III Überblick über die Ereignisse seit 1988

III Überblick über die Ereignisse seit 1988

Schon vor Oktober 1988 hatten Proteste und Demonstrationen in Algerien für ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte gesorgt: der « Berber-Aufstand » im Jahre 1980, die Inhaftierung der Gründer einer Menschenrechtsliga im Jahre 1985, Proteste 1986 und 1987 wegen der Verschlechterung der Lebensbedingungen usw. Schließlich die Revolte von 1988, die tatsächlich das Regime veranlaßte, eine « Demokratisierung » des politischen Lebens und die « Liberalisierung » der Wirtschaft einzuleiten.

Während der Unruhen im Oktober 1988 formieren sich die Islamisten, die vorher diskret in den Moscheen, an den Universitäten und in den Stadtvierteln agiert hatten und kanalisieren einen Teil des Protestes. Der Rücktritt von Präsident Chadli Bendjedid (Amtszeit seit 1979) wird gefordert. Chadli hält am 11. Oktober ’88 eine Rede, in der er die Gemüter zu beruhigen versucht, Reformen ankündigt und verspricht, das Machtmonopol der Einheitspartei FLN abzuschaffen, sowie die Versorgungslage zu verbessern. Im November des Jahres wird Chadli für eine dritte Amtszeit von fünf Jahren wiedergewählt (die Wahlergebnisse sollen massiv gefälscht worden sein).

Am 23. Februar 1989 tritt eine neue Verfassung in Kraft, in der das Wort « Sozialismus » nicht mehr vorkommt und Algerien als « demokratische Republik » bezeichnet wird. Die Bildung von « Vereinen politischen Charakters » ist in ihr verankert. Allerdings wird Arabisch weiterhin als einzige Nationalsprache anerkannt, womit eine bedeutende Forderung der Berberbewegung außer acht gelassen wird. Diese Verfassung gewährt dem Staatspräsidenten weiterhin weitreichende Befugnisse. Er ist nicht nur verantwortlich für die nationale Verteidigung und oberster Chef aller bewaffneten Kräfte, er bestimmt auch die Außenpolitik, führt den Vorsitz des Ministerrates, ernennt den Regierungschef, setzt ihn ab usw.1

Ab Juli 1989 können Parteien eine gesetzliche Zulassung beantragen. In den folgenden Monaten und Jahren werden über 60 Parteien gegründet. Die wichtigsten unter ihnen haben wir in Kapitel II aufgeführt.

Am 12. Juni 1990 finden die ersten pluralistischen Kommunal- und Provinzwahlen statt, an denen elf Parteien teilnehmen, während die FFS und die MDA zum Boykott aufgerufen hatten. Die FIS erhält die Mehrheit in 32 der 48 Provinzen und in 853 der über 1500 Kommunen.2

Am 27. Dezember 1990 organisiert die FFS eine Demonstration gegen politische und religiöse Intoleranz und zur Verteidigung der berberischen Sprache und Kultur. Über 500 000 Menschen gehen auf die Straße.3

Am 1. April 1991 verabschiedet das Parlament ein neues Wahlgesetz und sieht Parlamentswahlen für Juni 1991 vor. Die FIS protestiert gegen das für die FLN maßgeschneiderte Wahlgesetz und die Aufteilung der Wahlbezirke. Sie fordert Präsidentschaftswahlen und droht mit einem Generalstreik.4

Am 25. Mai 1991 ruft die FIS zum Streik auf, der vor allem durch Sitzblockaden und Besetzung der Hauptplätze gekennzeichnet ist.

Die Streikenden werden von Sicherheitskräften genau beobachtet. Durch den Einsatz von Sonderkommandos wird der Streik am 4. Juni 1991 auf blutige Weise beendet. In den darauffolgenden Wochen werden Tausende inhaftiert, viele getötet usw.5 (Vgl. VI-2)

Am 5. Juni muß die Regierung Hamrouche zurücktreten und der Ausnahmezustand wird verhängt. Die Parlamentswahlen werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Der neue Regierungschef, Ahmed Ghozali, trifft sich mit den FIS-Führern, diese erklären den Generalstreik für beendet, fordern aber die Aufhebung des Ausnahmezustandes. Die FIS wird weiter traktiert, ihre Mitglieder werden verfolgt und schließlich werden Abassi Madani und Ali Benhadj festgenommen.

