Interview mit Prof. Werner Ruf

Interview zu Merkels Algerien-Besuch

Geschäfte für deutsche Firmen in Algerien

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6. Juli 2008 Bundeskanzlerin Merkel ist nach Algerien gereist. Im Mittelpunkt der Reise steht die Energiepolitik. « Deutschland will die Abhängigkeit von Russland reduzieren », sagt der Algerien-Experte Ruf im Interview mit tagesschau.de. Er sieht große Chancen für deutsche Firmen in Algerien.

tagesschau.de: Herr Ruf, Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht zwei Tage lang Algerien. Begleitet wird sie von Wirtschaftsvertretern. Was macht Algerien für sie interessant?

Werner Ruf: Algerien hat riesige Erdgasreserven. Das Land liegt auf Platz vier der wichtigsten Produzenten. Deutschland will die Abhängigkeit von Russland reduzieren. Russland deckt zurzeit 40 Prozent des deutschen Bedarfs an Erdgas. Die Bundesregierung verstärkt deshalb die Kontakte zu Algerien. Bundeswirtschaftminister Michael Glos hat das Land im Februar 2007 besucht, kurz zuvor war Außenminister Frank-Walter Steinmeier da.

tagesschau.de: Warum rückt Algerien erst jetzt ins Blickfeld der deutschen Außenpolitik?

Ruf: Dort war es schon immer. Allerdings glaube ich, dass die vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy forcierte Mittelmeerunion die Sache nun spannender gemacht hat. Frau Merkel war ja ursprünglich gegen das Projekt. In den Aktivitäten sehe ich durchaus ein Gegengewicht der Bundesregierung zu Frankreichs Vorstellungen, die man fast schon altkolonialistisch nennen kann. Sarkozy wollte nach Meinung von Kritikern einen französisch dominierten Gegenpol zur EU schaffen.

Wirtschaftsbeziehungen « gewaltig ausbaufähig »

tagesschau.de: Wenn Algerien schon seit jeher das Interesse deutscher Außenpolitik genossen hat, warum gibt es erst seit zwei Jahren eine deutsch-algerische Handelskammer? Wie steht es um die Wirtschaftsbeziehungen?

Ruf: Sie sind gewaltig ausbaufähig. Algerien verfügt wegen der steigenden Erdöl- und Erdgaspreise jetzt über gigantische Devisenvorräte. Geld ist also ausreichend vorhanden. Da haben die deutschen Unternehmen natürlich Interesse, einzusteigen und den Markt zu bedienen, um teilzuhaben am Aufschwung.

tagesschau.de: Welche Branchen könnten in Deutschland profitieren?

Ruf: Deutsche Firmen sind jetzt schon in Algerien aktiv, zum Beispiel im Bereich von Gasanlagen und Gasverflüssigungen. Auch im Agrarbereich kann man ins Geschäft kommen. Algerien muss den Großteil seiner Grundnahrungsmittel importieren. Schon jetzt ist Deutschland der viertgrößte Lebensmittelimporteur des Landes. Auch den Rüstungsmarkt sollte man nicht unterschätzen. Es gibt bereits heute eine Militärkooperation, vor allem bei der Ausbildung von Marineoffizieren. Algerien hat gerade ein riesiges Geschäft mit Russland abgeschlossen und kauft für acht Milliarden Euro Flugzeuge. Warum sollte Deutschland da nicht auch mitmachen?

Reiches Land – arme Bevölkerung

tagesschau.de: Algerien hat wegen seiner enormen Ressourcen kaum noch Schulden. Macht sich das im Alltag der Menschen bemerkbar?

Ruf: Nein. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in Armut. Die Landwirtschaft existiert praktisch nicht mehr. Die Landflucht ist gigantisch: 80 Prozent der Algerier leben in Städten. In der Altstadt von Algier wohnen bis zu 18 Menschen auf 20 Quadratmetern. Das Trinkwasser kommt an manchen Tagen nur stundenweise, an manchen Tagen gar nicht. Und die Regierung tut nichts, um die soziale Lage zu verbessern. De facto regiert noch das Militär.

tagesschau.de: Aber es existieren doch Parlament, Parteienpluralismus und eine erstaunlich vielfältige Presse…

Ruf: Aber das Ganze, insbesondere der Parlamentarismus, ist eine Fassade. Dahinter herrscht eine nach wie vor eine undurchsichtige Clique an der Spitze des Militärs. Das sind die Leute, die sich bereichern. Die Korruption ist gewaltig.

Weit entfernt von einer Demokratie

tagesschau.de: Dass Algerien eine De-facto-Militärdiktatur ist, scheint die Bundesregierung nicht zu stören. Gehen die Wirtschaftsinteressen vor?

Ruf: Es scheint « gute » und « böse » Militärdiktaturen zu geben. Ich hoffe, dass die Kanzlerin die Menschenrechtssituation anspricht. Zwar hat sich einiges zum Besseren gewendet. Zum Beispiel ist die Zahl der Terroranschläge zurück gegangen. Andererseits wurde ein Versöhnungsgesetz verabschiedet, das viele Untergrundkämpfer des Bürgerkriegs der 90-er Jahre amnestiert. Das ist aber problematisch, weil in diesen Gruppen offensichtlich viele Agenten des militärischen Sicherheitsdienstes eingeschleust waren, die so wieder in die bürgerliche Legalität zurückgeführt werden. All das bleibt völlig undurchsichtig. Auch der so genannte Rest-Terrorismus dient dazu, dass der seit 1992 bestehende Ausnahmezustand erhalten bleibt. Das Land bleibt weit entfernt von dem, was wir einen Rechtsstaat, eine Demokratie, nennen.

Zur Person: Werner Ruf wurde 1937 im baden-württembergischen Sigmaringen geboren. Er lehrte bis 2003 internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Kassel. Einer der Schwerpunkte des Friedensforschers ist Nordafrika. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen gehört « Die algerische Tragödie: Vom Zerbrechen des Staates einer zerrissenen Gesellschaft ».

Das Interview führte Marcel Müller, tagesschau.de.


Deutsche Investitionen in Algerien

Mehr als 140 deutsche Unternehmen sind bereits mit Niederlassungen, Verbindungsbüros und Handelsvertretern in Algerien aktiv. In den vergangenen Jahren haben deutsche Firmen etwa 350 Millionen Euro investiert. Die Linde AG stellt gemeinsam mit dem staatlichen algerischen Mineralölkonzern Sonatrach Industriegase her. Siemens ist maßgeblich am Ausbau der algerischen Eisenbahn beteiligt. Seit zwei Jahren gibt es eine deutsch-algerische Handelskammer. 2006 importierte Deutschland Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro aus Algerien, zu 98,5 Prozent waren das Erdöl und Erdgas.