Die Todesmaschine: Jederzeit aktivierbar
Die Todesmaschine
Jederzeit aktivierbar
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56995, 7. September 2007
ALGIER/BERLIN
(Eigener Bericht) – Die Entsendung eines deutschen U-Bootes in den Hafen von Algier unterstreicht das militärische Interesse der Bundesrepublik an Algerien. Berlin lässt algerische Soldaten in Deutschland ausbilden und will das nordafrikanische Land im Rahmen sogenannter Anti-Terror-Maßnahmen in die NATO einbinden. Darüber hinaus liefert Deutschland seinem Militärpartner Algerien in erheblichem Umfang Kriegsmaterial. Die Kooperation der Geheimdienste und Polizeibehörden beider Länder soll in Kürze formalisiert und in einem Abkommen besiegelt werden. Die Regierung Algeriens, in der Militärs dominierenden Einfluss ausüben, führt seit 15 Jahren einen sogenannten Anti-Terror-Kampf gegen islamistische Aufständische. Die algerischen Repressionsapparate werden schwerer Verbrechen beschuldigt. So ist erst Anfang des Jahres ein algerischer Gefangener unter Folter zu Tode gekommen, noch im Juli verschwanden Menschen, berichtet Salima Mellah von der Menschenrechtsorganisation Algeria-Watch im Gespräch mit dieser Redaktion. « Die ‘Todesmaschine’, die von 1992 an aufgebaut worden ist, existiert weiter », urteilt Frau Mellah: « Zwar wird sie nicht mehr so exzessiv eingesetzt wie vor zehn Jahren, aber sie kann jederzeit wieder aktiviert werden. »
Konkurrenzlos
Höhepunkt des U-Boot-Aufenthalts war in der vergangenen Woche eine Demonstration der Bundesmarine vor der algerischen Küste. Das U-Boot der Klasse 212 A gilt im internationalen Vergleich als modernstes nicht-nukleares Unterwasserfahrzeug mit offensiver Waffentechnik. 2006 in Betrieb genommen, verfügt es über einen bislang konkurrenzlosen Hybridantrieb und kann mehrere Wochen auf Tauchstation bleiben, ohne Außenluft aufnehmen zu müssen. Von diesen Fähigkeiten, die die U-Boot-Klasse 212 A für Überwachungsoperationen in feindlichen Gewässern prädestinieren, durften sich jetzt acht algerische Offiziere überzeugen, die an Bord geholt wurden.[1]
Soldatische Ausbildung
Algerischen Militärs zufolge ist der deutsche U-Boot-Besuch Teil eines schrittweisen Ausbaus der militärischen Zusammenarbeit.[2] Offizielles Ziel sei « Erfahrungsaustausch » und die Ausbildung von Soldaten vor allem in der Marine. Nach dem ersten Aufenthalt eines deutschen Kriegsschiffes in Algier im Jahr 2002 nehmen die Besuche seit 2006 zu. Zuletzt hatte die Fregatte « Lübeck » Mitte Juli auf dem Weg in ihr libanesisches Einsatzgebiet in Algier Station gemacht. Kurz darauf nahmen Kadetten der algerischen Kriegsflotte in der Marineschule Mürwik (Flensburg) an der Vereidigung deutscher Offiziersanwärter teil. « Sie erhalten ihre soldatische Ausbildung in Deutschland », teilt die Bundeswehr mit.[3] Bereits im vergangenen Jahr hatte der Oberbefehlshaber der algerischen Streitkräfte, Generalmajor Ahmed Gaid Salah, die militärische Führungsakademie in Hamburg besucht. Gegenstand der damaligen Gespräche war die Schulung von Stabsoffizieren.
Erdbeobachtung
Die enger werdende Militärkooperation begleitet den deutschen Export von Kriegswaffen. Zwar seien die Berliner Rüstungsausfuhren nach Algerien « im internationalen Vergleich (…) eher gering » [4], urteilt die Fachpresse; doch erreichten die genehmigungspflichtigen Ausfuhren in den letzten Jahren mehrfach zweistellige Millionenwerte. Nach Verlautbarungen der Bundesregierung lieferten deutsche Unternehmen vor allem Funkgeräte und andere Kommunikationsausrüstung, Überwachungssysteme sowie ein mobiles Feldlazarett in das nordafrikanische Land. Der deutsch-französische Rüstungskonzern EADS hat einen Vertrag mit dem algerischen Raumfahrttechnologiezentrum CNTS (Centre National des Techniques Spatiales) unterzeichnet, der die gemeinsame Entwicklung von Satelliten zur « Erdbeobachtung » (ALSAT-2) vorsieht. ALSAT-2 erlaubt EADS zufolge « eine Vielzahl von Anwendungen », darunter « Krisenmanagement bei Naturkatastrophen » und andere Tätigkeiten sogenannter « Aufklärung ». Wie der inzwischen deutsch dominierte Rüstungskonzern mitteilt, werden algerische Ingenieure im Rahmen der ALSAT-2-Entwicklung « eine intensive Ausbildung in Sachen Weltraumtechnologie erhalten ». Das Projekt sei Grundlage « für eine langfristige Zusammenarbeit (…) auf dem Gebiet der weltraumgestützten Erdbeobachtung » [5] – mit orbitalen Erkenntnissen über feindliche Bewegungen in den schwer erreichbaren Berg- und Wüstengebieten Algeriens.
