falschen Platz hat etwas kaputt gemacht: Eigentlich war verabredet, dass er in der Stadt für Fotos posieren würde, aber plötzlich will er nicht mehr und sowieso nicht von vorne.
– Also ehrlich, Abu Aischa, was kann schon passieren, wenn Ihr Gesicht in der Zeitung steht?
– Viel kann passieren.
Er glaubt auch, die Amerikaner hören mit, wenn er seine Familie anruft. „Sie haben unsere Sprachmuster genommen, sie finden uns überall.“
Der Vodafone-Laden liegt im teuren Bllocku-Viertel. Hier haben früher die Führer des Hoxha-Regimes gewohnt, heute probieren die Albaner in den Villen selber das schöne Leben aus. Boutiquen und Cafés haben eröffnet. Die Menschen sitzen in der Sonne und trinken Bier. Das ist Aischas Vater alles ziemlich fremd. Er hört in Tirana täglich den Muezzin, der von der Ethem-Bei-Moschee ruft, immerhin 65 Prozent der Albaner sind Muslime, das ist gut, aber die Mädchen tragen knappe Kleidung und das Haar offen.
Im Telefonladen schaukeln grellfarbene Plastikblumen von der Decke; Aischas Vater eilt darunter her wie eine schwarze Motte. Was genau das Problem mit seinem Handy ist, ist kaum zu verstehen. Jedenfalls haben sie Anrufe nicht mehr weitergeleitet, den Draht nach außen gekappt. Das Mädchen, das ihn bedient, braucht den Pass. Seufzend zieht Aischas Vater ein blaues Büchlein aus der Tasche. „Travel Document“ steht drauf, „Convention of 28 July 1951“, was sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention bezieht. So etwas hat das Mädchen noch nicht gesehen. Wo ist hier das Geburtsdatum?, fragt es und blättert ratlos. Steht doch da, schnauzt Aischas Vater. Aber es steht da nicht. Für Albanien hatte dieser Mann vor Guantanamo kein Leben.
Er schreibt dem Mädchen das Datum auf. Es ist ihm peinlich. Das Dokument verrät seine Fremdheit. Reisen könnte er damit sowieso nicht, selbst wenn er Geld hätte. Albanien klingt für ausländische Visastellen fast so abschreckend wie Guantanamo. Für Aischas Vater ist Albanien einfach nur das größte Gefängnis der vergangenen sechs Jahre, nach Bagram, Kuba und dem Flüchtlingslager.
Abends. Weiches gelbes Licht fällt aus kugeligen Laternen, es ist was los auf Tiranas Straßen, Gelächter spritzt durch die Nachtluft, das Knattern alter Motorräder. Aischas Vater geht lieber die ruhigen Wege zum Restaurant. „Ich treffe nicht gerne Leute“, sagt er. „Ich brauche keine.“ Vormittags macht er Kurse, Englisch und Algebra, mal sehen, wo das hinführt. Alle zwei Wochen trifft er die fünf anderen Ex-Häftlinge, die sie hergeschafft haben, es sind muslimische Chinesen, viel hat er mit ihnen nicht gemein. Den Rest der Zeit sitzt er hinter den Rollläden ab. Freizeit? Menschen seiner Art haben keine Hobbys. Sie haben Familie. Zum Ende des Abends wird es wie ein Refrain sein. Familie, meine Familie … „Die Amerikaner versprachen uns Arbeit und ein Haus und eine Familie. Und jetzt? Keine Arbeit, kein Haus, keine Familie.“
Der einzige Satz, bei dem der beherrschte Abu Aischa während des ganzen Besuchs lauter wird, wenn auch von einem Schrei keine Rede sein kann: „Ich bin ein Mann. Ich will … irgendetwas!“
Im Restaurant sitzen an den Nachbartischen albanische Großfamilien, Kinder krabbeln kreischend zwischen den Beinen hindurch. Aischas Vater bestellt Tintenfischsalat und Scampi. Er erzählt vom Ausflug ans Meer, den sie im Flüchtlingslager mit ihm und den anderen Ex-Häftlingen gemacht haben. Es war zufällig die Woche, in der George W. Bush auf Staatsbesuch nach Albanien kam. Der Ausflug ging weit in den Süden. Aischas Vater lächelt spöttisch. „Die hatten Angst, dass wir eine Demonstration machen.“ Er schaufelt die Hälfte seines Tintenfischsalates auf den Teller des Gastes. Araber essen immer zusammen, sagt er.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 15.06.2008)