Die FIS zeigt weiterhin ihre Bereitschaft zum Dialog, verlangt aber die Freilassung ihrer Führer. Da weder diese Forderung erfüllt noch der Ausnahmezustand aufgehoben wird, nimmt die FIS an den ab Mitte Juli stattfindenden Konsultationen zwischen den Parteien und der Regierung nicht teil. Diese werden übrigens auch von anderen Parteien kritisiert und zeitweise boykottiert. Schließlich wird Ende September der Ausnahmezustand wieder aufgehoben.6

Mitte Oktober wird ein neues Wahlgesetz verabschiedet, in dem auch die Wahlkreisaufteilung verändert ist.

Am 26. Dezember 1991 findet der erste Wahlgang7 der Parlamentswahlen statt. Die FIS, die bis kurz vor der Wahl offen gelassen hat, ob sie überhaupt daran teilnimmt, erhält mit über 47% der Stimmen 188 der 399 Parlamentssitze, die FLN erhält 15 Sitze und die FFS 25. Der zweite Wahlgang ist für den 16. Januar 1992 vorgesehen und da an sehr vielen Orten die Kandidaten der FIS große Chancen haben zu gewinnen, können sie mit einer absoluten Mehrheit im Parlament rechnen.8

Am 2. Januar 1992 organisiert die FFS einen großen Marsch in Algier, um die Nicht-Wähler dafür zu mobilisieren, gegen die FIS zu stimmen. 300 000 Menschen nehmen daran teil. Gleichzeitig gründen die RCD, Ettahadi, verschiedene Frauenassoziationen, der Chef der Gewerkschaft und andere ein Comité National de Sauvegarde de l’Algérie (CNSA, Nationales Rettungskomitee), das für den Abbruch der Wahlen eintritt.9

Am 11. Januar kündigt der Präsident Chadli seinen Rücktritt und die Auflösung des Parlaments an. Die Verfassung hat ein solches Vakuum nicht vorgesehen. Ein Haut Conseil de Sécurité (HCS, Hoher Sicherheitsrat) bestehend aus drei Militärs und drei Zivilpersonen übernimmt die Staatsgeschäfte und annulliert die erste Runde der Wahlen. Während manche Parteien diesen Coup des Militärs befürworten, kritisieren die größten Parteien (FLN, FFS und FIS) ihn scharf und warnen vor den Konsequenzen. Die FIS ruft zur Entschlossenheit und Besonnenheit auf, Gespräche zwischen den drei Parteien finden statt, doch das Militär hat die Geschicke in der Hand.

Am 16. Januar kehrt Mohamed Boudiaf, einer der Begründer der FLN (1954) nach etwa dreißig Jahren Exil zurück. Er ist von den Militärs gerufen worden, um an der Spitze eines nicht von der Verfassung vorgesehenen fünfköpfigen Haut Conseil d’État (HCE, Hoher Staatsrat), der für die Dauer des Präsidentenmandats (bis Ende 1993), übergangsweise die Staatsgeschäfte leiten soll. Während Boudiaf die Kriterien überprüft, die erlauben sollen, die Repräsentation der verschiedenen politischen Tendenzen und Komponenten der Gesellschaft zu bestimmen », ruft die FIS zur « Rückkehr zur institutionellen Legalität und Wiederaufnahme der Wahl auf. »10

Eine Offensive gegen die FIS wird gestartet: Abdelkader Hachani, der Sprecher der FIS wird verhaftet, die Moscheen werden durchsucht und die Anhänger verfolgt. Proteste finden in vielen Städten statt und schließlich werden die FIS-Räume gestürmt und geschlossen.

Am 4. Februar ’92 wird der Conseil Consultatif National (CCN, Konsultativrat) per Dekret gegründet, eine Art Ersatzparlament mit 60 ausgewählten Personen aus politischen, kulturellen und industriellen Kreisen, die eine militärische Option befürworten.11 Diese Scheininstitution, die keinerlei Befugnisse, sondern nur beratende Funktion hat, wird von vielen kritisiert, da sie zur Konsolidierung verfassungswidriger Institutionen und Handlungen beiträgt.