Im Windschatten
Die Militär- und Rüstungskooperation ergänzt die von Berlin anvisierte Zusammenarbeit der Polizeien und Geheimdienste beider Länder, die noch in diesem Herbst vertraglich festgelegt werden soll.[6] Das Gesamtpaket soll Algerien in das westliche Hegemonialbündnis einbinden (« Anti-Terror-Kampf »). Entsprechende Pläne reichen bis in die 1990er Jahre zurück. Bereits 2000 trat Algerien dem sogenannten Mittelmeerdialog der NATO bei, im Januar 2002 führten die Streitkräfte des Landes gemeinsame Manöver mit der NATO-Führungsmacht USA durch. Zwei Jahre später bestätigte Washington amerikanische Militäraktionen im Süden Algeriens; nach Ansicht von Beobachtern handelte es sich um eine gemeinsame Operation mit den algerischen Streitkräften.[7] Im Windschatten der US-Operationen, offiziell unter NATO-Flagge, verstärkt auch Berlin seine militärisch-polizeiliche Präsenz in dem nordafrikanischen Land – ungeachtet schwerer Vorwürfe gegen die algerischen Streitkräfte und Repressionsapparate.
Nicht abgeschafft
Wie Salima Mellah von der Menschenrechtsorganisation Algeria-Watch berichtet, sind die algerischen Behörden nicht nur für gesetzlose Inhaftierungen, Folter und zahllose Morde während des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren verantwortlich. Bis heute wird in Algerien gefoltert, insbesondere in Geheimdienstzentren; auch werden in dem nordafrikanischen Land Oppositionelle verschleppt. Die zuständigen Gewaltstrukturen, die vor allem der Militärgeheimdienst in den 1990er Jahren aufbaute, bestehen fort: « Die ‘Todesmaschine’ (…) ist nicht abgeschafft worden. »[7] Wie Frau Mellah urteilt, flankiert die « Todesmaschine » die von den westlichen Industriestaaten geforderte Öffnung der algerischen Wirtschaft. Bereits die Privatisierungsprogramme der 1990er Jahre hätten wegen der desaströsen sozialen Folgen « ohne die Angst vor der Repression, die seit 1992 systematisch aufgebaut worden ist », kaum durchgesetzt werden können. Die « katastrophale soziale Situation », die mit der Eingliederung Algeriens in die westlich dominierte Weltwirtschaft einhergeht, führt bis heute zu Revolten, berichtet Frau Mellah: « Sobald die Menschen anfangen, sich zu organisieren, schlägt aber die Repression zu. »
Nähere Informationen über die deutsche Algerien-Politik finden Sie hier: Tragende Säule, Zweite Säule, Verstoß gegen das Völkerrecht, Das Land der Aufklärung, Ergänzungsraum und Folterpartner.
[1], [2] Le sous-marin allemand S 183 a accosté hier au port d’Alger; Le Jeune Indépendant 26.08.2007
[3] Vereidigung der Crew VII/2007; Presse- und Informationszentrum Marine 09.08.2007
[4] Bonn International Center for Conversion: Länderbericht Algerien; Bonn, Januar 2007
[5] EADS Astrium liefert optisches Erdbeobachtungssystem ALSAT-2 an Algerien; Pressemitteilung von EADS 01.02.2006
[6] s. dazu Verstoß gegen das Völkerrecht und Folterpartner
[7] Bonn International Center for Conversion: Länderbericht Algerien; Bonn, Januar 2007
[8] s. dazu Die Todesmaschine. S. auch Die Mordmaschine: Bericht über Folter, geheime Haftzentren und Befehlsstrukturen; www.algeria-watch.org/pdf/pdf_de/mordmaschine.pdf
————————————————–