« Nein zu jeder Versöhnung »

Algerien: Ein Ex-Geheimdienstler über die Bluttaten der Generäle

« Nein zu jeder Versöhnung »

Focus Nr. 03, 12. Januar 2004

Ex-Geheimdienstler Samraoui enthüllt, wie viel Blut an den Händen algerischer Generäle klebt und warum sie den Terrorismus förderten-

Mohammed Samraoui ist ein Reisender ohne Ziel. Jedes Jahr wechselt der Flüchtling seinen Wohnort in Deutschland. Der Algerier spricht leise, wenn er von der Vergangenheit erzählt. Eine Art Berufskrankheit. Er war Oberst des algerischen Geheimdiensts und weiß Dinge, die er besser nicht wissen sollte, da sie sein Leben gefährden. Mit gedämpfter Stimme erzählt er, wie algerische Generäle in den vergangenen zehn Jahren den Terror im eigenen Land förderten. 1992 verhinderten sie den Wahlsieg der Islamisten-Partei FIS. In der Folge starben 120 000 Algerier bei Kämpfen zwischen Militär und Gotteskriegern – den Generälen war dabei anscheinend jedes Mittel recht.

Focus: Herr Samraoui, in Deutschland glaubt man, dass Algeriens Militärs in den 90er-Jahren gegen islamistische Terroristen kämpften. Sie haben in Ihrem Buch « Chronik der Blutjahre » die Geschichte umgeschrieben. Wie kommen sie dazu?

Samraoui: Ich war Offizier des Geheimdiensts DRS. Alles, was hinter den Kulissen lief, ging über den Geheimdienst. Eine meiner Aufgaben war es, die Islamisten der Heilsfront FIS anzuschwärzen, die 1990 erstmals Wahlen gewonnen hatten.

Focus: Wie sah das genau aus?

Samraoui: Im November 1990 legte General Nezzar einen Aktionsplan vor: Der erste Teil sah die Verteufelung der Islamisten vor. Der zweite legte die Richtlinien zur Liquidierung der Islamisten der Heilsfront fest. Er wurde umgesetzt, als die Heilsfront auch die Parlamentswahlen 1991/92 gewann. Die Armee hat Todesschwadronen geschaffen. Geheimdienstleute hängten im Namen der Heilsfront Listen mit Todeskandidaten aus, um die Bürger zu erschrecken und gegen die Heilsfront aufzubringen. Leute des Geheimdiensts schnitten – als wären sie Islamisten – Kabel von Parabolantennen durch und griffen Frauen an.

Focus: Aber es gab nach 1992 tatsächlich die GIA, eine bewaffnete islamische Gruppe, die Nordtaten beging.

Samraoui: Der Geheimdienst half beim Aufbau der GIA (Groupe Islamique Armé), um die Lage zu verschärfen. Spezialeinheiten der Armee schufen Schlupfwinkel und Tunnels für die GIA, um ihr den Rückzug nach Terroraktionen zu erleichtern. Der Geheimdienst hat die Terroristen gefördert und zugleich die Angst geschürt, um sich später als Terroristenbekämpfer darzustellen.

Focus: Kennen Sie Einzelheiten?

Samraoui: Der Geheimdienst schickte einen Offizier nach Afghanistan. Nach seiner Rückkehr hatte er bei den Islamisten großes Prestige. Er baute in der Moschee Sunna von Belcour in Algier eine islamistische Terrorzelle auf. Der Geheimdienst rekrutierte auch den Hühnerverkäufer Djamel Zitouni. … der bis 1996 die GIA führte.

Samraoui: Er bereitete Zitouni im Geheimdienstzentrum Delly Brahim auf seine Arbeit als Terrorist vor. Ich habe Beweise dafür. Er war ein Mann des Geheimdiensts. Ebenfalls sein Nachfolger Antar Zouabri, der die GIA bis 2002 leitete.

Focus: Ehemalige Armeeangehörige behaupten, dass Spezialeinheiten auch bei Massakern an Zivilisten ihre Hände mit im Spiel hatten.

Samraoui: In der Siedlung Beni Messous bei Algier wurden 1997 über 60 Personen ermordet. Dort gibt es mindestens zehn Armeekasernen, drei unterstehen dem Geheimdienst. Eine liegt 200 Meter vom Tatort entfernt. Das Morden dauerte drei Stunden. Es ist unmöglich, dass die Militärs von dieser Aktion nichts wussten.