Am 8. Februar 1992 wird der Ausnahmezustand für ein Jahr verkündet und die institutionelle Auflösung beginnt: kein gewählter Staatspräsident, kein Parlament, keine gewählten Präfekten, keine Distriktversammlungen usw. Die Kommunal- und Distriktverwaltungen werden ersetzt durch die Délégations Exécutives Communales (DEC, kommunale Exekutivdelegationen), die vom Staat ernannt werden. Die nächsten Wochen sind geprägt von den « Freitagsprotesten », die in blutigen Auseinandersetzungen zwischen Moscheebesuchern und Sicherheitskräften enden und Tote und Verletzte zur Folge haben.12

Am 4. März wird die FIS verboten und die gesamten Parteistrukturen werden zerschlagen. Immer mehr islamistische Gruppen gehen in den Untergrund und die Attentate auf Sicherheitskräfte mehren sich. Die Ablehnung der Regierungspolitik wird vor allem von der FFS formuliert, die in diesen Maßnahmen den Todesstoß für die Demokratie sieht. Sie wird gefolgt von der FLN, und die FIS gibt ein Kommuniqué heraus, in dem sie « einen nationalen Dialog » und die Wiederaufnahme des Wahlprozesses fordert.13

Der HCE sieht sich immer isolierter, weil er die politische und ökonomische Krise nicht steuern kann. Boudiaf setzt sich sozusagen über die bestehenden Parteien hinweg und erwägt die Bildung einer Art Sammlungsbewegung Rassemblement Patriotique National (RPN). Allerdings will er einigen Korruptionsfällen nachgehen; eine heikle Angelegenheit, die ihn vielleicht das Leben gekostet hat.

Am 29. Juni 1992 wird Mohamed Boudiaf während einer offiziellen Rede in Annaba erschossen (Vgl. VI-5). Ali Kafi, Vorsitzender der einflußreichen Organisation der Befreiungskriegskämpfer (ONM) wird an die Spitze des HCE ernannt, und Belaid Abdessalam, ein Liberalisierungsgegner, wird anstelle Ghozalis als neuer Regierungschef eingesetzt.

Am 15. Juli werden Abassi Madani und Ali Benhadj der Verschwörung gegen den Staat angeklagt, für schuldig befunden und zu zwölf Jahren Haft verurteilt.14

Am 26. August wird ein Bombenattentat auf dem Flughafen von Algier verübt, die FIS wird dafür verantwortlich gemacht. (Vgl. VI-6)

Am 2. Oktober 1992 wird per Dekret ein neues Anti-Terrorismus-Gesetz erlassen, das eine enorme Verschärfung der Gesetze und die Einführung von drei Sondergerichten vorsieht (Vgl. VII-1). Zur gleichen Zeit kommen die « Sondereinheiten » (brigades spéciales), die für die Bekämpfung des « Terrorismus » vorbereitet wurden, zum Einsatz (Vgl. VII-2). Ab Mitte Dezember 1992 wird eine Ausgangssperre über weite Teile des Landes verhängt. Gleichzeitig kündigt die Regierung eine rigorose Sparpolitik an, die sich an den Direktiven des Internationalen Währungsfonds, IWF, orientiert und Kürzungen der Subventionen sowie die Abwertung der Währung etc. zur Folge hat. Noch fließen die Kredite aus dem Ausland nur zögerlich, da Algerien seine Wirtschaft nicht ausreichend « liberalisiert » hat, und die politische Krise für die ausländischen Geldgeber nicht entschieden genug verwaltet wird. Die Regierung kündigt immer wieder den Dialog an, doch scheitert dieser meistens daran, daß das Regime eigentlich keine ernsthaften Verhandlungen führen will und dementsprechend Bedingungen stellt, die die meisten Oppositionsparteien ablehnen.

Im Februar 1993 wird der Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit verlängert.

Während die Attentate vor allem auf Angehörige der Sicherheitskräfte nicht abreißen, findet am 22. März 1993 eine Demonstration gegen den « islamistischen Terror » statt, die das Regime für seine Selbstdarstellung als « Garant der Demokratie » zu funktionalisieren versucht. Die Presse wird immer stärker kontrolliert: sie darf nicht über « sicherheitsrelevante » Dinge berichten, wenn die Information nicht vorher von einer Sonderkommission des Innenministeriums ausgegeben wurde (Vgl. VIII-2). Viele Zeitungen werden verboten oder suspendiert. Die renomiertesten Tageszeitungen beteiligen sich an der Anti-Terrorismus-Kampagne. Die ersten Journalisten werden ermordet.

