Algeria-Watch: Text

Ex-Offizier schildert die Gräuel der algerischen Armee

„Alle ausrotten, die Islamisten helfen“

Französische Intellektuelle kritisieren, dass Paris Waffen an Algier liefert

Rudolph Chimelli, Süddeutsche Zeitung, 14. Februar 2001

Paris – Ein ehemaliger algerischer Offizier hat mit vielen Einzelheiten über Gräueltaten berichtet, die von Sicherheitskräften begangen, aber islamischen Terroristen in die Schuhe geschoben wurden. So beschreibt der nach Frankreich geflohene 31-jährige Habib Souaidia in einem Buch mit dem Titel „Der schmutzige Krieg“ (La sale guerre), wie Kameraden einen 15-Jährigen lebendig verbrannten, den sie verdächtigten, mit dem Untergrund in Verbindung zu stehen. Das Buch ist in Paris erschienen und mit einem Vorwort des namhaften italienischen Richters Ferdinando Imposito versehen, der sich bei der Bekämpfung der Mafia hervorgetan hat.

Die Veröffentlichung erfolgte am Vorabend eintägiger Gespräche, die der französische Außenminister Hubert Védrine am Dienstag in Algier führte und trug dazu bei, deren Klima erheblich zu belasten. Das offizielle Algerien will in dem zeitlichen Zusammentreffen keinen Zufall sehen, zumal eine Anzahl bekannter französischer Wissenschaftler die Pariser Regierung mit einem Appell in der Zeitung Le Monde aufgefordert hatte, ihre Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen mit Algier kritisch zu überdenken. Die Unterzeichner, darunter der Soziologe Pierre Bourdieu, stellten die Frage, ob das algerische Regime nicht unter dem Mantel der Bekämpfung des Terrorismus die politische und physische Ausrottung der gesamten Opposition betreibe.

Die laizistische Presse in Algier wiederum beschuldigt Souaidia, ein Provokateur mit zweifelhafter Vergangenheit zu sein. Er wurde in seiner Heimat wegen Diebstahls zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, bevor er nach Frankreich fliehen und dort Asyl beantragen konnte. Die Familie des Autors ist in ihrem Wohnort Tebessa seit der Veröffentlichung Ziel von Schikanen und Handgreiflichkeiten durch Regimeanhänger.

Französische Kenner der Lage in Algerien zweifeln nicht an Souaidias Schilderungen der Gräuel, die während der ersten Hälfte der neunziger Jahre begangen wurden, als er seinen Dienst tat. So beschreibt er, wie seine Truppe auf Befehl zweier hoher Offiziere ein Kommando der Sondereinheit DRS begleiten musste, die in der fruchtbaren Mitidscha-Ebene nahe der Hauptstadt zwölf Personen abschlachtete. Sie standen lediglich im Verdacht, die Islamisten zu unterstützen. Am folgenden Tag sprach die Presse von einem „terroristischen Angriff auf das Dorf Ez-Zaatra“.

Der Verdacht, dass sich algerische Militärs und die Geheimdienste des Landes zur Destabilisierung ihrer Gegner terroristischer Mittel bedienen, wurde schon vielfach geäußert. Zuletzt wies Ende vergangenen Jahres in glaubhafter Form Nasroulah Yous in einem Buch mit dem Titel „Wer hat in Bentalha gemordet?“ darauf hin, dass Überlebenden dieses größten Massakers im algerischen Bürgerkrieg die falschen Bärte der Täter im Gedächtnis geblieben seien. In Bentalha, gleichfalls in der Mitidscha-Ebene gelegen, wurden 1997 in einer Nacht mehr als 400 Bewohner abgeschlachtet, ohne dass die in der Nähe stehende Armee eingriff. Ein Hubschrauber kreiste über dem Ort.

Köpfe und Ohren abgeschnitten

Souaidias Erlebnisse beziehen sich auf einen Zeitraum von 18 Monaten in den Jahren 1993/94, während er in Lakdharia, 80 Kilometer östlich von Algier, stationiert war. Er erinnert sich an den verschlüsselten Befehl „Hinunter an den Fluss!“, der in Wahrheit bedeutet habe, Gefangene zu erschießen. In einer Lagebesprechung hätten er und seine Kameraden die Order erhalten, „alle ausrotten, die die Islamisten unterstützen, nicht nur Terroristen“. Zwei Dorfbewohner seien auf ihrem Heimweg am Rand eines Waldes erschossen worden, nur weil sie ängstlich davonliefen. „Wenn wir mit Terroristen fertig waren, schnitten wir den Erschossenen die Köpfe ab und nahmen sie mit. Die Körper überließen wir den Aasfressern“, schreibt Souaidia. Dies habe genau den Instruktionen der Vorgesetzten entsprochen. „Aber wenn wir ziemlich viele Tangos (Terroristen) hatten, dann gaben wir uns nicht mit den Köpfen ab, sondern nahmen nur die Ohren mit.“ Der ehemalige Bürgermeister von Lakdharia, der der islamischen Rettungsfront FIS angehörte, sei von falschen Terroristen entführt und ermordet worden.

Unter anderem wird in dem Buch auch eine größere militärische Operation geschildert. Danach seien die Berge hinter Ain Defla südwestlich von Algier im März eine Woche lang mit Kampfflugzeugen, Hubschraubern und Raketenwerfern beschossen worden.