Focus: Was wollten die Generäle mit solchen Mordtaten bezwecken?

Samraoui: Diese Aktion war eine Bestrafung. Die Bewohner von Beni Messous hatten für die Islamisten gestimmt. Auch an anderen Massakerorten, z.B. in Bentalha, Rais, Ain Defla, Relizane, hatten die Betroffenen für die Heilsfront gestimmt.

Focus: Wie erklären Sie sich die Verrohung der Geheimdienstleute?

Samraoui: Die Vorgesetzten erklärten ihnen: Kommt es zum Sturz, wird man euch töten wie die Geheimdienstler des Sawak beim Sturz des Schahs im Iran. Außerdem waren Geheimdienstleute durch Korruption und Morde bereits belastet. Nur mit weiteren Morden konnten sie sich straflos halten.

Focus: Wer waren die Hauptverantwortlichen dieser Mordpolitik?

Samraoui: Es sind die Generäle Nezzar, Larbi Belkheir, Mohammed Mediene, Smain Lamari und Kamel Abderrahmane. Außer Nezzar sind sie noch immer auf ihren Posten, seit 1990. Focus: Aber es gab doch Wahlen? Samraoui: Die Generäle haben in den Wahlen von 1995 und 1999 der Demokratie keine Chancen gegeben. Sie bestimmen, wer Staatschef wird. Ein Beispiel: In der Botschaft in Bonn erhielten wir 1995 Anweisungen, wie die Ergebnisse der algerischen Wähler zu lauten hatten.

Focus: Inwieweit haben die islamistischen Terroristen der GIA dem Regime der Generäle in die Hände gearbeitet?

Samraoui: Beide Seiten vertraten dieselbe Politik. Diese hieß: « Nein zu jeder Versöhnung ». Echte oder infiltrierte Terrorgruppen haben für das Regime unliebsame Politiker ermordet und ausländische Regierungen dazu gebracht, die Generäle zu unterstützen.

Focus: Mit welchen Mitteln?

Samraoui: Die GIA hat die Gewalt exportiert. Ich erwähne die zwei tödlichen Attentate in der Pariser Metro von 1995. Sie wurden von Bensaid, einem echten GIA-Terroristen, verübt. Dieser erhielt die Befehle von Ali Touchent. Touchent war ein Agent des algerischen Geheimdiensts. Der französische Sicherheitsdienst DST wusste dies, behelligte Touchent aber nie. Bensaid erhielt « lebenslänglich ».

Focus: Aber was sollte dies Mordtat bewirken?

Samraoui: Algeriens Militärs brauchten die Unterstätzung Frankreichs, doch Paris zögerte. Die Attentate brachten die Franzosen gegen die Islamisten auf, und die Regierung begann, Algerien zu unterstützen.

Focus: Heute heißt die gefährlichste islamistische Terroristengruppe GSPC. Hat ihr Anführer Hassan Hattab auch Militärkontakte?

Samraoui: Hassan Hattab war früher Unteroffizier einer Fallschirmjägereinheit. Unsere Militärs verbinden seine Gruppe mit al-Qaida und versprechen härteste Verfolgung. Damit wollen sie den Amerikanern gefallen. Seit dem 11. September 2001 lehnen sich die Militärs stark an die Amerikaner an. Sie sind sogar bereit, Washington die Errichtung einer Militärbasis in Algerien zur Luftsicherung zu erlauben.

Focus: Wieso dieser Schmusekurs?

Samraoui: Die Amerikaner können verhindern, dass Algeriens Generäle vor den Internationalen Strafgerichtshof zitiert werden. Davor haben sie am meisten Angst. Ihr Geld haben sie bereits im Ausland im Trockenen. Interview: W. Eberhardt/M. Konrad

Mohammed Samraoui Der Insider erlebte den schmutzigen Krieg der Militärs hautnah. Der Algerier trat mit 21 Jahren dem Geheimdienst bei und wurde 1990 zweiter Mann der Gegenspionage. Nach Kritik an den Generälen erfolge die Versetzung 1992 an die algerische Botschaft in Bonn. 1996 bat er in Deutschland um Asyl. Das Regime hatte ihm die Ermordung zweier FIS-Politiker aufgetragen.