Am 10. Juli 1993 übernimmt Liamine Zeroual das Amt des Verteidigungsministers, und Chef des Generalstabs wird Mohamed Lamari, der Begründer der Anti-Terror-Einheit, genannt Ninja.

Im September 1993 werden die ersten Franzosen umgebracht, um Frankreich von seiner Unterstützung für das algerische Regime abzuhalten.

Im Oktober soll eine Commission du Dialogue National (CDN) die Modalitäten für eine Nationale Konferenz vorbereiten. Die meisten Parteien boykottieren immer wieder die vorgesehenen Treffen und fordern die Zulassung der FIS, die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Wiederherstellung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit usw.

Im November wird die Gründung des Mouvement Populaire pour la République (MPR) bekanntgegeben. Diese vom RCD initiierte « Bewegung » orientiert sich an Boudiafs Idee der « Sammlungsbewegung » und versteht sich als Front gegen die islamistische Bewegung. Die FLN und die FFS gehören ihr nicht an.

Ende Januar 1994 findet eine von der Regierung initiierte Nationalkonferenz ohne die Teilnahme der wichtigsten Oppositionsparteien statt. Diese möchten nicht durch ihr Mitwirken eine Politik unterstützen, die das Regime legitimiert. Da immer wieder Gerüchte aufkommen, die FIS könne einbezogen werden, boykottiert ein Teil der sogenannten « Éradicateurs »15 auch die Konferenz. Obwohl die Konferenz als gescheitert angesehen werden kann, da fast keine Oppositionspartei daran teilnimmt, wird als Ergebnis die Ernennung von Liamine Zeroual als Übergangspräsident angekündigt.

Im April 1994 setzt sich die neue Regierung unter Premierminister Mokdad Siffi zusammen. Großangelegte Militäraktionen, die ganze Dörfer in Mitleidenschaft ziehen, nehmen ab diesem Zeitpunkt zu. (Vgl. VII-2, VIII-3-4)

Am 15. Mai 1994 wird der Conseil National de Transition (CNT) als eine Art Übergangsparlament eingesetzt. Keine der größeren Oppositionsparteien ist darin vertreten.

Ab dem Sommer mehren sich die Hinweise für eine Dialogbereitschaft mit der FIS. Ali Benhadj und Abassi Madani werden in Hausarrest festgehalten, während drei freigelassene Vertreter der FIS als Vermittler die verschiedenen Verantwortlichen der Partei aufsuchen und die Voraussetzungen für Gespräche sondieren. Die zwei Führer der FIS fordern die Möglichkeit zu direkten Kontakten mit den Mitgliedern ihres Rates (Majles al-Shura), die im Land oder im Exil sind und den Chefs der AIS, dem bewaffneten Arm der Partei. Doch bald wird deutlich, daß die Staatsführung nur Zeit gewinnen will und die militärische Option erbarmungslos weiter verfolgt: zwischen der Staatsführung und den freigelassenen FIS-Repräsentanten finden Treffen statt, die von zwei von Abassi Madani im August 1994 an Präsident Zeroual gesandten Briefen gefolgt werden.16 Die konsultierten Parteien17 haben in dieser Initiative von Abassi Madani positive Zeichen und diskussionswürdige Vorschläge gesehen und Zeroual scheint diese Haltung zu teilen, doch keine Kursänderung ist zu vernehmen. Ende Oktober trifft er wieder die Parteivorsitzenden und kündigt an, daß die Bedingungen der FIS indiskutabel seien (vor allem die Forderung nach Freilassung). Die Vorbereitungen zu einer militärischen Großoffensive waren schon längst im Gang, während die politischen Akteure und die Öffentlichkeit in die Irre geführt wurden. Am 1. November 1994 erklärt Präsident Zeroual in seiner Rede zum 50. Jahrestag des Beginns des Befreiungskampfes die Gespräche offiziell für gescheitert und eine Großoffensive wird gegen die bewaffneten Gruppen und mutmaßlichen Unterstützer gestartet. Die Führer der FIS werden zurück ins Gefängnis gebracht und die Devise heißt weiterhin « totaler Krieg ».18

Am 21. November 1994 findet das erste Kolloquium der Oppositionsparteien FLN, FIS, FFS, MDA, PT, En-Nahda, die gemeinsam etwa 80% der Wählerschaft repräsentieren, in Rom statt. Die algerische Regierung und ein Großteil der Presse verurteilt dieses Treffen, spricht von Verrat und Einmischung von außen.

Das zweite Treffen in Rom vom 8.-12. Januar 1995 führt zur Verabschiedung einer Plattform für eine politische und friedliche Lösung der algerischen Krise.

Die versammelten Parteien appellieren darin an die Machthaber, Verhandlungen zu führen, um einen Bürgerkrieg zu verhindern, fordern die Einberufung einer nationalen Konferenz unter Mitwirkung aller politischen Kräfte, die die Übergangsstrukturen, die Modalitäten und die Dauer der Übergangsperiode mit anschließenden Neuwahlen definieren.19

Ebenso fordern sie die Freilassung der politischen Gefangenen, die Aufhebung des Verbots der FIS, und die UnterzeichnerInnen verpflichten sich, Terrorismus und Gewalt sowie jede Art von Diktatur abzulehnen. Das algerische Regime reagiert sehr scharf, da ihm damit die Initiative zu entgleiten droht. Auch die GIA, die anfangs positiv auf die Plattform antwortet, lehnt sie kurz darauf ab.20 Zeroual kündigt für Ende des Jahres 1995 Präsidentschaftswahlen an.

Das algerische Regime beschließt die Rekrutierung weiterer 20 000 Ortspolizisten, die Einberufung von 40 000 Reservisten und die Bildung bewaffneter Verteidigungskomitees, die der Vorsitzende des RCD, Said Sadi, schon seit langem fordert. 21 (Vgl. VII-2)

Am 16. November 1995 finden Präsidentschaftswahlen statt. An den Wahlen nehmen offiziell 75% der AlgerierInnen teil, trotz des Boykottaufrufes der Opposition « von Rom ». Vier Kandidaten stehen letztendlich zur Wahl: Nouredine Boukrouh für PRA (3,8%), Said Sadi für RCD (9,3)%), Mahfud Nahnah für Hamas (25,3%) und Liamine Zeroual für die Armee (61%).

Anfang des Jahres 1996 wird der Öffentlichkeit die neue Regierung präsentiert: der neue Regierungschef Ahmed Ouyahia ist ein Vertrauter Zerouals, die meisten Minister bleiben im Amt und die « Opposition » stellt den Minister für Tourismus (PRA), Fischfang, kleinere und mittlere Unternehmen (Hamas) und das Ministerium für religiöse Angelegenheiten übernimmt ein ehemaliges FIS-Mitglied, das sich schon 1991 in den Dienst der Regierung gestellt hatte. Zeroual bleibt Verteidigungsminister und wird in seiner Funktion wohl weiterhin die Widersprüche innerhalb der militärischen Hierarchie zu verwalten haben.22

 

 

1 alternatives algériennes, 2/95. E.H. Chalabi, La constitution du 23. Février 1989, entre dictature et démocratie, Naqd Nr.1, Algier 1991.

2 Eine genaue Analyse der Ergebnisse dieser Wahlen befindet sich in François Burgat und Jean Leca, La mobilisation islamiste et les élections algériennes du 12.6 1990, Maghreb-Machrek Nr.129, Juli-Sept. 1990.

3 Kurz zuvor hatte das Parlament ein Gesetz über die allgemeine Arabisierung in der Verwaltung, im Bildungswesen und in der Wirtschaft gebilligt. Mehrere Programme hatten seit den siebziger Jahre dazu geführt, daß zwar die meisten Bereiche des Landes arabisiert waren, doch in den Entscheidungsinstanzen von Wirtschaft und Verwaltung immer noch Französisch angewandt wurde und wird. Dies hatte zu großem Unmut bei den Studenten geführt, die das arabische Bildungswesen durchlaufen hatten und ihre Berufsmöglichkeiten in bestimmten Bereichen blockiert sahen.

4 Abed Charef, Algérie, Le Grand Dérapage, La Tour d’Aigues, 1994, 135f.

5 Eine genauere Beschreibung des Streiks findet sich in Aissa Khelladi, Les islamistes algériens à l’assaut du pouvoir, Les Temps Modernes 1/1995 und Samuel Schirmbeck, Hinter den Schleiern von Algier, Hamburg 1996, 162ff.

6 Abed Charef, Le Dérapage, 180.

7 Die Wahlen funktionieren nach dem Mehrheitsprinzip: wenn ein Kandidat die Mehrheit nicht erreicht hat, wird durch einen zweiten Urnengang (Stichwahl) entschieden.

8 Ahmed Rouadjia, L’armée et les islamistes: le compromis impossible, Esprit, Januar 1995, 108.

9Pierre Dévoluy, Mireille Duteil, La poudrière algérienne, Mesnil-sur-l’Estrée, 1994, 56ff.

10 Abed Charef, Le Dérapage, 265.

11 Rouadjia, 111.

12 Ein gewisses Ritual prägt die Freitagsgebete. Viele Gläubige gehen in die Moscheen, während Sicherheitskräfte diese umzingeln, um die Einhaltung der neuen Gesetze durchzusetzen (keine politischen Predigen, kein Gebet auf der Straße). In den Moscheen wird die Anwesenheit der Sicherheitskräfte thematisiert und kritisiert. Nach dem Gebet wird der Imam festgenommen und handgreifliche Auseinandersetzungen finden statt, die Stunden andauern können und zu vielen Festnahmen führen: 30 000 Personen werden festgenommen und 12 000 unter ihnen interniert. Khelladi, 149. Siehe auch Schirmbeck, 166f.

13 Abed Charef, Le Dérapage, 285.

14 Jacques Vergès, einer der Anwälte der FIS-Führer, durfte seine Mandanten im Prozeß nicht verteidigen. Er wurde vom damaligen Minister für Menschenrechte Ali Haroun gebeten, nur als Beobachter an dem Prozeß teilzunehmen. Am Tag des Prozesses verbot man ihm den Zutritt in den Gerichtssaal. in: Lettre ouverte à des amis algériens devenus tortionnaires, Paris 1993, 13.

15 Eradicateur bedeutet wörtlich Ausrotter. Damit werden die Personen, Parteien und Fraktionen im Regime bezeichnet, die jegliche Einbeziehung der Islamisten im allgemeinen und der FIS im besonderen in die politischen Verhandlungen ablehnen und für eine militärische Lösung des Konflikts sich einsetzen.

16 Darin werden Bedingungen aufgeführt, die zur Beendigung der Gewalt verhelfen sollen: Aufhebung des Ausnahmezustandes, Ende der außergerichtlichen Tötungen, eine generelle Amnestie, Rückkehr der Soldaten in die Kasernen und Schaffung einer Kommission zur Ernennung einer neutralen Regierung, die die Geschäfte bis zu den stattfindenden freien Wahlen übernehmen soll. Die FIS verpflichtet sich ihrerseits den Pluralismus, die individuellen Freiheiten, die Menschenrechte, die Demokratie und die aus Wahlen hervorgehenden Repräsentanten zu respektieren, Rouadjia, 115, und NZZ, 13. Juli 1995.

17 FLN, MDA. PRA, Hamas, Ennahda. Die FFS hat sich geweigert an diesen Unterredungen teilzunehmen, da sie darin nur eine Taktik des Regimes sieht, die sie nicht mitverantworten will. Die RCD lehnt auch jede Beteiligung ab, da sie nicht mit dem « Integrismus verhandeln will » und Ettahadi vertritt die Haltung, daß dem « terroristischen Fundamentalismus » nur mit dem « totalen Krieg » geantwortet werden kann, Rouadjia, 114.

18 Zeroual rechtfertigt diese Option mit dem am selben Tag stattgefundenen Anschlag auf dem Friedhof von Mostaganem, bei dem fünf Kinder ums Leben kamen. Die FIS wird dafür verantwortlich gemacht, obwohl sie sich sofort von dieser Tat distanzierte und sie verurteilte, Le Monde, 4. November 1994. Siehe auch Werner Herzog, Algerien, zwischen Demokratie und Gottesstaat, München 1995, 113f.

19 amnesty international, Rundbrief Nr.1, Frühjahr 1995. Selbst Ali Benhadj unterstützt in seinem Brief vom 20. Januar 1995 die Plattform, In: Séverine Labat, Ali Benhadj, idéologue et politique, Le Drame Algérien, 218.

20 ai-Rundbrief, s.o.

21 Dieser ist auch Vorsitzender des Mouvement pour la République (Bewegung für die Republik, MPR), die mit bewaffneten Verbänden Islamisten bekämpft, ai, Chronologie des Schreckens, 16. April 1996.

22 Ali Habib, L’opposition légale fait une timide entrée dans le nouveau gouvernement algérien, Le Monde, 7-8. Januar 1996.

 

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